Erstes Kapitel - Der Bischof von Lüttich befand sich seiner Gesundheit wegen, wie er sagte,...

Der Bischof von Lüttich befand sich seiner Gesundheit wegen, wie er sagte, oder, was wahrscheinlicher war, um einen Ueberfall von seiten der zahlreichen und aufrührerischen Volksmenge der Stadt zu vermeiden, auf seinem anmutigen Schlosse Schönwald, etwa eine Meile von Lüttich.

Gerade als sie sich dem Schlosse näherten, sahen sie den Prätaten in einer langen Prozession aus der nahen Stadt zurückkehren, wo er ein feierliches Hochamt gehalten hatte. Er befand sich an der Spitze eines glänzenden Zugs von Geistlichen, Beamten und Kriegern. Als aber unsere Reisenden näher kamen, fanden sie, daß rings um das Schloß her Sicherheitsmaßregeln getroffen waren, die dem Pompe und der Macht sehr widersprachen, von deren Entfaltung sie soeben Zeugen gewesen waren. Starke Wachen bischöflicher Soldaten waren rings um die Wohnung und in ihrer nächsten Umgebung aufgestellt, und das kriegerische Ansehen dieses geistlichen Hofes verkündigte, daß der ehrwürdige Prälat Gefahren fürchtete, die es notwendig machten, sich mit allen kriegerischen Verteidigungsmaßregeln zu umgeben. Die Gräfinnen von Croye wurden, nachdem sie von Quentin angemeldet worden, ehrerbietig in die große Halle geführt, wo der Bischof an der Spitze seines kleinen Hofes ihnen entgegentrat und sie aufs herzlichste empfing.


Ludwig von Bourbon war in der Tat ein edelmütiger, gutherziger Fürst, dessen Leben sich freilich nicht immer innerhalb der Grenzen seiner geistlichen Würden gehalten, der aber nichtsdestoweniger den offenen und ehrenwerten Charakter des Hauses Bourbon, von welchem er abstammte, jederzeit behauptet hatte.

Er war beliebt unter den benachbarten Fürsten als ein edler geistlicher Herr, freisinnig und prachtliebend. Doch regierte er mit einer bequemen Sorglosigkeit, welche seine wohlhabenden und aufrührerischen Untertanen in ihren rebellischen Anschlägen mehr anspornte als zügelte. Der Bischof war mit dem Herzog von Burgund intim befreundet, so daß letzterer in dem Bistume desselben beinahe ebenso unumschränkt waltete; der Herzog pflegte zu sagen, er betrachte Lüttich als sein Eigentum und den Bischof als seinen Bruder (wofür er auch wirklich gelten konnte, weil der Herzog des Bischofs Schwester auch in erster Ehe zur Gemahlin gehabt hatte) und daß, wer Ludwig von Bourbon etwas zuleide tue, es mit Karl von Burgund zu tun habe.

Der Prälat versicherte, wie schon bemerkt, die Gräfinnen von Croye seines ganzen Einflusses am Hofe zu Burgund. Er versprach ihnen auch allen Schutz, der in seiner Macht stehen würde; allein ein Seufzer, der diese Zusicherung begleitete, schien zu gestehen, daß seine Macht weit unbedeutender sei, als er füglich mit Worten eingestehen dürfe.

Getrennt von der Gräfin Isabelle, deren Blicke so viele Tage sein Leitstern gewesen waren, fühlte Quentin eine seltsame Leere und Beklommenheit des Herzens, die er in allen seinen bisherigen Lebensverhältnissen noch nie empfunden hatte; und sein stolzes Herz empörte sich bei dem Gedanken, daß man ihn gleich einem gewöhnlichen Postillon oder einem Geleitsmann, der sich nun seiner Obliegenheit entledigt habe, verabschiedete; der Gram hierüber entlockte seinen Augen insgeheim eine Träne über die Trümmer von Luftschlössern, die seine Einbildungskraft ihm während dieser so interessanten Reife vor sein geistiges Auge gezaubert hatte. Er machte einen männlichen, obwohl anfangs vergeblichen Versuch, diese Niedergeschlagenheit des Geistes zu überwinden; und unter der Last von Empfindungen, die er nicht unterdrücken konnte, setzte er sich nieder in eine der Fenstervertiefungen der großen, gotischen Halle von Schönwald und sann hier über das harte Schicksal nach, das ihm weder Rang noch Reichtum genug verliehen hatte, um seine kühne Bewerbung durchzuführen. Da wurde er durch einen leichten Schlag auf die Schulter in seinem Sinnen unterbrochen, und als er sich umsah, sah er den Zigeuner hinter sich stehen.

