Kapitel 10 - In dieser Nacht legte sich Vinicius gar nicht nieder. Einige Zeit, nachdem Petronius sich ...

In dieser Nacht legte sich Vinicius gar nicht nieder. Einige Zeit, nachdem Petronius sich entfernt hatte, als die Weherufe der gepeitschten Sklaven weder seinen Schmerz noch seine Wut zu besänftigen vermochten, berief er eine Schar andrer Diener zu sich und eilte an ihrer Spitze noch spät in der Nacht fort, um Lygia zu suchen. Er durchforschte fast die ganze Stadt und einen Teil der Vororte, ohne eine Spur der Gesuchten zu finden, und kehrte erst bei Tagesanbruch nach Hause zurück. Dort befahl er, die Sklaven, denen Lygia entrissen worden war, nach dem Sklavengefängnis zu bringen, eine Strafe, die fast furchtbarer war als der Tod. Schließlich warf er sich im Atrium auf ein Ruhebett und begann darüber nachzudenken, wie er Lygia finden und sich ihrer bemächtigen könnte.

Der Gedanke schien ihm unfaßbar, daß er sie verlieren und niemals mehr sehen sollte, diese Idee allein machte ihn schon fast wahnsinnig. Die eigensinnige Natur des jungen Kriegers stieß zum erstenmal auf Widerstand, er konnte es nicht fassen, daß es jemand wagte, seinem Wunsche geradezu entgegen zu handeln. Vinicius hätte eher die ganze Welt und die ganze Stadt in Trümmer gehen sehen, als daß er von seinem Vorhaben zurückgetreten wäre. Es schien ihm, daß sich etwas Außergewöhnliches ereignet habe, was nach göttlichem und menschlichem Recht Rache fordere.


Aber vorläufig war er außerstande, sich mit seinem Schicksal auszusöhnen, denn noch niemals in seinem Leben hatte er eine solche Sehnsucht empfunden wie jetzt nach Lygia. Er glaubte ohne sie nicht leben zu können. Mitunter ergriff ihn eine solche Wut auf sie, daß er sich vornahm, sie an den Haaren in sein Haus zu schleppen. Dann wieder fühlte er eine solche Sehnsucht beim Ausrufen ihres Namens, daß er sich gerne ihr zu Füßen geworfen hätte, schließlich kamen immer wieder seine Gedanken darauf zurück, daß kein anderer als Aulus sich ihrer bemächtigt haben könnte, und Aulus müsse jedenfalls wissen, wo sie sich verborgen halte. Er raffte sich auf, um sich in das Haus des Aulus zu begeben. Würde das Mädchen ihm nicht ausgeliefert, fruchteten seine Drohungen nichts, dann wollte er zum Cäsar gehen, den alten Feldherrn wegen Ungehorsam anklagen und auf diese Weise das Todesurteil über ihn erwirken. Zwar hatte man ihn aufgenommen und gepflegt, – aber das bedeutete wenig oder nichts, das jetzt angetane Unrecht befreite von jeder Verpflichtung gegen sie. Sein rachsüchtiger und verbissener Charakter weidete sich schon in Gedanken an der Verzweiflung der Pomponia Graecina, wenn der Centurio dem alten Aulus das Todesurteil überbringen werde. Daß er dieses erlangen werde, dessen war er sicher, und gewiß half ihm auch Petronius dabei. Zudem schlug ja der Kaiser seinen Freunden, den Augustianern, nichts ab, es sei denn, daß er sich durch persönliche Gründe oder Abneigung dazu veranlaßt sah.

Aber plötzlich erstarrte ihm das Blut in den Adern, als eine furchtbare Idee sich ihm aufdrängte. Wie, wenn der Kaiser das Mädchen für sich selbst beanspruchte?

