Kapitel 13 - Seit zwölf Tagen war Petronius mit dem Hofstaat nach Bajae abgereist. ...

Seit zwölf Tagen war Petronius mit dem Hofstaat nach Bajae abgereist.

Chilon ließ sich längere Zeit nicht blicken, wodurch Vinicius sehr beunruhigt wurde, obwohl er sich immer wiederholte, wie vorsichtig man mit Nachforschungen zu Werke gehen müsse. Sein heißes Blut und seine gewaltsame Natur empörten sich gegen die Stimme der Vernunft. Mit gebundenen Händen ohnmächtig zu warten, zur Untätigkeit verdammt zu sein, paßte durchaus nicht zu seinem Wesen, wenn er auch, in einen dunklen Sklavenmantel gehüllt, in den Straßen der Stadt umherstreifte, so entdeckte er ebensowenig etwas wie seine Freigelassenen, die doch Männer von Erfahrung waren. Vinicius hatte von früher Jugend an seinen Willen durchzuführen gewußt, und wenn er als Soldat Kriegszucht gelernt hatte, so verlangte er um so mehr von seinen Untergebenen sklavischen Gehorsam und sah in der Flucht Lygias eine Auflehnung, die ihm unerträglich war.


Gegen seine Sklaven war er jetzt geradezu schrecklich und verhängte über sie und sogar über Freigelassene oft die grausamsten Strafen, meist ohne Grund. Sie näherten sich ihm nur noch zitternd und haßerfüllt. Vinicius merkte dies nur zu gut, fühlte seine stets wachsende Vereinsamung und rächte sich erbarmungslos dafür. Nur Chilon gegenüber suchte er sich zu beherrschen, da er in beständiger Angst lebte, der Grieche werde seine Nachforschungen einstellen. Dieser aber wußte seinen Vorteil auszunützen und wurde immer anspruchsvoller. Er versicherte wohl oft, die Angelegenheit werde rasch zu Ende geführt werden, suchte sie aber nur in die Länge zu ziehen und schützte immer neue Schwierigkeiten vor. Er verbarg auch die Tatsache nicht, daß sich die Sache in die Länge ziehen werde, hörte jedoch nicht auf, für den zweifellosen Erfolg zu bürgen.

Endlich nach langen Tagen der Erwartung, tauchte er wieder auf, aber mit so düsterem Gesicht, daß der junge Mann bei seinem Anblick erblaßte und, auf ihn zustürzend, kaum die Worte hervorbrachte: „Ist sie nicht unter den Christen?“

„Doch, o Herr,“ entgegnete Chilon, „aber ich habe auch Glaukus unter ihnen gefunden.“

„Wer ist Glaukus?“

„Erinnerst du dich nicht mehr des Greises, Herr, mit welchem ich aus Neapel nach Rom wanderte, und dessen Verteidigung mir zwei Finger kostete? Sein Weib und Kind wurden ihm entrissen, ihm selbst versetzten die Räuber einen Messerstich. Ich verließ ihn sterbend in der Herberge zu Minturnae und beweinte ihn lange! Jetzt habe ich mich überzeugt, daß er noch lebt und der christlichen Gemeinde in Rom angehört.“

Vinicius, der nicht begreifen konnte, um was es sich handle, sah nur, daß dieser Glaukus der Auffindung Lygias im Wege stehe, und sagte, indem er nur mühsam seinen aufsteigenden Zorn unterdrückte: „wenn du ihn schütztest, müßte er dir dankbar sein und dir Hilfe leisten!“

„Ach, edler Tribun! Nicht einmal die Götter sind immer dankbar, geschweige die Menschen! Ja! er sollte mir dankbar sein! Zum Unglück jedoch ist er ein schwachsinniger Greis, dessen Geist durch die Jahre und den Kummer getrübt ist, und so ist er mir nicht nur undankbar, sondern, wie ich von seinen Glaubensgenossen erfuhr, beschuldigt er mich, der Urheber jenes räuberischen Überfalls und die Ursache jenes Unglücks zu sein. Das ist der Lohn für meine beiden Finger.“

„Schurke, ich bin überzeugt, daß es so ist, wie er sagt,“ rief Vinicius.

„Dann weißt du mehr als er, Herr,“ versetzte Chilon, „denn er setzt nur voraus, daß es so war. Gleichwohl wird er die Christen anrufen, um grausame Rache zu nehmen. Das tut er so gewiß, als die andern ihm dabei helfen werden. Zum Glück weiß er meinen Namen nicht und hat mich in dem Bethause, wo ich ihn sah, nicht bemerkt.“

„Was liegt mir an allem? Erzähle mir, was du in dem Bethause gesehen hast.“

„Dich kümmert’s freilich nicht, o Herr, mich aber wohl, trage ich doch meine eigene Haut dabei zu Markte. Und da mir viel daran gelegen, daß meine Lehre mich überlebe, entsage ich gern der versprochenen Belohnung, wenn ich nur dadurch mein Leben erhalte.“

Da trat Vinicius mit einem Gesicht, das nichts Gutes weissagte, auf ihn zu und sagte mit halb erstickter Stimme: „Wer sagt dir, daß der Tod durch Glaukus’ Hand dir sicherer ist als der von der meinen? Woher weißt du, Hund, ob ich dich nicht gleich jetzt, hier in meinem Garten, einscharren lasse?“

Chilon, der ein Feigling war, blickte auf Vinicius, und im Augenblick verstand er, daß er durch noch ein unbedachtes Wort unrettbar verloren sei.