Hayraddin, nie ein willkommener Anblick für ihn, hatte sich ihm seit seiner letzten Verräterei vollends verhaßt gemacht, und Quentin fragte ihn deshalb in ernstem Tone, »wie er dazu komme, einen Christen von Stand und Ehre zu berühren?« – »Bloß deshalb,« erwiderte der Zigeuner, »weil ich wissen wollte, ob der christliche Edelmann sein Gefühl ebenso verloren habe, wie seine Augen und Ohren. Ich stehe nun schon fünf Minuten hier und spreche zu Euch, und Ihr habt immer auf das Blatt gelben Pergaments hingestarrt, als hätte es die Zauberkraft, Euch in eine Bildsäule zu verwandeln, und schon halb seine Wirkung vollendet.« – »Nun, was begehrst Du? sprich und geh Deiner Wege!« – »Ich begehre, was alle Leute begehren, obgleich wenige damit zufrieden sind,« sagte Hayraddin; »ich begehre meinen Lohn, meine zehn Goldkronen, dafür, daß ich die Damen hierher geleitet habe.« – »Mit welcher Stirn willst Du noch einen Lohn verlangen, außer dem, daß ich Deines unwürdigen Lebens geschont habe?« fragte Quentin entrüstet; »Du weißt, daß es Deine Absicht war, sie auf dem Wege zu verraten.« – »Aber ich habe sie doch nicht verraten,« sagte Hayraddin; »hätt ich's getan, so wollt ich weder Euch noch sie um den Lohn angegangen haben, sondern den, dem ich dadurch, daß wir auf dem rechten Ufer gereist wären, einen Dienst geleistet hätte. Diejenigen, denen ich gedient habe, müssen auch bezahlen.« – »So fahre denn Dein Lohn samt Dir dahin, Verräter!« sagte Quentin, indem er das Geld hinzählte; denn er hatte als Haushofmeister eine Summe zur Bestreitung solcher Ausgaben erhalten. »Geh nun zum Eber der Ardennen oder zum Teufel; nur komm mir nimmer unter die Augen, damit ich Dich nicht vor Deiner Zeit zu ihm befördere.«

»Zum Eber der Ardennen!« wiederholte der Zigeuner mit einem stärkeren Ausdruck von Erstaunen, als sich gewöhnlich in seinen Zügen auszudrücken pflegte; »so war es also keine leere Vermutung, kein allgemeiner Verdacht, der Euch darauf bestehen ließ, Euern Weg zu verändern? Wäre es möglich – gibt es in andern Ländern zuverlässigere Wahrsagerkünste als die unserer wandernden Stämme? Der Weidenbaum, unter dem wir sprachen, konnte doch nichts weiter erzählen. Doch nein, nein, nein! welch ein Dummkopf ich doch war! – Ich hab's! Der Weidenbaum an dem Bache bei dem Kloster dort, ich sah wohl, Ihr blicktet nach ihm hin, als wir vorüberzogen, eine halbe Meile von jenem wilden Bienenstock – der konnte freilich nicht hören, aber jemand verbergen, der Ohren hatte! Ich werde mich hinfort auf offenem Felde mit andern treffen – kein Distelbusch soll in der Nähe sein, unter dem ein schottischer Lauscher sich verbergen könnte. – Ha, ha! der Schotte hat den Zigeuner mit seiner eigenen Waffe geschlagen. Aber wißt denn, Durward, dadurch, daß Ihr meine Pläne vereitelt habt, habt Ihr Euer eigen Glück zerstört. – Ja! das Glück, das Euch aus den Linien Eurer Hand weissagte, wäre ohne Euern Eigensinn nicht überschwenglich gewesen.«

»Heiliger Andreas!« versetzte Quentin, »Deine Unverschämtheit bringt mich wider meinen Willen zum Lachen. Wie oder worin hätte Dein schändlicher Verrat, wäre er gelungen, mir genützt? Ich hörte in der Tat, daß Du die Sicherheit meines Lebens zur Bedingung machtest – eine Bedingung, die Deine saubern Verbündeten gewiß schnell vergessen hätten, wär es einmal zu Schlägen gekommen – und wozu mir Dein Verrat der Damen genützt hätte, als mich gewissem Tod oder gewisser Gefangenschaft zu überliefern, das ist etwas, was wohl kein menschlicher Verstand erraten möchte.« – »So denkt nicht weiter daran,« sagte Hayraddin, »denn ich bin willens, Euch durch meine Dankbarkeit zu überraschen. Hättet Ihr mir meinen Lohn vorenthalten, so hätt ich geglaubt, wir seien quitt, und ich hätt Euch Euch selbst überlassen. – So aber bleib ich Euer Schuldner wegen jener Geschichte an den Ufern des Cher.« – »Mich dünkt, ich habe Euch durch Flüche und Schimpfreden bereits bezahlt gemacht,« versetzte Quentin. – »Harte oder freundliche Worte,« sagte der Zigeuner, »das ist gleichviel; sie sind nur Wind, der nichts in der Wagschale wiegt. Hättet Ihr mich geschlagen, statt nur zu drohen, ja dann – –«

