Fünftes Kapitel - Trotz der Mischung von Freude und Furcht, von Zweifel und Angst, und andern sein ...

Trotz der Mischung von Freude und Furcht, von Zweifel und Angst, und andern sein Gemüt bewegenden Leidenschaften, waren doch die erschöpfenden Anstrengungen des verflossenen Tages mächtig genug, den jungen Schotten in einen tiefen Schlaf zu versenken, aus dem er erst am andern Morgen erwachte, als sein würdiger Wirt in sein Schlafgemach trat.

Mit besorgten Blicken setzte sich derselbe neben seinen Gast auf das Bett und begann nun eine lange und verworrene Rede über die Pflichten des ehelichen Lebens, besonders aber über das Uebergewicht und den Vorrang, welchen verheiratete Männer überall behaupten müßten, wenn sie verschiedener Meinung mit ihren Weibern wären. Quentin hörte ihm mit einiger Aengstlichkeit zu. Er wußte, daß Ehemänner gleich andern kriegführenden Mächten zuweilen geneigt sind, mehr zur Verheimlichung einer Niederlage, als zur Feier eines Sieges ein Te Deum zu singen, und eilte daher, der Sache näher auf den Grund zu kommen, indem er äußerte, er wolle nicht annehmen, daß ihre Ankunft der guten Hausfrau irgend eine Unbequemlichkeit verursacht habe.


»Unbequemlichkeit? – Nein,« antwortete der Bürgermeister, – »keine Hausfrau kann von einer Ueberraschung so wenig getroffen werden wie eine Madame Mabel. Sie freut sich nur, Freunde bei sich zu sehen, hält immer ein hübsches Zimmer und ein gutes Mahl für sie bereit. An Tisch und Betten fehlt's, Gott sei Dank, nicht; keine Frau in der Welt ist so gastfrei – schade nur, daß sie manchmal ihre besonderen Launen hat.« – »Unser Aufenthalt hier ist ihr unangenehm, nicht wahr?« sagte der Schotte, sprang aus dem Bette und begann sich umzukleiden. »Wäre ich nur sicher, daß Gräfin Isabelle nach den Schrecken der vorigen Nacht reisen könnte, so wollten wir Euch gewiß keinen Augenblick länger beschwerlich fallen.« – »Nun,« sagte Pavillon, »gerade dasselbe hat die junge Dame selbst zur Mutter Mabel gesagt, und Ihr hättet nur sehen sollen, welche Röte ihr Gesicht überflog, als sie das sagte; ein Milchmädchen, das seine fünf Meilen gegen den Nordwind zu Markte gegangen ist, sieht wie eine Lilie dagegen aus. Ich wundere mich nicht, wenn Mutter Mabel, die arme, gute Seele, ein bißchen eifersüchtig ist.« – »Hat denn Fräulein Isabelle schon ihr Gemach verlassen?« fragte der Jüngling, indem er seinen Anzug noch eiliger zu vollenden suchte. – »Ja,« erwiderte Pavillon, »und sie erwartet Eure Ankunft mit vieler Ungeduld, um sich über die Weiterreise klar zu werden, da Ihr nun einmal entschlossen dazu seid, weiter zu reisen. Indessen werdet Ihr hoffentlich zuvor ein Frühstück einnehmen.« – »Aber warum sagtet Ihr mir das nicht früher?« fragte Durward ungeduldig. – »Gemach,« sagte der Syndikus, »ich habe es Euch nur zu früh gesagt, glaub' ich, da es Euch in solche Eile versetzt. Jetzt hätte ich aber noch andere Dinge für Euer Ohr, wenn ich wüßte, daß Ihr Geduld genug hättet, mir zuzuhören.« – »Sprecht, werter Herr, sobald und schnell, als Ihr nur könnt, – ich höre aufmerksam zu.« – »Wohlan denn,« fing der Bürgermeister wieder an, »ich habe Euch nur ein Wort zu sagen, und das ist, daß Trudchen, die sich so ungern von jener Dame trennt, als ob sie ihre Schwester wäre, darauf besteht, daß Ihr irgend eine Verkleidung wählt; denn es geht die Sage in der Stadt, die Gräfinnen von Croye durchzögen das Land in Pilgerkleidern, von einem schottischen Bogenschützen aus der französischen Leibwache begleitet. Man sagt sich ferner, daß eine von ihnen in der vergangenen Nacht von einem Zigeuner nach Schönwald gebracht worden sei, nachdem wir es verlassen hätten, und der Zigeuner habe Wilhelm von der Mark versichert, Ihr wäret mit keinem Auftrag weder an ihn, noch an das Volk von Lüttich versehen; Ihr hättet die junge Gräfin entführt und reistet jetzt als Liebhaber mit ihr. Alle diese Neuigkeiten sind heute morgen von Schönwald gekommen und uns und den andern Ratsherren mitgeteilt worden, die nun nicht wissen, was sie tun sollen; denn obgleich nach unserer Meinung Wilhelm von der Mark mit dem Bischof sowohl, als mit uns selbst ein wenig zu hart umgegangen ist, so glaubt man doch allgemein, daß er im Grunde ein gutes Herz hat, das heißt, wenn er nicht betrunken ist, und daß er allein in der Welt der Mann dazu ist, uns gegen den Herzog von Burgund anzuführen; – und in der Tat, so wie die Sachen stehen, ist es zum Teil auch meine Ansicht, daß wir es nicht mit ihm verderben dürfen; denn wir sind schon zu weit gegangen, um zurück zu können.«