Jedem war es bekannt, daß der Kaiser selbst häufig durch nächtliche Überfälle Zerstreuung suchte. Sogar Petronius beteiligte sich an diesem Zeitvertreib. Ihr Hauptzweck dabei war, Frauen aufzugreifen und diese so lange auf einem Kriegermantel emporzuschnellen, bis sie ohnmächtig wurden. Diese Nachtausflüge nannte Nero selbst den „Perlenfang“, und gerade in den entlegeneren Stadtteilen, wo die ärmere Bevölkerung wohnte, fing man manche wahre Perle an Anmut und Kindheit. Nach dem Emporwerfen der „Perlen“ auf dem Soldatenmantel wurden die armen Opfer entweder nach dem Palatinus oder in eine der unzähligen Villen verschickt, oder an die kaiserlichen Freunde verschenkt. Und so konnte es auch mit Lygia geschehen sein. Der Kaiser hatte sie beim Festmahl betrachtet, und Vinicius zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß sie dem Kaiser als die schönste der Frauen erschienen war, die er jemals gesehen. Es konnte nicht anders sein! Zwar war sie schon in Neros Hause auf dem Palatinus gewesen und er hätte sie ohne weiteres zurückhalten können. Aber Petronius hatte recht, der Kaiser war zu feige, um offen ein Verbrechen zu begehen, und stets darauf bedacht, den Schein zu wahren. Diesmal mochte auch die Furcht vor Poppäa ihn dazu veranlaßt haben. Vinicius kam jetzt auf den Gedanken, daß Aulus es schwerlich gewagt hätte, ihm das vom Kaiser geschenkte Mädchen zu entführen, wer hätte so etwas wagen können? Vielleicht nur jener ungeheure, blauäugige Lygier, der verwegen genug war, ins Triklinium einzudringen, um sie auf seinen Armen vom Feste wegzutragen! Jedoch, wo verbarg er sich mit ihr? Wohin konnte er sie gebracht haben? Folglich hatte es niemand anders als der Kaiser getan.

Bei diesem Gedanken ward es Vinicius schwarz vor Augen und Schweißtropfen bedeckten seine Stirn. In dem Falle war Lygia auf immer für ihn verloren. Jedem andern hätte er sie entreißen können, dem Kaiser aber nicht! Jetzt konnte er mit größerem Recht als zuvor ausrufen: weh mir Unglücklichen!

Bei dem Gedanken, daß jetzt Nero die Geliebte besitzen könnte, ergriff ihn ein solcher Schmerz, daß er sich fast dem Wahnsinn nahe fühlte. Er wußte, er würde wahnsinnig werden, wenn ihm nicht eine Hoffnung bliebe – die Rache. Dieser Gedanke verschaffte ihm etwas Erleichterung. Wie Cajus Chaerea den Caligula getötet hatte, so würde er Nero töten. Nach einer Weile nahm er Erde aus den Blumenvasen, die das Impluvium umgaben, und schwur den furchtbaren Eid, daß er seine Rache ausführen werde.

Er hatte einen Trost. Er hatte wenigstens etwas, wofür er leben, womit er sich Tag und Nacht beschäftigen konnte. Nachdem er den Vorsatz, sich zu Aulus zu begeben, fallen gelassen hatte, ließ er sich auf den Palatinus tragen. Zuweilen durchfuhr es ihn wie ein Hoffnungsstrahl, daß er vielleicht Lygia im Palast treffen werde, und bei diesem Gedanken zitterte er förmlich. Er hatte zunächst keine Waffe mit sich genommen, da ihn heute die Wachen möglicherweise untersuchen könnten; er wollte zunächst mit Akte sprechen, da er von ihr Aufklärung über alles hoffte.

Vor dem Torbogen nahm er seine ganze Geistesgegenwart zusammen, denn er sagte sich beim Anblick der prätorianischen Leibwache, daß es ein Beweis sei für Lygias Anwesenheit im Palast, wenn man ihm die mindesten Schwierigkeiten beim Eintritt bereite. Doch der erste Centurio lächelte ihm freundlich entgegen und sagte, einige Schritte vortretend: „Sei gegrüßt, edler Tribun! Wenn Du dem Kaiser deine Ehrerbietung bezeigen willst, dann hast du einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt, und ich weiß nicht, ob du ihn wirst sehen können.“

„Was ist geschehen?“ fragte Vinicius.

„Die göttliche kleine Augusta ist seit gestern erkrankt. Der Kaiser und die Augusta Poppäa sind bei ihr mit den Ärzten, die aus der ganzen Stadt zusammengerufen wurden.“

Dies war ein wichtiges Ereignis. Als dem Kaiser diese Tochter geboren wurde, war er beinahe wahnsinnig vor Entzücken, mit übermenschlicher Freude nahm er sie auf. Nero, der in nichts maßzuhalten verstand, liebte das Kind grenzenlos, und der Poppäa war es um so teurer, als es ihre Stellung befestigte und ihr einen unumschränkten Einfluß verschaffte.