»Nun, es könnte leicht dahin kommen, daß ich mich auf solche Art bezahlt mache, wenn Du mich noch ferner reizest.« – »Das wollt ich Euch denn doch nicht raten,« sagte der Zigeuner; »denn solche Behandlung von zu raschen Händen könnte die Schuld übersteigen und die Wagschale so zu Eurem Nachteile neigen, daß ich es nicht leicht vergessen und vergeben möchte. Und nun lebt wohl, aber nicht auf lange Zeit – ich gehe, um mich bei den Gräfinnen von Croye zu verabschieden.« – »Du?« fragte Quentin erstaunt. – »Du meinst, bei den Gräfinnen vorgelassen zu werden, gar hier noch, wo sie wie aus Klausnerinnen unter dem Schutze der Schwester des Bischofs, einer edlen Kanonissin, leben? Es ist nicht möglich.«

»Gleichviel wartet Marthon bereits auf mich,« versetzte der Zigeuner mit höhnischem Lächeln, »um mich zu ihnen zu führen, und ich muß um Verzeihung bitten, wenn ich Euch etwas schnell verlasse.« Er wandte sich um, als ob er gehen wollte, kam aber augenblicklich zurück und sagte in einem ernsten, nachdrücklichen Tone: »Ich kenne Eure Hoffnungen – sie sind kühn, aber nicht eitel, wenn ich Euch helfe. – Ich kenne Eure Besorgnisse – sie sollen Euch klug, nicht schüchtern machen. Jedes Weib kann gewonnen werden. Der Grafentitel ist ein bloßer Beiname, der sich vor Quentin ebensogut setzen läßt, als der des Herzogs vor Karl, oder der des Königs vor Ludwig.« Ehe Durward antworten konnte, hatte der Zigeuner die Halle verlassen. Quentin folgte ihm augenblicklich, aber besser als der Schotte bekannt mit den Gängen des Hauses, hatte Hayraddin schon einen Vorsprung gewonnen, und Quentin verlor ihn aus dem Gesichte, als er eine kleine Treppe hinabeilte. Immer noch folgte ihm Durward, ohne sich selbst sagen zu können, warum er es tat. Die Treppe führte an eine Tür, die auf eine Gartenallee hinausging, wo er den Zigeuner abermals einen krummen Gang hinuntereilen sah.

