Neunzehntes Kapitel - Bald herrschte Totenstille über dem großen Heere, das im Lager von Lüttich stand. ...

Bald herrschte Totenstille über dem großen Heere, das im Lager von Lüttich stand. Eine Zeitlang tönte noch das Rufen der Soldaten, die ihre Signale wiederholten oder sich bemühten, zu ihren Fahnen zu stoßen. Endlich aber drängten sich die zerstreuten Soldaten, durch die Anstrengungen des Tages erschöpft, unter das nächste beste Obdach zusammen, und wer keines finden konnte, sank an einer Mauer oder an einem Zaune nieder, um dort den Anbruch des Morgens zu erwarten, den viele von ihnen nie begrüßen sollten. Ein totenähnlicher Schlaf befiel fast alle, die herzoglichen und königlichen Wachen allein ausgenommen, und keiner gedachte vor Ermattung und Abspannung des hohen Preises, der jedem winkte, der den ermordeten Bischof am ehesten rächte. Nicht so Quentin Durward. Die Zuversicht, daß er allein die Zeichen kenne, woran Wilhelm von der Mark im Kampfe zu unterscheiden sei, die Erinnerung, durch wen er zu dieser Kenntnis gekommen, und die Vorbedeutung, die in dem Umstande lag, daß eben sie es war, durch welche er die Kenntnis gewonnen hatte, – dies alles scheuchte den Schlaf von seinen Augen und stählte seine Nerven mit einer Kraft, die aller Ermüdung Trotz bot. Auf des Königs ausdrücklichen Befehl auf den äußersten Posten zwischen den französischen Quartieren und der Stadt gestellt, eine gute Strecke rechts von der oben befindlichen Vorstadt, schärfte er das Auge, die vor ihm befindliche Masse zu durchdringen, und spitzte er das Ohr, den leisesten Ton zu vernehmen, der eine Bewegung in der belagerten Stadt andeuten könne. Allein schon hatten ihre gewaltigen Glocken drei Uhr nach Mitternacht verkündet, und alles war noch still und schweigend wie das Grab. Endlich, als er fast schon glaubte, der Angriff sei bis zum Tagesanbruch verschoben, meinte er, in der Stadt ein Summen zu vernehmen, wie von aufgestörten Bienen, die sich zur Verteidigung ihrer Zellen rüsten. Er horchte – das Geräusch dauerte fort; allein es war so unbestimmter Art, daß kein besonderer Ton sich unterscheiden ließ. Infolgedessen fand sich Quentin bewogen, nicht gleich Lärm zu schlagen. Als aber das Geräusch lauter ward und sich nach seinem Posten hinzog, hielt er es für seine Pflicht, seinen Oheim zu rufen, der den kleinen, zu seiner Unterstützung bestimmten Trupp Bogenschützen befehligte. Alle waren im Augenblick auf den Beinen. In weniger als einer Minute stand Lord Crawford an der Spitze und sandte einen Bogenschützen ab, um den König und sein Gefolge zu alarmieren; dann zog er sein Häuflein in einigen Abstand hinter das Wachfeuer zurück, so daß sie von dessen Lichtschein nicht getroffen werden konnten. Jetzt hörte man deutlich den schweren, wenn auch fernen Tritt eines großen Haufens, der sich der Vorstadt näherte.

»Die faulen Burgunder sind auf ihrem Posten eingeschlafen,« flüsterte Crawford, »eile nach der Vorstadt, Cunningham, und wecke die Ochsen auf.« – »Halte Dir ja, wenn Du gehst, den Rücken frei,« sagte Durward, »denn ohne Zweifel hat sich ein starkes Korps zwischen uns und die Vorstadt geschoben!« – »Sehr richtig, Quentin,« sagte Crawford, »Du bist ein Soldat über Deine Jahre. Der Haufen macht bloß Halt, bis die anderen heran sind ... Ich wollte, wir wüßten, wo sie wären!« – »Ich will mich vorwärts schleichen, Mylord,« sagte Quentin, »und Euch Nachricht zu bringen suchen.« – »Tue das, mein Junge; Du hast scharfe Augen und Ohren, und guten Willen dazu, aber nimm Dich in acht, – ich würde Dich ungern verlieren.«