»Eurer Tochter Rat ist gut,« sagte Quentin Durward, indem er sich aller Vorwürfe oder Ermahnungen enthielt, die, wie er wohl sah, ganz fruchtlos sein würden, um einen Entschluß zu erschüttern, den die würdige Magistratsperson sowohl aus Nachgiebigkeit gegen seine Partei, als auch in Übereinstimmung mit dem Willen seiner Frau gefaßt zu haben schien. – »Eure Tochter hat recht – wir müssen fort, verkleidet, und zwar augenblicklich. Wir werden hoffentlich auf die nötige Verschwiegenheit von Eurer Seite und auf gehörige Mittel zur Flucht uns verlassen dürfen?« – »Vollkommen, vollkommen,« sprach der ehrliche Bürger, der, mit der Würde seines eigenen Benehmens nicht sehr zufrieden, mit Freuden irgend eine Aussicht ergriff, dasselbe wieder gut zu machen. »Ich kann es nicht vergessen, daß ich Euch in der letzten Nacht mein Leben zu verdanken hatte, da Ihr den verdammten Stahlharnisch aufschnalltet und mir aus der andern Patsche halfet, die noch ärger war; denn jener Eber und seine Brut sehen ja mehr wie Teufel, als wie Menschen aus. Darum will ich so treu bei Euch halten wie die Klinge bei dem Hefte, wie unsere Schwertfeger – die besten von der Welt – zu sagen pflegen. So kommt nun, da Ihr fertig seid, und folget mir. Ihr sollt sehen, wie groß mein Vertrauen zu Euch ist.«

Der Syndikus führte ihn aus seiner Schlafkammer auf sein Kontor, wo er seine Geldgeschäfte zu machen pflegte. Nachdem er die Tür verschlossen und sich vorsichtig umgesehen hatte, öffnete er einen verborgenen Verschlag hinter dem Tapetenbehang, in dem mehrere eiserne Kisten standen. Er schloß eine derselben auf, die voller Goldstücke war, und sagte zu Quentin, er solle daraus nehmen, soviel er für sich und seine Gefährtin nötig zu haben glaube. Da das Geld, das Quentin bei seiner Abreise von Plessis erhalten hatte, beinahe ausgegeben war, bedachte er sich nicht lange, die Summe von zweihundert Gulden anzunehmen, worüber Herr Pavillon sehr froh war; denn dieser betrachtete das Anlehen, das er auf solche Weise seinem jungen Freunde aufzwang, als einen Ersatz für den Bruch der Gastfreundschaft, zu dem ihn mehrere Rücksichten gewissermaßen genötigt hatten.