Von der Gesundheit und dem Leben der kleinen Augusta konnte das Schicksal des ganzen Reiches abhängen, doch Vinicius war so völlig mit sich selbst beschäftigt, daß er der Nachricht des Centurio kaum Aufmerksamkeit schenkte und nur sagte: „Ich möchte Akte sehen.“ Damit ging er vorüber.

Doch Akte war gleichfalls um das Kind beschäftigt und er mußte lange auf sie warten. Erst gegen Mittag erschien sie mit müdem, bleichem Antlitz, das beim Anblick des Vinicius noch mehr erblaßte.

„Akte,“ rief er, ihre Hand ergreifend und sie in die Mitte des Atriums ziehend, „wo ist Lygia?“

„Eben das wollte ich dich fragen,“ versetzte sie mit einem vorwurfsvollen Blicke.

Vinicius hatte sich vorgenommen, Akte ruhig auszuforschen, jetzt aber preßte er nur die Schläfen zwischen die Hände und rief, das Antlitz von Schmerz und Wut verzerrt: „Sie ist fort. Dann hat man sie mir auf dem Wege zu mir geraubt. Akte... wenn dir das Leben lieb ist, wenn du nicht die Ursache eines Unglücks sein willst, dessen Furchtbarkeit du dir nicht einmal vorstellen kannst, so sage die Wahrheit: Hat der Kaiser sie entfuhrt?“

„Der Kaiser hat gestern den Palast nicht verlassen. Seit gestern ist die kleine Augusta krank, und Nero hat ihre Wiege noch nicht verlassen.“

Vinicius atmete auf. Das, was ihm als das Schrecklichste erschienen war, bewahrheitete sich also nicht.

„Dann“, sagte er, sich auf eine Bank niederlassend und die Fäuste ballend, „hat sich ihrer Aulus und Pomponia bemächtigt! Dann wehe ihnen!“

„Aulus Plautius war heute morgen hier. Er konnte jedoch mit mir nicht sprechen, weil ich bei dem Kinde beschäftigt war, aber er fragte Epaphrodit und andre kaiserliche Diener nach Lygia und wollte wiederkommen, um mit mir zu sprechen.“

„Er wollte damit nur den Verdacht von sich ablenken. Wenn er nicht gewußt hätte, was mit Lygia geschah, so hätte er sie zuerst bei mir gesucht.“

„Er ließ für mich einige Worte auf einem Täfelchen zurück, aus dem du entnehmen kannst, daß er erst hier erfuhr, was sich ereignet hatte.“

So sprechend, holte sie aus dem Cubiculum das Täfelchen, das Aulus zurückgelassen hatte.

Vinicius verstummte, als er gelesen, und Akte, die eine Zeitlang in seinen düstern Zügen zu lesen schien, sagte endlich: „Nein, Markus. Es geschah nur, was Lygia selbst gewollt hatte.“

„Du wußtest, daß sie fliehen wollte?“ flammte Vinicius auf.

Sie sah ihn mit ihren trüben Augen an, strenge beinahe. „Ich wußte, daß sie nicht deine Geliebte werden wollte.“

Vinicius entrüstete sich aufs neue. Der Kaiser habe ihm Lygia geschenkt, und er würde sie finden, selbst wenn sie sich unter der Erde verberge. Ja, sie sollte seine Geliebte werden, und er wolle sie peitschen lassen, so oft es ihm gefiel. Und wenn er ihrer überdrüssig sei, dann würde er sie dem letzten seiner Sklaven schenken.

Akte sah, daß der junge Mann außer sich war vor Zorn und Qual. Sie hätte vielleicht Mitleid mit ihm gehabt, aber ihre Geduld war erschöpft, so daß sie schließlich Vinicius fragte, weshalb er denn zu ihr gekommen sei?

Vinicius fand nicht gleich eine Antwort. Er sei gekommen, sagte er nach einer kurzen Pause, um mit ihr zu sprechen, weil er geglaubt habe, er könne etwas von ihr erfahren, eigentlich sei er aber zum Kaiser gekommen und habe sie aufgesucht, weil er von diesem nicht vorgelassen worden sei. Durch ihre Flucht habe sich Lygia dem Willen des Kaisers widersetzt, deshalb wolle er diesen anflehen, den Befehl zu erteilen, in der ganzen Stadt und im ganzen Lande nach ihr zu suchen.