Quentin hatte schnell die Büchse instand gesetzt und stahl sich vorwärts auf dem Boden, den er in dem Zwielicht des vorigen Abends sorgfältig rekognosziert hatte, bis er nicht nur gewiß wußte, daß er sich in der Nähe eines sehr bedeutenden Korps befinde, das zwischen dem königlichen Hauptquartiere und den Vorstädten Posten gefaßt hatte, sondern auch, daß ein einzelner, kleiner Haufe sich noch weiter vorgeschoben habe und dicht neben ihm stehe. Sie schienen einander zuzuflüstern, als ob sie unschlüssig wären, was sie zunächst zu tun hätten. Ohne sich zu besinnen, feuerte Quentin seine Büchse ab – ein Schrei, dann Schüsse längs der ganzen Kolonne, deren Stärke sich dadurch verriet ... aber Quentin erreichte unversehrt die Königswache wieder.

»Gut gemacht, Junge,« sagte Crawford. »Jetzt, Kinder, in den Hofraum zurück, – sie sind zu stark, als daß wir es mit ihnen im offenen Felde aufnehmen konnten!«

Im Hofe und im Garten trafen sie alles in bester Ordnung, den König aber im Begriffe, zu Pferde zu steigen ... »Wohin, Sire?« fragte Crawford; »Ihr seid am sichersten bei Euren eigenen Landsleuten.« – »Nein,« versetzte Ludwig, »ich muß zum Herzog. Er muß in diesem entscheidenden Momente von unserer Treue versichert sein, oder wir bekommen Burgunder und Lütticher zusammen auf den Hals.« – Er schwang sich aufs Pferd, gab Dunois den Befehl über die französischen Truppen, Crawford den über die Bogenschützenwache, befahl ihnen, zwei Feldschlangen und einige Falkonets auffahren zu lassen, die etwa eine halbe Meile zurückgeblieben waren, unterdes aber ihren Posten gut zu verteidigen, jedoch unter keinerlei Bedingung weiter vorzudringen, so glücklich sich auch das Gefecht für sie wenden sollte. Dann ritt er zum Quartiere des Herzogs. Durward, der dem Könige gefolgt war, fand den Herzog in äußerst aufgeregter Stimmung, und doch war Ruhe und Sicherheit jetzt mehr nötig denn je. Eben hatte eine dritte, noch stärkere Kolonne Lütticher sich durch Gassen, Weingärten und ihr allein bekannte Durchgänge auf den rechten Flügel des burgundischen Heeres geworfen.

Die Ankunft des Königs, der nur von Balafré, Durward und einem halben Dutzend Bogenschützen begleitet war, stimmte den Herzog ruhiger. Hymbercourt, Crevecoeur und andere burgundische Anführer, deren Namen damals der Stolz und Schrecken der Krieger waren, stürzten sich blindlings ins Gefecht. Die Vorstadt stand in Brand, die furchtbare Feuersbrunst hemmte den Kampf um die brennenden Trümmer nicht. Im Mittelpunkte unterhielten die französischen Truppen, von großer Ueberzahl bedrängt, ein ununterbrochenes, lebhaftes Feuer. Zur Linken wogte die Schlacht mit abwechselndem Glücke hin und her, je nachdem neue Verstärkungen aus der Stadt hervorbrachen oder von dem Nachtrabe des burgundischen Heeres herangezogen kamen. Drei schreckliche Stunden dauerte der Kampf mit immer gleicher Wut, bis endlich der von den Belagerern so sehr ersehnte Morgen anbrach.

»Auf!« sagte der König zu Balafré und Quentin, als von dem Platze herüber, wo die Bogenschützen standen, Kanonenschläge dröhnten. »Die Feldschlangen und Falkonets sind da! Gepriesen sei die heilige Jungfrau! Sagt Dunois, er solle mit allen unseren Mannen näher an die Stadt rücken und sich zwischen sie und die dickköpfigen Lütticher werfen.«

Oheim und Neffe sprengten zu Dunois und Crawford, die, der Defensive lange überdrüssig, mit Freuden den Befehlen gehorchten und an der Spitze eines tapferen Haufens von zweihundert Mann französischer Edelleute, die Schildknappen und den größten Teil der Bogenschützen ungerechnet, quer übers Feld hin zogen, über Verwundete und Tote weg, bis sie einen Haufen von Lüttichern in die Flanke bekamen, der dem rechten Flügel der Burgunder heftig zu Leibe gerückt war. Und noch immer rückten Truppen aus der Stadt hervor, um die Schlacht auf diesem Punkte fortzusetzen.