Nachdem der reiche Flamänder seine Schatzkammer wieder sorgfältig verschlossen hatte, führte er seinen Gast in das Wohnzimmer, wo er die Gräfin im vollen Besitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte, obgleich etwas blaß, und in dem Anzuge eines flamändischen Mädchens vom Mittelstande fand. Niemand war zugegen als Trudchen, die eifrig damit beschäftigt war, den Anzug der Gräfin zu ordnen und sie zu unterrichten, wie sie sich zu benehmen habe.

Isabelle reichte ihm ihre Hand, und als er sie ehrerbietig küßte, sagte sie: »Herr Quentin, wir müssen unsere Freunde verlassen, wenn ich nicht einen Teil des Elends, das mich seit meines Vaters Tod verfolgt hat, auch über sie bringen will; Ihr müßt Eure Kleider wechseln und mich begleiten, wenn anders nicht auch Ihr müde seid, Euch eines so unglücklichen Wesens anzunehmen.« – »Ich? – ich sollte müde sein, Euch zu begleiten? – Bis ans Ende der Welt begleit' ich Euch! aber Ihr, Ihr selbst, werdet Ihr dem Unternehmen, das Ihr vorhabt, gewachsen sein? – Könnt Ihr nach den Schrecknissen der vergangenen Nacht – –« »Ruft sie mir nicht ins Gedächtnis zurück,« fiel die Gräfin ein, »sie schweben mir noch vor, wie die Bilder eines verworrenen, schrecklichen Traums! – Ist der gute Bischof entkommen?« – »Er ist hoffentlich in Freiheit,« versetzte Quentin, indem er Pavillon, der im Begriff zu sein schien, in die Einzelheiten des schrecklichen Vorganges einzugehen, zu schweigen winkte. – »Wird es uns möglich sein, zu ihm zu gelangen? Hat er irgend eine Macht beisammen?« fragte die Gräfin. – »Für ihn gibt's keine Hoffnung, als im Himmel,« sagte der Schotte, »aber wohin Ihr auch zu gehen wünscht, ich stehe Euch als ein entschlossener Führer und Beschützer zur Seite.« – »Wir wollen es überlegen,« sagte Isabelle; und nach einer augenblicklichen Pause setzte sie hinzu: »Hätte ich zu wählen, ich ginge am liebsten in ein Kloster, aber auch dies, fürchte ich, würde mir gegen meine Verfolger nur einen schwachen Schutz gewähren.« – »Hm! hm!« sagte der Syndikus, »ich könnte Euch in dem ganzen Bezirk von Lüttich nicht wohl ein Kloster empfehlen, weil der Eber der Ardennen, wenngleich im allgemeinen ein tapferer Anführer, ein treuer Bundesgenosse und ein Mann, der unserer Stadt wohlwill, dessenungeachtet rauhe Sitten und nur wenig Achtung vor Mönchs- und vor Nonnenklöstern und dergleichen hat. Man sagt, es zögen eine Menge Nonnen, das heißt, solche Frauenzimmer, die Nonnen waren, mit seiner Kompagnie.« – »Macht Euch schnell fertig, Herr Durward,« unterbrach ihn Isabelle, »denn Eurer Treue muß ich mich nun ganz vertrauen.«

Sobald ihre Gäste fort waren, ergriff auch Mutter Mabel die Gelegenheit, ihrem Trudchen eine lange Predigt über die Torheiten des Romanlesens zu halten, wodurch die Dämchen am Hofe so kühn und unternehmend würden, daß sie, anstatt daheim die ehrbaren Künste einer Hausfrau zu lernen, lieber als irrende Jüngferchen durch die Welt ritten, ohne einen andern Begleiter, als einen müßigen Schildknappen, einen ausschweifenden Pagen oder einen tollkühnen Bogenschützen aus fremden Landen, zum größten Nachteil ihrer Gesundheit, ihres Vermögens und ihres guten Rufes. Alles dies hörte Gertrud stillschweigend an, ohne das mindeste darauf zu erwidern; doch läßt sich, wenn man ihren Charakter erwägt, bezweifeln, ob sie daraus den praktischen Nutzen zog, den sich ihre Mutter davon versprach.