Auf zwei Seiten war der Garten von den Gebäuden des Schlosses umgeben, eines alten, schwerfälligen Bauwerks, nach Art der Schlösser zum Teil mit Zinnen versehen, zum Teil einem geistlichen Gebäude gleichend, dessen andere beiden Seiten durch eine hohe, zur Verteidigung eingerichtete Mauer gebildet wurden. Hayraddin durchkreuzte die Baumgänge des Gartens, die nach einer andern Seite des Gebäudes hinliefen, wo sich hinter einem großen, massiven, mit Efeu überwachsenen Schwibbogen eine Hintertür öffnete. Hier blickte er nochmals zurück und winkte seinem Verfolger ein triumphierendes Lebewohl zu, der in der Tat sehen mußte, wie das Pförtchen von Marthon geöffnet und der schändliche Zigeuner in die Gemächer der Gräfinnen von Croye eingelassen wurde. Quentin biß sich vor Unwillen in die Lippe und machte sich bittere Vorwürfe, daß er die Gräfinnen nicht von der ganzen Schändlichkeit Hayraddins und dessen Anschlägen gegen ihre Sicherheit in Kenntnis gesetzt hatte. Die Anmaßung, mit der der Zigeuner versprochen hatte, seine Bewerbung zu begünstigen, erhöhte noch seinen Aerger und Unwillen, und es war ihm, als ob die Hand der Gräfin Isabelle entehrt würde, wenn sie durch solch eine Verwendung gewonnen werden sollte. »Allein es ist lauter Trug,« sprach er bei sich – »eine seiner elenden Gauklerkünste! Er hat sich gewiß unter irgend einem falschen Vorwand und in böslicher Absicht Zutritt bei den Damen verschafft. Es ist gut, daß ich auf diese Weise erfuhr, wo sie wohnen. Ich will mir durch Marthon Zutritt bei den Damen auszuwirken suchen, wäre es auch nur, sie zu warnen, daß sie vor diesem Zigeuner auf ihrer Hut sein sollten. Es ist hart, wenn ich mich solcher Künste und Umwege bedienen muß, indes ein solcher Mensch öffentlich und ohne Bedenken Zugang erhält. Sie sollen finden, daß, obgleich ich aus ihrer Gesellschaft verbannt bin, Isabellens Sicherheit doch noch immer der Hauptgegenstand meiner Wachsamkeit ist.« Indes der jugendliche Liebhaber sich mit diesen Gedanken beschäftigte, trat ein bejahrter Hofbeamter des Bischofs durch dasselbe Tor, durch das er in den Garten gekommen war, auf ihn zu und machte ihm mit der größten Höflichkeit bemerklich, daß der Garten nicht öffentlich, sondern zum besonderen Gebrauch des Bischofs und seiner Gäste vom höchsten Range bestimmt sei. Quentin mußte sich diese Weisung zweimal wiederholen lassen, ehe er den eigentlichen Sinn derselben verstand; dann fuhr er wie aus einem Traum auf, verbeugte sich und eilte aus dem Garten. Der Hofbeamte folgte ihm und überhäufte ihn mit Entschuldigungen, daß er seine Pflicht hätte erfüllen müssen; ja so sehr war es ihm darum zu tun, den Eindruck der Kränkung, die er Quentin zugefügt zu haben glaubte, zu verwischen, daß er sich erbot, ihm Gesellschaft zu leisten. Aber Quentin, ärgerlich über diese Höflichkeit, befreite sich von ihm durch die Ausflucht, er wünsche die nahe Stadt in Augenschein zu nehmen, und eilte so schnell hinweg, das; dem Zeremonienmeister bald alle Lust verging, ihn weiter als bis an die Zugbrücke zu geleiten. In wenigen Minuten war Quentin innerhalb der Tore Lüttichs, damals einer der reichsten Städte Flanderns, und somit der ganzen Welt, und in wenigen Minuten war Quentins Aufmerksamkeit durch die Mannigfaltigkeit von Gegenständen so in Anspruch genommen in den geräuschvollen Straßen von Lüttich, als wenn weder eine Gräfin Isabelle noch ein Zigeuner jemals für ihn auf der Welt gewesen wären. Am tiefsten bewunderte er die vielen Ströme und Kanäle, die, aus der Maas abgeleitet und mit ihr in Verbindung stehend, die Stadt in verschiedenen Richtungen durchschnitten und jedem Stadtviertel alle Bequemlichkeit zu Wasser gewährten. Ebenso ermangelte er nicht, in der altehrwürdigen St.-Lambertskirche eine Messe zu hören. Als er jedoch diese heilige Stätte verließ, fiel ihm auf, daß er von mehreren Gruppen wohlhabend aussehender Bürger aufmerksam betrachtet wurde, die sich in der Absicht versammelt zu haben schienen, ihn bei seinem Austritt aus der Kirche zur Rede zu stellen. Es erhob sich ein dumpfes Gemurmel, das sich schnell von einer Gruppe zur andern verbreitete; die Anzahl der Neugierigen vermehrte sich zusehends, und alles schien ihn mit Teilnahme und Neugierde, auch mit einem Grad gewisser Achtung zu betrachten. Endlich sah er sich in der Mitte einer großen Volksmenge, die ihm jedoch, sowie er vorwärts schritt, Platz machte, während diejenigen, die ihm folgten oder Schritt mit ihm hielten, alles zu vermeiden suchten, was den Schein wecken konnte, ihn zu drängen oder seine Bewegungen zu hindern. Seine Lage ward ihm jedoch zu peinlich, als daß er sie lange hätte ertragen können, ohne einen Versuch zu machen, sich aus dieser herauszufinden und Aufklärung über sie zu erhalten.

Quentin sah rings um sich her, und indem er seine Augen auf einem freundlichen, ehrsam aussehenden, wohlgenährten Bürger haften ließ, den er in seinem Samtmantel und seiner goldenen Kette für eine Obrigkeit halten mußte, fragte er ihn, ob denn an seiner äußern Erscheinung etwas sei, was die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen vermöchte? oder ob es Sitte der Lütticher sei, sich so um Fremde zu drängen, die der Zufall in ihre Stadt gefühlt habe? – »Keineswegs, guter Herr,« antwortete der Bürger, »die Lütticher treibt weder so müßige Neugier, daß eine solche Sitte bei ihnen aufkäme, noch liegt in Eurem Anzug und Aeußern etwas, das nicht dieser Stadt äußerst willkommen wäre.«