„Ich werde sie suchen, Herr, und werde sie finden,“ rief er rasch. Eine kleine Pause trat ein. Man hörte nur den rasch gehenden Atem des Vinicius, und aus der Ferne tönte der Gesang der im Garten arbeitenden Sklaven.

Erst als der Grieche den jungen Patrizier etwas ruhiger sah, begann er wieder: „Der Tod war mir nahe, und ich blickte ihm mit Ruhe ins Antlitz wie Sokrates. Nein, Herr! Ich sage nicht, daß ich die Suche nach dem Mädchen aufgebe, ich wollte nur sagen, daß diese jetzt mit großen Gefahren für mich verbunden ist.“ Hier schwieg er eine Weile, trocknete sich die Tränen und fuhr fort: „Da aber Glaukus lebt, kann ich nur schlecht nach ihr forschen. Bei jedem Schritt kann er mir begegnen, und trifft er mich, dann bin ich verloren, und alle Bemühungen waren umsonst.“

„Was bezweckst du mit deinen Worten? Sprich klar und deutlich?“

„Nun, dieser Glaukus ist ein alter Mann, für ihn wäre der Tod eine Wohltat, eine Erlösung. Darum will ich Glaukus aus dem Wege räumen, denn solange er lebt, ist sowohl mein Leben als meine Unternehmung in steter Gefahr.“

„So dinge Leute, die ihn töten. Ich bezahle sie.“

„Sie werden dein Geld nehmen, Herr, und später das Geheimnis verraten. Und warum willst du deinen ehrlichen Namen solchen Halunken preisgeben. Mir aber kannst du vertrauen, denn bedenke, es handelt sich, ganz abgesehen von meiner Redlichkeit, noch um zwei andre Dinge: um meine eigene Haut und um die Belohnung, die du mir zugesagt hast.“

„Wieviel brauchst du?“

„Ich brauche tausend Sesterzien, denn ich muß trachten, ehrliche Spitzbuben zu finden, die nicht mit dem Handgeld auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Für gute Arbeit – gute Bezahlung! Auch mir täte ein Sümmchen gut, um die Tränen zu trocknen, die ich dem Glaukus nachweinen werde. Die Götter sind meine Zeugen, wie sehr ich ihn liebte! Bekomme ich heute tausend Sesterzien, dann ist seine Seele zwei Tage später im Hades.“

Vinicius versprach ihm die verlangte Summe, wollte aber wissen, wo Chilon inzwischen gewesen sei. Dieser erzählte, daß er in zwei Bethäusern gewesen sei und dort alle Anwesenden, besonders aber die Frauen ins Auge gefaßt habe, ohne eine zu entdecken, die Lygia gleiche. Die Christen hielten ihn für einen der Ihren, seitdem er des Euricius Sohn losgekauft habe. Sie ehrten in ihm einen Menschen, der dem Beispiel ihres „Christus“ folge, von ihnen habe er auch erfahren, daß einer ihrer großen Gesetzgeber, ein gewisser Paulus aus Tarsos, auf eine Anklage der Juden hin in Rom in Gefangenschaft sei; diesen kennenzulernen habe er beschlossen. Am meisten aber habe ihn die Nachricht gefreut, daß der höchste Priester der ganzen Sekte, der ein Jünger Christi gewesen sei, und dem dieser die Herrschaft über alle Christen der Welt übertragen habe, demnächst in Rom eintreffen werde. Alle Christen würden ihn natürlich sehen und seine Lehre hören wollen. Große Versammlungen würden stattfinden, bei denen er, Chilon, auch anwesend sein werde, und wohin er auch Vinicius mitnehmen wolle. Dort müßten sie Lygia bestimmt finden. Sobald Glaukus beseitigt sein werde, wäre nicht einmal eine allzu große Gefahr damit verbunden. Die Christen versuchten wohl zuweilen, sich zu rächen, doch im allgemeinen seien sie friedliche Leute.

Chilon erzählte noch, daß er niemals gesehen habe, daß die Christen sich Ausschweifungen ergäben, Quellen und Brunnen vergifteten oder Feinde des Menschengeschlechts seien. Im Gegenteil gebiete ihre Religion den Frieden und das Verzeihen. Vinicius aber erinnerte sich daran, was ihm Pomponia gesagt hatte, als er sie bei Akte traf; mit einer gewissen Freude schenkte er den Worten Chilons Gehör. Diese Freude wurde aber auch wieder teilweise durch ein unklares, beängstigendes Gefühl getrübt. Wie, wenn gerade die für ihn unbegreifliche, in ein undurchdringliches Dunkel gehüllte Verehrung ihres Christus die unüberbrückbare Kluft zwischen ihm und Lygia bildete? Und diese neue Lehre erfüllte ihn mit Zorn, zugleich aber auch mit banger Furcht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?