»Beim Himmel!« sprach Crawford zu Dunois, »wüßte ich nicht, daß Du hier an meiner Seite rittest, so würd' ich sagen, ich sähe Dich unter jenen Banditen mit Deinem Streitkolben, – nur bist Du, wenn Du das dort wirklich bist, etwas dicker als gewöhnlich. Weißt Du gewiß, daß der Anführer dort nicht Dein Doppelgänger ist?« – »Mein Doppelgänger!« rief Dunois, »ich weiß nicht, was Du meinst! Aber dort ist ein Schurke, der mein Wappen auf Helm und Schild führt, den ich sogleich für seine Unverschämtheit züchtigen werde.« – »Bei allem, was edel ist, Herr, überlaßt die Rache mir!« rief Quentin. – »Dir, junger Mann?« fragte Dunois, »eine recht bescheidene Bitte! Aber in solchen Fällen gibt es keine Stellvertretung.«

Mit diesen Worten wandte er sich im Sattel und rief seiner Umgebung zu: »Edle Frankreichs! Legt Eure Lanzen ein! Laßt die Strahlen der aufgehenden Sonne durch die Scharen dieser Lütticher Schweine und Ardennen-Eber scheinen, die unsere alten Wappenröcke nachäffen!« – Die Gewaffneten antworteten mit dem lauten Rufe: »Dunois! Dunois! Lang lebe der kühne Bastard!« und mit ihrem Führer an der Spitze sprengten sie in gestrecktem Galopp auf den Feind. Sie fanden keinen zaghaften Gegner. Das starke Korps, das sie angriffen, bestand, einige berittene Offiziere abgerechnet, aus Fußvolk, das ihnen einen Widerstand entgegensetzte, wie der Igel seinem Feinde. Nur wenige konnten sich durch diese Eisenmauer Bahn brechen; aber unter den wenigen war Dunois, der seinem Rosse die Sporen gab und mit einem kühnen Satze auf den Gegenstand seines Hasses losstürmte.

Erstaunt, Quentin, immer Quentin, neben sich und in einer Reihe mit sich kämpfen zu sehen, nahm er plötzlich den Eberskopf mit seinen Hauern wahr und rief, von jähem Edelsinn ergriffen, Quentin zu: »Du bist würdig, die Waffen Orleans' zu rächen! Ich überlasse Dir dies Geschäft! Balafré, steht Eurem Neffen bei; aber niemand mische sich in Dunois' Eberjagd!«

In diesem Augenblicke hatte jedoch die Kolonne, zu deren Unterstützung Wilhelm von der Mark heranrückte, die während der Nacht gewonnenen Vorteile eingebüßt und war zum Rückzuge gezwungen worden. Da sie sich nun auf die französischen Waffenleute warfen, die mit ihnen im Handgemenge waren, geriet das Ganze in einen Strom hinein, der zu der Bresche zurückflutete, aus welcher die Lütticher hervorgebrochen waren.