Mittlerweile hatte Quentin in der Tracht eines flamändischen Bauern mit der ähnlich verkleideten Gräfin das östliche Stadttor erreicht, nachdem sie durch mehrere Haufen Volks geritten waren, die glücklicherweise mit den politischen Ereignissen und den Tagesneuigkeiten zu sehr beschäftigt waren, als daß sie einem Paare, das in seinem Aeußern so wenig Auffallendes hatte, ihre Aufmerksamkeit geschenkt hätten. So kamen sie auch, vermöge einer durch Pavillon besorgten, aber im Namen seines Kollegen Rouslaer ausgewirkten Erlaubnis bei den Wachen vorüber, und nahmen da von Peter Geislaer einen kurzen, aber freundlichen Abschied. Gleich darauf gesellte sich ein kräftiger junger Mann zu ihnen, der einen hübschen Grauschimmel ritt und sich sogleich als Hans Glover, Trudchens Liebhaber, zu erkennen gab. Es war ein schmucker Bursche, mit einem gutmütigen flamändischen Gesichte, aus welchem nicht großer Verstand, wohl aber Frohsinn und Gutherzigkeit sprachen. Nachdem er die Gräfin ehrerbietig begrüßt hatte, fragte er in flamändischer Sprache, welchen Weg sie geführt zu werden wünsche?

»Zur nächsten Stadt an der Grenze von Brabant.« – »Ihr habt Euch also über Ziel und Zweck Eurer Reise entschieden?« fragte Quentin, indem er zu Isabellen hinritt, in französischer Sprache, die ihr Wegweiser nicht verstand. – »Allerdings,« erwiderte die junge Dame, »in der Lage, in welcher ich mich befinde, würde es mir nachteilig sein, wenn ich meine Reise verlängerte, und sollte auch das Ende derselben strenge Gefangenschaft sein.« – »Gefangenschaft?« fragte Quentin. – »Ja, mein Freund, Gefangenschaft; aber ich will Sorge tragen, daß Ihr sie nicht teilen müßt.« – »Sprecht nicht von mir, denkt nicht an mich,« rief Quentin; »weiß ich nur Euch gerettet, so ist an mir wenig gelegen.« – »Sprecht nicht so laut,« sagte Gräfin Isabelle; »Ihr möchtet unsern Führer in Verlegenheit bringen. Ihr seht, er ist bereits etwas vorausgeritten.« – In der Tat hatte der gutmütige Flamänder sie der lästigen Gegenwart eines Dritten überhoben, sobald Quentin sich der Dame näherte.

»Ja,« fuhr sie fort, als sie sich unbeobachtet sah, »Euch, meinem Beschützer – denn warum sollte ich mich schämen, Euch so zu nennen, da der Himmel Euch dazu gemacht hat – muß ich sagen, daß mein Entschluß gefaßt ist, nach meinem Vaterlande zurückzukehren und mich der Gnade des Herzogs von Burgund anheimzugeben. Es war ein schlimmer, wenn auch vielleicht gut gemeinter Rat, der mich verleitete, mich seines Schutzes zu begeben.« – »Ihr seid also entschlossen, die Braut des Grafen von Campobasso zu werden?«