– »Das klingt recht artig, werter Herr,« fügte Quentin, »aber beim Kreuze des heiligen Andreas, ich weiß nicht, was Ihr damit meint?« – »Euer Schwur,« versetzte der Handelsmann von Lüttich, »sowie Euer Akzent überzeugen mich, daß wir uns in unserer Vermutung nicht betrogen haben.« – »Bei meinem Schutzheiligen St. Quentin!« sagte Durward, »ich verstehe Euch immer weniger.« – »Nun,« versetzte der Lütticher, indem er ihn bei diesen Worten sehr zuversichtlich, aber fein und verständig ansah. »Es kommt uns freilich nicht zu, werter Herr, zu wissen, was Ihr zu verhehlen für gut findet. Aber warum schwört Ihr bei St. Quentin, wenn Ihr mir damit nicht etwas zu verstehen geben wollt? – Wir wissen, daß der gute Graf von Saint-Paul, der jetzt in der Stadt dieses Namens liegt, unserer Sache wohl will.« – »So wahr ich lebe,« sprach Quentin. »Ihr täuscht Euch, – ich weiß nichts von Saint-Paul.« – »Nun, wir fragen Euch gar nicht aus,« versetzte der Bürger, »doch hört, ein Wort im Vertrauen – ich heiße Pavillon.« – »Und was geht mich das an, Herr Pavillon?« fragte Quentin. – »Nichts, gar nichts – ich meine nur, dies sollte Euch genug sein, um zu wissen, daß man mir trauen kann. – Hier ist auch mein Kollege Rouslaer.«

Rouslaer trat vor, ein wohlgenährter Würdenträger, dessen ziemlich runder Bauch wie ein Mauerbrecher das Gedränge vor ihm durchbrach. Mit geheimnisvollem Flüstern empfahl er seinem Nachbarn Vorsicht und sagte im Tone des Vorwurfs zu ihm: »Ihr vergesset, mein guter Kollege, daß der Platz hier zu öffentlich ist; der Herr wird so gütig sein, sich mit uns nach Eurem oder meinem Hause zu begeben, wo wir dann bei einem Glase Rheinwein mehr von unserm Freunde und Verbündeten hören wollen, dem wir mit unsern ehrlichen flamändischen Herzen aufrichtig zugetan sind.« – »Ich bringe Euch keine Nachrichten,« entgegnete Quentin mit Ungeduld; »ich trinke keinen Rheinwein und ersuche Euch bloß, als Männer von Gewicht und Ansehen, den müßigen Haufen zu zerstreuen und einem Fremden zu gestatten, daß er Eure Stadt so ruhig verlassen darf, wie er sie betreten hat.« – »Nun denn, mein Herr,« sagte Rouslaer; »wenn Ihr so sehr auf Eurem Inkognito besteht, und noch dazu gegen uns, die wir vertraute Männer sind, so laßt mich geradezu fragen, warum tragt Ihr denn das Abzeichen Eures Korps, wenn Ihr in Lüttich unbekannt bleiben wollt?« – »Welches Abzeichen, und welches Korps?« fragte Quentin, »Ihr seht doch wie ehrenwerte Männer und achtbare Bürger aus, und doch, bei meiner Seele, seid Ihr entweder Narren, oder wollt Ihr mich zu einem machen.«

– »Sapperment!« rief der andere Bürger, »dieser junge Mann brächte wahrhaftig den heiligen Lambert selbst zum Fluchen! Wer in aller Welt trägt denn Mützen mit dem St. Andreaskreuz und der Lilie, als die schottischen Bogenschützen von König Ludwigs Leibwache?« – »Und gesetzt auch, ich wäre ein Bogenschütze von der königlichen Leibwache, wie könnte es Euch wundern, wenn ich das Abzeichen meiner Kompagnie trüge?« fragte Quentin ungeduldig. – »Er hat's eingestanden!« riefen Rouslaer und Pavillon, indem sie sich mit allen Zeichen der Freude, mit emporgehobenen Armen und Händen und vor Freude strahlenden Gesichtern an die versammelten Bürger wandten. »Er hat's eingestanden, daß er ein Bogenschütze von der Leibwache Ludwigs ist – Ludwigs, des Beschützers der Freiheiten Lüttichs!«

Ein allgemeiner Freudenruf erhob sich jetzt aus der Menge, woraus man deutlich die Worte hören konnte: »Lange lebe Ludwig von Frankreich! Lange lebe die schottische Garde! Lange lebe der tapfere Bogenschütze! Unsere Freiheiten, unsere Privilegien, oder der Tod! Lange lebe der tapfere Eber der Ardennen! Nieder mit Karl von Burgund! und Verderben über Bourbon und sein Besitztum!«