Quentin machte übermenschliche Anstrengungen, den wilden Eber zu erreichen, der ihm immer im Auge blieb und durch Stimme und Beispiel die Schlacht zum Stehen zu bringen suchte, kräftig unterstützt durch eine auserlesene Zahl Landsknechte. Balafré und einige seiner Kameraden schlossen sich Quentin an, der Bewunderung über die außerordentliche Tapferkeit voll, die von einem so jungen Krieger entwickelt wurde. Dicht an der Bresche gelang es dem Eber – denn kein anderer als er war es – einige der Vordersten zurückzudrängen. Vor seinem eisernen Streitkolben schien alles zu Boden zu sinken. Er war so mit Blut bedeckt, daß das Wappen auf seinem Schilde nicht mehr zu erkennen war. Quentin fand ihn aber leicht heraus; dicht am Fuße der Bresche sprang er vom Pferde, ließ das edle Tier ledig durch das Getümmel laufen und stieg die Trümmer hinauf, um sich im Schwertkampfe mit dem Eber der Ardennen zu versuchen. Dieser wandte sich, mit hocherhobenem Streitkolben, gegen ihn, als ein furchtbares Triumphgeschrei, mit verzweifelten Rufen und wildem Getümmel vermischt, verkündete, daß die Belagerer auf einer anderen Seite in die Stadt gedrungen und denen, die die Bresche verteidigten, im Rücken waren. Da sammelte von der Mark durch Stimme und Hifthorn die verzweifelten Gefährten um sich her, verließ die Bresche und suchte seinen Rückzug nach einem Teile der Stadt zu bewerkstelligen, aus dem er vielleicht auf die andere Seite der Maas zu entkommen hoffte. Seine unmittelbaren Begleiter bildeten einen dichten Haufen kriegsgeübter Streiter um ihn her, die, da sie nie Pardon gegeben hatten, auch jetzt entschlossen waren, keinen anzunehmen. Sie hielten sich in dieser Stunde der Verzweiflung in solcher Ordnung zusammen, daß ihre Front die ganze Breite der Straße einnahm, durch die sie langsam sich zurückzogen. Wahrscheinlich wäre auf diese Weise Wilhelm von der Mark entkommen, da seine Verkleidung ihn vor denen verbarg, die mit seinem Kopfe Ehre und Hoheit zu erringen hofften, wenn ihm nicht Quentin, Balafré und einige Kameraden unablässig zugesetzt hätten. Bei jedem Halt, den die Landsknechte machten, kam es zu einem wilden Ringen zwischen ihnen und den Bogenschützen, immer suchte Quentin den Eber zu stellen; allein dieser, einzig nur auf den Rückzug bedacht, schien seinen Plan, ihn zu einem Zweikampfe zu bringen, immer vereiteln zu wollen. Nach jeder Richtung hin herrschte allgemeine Verwirrung. Das Geschrei und Geheul der Weiber, das Gejammer der bestürzten Einwohner, die nun allen Ausbrüchen kriegerischer Zügellosigkeit preisgegeben waren, schrillte furchtbar durch das Getöse der Schlacht. Gerade in dem Augenblicke, als von der Mark sich durch diese Höllenszene hindurcharbeitete und an das Portal einer Kapelle gelangte, verkündigte ihm der Ruf: »Frankreich! Frankreich! Burgund! Burgund!«, daß ein Teil der Belagerer von dem entgegengesetzten und schmaleren Ende der Straße eindrang und ihm den Rückzug abschnitt.

»Konrad,« sagte er, »nimm alle Leute mit Dir! schlagt Euch durch, wenn Ihr könnt – mit mir ist es vorbei! Ich bin Manns genug, um, aufs äußerste gehetzt, einige dieser landstreicherischen Schotten zur Hölle zu senden!«

Sein Leutnant gehorchte und eilte mit den noch übrig gebliebenen Landsknechten nach dem äußersten Ende der Straße, in der Absicht, sich durch die vorrückenden Burgunder einen Weg zu bahnen. Ungefähr sechs der besten Leute des von der Mark blieben bei ihrem Herrn, um mit ihm zu sterben, und stellten sich den Bogenschützen, deren Zahl nicht viel größer war, entgegen. – »Der Eber! Der Eber! Holla! Ihr schottischen Edelleute!« rief er, seine Keule schwingend. »Welchen von euch gelüstet es, eine Grafenkrone zu gewinnen? Wer führt den Streich nach des Ebers Haupte? Ihr, junger Mann, deucht mir, habt große Lust dazu, – allein Ihr müßt sie erst gewinnen, ehe Ihr sie tragen könnt!«

Quentin hörte diese Worte nur undeutlich, da sie zum Teil in der Wölbung des Helmes verklangen; allein schon sprang von der Mark wie ein Tiger auf ihn los, indem er mit der Keule einen wuchtigen Hieb nach ihm führte, der einen Ochsen zu Boden gestreckt hätte; Quentin aber, behend und scharfblickend, wie er war, entging dem Streiche durch einen Sprung zur Seite. Zwar fielen nun die Streiche des verzweifelten Räubers wie die Schläge des Hammers auf den Amboß, aber dem jungen Bogenschützen gelang es weiter, ihnen durch seine schnellen Bewegungen und die geschickte Führung des Schwertes zu entgehen und sie mit der Spitze seiner zwar minder geräuschvollen, aber gefährlicheren Waffe zu erwidern. Das tat er so oft und mit solcher Wirksamkeit, daß die Riesenkraft seines Gegners zu ermatten begann, als der Boden, auf dem er stand, ganz mit Blut getränkt war. Immer noch focht er mit ungeschwächtem Arm und mit derselben Geisteskraft wie zuvor. Sein Sieg schien noch immer zweifelhaft und fern, als eine weibliche Stimme hinter ihm seinen Namen nannte und schrie: »Hilfe! Hilfe! Um der gebenedeiten Mutter Gottes willen!«