»Nein! Durward, nein!« sagte die Gräfin Isabelle, indem sie sich in ihrem Sattel aufrichtete, »zu einem so verhaßten Schritte vermag alle Macht Burgunds nicht eine Tochter des Hauses Croye zu erniedrigen. Burgund kann meine Lande und Lehen in Besitz nehmen und mich in ein Kloster sperren, aber das ist das schlimmste, was ich zu erwarten habe, und Schlimmeres noch wollte ich erdulden, als meine Hand an Campobasso geben.« – »Das schlimmste!« rief Quentin aus, »und was kann es Schlimmeres geben als Plünderung und Gefangenschaft? O, bedenkt, solange Ihr noch Gottes freie Luft um Euch fühlt und einen Mann zur Seite habt, der sein Leben daran setzen wird, Euch nach England, nach Deutschland, selbst nach Schottland zu geleiten, wo Ihr überall großmütige Beschützer finden werdet; – o, solange dies der Fall ist, entschließt Euch nicht zu voreilig, auf die Mittel Eurer Freiheit, der schönsten Himmelsgabe, zu verzichten!« – Nach einer kurzen Pause erwiderte sie mit schwermütigem Lächeln: »Nur dem Manne ist Freiheit beschieden, das Weib muß sich immer einen Beschützer suchen, da die Natur sie einmal unfähig gemacht hat, sich selbst zu verteidigen. Und wo finde ich einen? – in dem Wollüstling Eduard von England oder in dem trunkliebenden Wenzeslaus von Deutschland? – in Schottland? – ach, Durward, wäre ich Eure Schwester, und könntet Ihr mir einen Zufluchtsort in einem jener Gebirgstäler versprechen, die Ihr so gern beschreibt; könntet Ihr mir den Schutz einer ehrsamen, geachteten Matrone des Landes, eines Edeln, dessen Herz so treu wie sein Schwert wäre, zusichern, ja dann wäre eine Aussicht vorhanden, für die es sich lohnte, sich der Gefahr eines bösen Leumundes auszusetzen.«

Es lag in dem bebenden Tone, womit Gräfin Isabelle dies sprach, eine Zärtlichkeit, die Quentin mit Freude erfüllte und ihm zugleich das Herz zerschnitt. Er zögerte einen Augenblick, ehe er eine Antwort gab, indem er bei sich bedachte, ob es wohl möglich sei, ihm in Schottland einen Zufluchtsort zu verschaffen; allein die traurige Wahrheit, daß es unedel und grausam sein würde, wenn er ihr ein Ziel zeigte, wo er auch nicht entfernt die Mittel hätte, ihr einen ruhigen Aufenthaltsort zu sichern, drang sich ihm ebenso bald in all ihrer Stärke auf. – »Fräulein,« sagte er endlich, »ich würde gegen Ehre und Rittereid handeln, wenn ich Euch sagen wollte, ich besäße in Schottland Macht genug, Euch einen andern Schutz zu gewähren, als den meines Armes, ich weiß kaum, ob mein Blut noch in den Adern eines andern außer mir in meinem Heimatlande fließt.«

»Ach!« rief die Gräfin, »so gibt es keinen Winkel auf der Erde, der frei von Unterdrückung wäre?« – »Es ist eine traurige Wahrheit, die ich nicht zu bestreiten wage,« versetzte der Schotte, »daß unsere feindlichen Clans dieselbe Rolle in Schottland spielen, wie von der Mark und seine Räuber in diesem Lande.« – »Nichts mehr von Schottland dann,« sagte Isabelle, »ich erwähnte es ja auch nur im Scherze, um zu sehen, ob Ihr mir wirklich das zerrüttetste Land Europas als Ruheort anempfehlen würdet. Ich freue mich, daß ich mich auf Euch verlassen kann, auch da, wo die Vorliebe für Euer Heimatland mit im Spiele ist; so will ich denn an keinen andern Schutz denken, als an den des Herzogs von Burgund.« – »Aber warum wollt Ihr Euch nicht lieber in Eure eignen Lande und auf Euer festes Schloß begeben, wie es zu Tours Eure Absicht war?« fragte Quentin; »warum versammelt Ihr nicht die Vasallen Eures Vaters um Euch und schließt nicht lieber einen Vertrag mit Burgund, anstatt Euch sogleich ihm zu ergeben?« – »Ach!« versetzte die Gräfin, »dieser Plan, den der hinterlistige Ludwig an die Hand gab, und der, wie alle, die er je ersonnen hat, nur auf seinen Vorteil berechnet war, ist unausführbar geworden, seitdem er durch den doppelten Verräter Zamet Hayraddin an Burgund verraten worden ist. Mein Verwandter wurde ins Gefängnis gesetzt und eine Besatzung in meine Schlösser gelegt; ein Versuch von meiner Seite hieße meine Vasallen der Rache Herzog Karls preisgeben. Nein, ich will mich meinem Lehnsherrn als getreue Vasallin in allen Dingen unterwerfen, die meine persönliche Wahlfreiheit unangetastet lassen, und das umsomehr, da ich glaube, daß meine Verwandte, die Gräfin Hameline, die meine Flucht zuerst anriet und betrieb, bereits diesen weisen und ehrenvollen Schritt getan hat.« – »Eure Verwandte?« wiederholte Quentin, an Dinge denkend, von denen die junge Gräfin nichts wußte und die durch die Ereignisse, die ihn näher angingen, aus seinem Gedächtnisse verdrängt worden waren. – »Ja, meine Muhme, die Gräfin Hameline von Croye,« versetzte Gräfin Isabelle, »wißt Ihr etwas von ihr? Ich hoffe, sie befindet sich unter dem Schutze des burgundischen Banners. Ihr schweigt – wißt Ihr etwas von ihr?«