Halb betäubt durch den Lärm, der, sobald er auf einer Seite aufhörte, auf der andern wieder begann, fallend und steigend gleich den Wellen der See, und vermehrt durch Tausende von Stimmen, die im Chor von entfernteren Straßen und Marktplätzen erschallten, hatte Quentin doch Zeit, sich über die Ursache des Tumults seine Vermutungen zu bilden und einen Entschluß über sein weiteres Benehmen zu fassen. Er hatte vergessen, daß nach seinem Strauße mit Orleans und Dunois einer seiner Kameraden auf Lord Crawfords Befehl ihm statt seines vom Schwerte des letzteren gespaltenen Helms eine der stahlgefütterten Mützen aufgesetzt hatte, die einen Teil der eigentümlichen, wohlbekannten Rüstung der schottischen Leibwache ausmachten. Daß jemand von diesem Korps, das immer unmittelbar Ludwigs Person umgab, in den Straßen einer Stadt erschien, deren bürgerliche Unruhen durch dieses Königs Agenten gesteigert wurden, galt in den Augen der Bürger Lüttichs sehr natürlich als ein Entschluß von seiten des Königs, sich ihrer Sache nun öffentlich anzunehmen; und die Erscheinung eines einzelnen Bogenschützen wurde sogleich für das Unterpfand unmittelbaren, tätigen Beistandes von seiten Ludwigs genommen, ja sogar als ein sicherer Beweis, daß seine Hülfstruppen bereits auf einer oder der andern Seite – wo, konnte man nicht angeben – in die Stadt einrückten. Quentin sah bald, daß es unmöglich sei, eine so allgemein verbreitete Ueberzeugung zu widerlegen, ja daß jeder Versuch, Leute, die hartnäckig bei derselben beharrten, aus ihrem Irrtum zu reißen, mit persönlicher Gefahr verbunden sein würde, was in dem gegebenen Falle von gar keinem Nutzen sein konnte. Er beschloß deswegen, sogleich Zeit zu gewinnen und sich dann, so gut er könnte, aus der Sache zu ziehen. Dieser Entschluß ward in ihm rege, während man ihn nach dem Stadthause geleitete, wo sich die angesehensten Bürger der Stadt eiligst versammelten, um die Nachrichten zu vernehmen, die er, wie man vermutete, überbracht habe, und ihn mit einem glänzenden Mahle zu bewirten. Trotz aller Widerrede, die man für Bescheidenheit nahm, ward er von allen Seiten von den Beweisen der Volksgunst umgeben, deren unschmackhafte Flut ihn jetzt umwogte. Seine beiden Freunde, welche Schöppen oder Stadtsyndizi waren, hatten ihn unter beide Arme gefaßt; vor ihm her ging Nikkel Block, der Obermeister der Fleischerinnung, den man eiligst von den Fleischbänken abgerufen hatte, und schwang sein todbringendes, noch von Blut und Hirn beflecktes Beil mit einem Mut und Anstand, den nur Branntwein einflößen konnte. Hinter ihm schritt einher die lange, hagere, knochige Gestalt des betrunkenen Patrioten, Klaus Hämmerlein, Vorstehers der Innung der Eisenarbeiter; ihm folgten wenigstens tausend ungewaschene Arbeiter dieser Klasse. Weber, Nagelschmiede, Seiler und Handwerker jeder Profession drängten sich aus den engen und finstern Gassen herbei, um sich an den Zug anzuschließen. Jeder Versuch, zu entrinnen, würde ein ebenso gefährliches als unmögliches Unternehmen gewesen sein. In dieser Verlegenheit wandte sich Quentin an Rouslaer, der ihn an einem Arme hielt, und an Pavillon, der sich des andern bemächtigt hatte, und die ihn so an der Spitze dieses Triumphzuges führten, dessen Hauptgegenstand er so unerwartet geworden war. Er eröffnete ihnen in Eile, daß er die Mütze der schottischen Leibwache gedankenlos aufgesetzt habe, da die Stahlhaube, die er auf der Reise zu tragen willens gewesen, zufälligerweise beschädigt worden sei; er bedauerte, daß dieser Umstand, und der Scharfblick, womit die Lütticher auf seinen Stand und den Zweck seiner Sendung geschlossen, die Sache aufgedeckt hätten, und gab zu verstehen, wenn er nach dem Stadthause geführt werde, so sehe er sich genötigt, den versammelten Notabeln gewisse Dinge mitzuteilen, die er eigentlich auf Befehl des Königs bloß den trefflichen Gevattern, Rouslaer und Pavillon von Lüttich, insgeheim hätte veröffentlichen sollen.