Er wandte sich um und erkannte auf den ersten Blick Gertrude Pavillon, wie sie, den Mantel von den Schultern gerissen, von einem französischen Soldaten mit Gewalt fortgeschleppt und [Wort fehlt im Buch] wurde. »Wartet einen Augenblick!« rief Quentin dem Eber zu und eilte seiner Wohltäterin nach, um sie aus einer Lage zu befreien, deren Gefahr er sich recht gut vorstellen konnte. – »Ich warte auf niemand,« sagte von der Mark, seinen Rückzug antretend, ohne Zweifel froh, auf so bequeme Weise von einem so gefährlichen Gegner befreit zu sein. – »Ihr sollt, mit Verlaub, doch wohl so lange warten, bis ich komme!« sprach Balafré, »denn so lasse ich meinem Neffen nicht mitspielen!« Mit diesen Worten ging er dem Eber mit seinem zweihändigen Schwerte zu Leibe.

Gertruds Räuber, von seinen Kameraden unterstützt, weigerte sich, von seinem Raube zu lassen, und während Durward mit Hilfe einiger Landsleute ihn zu bezwingen suchte, sah er den Vorteil, den der Zufall ihm zu Glück und Reichtum so gründlich in die Hände gegeben, schwinden: und als er endlich mit dem befreiten Mädchen auf der Straße stand, war niemand mehr zu sehen. Der hilflosen Lage des Mädchens gänzlich vergessend, stand er im Begriffe, dem Eber nachzueilen, wie der Windhund die Spur des Wildes verfolgt, als sich Gertrud verzweiflungsvoll au seinen Arm hing und rief: »Um Eurer Mutter Ehre willen, laßt mich nicht hier! So wahr Ihr ein Edelmann seid, geleitet mich sicher nach dem Hause meines Vaters, das einst Euch und Gräfin Isabelle Schutz gewährte! Um ihretwillen verlaßt mich nicht!« Ihr Ruf klang wie der einer Sterbenden, aber er war unwiderstehlich. Mit unaussprechlich bitterem Gefühl allen frohen Hoffnungen Lebewohl sagend, führte Quentin, wie ein Geist, der mit Widerwillen einem Zauberer gehorcht, Gertrud nach Pavillons Haus und kam eben noch recht an, um es gegen die Wut der zügellosen Soldaten zu schützen.

Der König und der Herzog zogen indessen durch eine der Breschen in die Stadt ein. Beide waren vollständig gewappnet; der Herzog aber, vom Helmbusch bis zu den Sporen mit Blut bedeckt, trieb sein Streitroß wütend die Bresche hinauf, während Ludwig bedächtig wie ein Mönch, der eine Prozession anführt, folgte. Sie gaben Befehl, mit der Plünderung einzuhalten und die zerstreute Truppe zu sammeln. Dann begaben sie sich nach der Hauptkirche, teils um die vornehmeren Einwohner zu schützen, die sich dorthin geflüchtet hatten, teils, um nach der Anhörung der Messe Kriegsrat zu halten.

Gleich anderen Offizieren seines Ranges beschäftigt, die unter seinen Befehlen stehende Truppe zu sammeln, begegnete Lord Crawford, indem er um die Ecke bog, die nach der Maas führte, Balafré, der gemächlich dem Flusse zuschritt, ein menschliches Haupt an den blutigen Haaren haltend.