Die letzte Frage wurde mit so ängstlicher Besorgnis gestellt, daß Quentin ihr wohl oder übel berichten mußte, was ihm von den Schicksalen der Gräfin bekannt war: auf ihre Flucht von Lüttich die Entdeckung, als er mit ihr den Wald erreicht hatte, daß sich Gräfin Isabelle nicht bei ihr befinde; wie er ins Schloß zurückgekehrt sei und unter welchen Umständen er sie gefunden habe. Doch verschwieg er die unverkennbare Absicht, womit Gräfin Hameline das Schloß Schönwald verlassen habe, sowie auch das Gerücht, daß sie in die Hände Wilhelms von der Mark gefallen sei. Sie ritt lange still neben ihm her, dann sagte sie kalt und verdrossen: »So habt Ihr meine unglückliche Muhme in einem öden Walde verlassen, wenn nicht der Willkür eines schändlichen Zigeuners und eines verräterischen Dienstboten preisgegeben? Arme Muhme! und Du sprachst immer nur Gutes von diesem Jüngling und seiner Treue!«

»Hätte ich nicht so gehandelt, Fräulein,« entgegnete Quentin, mit Recht beleidigt, daß man seine Ritterlichkeit so falsch deuten konnte, »was wäre dann das Schicksal derjenigen gewesen, zu deren Dienst ich weit mehr verpflichtet war? Hätte ich Gräfin Hameline v. Croye nicht der Fürsorge und Obhut derjenigen überlassen, welche sie sich selbst zu ihren Leitern und Ratgebern erwählte, so würde Gräfin Isabelle wahrscheinlich die Braut Wilhelms von der Mark, des wilden Ebers der Ardennen, sein.« – »Ihr habt recht,« versetzte Isabelle in ihrem gewöhnlichen Tone; »und ich habe mich schwarzen Undanks gegen Euch schuldig gemacht. Aber ach! meine unglückliche Muhme! und die elende Marthon, die ihr volles Vertrauen besaß, und es so wenig verdiente! wie wird ihr es gehen? was wird ihr Schicksal sein?«