Darauf erwiderte Akte: „Hüte dich, Markus, damit du sie nicht für immer verlierst, wenn der Kaiser nach ihr forschen läßt!“

Vinicius runzelte die Brauen, „Was soll das heißen?“ fragte er.

„Höre mich, Markus! Gestern war ich mit Lygia in den Palastgärten, wo wir Poppäa begegneten, und mit ihr die Mohrin Lilith, die kleine Augusta auf den Armen. Abends erkrankte das Kind, und Lilith behauptet nun, daß es behext worden sei, und zwar von der Fremden, der sie im Garten begegnet. Wird das Kind gesund, so vergißt man die Sache, im entgegengesetzten Falle aber wird Poppäa die erste sein, die Lygia der Zauberei anklagt, und es gibt dann keine Rettung mehr für sie, wenn man sie findet.“

Eine kurze Pause folgte, dann sagte Vinicius: „Vielleicht hat sie das Kind verzaubert – auch mich hat sie verzaubert!“

Akte betrachtete ihn mehrere Augenblicke hindurch zögernd, als wolle sie ihn prüfen, dann sagte sie: „O, du Jähzorniger und Verblendeter, sie hat dich geliebt!“

Vinicius sprang bei diesen Worten wie wahnsinnig auf. „Das ist nicht wahr, sie haßt mich!“

Woher sollte dies Akte wissen? Sollte ihr Lygia schon am ersten Tage der Bekanntschaft ein Geständnis abgelegt haben? Und was sei das nur für Liebe, wenn Lygia es vorziehe, von Schmach und Armut bedrängt, umherzuirren, wenn sie ein unsicheres Los, sogar den Tod im Elend dem bekränzten, festlich geschmückten Hause, in dem der Geliebte ihrer harrte, vorziehe? Nein, sie hasse ihn, sie habe ihn immer gehaßt und werde auch mit diesem Hasse im Herzen sterben.

Aber Akte, die schüchtern und sanft zugleich war, fragte jetzt ganz entrüstet, auf welche Weise er denn Lygia zu gewinnen versucht habe? Anstatt bei Aulus und Pomponia um Lygia anzuhalten, habe er den Eltern das Kind durch List genommen. Er habe sie in dieses Haus des Verbrechens, der Schande geführt, er habe ihre unschuldigen Augen mit dem Anblick eines ehrlosen Gastmahls verletzt. Er habe wohl vergessen, wer Aulus und Pomponia seien, die Lygia aufgezogen haben. Nein! Lygia habe ihr kein Geständnis abgelegt, aber ihr gesagt, daß sie von ihm, von Vinicius, Rettung erwarte, daß sie hoffe, er erwirke ihr vom Kaiser die Erlaubnis, zu Pomponia zurückzukehren. Und während Lygia davon gesprochen habe, sei sie errötet wie ein Mädchen, das liebt und hofft. Lygias Herz schlage für ihn, aber er habe sie geängstigt, beleidigt, empört, und jetzt möge er sie durch die Söldlinge des Kaisers suchen lassen, dabei aber nicht außer acht lassen, daß, falls das Kind stürbe, Lygias Verderben unvermeidlich sei.

Der Zorn und der Schmerz des Vinicius fing an, der Rührung zu weichen. Die Nachricht, daß er von Lygia geliebt wurde, erschütterte sein Gemüt aufs äußerste. Er erinnerte sich, wie sie bei Aulus im Garten errötend seinen Worten gelauscht hatte, die Augen voll strahlenden Lichtes. Er sagte sich, daß er sie allmählich hätte erringen können, dann wäre sie seine Gattin und an seiner Seite glücklich geworden. Aber dieses Glück hatte er sich nun verscherzt, und wenn er sie auch fand, dann war es nur zu ihrem Verderben. Aufs neue geriet er in Zorn, aber diesmal gegen Petronius. Dieser war an allem schuld. Wäre er nicht, so brauchte Lygia jetzt nicht umherzuirren, sie wäre jetzt vielleicht seine Braut.

„Zu spät!“ stöhnte er.

Mechanisch die Toga um sich schlagend, wollte er sich entfernen, als die Vorhänge zwischen Vorhalle und Atrium sich bewegten und Pomponia Graecina plötzlich sichtbar wurde.

Offenbar hatte auch sie von dem Verschwinden Lygias gehört, und in der Meinung, es werde ihr leichter werden als Aulus, Akte zu sprechen, kam sie nun, Erkundigungen einzuziehen.