»Nun, Ludwig,« fragte der Lord, »was willst Du mit diesem Aase machen?« – »Das ist alles, was von einem Stück Arbeit übrig geblieben ist, das sich mein Neffe ausgesucht hatte und womit er auch selbst zu Ende gekommen wäre; ich brauchte nur die letzte Hand anzulegen,« sagte Balafre. »Es war ein tüchtiger Bursche, den ich ins Jenseits spedierte; er hat mich noch gebeten, seinen Kopf in die Maas zu weisen!« – »Und Ihr wollt den Kopf auch in die Maas werfen?« fragte Crawford, dieses grause Haupt näher ins Auge fassend. – »Allerdings,« sagte Ludwig. »Wenn Ihr einem Sterbenden die letzte Bitte versagt, so werdet Ihr von seinem Geiste geplagt; und ich schlafe nachts gern ruhig!« – »Ihr müßt es schon mit dem Geiste aufnehmen, Freund!« sagte Crawford. »Es liegt, meiner Seel, an dem toten Dinge weit mehr, als Ihr Euch träumen laßt. Kommt mit mir – kein Wort mehr! Kommt nur, kommt!« – »Nun, wenn's an dem ist,« sagte Balafré, »ich hab's ihm ja eigentlich nicht versprochen; denn in Wahrheit, ich hatte ihm schon den Kopf heruntergehauen, ehe er mit dem Gesuche zu Ende kam.«

Als das Hochamt in der Kathedralkirche von Lüttich vorüber war und die geängstigte Stadt wieder einiger Ruhe genoß, schickten sich Ludwig und Karl, von ihren Großen umgeben, an, die Ansprüche derer zu vernehmen, die im Verlaufe der Schlacht besondere Dienste geleistet hatten. Diejenigen, welche die Grafschaft Croye und ihre schöne Gebieterin betrafen, kamen zuerst an die Reihe; und zum großen Mißvergnügen mehrerer Bewerber, die sich im Besitz der schönen Beute geglaubt hatten, schienen ihre Ansprüche Zweifeln und Ungewißheit zu unterliegen. Crevecoeur zeigte eine Eberhaut vor, wie sie von der Mark zu tragen pflegte; Dunois einen zerspaltenen Schild, mit seinem Wappen bezeichnet; und mehrere andere, die sich das Verdienst aneigneten, den Mörder des Bischofs in die andere Welt befördert zu haben, brachten ähnliche Zeichen zum Vorschein, – denn der reiche Preis, der auf Marks Kopf gesetzt war, hatte allen, die in Anzug und Rüstung mit ihm einige Ähnlichkeit hatten, den Tod gebracht. Es entstand ein heftiger Lärm und Streit unter den Bewerbern, und Karl (der bereits das rasche Versprechen bereute, das die Hand und die Besitzungen seiner schönen Vasallin solchem Zufalle preisgegeben hatte) rechnete schon damit, all dieser widerstreitenden Ansprüche los zu werden, als sich Crawford in den Kreis drängte und Balafré hinter sich herzog, der ungeschickt und verdutzt, wie ein Jagdhund an einer Leine, folgte. »Hinweg,« rief sein Führer, »mit Euren Tatzen, Häuten und Eurem bemalten Eisen! Keiner als der, welcher den Eber selbst erschlagen hat, vermag seine Hauer aufzuweisen!« Mit diesen Worten warf er das blutige Haupt auf den Boden, das man schnell an der sonderbaren Bildung der Kinnbacken für den Kopf Wilhelms von der Mark erkannte. Es lag wirklich eine Ähnlichkeit mit denen jenes Tieres darin, dessen Namen er trug, und alle, die Wilhelm gesehen hatten, gestanden, daß hier keine Täuschung stattfinde.

»Crawford,« sagte Ludwig, während Karl in sich gekehrt und in düsteres, mißmutiges Erstaunen versunken dasaß, »ich wette, es ist einer meiner treuen Schotten, der diesen Preis gewonnen hat.« – »Ludwig Lesly ist's, den wir Valafré nennen,« antwortete der alte Krieger. – »Ist er aber auch von edlem Geschlechte?« fragte der Herzog. »Stammt er nicht aus adligem Blute, so sind Wir Unseres Versprechens quitt.« – »Er ist freilich ein aus dem Groben gearbeitetes Stück Holz,« sagte Crawford, indem er auf die lange, unbeholfene Gestalt des Bogenschützen hinsah, »aber ich bin gut dafür, daß er bei all dem ein Zweig des großen Stammes der Rothes ist, und die sind so edel, als nur irgend ein Haus in Frankreich oder Burgund.«