Um Isabellens Gedanken von diesem traurigen Gegenstande abzulenken, erzählte ihr Quentin offen die ganze Verräterei Maugrabins, die er in dem Nachtquartier bei Namur entdeckt hatte und die auf sein Abkommen zwischen dem Könige und Wilhelm von der Mark schließen ließ. Isabelle schauderte vor Schrecken; bald aber erholte sie sich und sagte: »Ich bin beschämt und habe mich an den Heiligen versündigt, daß ich nur einen Augenblick an ihrem Schutze zweifeln und glauben konnte, ein so grausamer, unaussprechlich niederträchtiger und schändlicher Plan könnte gelingen, solange noch das Auge des Himmels erbarmungsvoll auf das menschliche Elend herniederschaut. Nun sehe ich deutlich ein, warum diese heuchlerische Marthon den Samen kleiner Mißverständnisse zwischen meiner armen Muhme und mir zu nähren suchte; warum sie immer diejenige von uns beiden, die gerade anwesend war, mit Schmeicheleien überhäufte und alles vorbrachte, was sie gegen die andere einnehmen konnte. Nie hätte ich mir aber träumen lassen, daß sie soweit gehen könnte, meine sonst so liebevolle Muhme zu bereden, mich allein in Schönwald zurückzulassen, als sie selbst zu entkommen suchte.« – »Sagte Euch denn Eure Muhme Hameline nichts von ihrer beabsichtigten Flucht?« fragte Quentin. – »Nein,« erwiderte die Gräfin, »sie spielte bloß auf eine Mitteilung an, die Marthon mir machen würde. Meiner armen Muhme war durch die geheimnisvollen Reden des elenden Hahraddin, mit dem sie an diesem Tage eine lange und geheime Unterredung gehabt hatte, der Kopf dergestalt verdreht, daß – kurz – daß ich in dieser Stimmung nicht weiter in sie dringen mochte, mir eine nähere Erklärung zu geben. Aber es war grausam von ihr, daß sie mich zurückließ.« – »Ich muß Gräfin Hameline gegen solche Lieblosigkeit in Schutz nehmen,« entgegnete Quentin; »denn die Unruhe des Augenblicks und die Dunkelheit der Nacht waren so groß, daß ich glaubte, Gräfin Hameline war ebenso sicher davon überzeugt, daß ihre Nichte sie begleite, als ich zu derselben Zeit, getäuscht durch Marthons Anzug und Benehmen, voraussetzte, daß ich mich in Gesellschaft beider Damen von Croye befände; – und besonders derjenigen,« setzte er mit leiser, aber entschiedener Stimme hinzu, »ohne welche alle Schätze der Welt mich nicht vermocht hätten, Schönwald zu verlassen.«

Isabelle senkte den Kopf und schien die Worte des jungen Schotten kaum zu hören. Allein sie wandte ihr Auge wieder ihm zu, als er von der Politik Ludwigs zu sprechen begann; und es wurde ihnen durch gegenseitige Mitteilung nicht schwer, herauszubringen, daß die Zigeunerbrüder nebst der mitschuldigen Marthon die Werkzeuge jenes hinterlistigen Fürsten gewesen waren, wenngleich Zamet, der ältere Bruder, mit der seinem Stamme eigenen Treulosigkeit versucht hatte, eine doppelte Rolle zu spielen, und dafür denn auch gehörig bestraft worden war. Unterdessen setzten die Reisenden ihren Weg mehrere Stunden fort und hielten nur an, um ihre Pferde in einem abgelegenen Dorfe oder Weiher füttern zu lassen, wohin sie von Hans Glover geführt wurden, der sich in jeder Hinsicht als ein Mann von Verstand und Bescheidenheit erwies. Die künstliche Scheidewand, die die beiden Liebenden (denn so dürfen wir sie jetzt nennen) voneinander trennte, schien durch die besonderen Umstände, in denen sie sich befanden, gänzlich beseitigt zu sein; denn wenn auch die Gräfin sich eines höheren Ranges rühmen konnte und durch ihre Geburt auf ein ungleich größeres Vermögen Anspruch hatte als der Jüngling, dessen Einkommen bloß auf seinem Schwerte beruhte, so war sie doch im gegenwärtigen Augenblicke ebenso arm als er, und verdankte Sicherheit, Ehre und Leben einzig nur seiner Geistesgegenwart, Tapferkeit und Ergebenheit. Sie sprachen nicht von Liebe, aber an Liebe nicht zu denken, war auf beiden Seiten unmöglich, und so standen sie in einem Verhältnisse zueinander, wo Empfindungen mehr angedeutet als ausgesprochen werden, und wo die Freiheit, die solches Verhältnis gestattet, und die Ungewißheit, wovon es begleitet ist, oft die entzückendsten Stunden menschlichen Daseins herbeiführen; ebenso oft folgen ihnen auch Stunden, die durch getäuschte Erwartungen, Unbeständigkeit und alle Qualen verstörter Hoffnungen und unerwiderter Zuneigung getrübt werden.