Dieser letzte Wink wirkte mit Zauberkraft auf die zwei Bürger, welche die vornehmsten Anführer der mißvergnügten Stadtbewohner waren und so, gleich allen Demagogen ihrer Art, die Leitung der Dinge soviel wie möglich in ihrer Hand zu behalten suchten. Sie wurden daher gleich darüber einig, daß Quentin vor der Hand die Stadt verlassen, nachts nach Lüttich zurückkehren und in Rouslaers Hause, das nahe an dem Stadttor gegen Schönwald lag, mit ihnen zusammenkommen sollte.

Quentin trug kein Bedenken, ihnen zu sagen, daß er gegenwärtig in dem bischöflichen Palaste wohne, unter dem Vorwande, Depeschen von dem französischen Hofe zu überbringen, obgleich seine eigentliche Sendung, wie sie richtig geschlossen hätten, an die Bürger von Lüttich ginge. Diese Art, auf Umwegen Verbindung zu unterhalten, sowie der Charakter und der Rang der Person, der das Geschäft anvertraut war, stimmten so sehr mit dem Charakter Ludwigs überein, daß man sich darüber keineswegs wunderte, noch die Wahrheit des Vorgebens bezweifelte.

Gleich nach der Eröffnung langte der Zug vor der Tür von Pavillons Hause an, das zwar in einer der Hauptstraßen lag, von hinten aber durch einen Garten, sowie durch eine weitläufige Anlage von Lohgruben und andere Einrichtungen zur Zubereitung von Häuten (denn der patriotische Bürger war ein Gerber) mit der Maas zusammenhing. Es war natürlich, daß Pavillon dem vermeinten Abgesandten Ludwigs in seinem Hause einige Ehre erwies, und das Verweilen vor seinem Hause konnte vor der Menge nichts Auffallendes haben; sie brachte vielmehr Herrn Pavillon ein schallendes Lebehoch, als er seinen vornehmen Gast hineinnötigte. Quentin vertauschte sogleich seine auffallende Mütze mit der eines Gerbers und warf einen Mantel über seinen übrigen Anzug. Pavillon versah ihn dann mit einem Passe, mit dem er nach Gefallen bei Tag und Nacht zu den Stadttoren aus- und eingehen konnte, und übergab ihn der Fürsorge seiner Tochter, einer hübschen, lachenden Flamänderin; indes er selbst zu seinem Kollegen zurückeilte, um ihre Freunde auf dem Stadthause durch die besten Entschuldigungen, die sie für das Verschwinden des Gesandten Ludwigs aufbringen konnten, zu beschwichtigen.

Der ehrwürdige Bürger hatte sich nicht sobald entfernt, als sein rundes Trudchen unter manchem Erröten und mit manchem versteckten Lächeln, das zu den kirschroten Lippen, den freundlichen, blauen Augen und der reinen, durchsichtigen Haut recht gut stand, den schönen Fremdling durch die dunkeln Baumgänge in Herrn Pavillons Garten nach dem Wasser hinunterführte und ihn dort ein Boot besteigen ließ, das zwei handfeste Flamänder in ihren Pumphosen, ihren Pelzmützen und vielknöpfigen Wämsern so eilfertig in Bereitschaft gesetzt hatten, als es nur immer ihrer niederländischen Natur möglich war.

Da das hübsche Trudchen nichts als Flämisch sprach, wußte Quentin – unbeschadet seiner aufrichtigen Ergebenheit gegen die Gräfin von Croye – seinen Dank einzig nur durch einen Kuß auf die kirschroten Lippen auszudrücken, der mit der größten Artigkeit gegeben und mit der bescheidensten Dankbarkeit angenommen wurde; denn junge Herren mit einer Gestalt und einem Gesicht, wie unser schottischer Bogenschütze, kamen unter der Lütticher Bürgerschaft nicht alle Tage vor.