»So ist denn nicht mehr zu helfen,« sagte der Herzog, »die reichste, schönste Erbin in Burgund muß das Weib eines rohen Mietssoldaten werden oder ihre Tage im einsamen Kloster beschließen, und gleichwohl ist sie das einzige Kind unseres treuen Reinhold von Croye! Ich habe zu voreilig gehandelt!« Eine düstere Wolke legte sich auf seine Stirn, zum großen Erstaunen seiner Pairs, die ihn selten auch nur das geringste Zeichen von Reue über einen einmal gefaßten Entschluß hatten von sich geben sehen ... – »Halt, noch einen Augenblick!« sagte Lord Crawford, »die Sache ist wohl besser, als Ew. Hoheit vermutet. Hört nur, was dieser Kavalier hier zu sagen hat. Sprich, Freund – daß Dich die Pest –« raunte er Balafré zu.

Allein der tölpelhafte Soldat mochte sich wohl noch dem Könige, an dessen Vertraulichkeit er gewöhnt war, verständlich machen, aber im gegenwärtigen Falle war es ihm rein unmöglich, seinen Entschluß vor einer so glänzenden Versammlung kund zu tun. –

»Ew. Majestät und Ew. Hoheit halten zu Gnaden,« sagte Crawford, »ich sehe schon, ich muß für meinen Landsmann und alten Kameraden das Wort nehmen. Ihr müßt wissen, daß ihm durch einen Seher seines Vaterlandes prophezeit worden ist, daß das Glück seines Hauses durch eine Heirat gemacht werden würde, nun aber geht's ihm wie mir – er ist über diese Zeiten hinüber, – und sitzt lieber im Weinhaus, als bei einer Dame im Sommergemach, – kurz und gut, er hat seine wunderlichen Eigenheiten und Gelüste, die ihm seine neue Hoheit nur unbehaglich machen würde, und hat sich deshalb meinem Rate gefügt und verzichtet auf die Ansprüche, die er durch Erlegung Wilhelms von der Mark erworben hat, zugunsten dessen, durch den der wilde Eber der Ardennen eigentlich zu Fall gebracht worden ist, und das ist kein andrer denn sein Neffe mütterlicherseits.«

»Ich kann den guten Diensten und der Klugheit dieses Jünglings das Wort reden,« sagte Ludwig, hocherfreut, daß das Schicksal diesen schönen Preis jemandem zuteil werden ließ, auf den er einigen Einfluß zu haben glaubte. »Ohne seine Klugheit und Wachsamkeit wären wir heute verloren gewesen, – er war es, der uns auf den nächtlichen Ausfall aufmerksam machte.« – »So bin ich ihm,« sagte der Herzog, »einige Entschädigung dafür schuldig, daß ich an seiner Wahrhaftigkeit gezweifelt habe.« – »Und ich kann seine Tapferkeit als Waffenmann bezeugen,« sagte Dunois. – »Aber,« unterbrach ihn Crevecoeur, »wenn auch sein Oheim schottischer Edelmann ist, so macht das doch nicht seinen Neffen dazu.« – »Er ist aus dem Hause Durward,« sprach Crawford, »und stammt von Allen Durward ab, Oberkämmerer von Schottland.« – »Ja, wenn es der junge Durward ist,« sagte Crevecoeur, »so schweige ich. Fortuna hat sich zu seinen Gunsten erklärt, und mit so einer launenhaften Dame lasse ich mich in keinen Streit ein.« – »Wir haben nur zu untersuchen,« sagte Karl nachdenklich, »wie die schöne Dame diesem glücklichen Abenteurer gesinnt ist.« – »Beim heiligen Meßopfer!« sagte Crevecoeur, »ich habe nur zu viel Grund, zu denken, daß Ew. Hoheit sie diesmal weit gehorsamer und unterwürfiger finden wird als früher. Aber warum sollte ich dem jungen Manne sein Glück nicht gönnen? Geht doch aus allem hervor, daß Verstand, Festigkeit und Tapferkeit ihn in den Besitz von Reichtum, Rang und Schönheit gesetzt haben!«




Mag eines besseren Barden Mund besingen,
Wie zu Bracquemont die Tore aufgingen,
Wie dem Schotten die holde Gebieterin
Gab Schönheit und Grafschaft zu eigen hin!

– Ende. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quentin Durward. Zwei Bände