Es war um zwei Uhr nachmittags, als die Reisenden durch ihren Führer, der mit bleichem Gesichte voll Entsetzen auf sie zueilte, mit der Nachricht aufgeschreckt wurden, daß sie von einer Abteilung von Wilhelm von der Marks schwarzen Reitern verfolgt würden. Diese Soldaten oder vielmehr Banditen waren in Niederdeutschlands Kreisen geworben und glichen in allen Stücken den Landsknechten. Um ihren Feinden desto größeren Schrecken einzujagen, ritten sie gewöhnlich auf schwarzen Streitrossen und trugen schwarze Waffen und Rüstungen.

Quentin blickte zurück und sah auf der langen ebenen Straße, auf welcher sie dahingeritten kamen, eine dichte Staubwolke sich nahen; ein Paar Reiter sprengten mit rasender Eile voran. »Teuerste Isabelle,« sagte Quentin, »ich habe keine Waffen als mein Schwert; kann ich aber nicht für Euch fechten, so will ich mit Euch entfliehen. Können wir nur das Gehölz, das vor uns liegt, erreichen, bevor sie uns nahe kommen, so finden wir leicht Mittel, ihnen zu entgehen!« – »So sei es, mein einzig mir gebliebener Freund,« sagte Isabelle, ihr Pferd in Galopp setzend; »und Du, braver Bursche,« setzte sie, an Hans Glover sich wendend, hinzu, »schlage einen andern Weg ein, damit Du nicht Gefahr und Unglück mit uns teilen mußt.« – Der ehrliche Flamänder antwortete kopfschüttelnd auf ihre großmütige Aufforderung: »Nein, nein! das geht nicht!« – Alle drei eilten nun so schnell, als es ihre ermüdeten Pferde vermochten, dem schützenden Walde zu, verfolgt von den schwarzen Reitern, die, als sie die Absicht der andern erkannten, um so schneller ritten. Ungeachtet der Ermüdung der Pferde hatten jedoch die Flüchtlinge, da sie unbewaffnet waren und folglich leichter ritten, einen beträchtlichen Vorsprung vor ihren Verfolgern, und waren nur noch eine Viertelmeile von dem Walde entfernt, als ein Trupp Bewaffneter unter dem Banner eines Ritters aus dem Walde hervorbrach und ihnen den Weg zur Flucht abzuschneiden schien. »Sie haben eine glänzende Rüstung,« sprach Isabelle; »es müssen Burgunder sein. Mögen sie aber sein, wer sie wollen, lieber ergeben wir uns ihnen als den schändlichen Bösewichtern, die uns verfolgen.« – Einen Augenblick nachher rief sie, nachdem sie das Banner näher betrachtet hatte, aus: »Ich erkenne das gespaltene Herz darauf! Es ist der Wappenschild des Grafen Crevecoeur, eines edeln Burgunders – ihm will ich mich ergeben.«

Quentin Durward seufzte; aber welche andere Wahl blieb übrig? Bald erreichten sie Crevecoeurs Fähnlein, und die Gräfin verlangte den Anführer zu sprechen, der seinen Trupp Halt machen ließ, um die schwarzen Reiter zu rekognoszieren. Als er sie zweifelnd und ungewiß anblickte, sprach sie: Edler Graf, Isabelle von Croye, die Tochter Eures alten Waffengefährten, des Grafen Reinhold von Croye, ergibt sich Euch und fordert von Eurer Tapferkeit Schutz für sich und die Ihrigen.« – »Den sollst Du haben, meine schöne Cousine, und wäre es gegen ein ganzes Heer – meinen Oberlehnsherrn von Burgund ausgenommen. Aber jetzt ist nicht Zeit, davon zu sprechen! Diese schmutzigen Teufelskinder haben Halt gemacht, als wollten sie es auf eine Probe mit mir ankommen lassen. – Beim heiligen Georg von Burgund, sie rücken wohl gar gegen Crevecoeurs Banner an! – Wie? sind die Kerle verrückt – Damian, meine Lanze – das Banner vor – legt Eure Speere ein, – Crevecoeur zur Befreiung!« Mit diesem Feldgeschrei sprengte er an der Spitze seiner Bewaffneten rasch vorwärts, den schwarzen Reitern entgegen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quentin Durward. Zwei Bände