Indes das Boot auf den trägen Gewässern der Maas dahinruderte und bei den Festungswerken der Stadt vorüberfuhr, hatte Quentin Zeit, zu überlegen, welchen Bericht er bei seiner Rückkehr in den bischöflichen Palast zu Schönwald von seinem Abenteuer in Lüttich geben sollte; und da er ebensowenig jemand, der, wenngleich irrigerweise, ihm sein Vertrauen geschenkt hatte, verraten, noch auch dem gastfreien Bischof die aufrührerische Stimmung seiner Hauptstadt verbergen wollte, beschloß er, seinen Bericht so allgemein wie möglich zu halten, damit er den Bischof in den Stand setzen möchte, auf seiner Hut zu sein, ohne dadurch irgendjemand seiner Rache bloßzustellen. Er stieg eine Meile vom Schlosse ans Land und belohnte die Ruderer mit einem Gulden, und so kurz auch der Weg nach dem Schlosse war, den Quentin vor sich hatte, so hatte doch die Abendglocke bereits zum Essen geläutet; auch fand er überdies, daß er sich dem Schlosse von einer, dem Haupteingange gegenüberliegenden Seite genähert hatte, und daß, wenn er herumgehen wollte, seine Ankunft sich bedeutend verzögern müßte. Er richtete daher seinen Weg gerade nach der ihm zunächst gelegenen Seite, die, wie er vernahm, von einer befestigten Mauer, wahrscheinlich der des schon erwähnten kleinen Gartens, umgeben war. Sie war mit einem Pförtchen versehen, zu welchem er vermittelst eines daneben liegenden Schiffchens, wenn er jemand träfe, der ihn auf seinen Ruf über den Graben setzte, zu gelangen hoffte. Indem er sich näherte, trat jemand aus der Hintertür, sprang in das Boot, nahm seinen Weg zu einer entferntern Seite des Grabens und stieß mit einer langen Stange das Fahrzeug nach der Stelle zurück, wo er eingestiegen war. Als er näher kam, erkannte Quentin in ihm den Zigeuner, der, ihn vermeidend, was nicht schwer war, einen andern Weg nach Lüttich einschlug und ihm sogleich aus dem Gesichte war.

Dies war ein neuer Gegenstand des Nachdenkens für ihn. Hatte dieser heidnische Landstreicher die ganze Zeit bei den Gräfinnen von Croye zugebracht? und weswegen konnten sie ihm solange Gehör geschenkt haben? – Gequält von diesen Gedanken, entschloß sich Durward umsomehr, hierüber Aufklärung von ihnen zu verlangen, und nahm sich vor, ihnen mit einemmale die Verräterei Hayraddins aufzudecken.

Mit diesem Entschlusse trat Quentin zum Haupttor ein, wo er in der großen Halle den Hofhalt des Bischofs mit Einschluß seiner geistlichen Diener, der Hausbeamten und Fremden, die nicht zum hohen Adel gehörten, bereits an der Tafel fand. Am obern Ende des Tisches war jedoch neben dem Hauskaplane des Bischofs ein Platz freigelassen, der den Fremden mit dem alten Scherze: »Wer zu spät kommt, erhält die Knochen« bewillkommnete, zugleich aber Sorge trug, seinen Teller mit Leckerbissen zu beladen, die seinen gutmütigen Spaß würzen sollten.

Um sich von dem Verdachte schlechter Lebensart zu reinigen, beschrieb Quentin kurz den Auflauf, den seine schottische Mütze verursacht, und suchte seiner Erzählung dadurch eine scherzhafte Wendung zu geben, daß er sagte, mit Mühe habe er sich von dem Gewirr vermittelst eines wohlbeleibten Bürgers und dessen schöner Tochter losgemacht.

Allein die Gesellschaft nahm zu großen Anteil an der Erzählung, als daß der Scherz an seinem Orte gewesen wäre. Alle Bewegungen am Tische waren gehemmt, als Quentin zu erzählen begann, und als er geendet hatte, erfolgte eine feierliche Pause, die nur durch den Haushofmeister unterbrochen wurde: »Wollte Gott, wir hätten schon hundert Lanzen von Burgund!«

»Was sollte Euch denn gerade an ihnen soviel gelegen sein?« fragte Quentin, – »Ihr habt soviele Soldaten hier, denen das Kriegshandwerk Beruf ist, während Eure Gegner aus dem Pöbel einer meuterischen Stadt bestehen, der bei dem ersten Wehen des Banners von Bewaffneten die Flucht ergreifen wird.«

»Da kennt Ihr die Lütticher Bürger nicht,« versetzte der Kaplan, »von denen man wohl behaupten darf, daß sie die ungestümsten und unbändigsten Leute in ganz Europa sind. Möge nur Gott alles zum besten wenden! Allein ich fürchte, es wird einen blutigen Kampf setzen; ich wollte lieber, mein trefflicher, gütiger Herr hätte einen sicheren, wenn auch minder ehrenvollen Sitz; denn seine Bischofsmütze ist, statt mit Hermelin, mit Dornen gefüttert. Dies alles sage ich Euch, Herr Fremder, um Euch aufmerksam zu machen, daß Schönwald, wenn Eure Geschäfte Euch nicht drin festhalten, ein Ort ist, den jeder vernünftige Mann sobald als möglich verläßt. Ich glaube, Eure Damen sind derselben Meinung, denn sie haben einen der Reitknechte, die sie bisher begleiteten, mit Briefen an den Hof von Frankreich zurückgeschickt, ohne Zweifel, um melden zu lassen, daß sie die Absicht haben, einen sichreren Aufenthaltsort aufzusuchen.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quentin Durward. Zwei Bände