Als sie jedoch Vinicius erblickte, wendete sie ihm ihr zartes, bleiches Antlitz zu und sagte: „Markus! Gott verzeihe dir das Unrecht, das du uns und Lygia zugefügt hast.“

Er stand vor ihr mit gesenktem Haupt im Bewußtsein seines Unglücks und seiner Schuld, ohne zu begreifen, welcher Gott ihm verzeihen sollte und konnte, noch warum Pomponia von Vergebung sprach, während sie doch eher an Rache denken sollte. Schließlich entfernte er sich, ratlos, voll trüber Gedanken und Sorgen.

Im Hofe und in den Säulengängen standen erregte Menschengruppen. Unter den Sklaven des Palastes erblickte man Ritter und Senatoren, die gekommen waren, sich nach dem Befinden der kleinen Augusta zu erkundigen, um sich im Palast zu zeigen, um ihre Teilnahme zu bekunden, wenn auch nur vor Neros Sklaven. Die Kunde von der Erkrankung der „Göttlichen“ hatte sich rasch verbreitet, und einige Besucher hielten Vinicius an, weil sie von ihm etwas Neues zu erfahren hofften. Aber er antwortete niemand und schritt weiter, bis Petronius ihn fast anstieß und ihn zurückhielt.

Sicher wäre Vinicius beim Anblick des Petronius in Wut geraten und hätte sich sogar im Kaiserpalast zu irgendeiner unüberlegten Handlung hinreißen lassen, wenn er nicht in so zerknirschter, niedergedrückter Stimmung von Akte weggegangen wäre, daß sich nicht einmal sein angeborener Jähzorn in ihm regte. Er schob Petronius beiseite und wollte vorübergehen, doch jener hielt ihn fast gewaltsam zurück.

„Wie geht es dem göttlichen Kinde?“ fragte er harmlos.

Aber dieser Zwang reizte Vinicius aufs neue, und sein Ingrimm machte sich endlich Luft. „Mag die Unterwelt dies Kind und dieses ganze Haus verschlingen!“ antwortete er zähneknirschend.

„Schweig, Unglückseliger!“ rief Petronius, und vorsichtig umblickend, fügte er hinzu: „Wenn du etwas über Lygia erfahren willst, so komm! Nein! Hier sage ich nichts! In der Sänfte will ich dir meine Vermutungen mitteilen.“

Und seinen Arm um die Schultern des jungen Mannes legend, führte er ihn rasch aus dem Palast hinweg.

Als sie in der Sänfte Platz genommen hatten, sagte er: „Ich habe meine Sklaven zu allen Stadttoren geschickt, nachdem ich ihnen eine genaue Beschreibung des Mädchens und des Riesen gegeben, der sie vom Feste wegtrug, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß er es ist, der sie entführte. Höre mich! Es kann sein, daß Aulus sie auf einer seiner ländlichen Besitzungen verbergen will, dann werden wir wissen, nach welcher Gegend sie entführt worden ist.“

„Aulus und Pomponia wissen nicht, wo sie ist,“ erwiderte Vinicius.

„Bist du deiner Sache sicher?“

„Ich habe mit Pomponia gesprochen. Auch sie suchen nach ihr.“

„Gestern konnte sie die Stadt nicht mehr verlassen. Zwei meiner Leute umkreisen jedes Tor. Einer hat Lygia und dem Riesen zu folgen, der zweite aber sogleich zurückzukehren, um uns Nachricht zu geben.“

Vinicius vermochte nun nicht länger seinen inneren Aufruhr zurückzuhalten, und ohne Zorn, aber schmerzerfüllt, mit bebender Stimme erzählte er Petronius, was er von Akte gehört hatte, und welche neue Gefahr für Lygia drohe, eine Gefahr, die so furchtbar sei, daß man Lygia, sobald sie aufgefunden würde, sorgfältig vor Poppäa verbergen müsse. Dann machte er Petronius bittere Vorwürfe wegen seines Rates. Ohne ihn wäre alles ganz anders ausgefallen. Lygia befände sich noch im Hause des Aulus, er, Vinicius, könnte sie täglich sehen und würde sich dabei glücklicher fühlen als der Kaiser selbst. Und je länger er erzählte, desto mehr ward er von seiner Bewegung fortgerissen, bis zuletzt Tränen des Schmerzes und der Wut aus seinen Augen flossen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quo Vadis?