Elftes Kapitel - Als le Glorieux, der Narr, Ludwigs Wunsch – denn zu befehlen war der König ...

Als le Glorieux, der Narr, Ludwigs Wunsch – denn zu befehlen war der König von Frankreich nicht mehr in der Lage, – Martius Galeotti zu ihm zu schicken, erfüllte, hatte er weiter nichts nötig, als sich nach der besten Schenke in Peronne zu begeben, die er selbst ziemlich oft besuchte. Dort fand er den Sterndeuter in einer Ecke in vertrautem Gespräch mit einem Weibe begriffen, das eine sonderbare, einer maurischen oder asiatischen Tracht ziemlich ähnliche Kleidung trug und, als er herantrat, in der Absicht, sich zu entfernen, aufstand. »Auf diese Nachrichten,« sagte die Fremde, »könnt Ihr Euch vollkommen verlassen.« Und mit diesen Worten verschwand sie unter der Menge von Gästen, die an verschiedenen Tischen umhersaßen.

»Gevatter Philosoph,« richtete der Narr das Wort an den Sterndeuter, »der Himmel löste keine Schildwache ab, ohne eine andere zu senden, die ihren Platz einnehmen soll. Ein Narr geht, der andere kommt, um Euch in die Gemächer Ludwigs von Frankreich zu führen.« – »Und Du bist der Bote?« sagte Martius, indem er ihn argwöhnisch anblickte und gleich für den, der er war, erkannte. – »Ja, Herr,« antwortete le Glorieux, »mit Verlaub Eurer Weisheit. Wenn die Macht die Narretei absendet, um die Weisheit herbeizuholen, so ist dies ein sicheres Zeichen, wo den Patienten der Schuh drückt.« – »Wie aber, wenn ich mich zu kommen weigere, da ich zu so später Stunde und von einem solchen Boten geholt werde?« fragte Galeotti. – »In diesem Falle werden wir Euch führen,« versetzte le Glorieux. »Ich habe ein halbes Dutzend handfester Burgunder vor der Tür, die mir Graf Crevecoeur mit auf den Weg gegeben hat. Denn wisse, mein Freund Karl und ich haben unserm Vetter Ludwig die Krone, die er eselhafterweise in unsere Gewalt gegeben, nicht ganz genommen, sondern nur ausgefeilt und beschnitten. Kurz und gut, er ist noch immer Herr und Gebieter über seine eigenen Leute, Euch selbst mit eingeschlossen, und allerchristlichster König über den großen Eßsaal auf dem Schloß zu Peronne, wohin Ihr Euch, als sein Untertan, unverzüglich verfügen werdet.« – »Ich folge Euch,« erwiderte Galeotti und machte sich mit dem Narren auf den Weg, da er vielleicht sah, daß kein Entrinnen möglich sei. – »Da tut Ihr wohl daran,« sagte der Narr auf dem Wege zum Schlosse, »denn wir behandeln unsern Vetter, wie man einen alten ausgehungerten Löwen in seinem Käfig behandelt, dem man von Zeit zu Zeit ein Kalb hinwirft, damit er seine alten Kinnbacken in Uebung erhält.« – »Glaubt Ihr denn,« fragte Martius, »daß der König mir nach dem Leben zu trachten im Sinne hat?« – »Ei, das werdet Ihr besser erraten können als ich,« erwiderte der Possenreißer, »denn wenngleich der nächtliche Himmel etwas umwölkt ist, so wette ich doch, Ihr könnt die Sterne durch den Nebel sehen. Ich verstehe mich nicht auf die hohen Dinge; meine Mutter sagte aber, man müsse einer alten Ratte, die in der Falle sitzt, nicht zu nahe kommen, denn da beißen sie immer am ehesten.«


Der Sterndeuter stellte keine weiteren Fragen, und der Narr fuhr fort, nach der Sitte seines Schlags, sich in regellosen Sarkasmen und drolligen Späßen zu ergehen, bis er den Philosophen an die Wache am Schloßtor zu Peronne abgeliefert hatte, wo dieser von Posten zu Posten gebracht und endlich in den Hubertusturm eingelassen wurde.

Die Winke des Spaßmachers waren für Galeotti nicht verloren gegangen, und als er von Tristan mit einer düstern, unglückverheißenden Miene in das Schlafgemach des Königs geführt wurde, fiel ihm auch der Kolben mit dem Stricke sogleich ins Auge. Er bot nun all seinen Scharfsinn auf, der ihm drohenden Gefahr zu entgehen, mit dem Entschlusse, wenn dies ihm unmöglich würde, sich gegen jeden, der ihm zu nahe käme, aufs äußerste zu verteidigen. In solcher Stimmung trat Martius vor Ludwig.

»Mögen alle guten Planeten Ew. Majestät gnädig sein!« sprach er mit einer Verbeugung, wie sie tiefer kein Orientale vor seinem Herrscher hätte machen können, »und alle bösen Konstellationen dem Sterne meines königlichen Gebieters fern bleiben!« – »Mich dünkt,« erwiderte der König, »wenn Ihr Euch in diesem Gemach umseht, und bedenkt, wo es liegt, und wie es bewacht wird, so kann es Eurer Weisheit nicht entgehen, daß meine günstigen Gestirne sich untreu bewiesen und daß die schlimmen Konstellationen bereits bei bester Arbeit sind. Schämst Du Dich nicht, Martius, mich hier als Gefangenen zu sehen, wenn Du an die Versicherungen denkst, die mich hierher gelockt haben?« – »Und schämst Du Dich nicht, mein königlicher Gebieter,« entgegnete der Sterndeuter, »trotz aller Fortschritte in der Wissenschaft vor dem ersten finstern Blick des Schicksals zurückzubeben wie ein Feigling vor dem ersten Waffengeklirr?« – »Schamloser Mensch!« rief der König, »ist dies nur Einbildung? – Sind die Wachen des Herzogs von Burgund, deren Waffen Du an der Tür klirren hörst, Schatten? Was sind dann wahre Uebel, Verräter, wenn nicht Gefangenschaft, Entthronung und Lebensgefahr?« – »Unwissenheit, mein Bruder, und Vorurteil!« versetzte der Weise mit Festigkeit, »das sind die einzig wahren Uebel. Glaube mir, daß Könige im Vollgenusse ihrer Macht, wenn sie in Unwissenheit und Vorurteil versinken, weit unfreier sind, als Weise im Kerker. Zu dieser wahren Glückseligkeit Dich zu führen, ist mein Beruf.« – »Ich wollte,« rief der König im Tone bittern Hohns, »Du hättest mich zu Plessis gelehrt, daß die mir so freigebig versprochene Herrschaft sich allein über meine Leidenschaften erstreckte; daß der glückliche Erfolg, dessen Du mich versichertest, sich nur auf meine Fortschritte in der Philosophie bezöge, und daß ich so gelehrt und weise werden müßte, wie ein heimatloser italienischer Marktschreier, und zwar auf Kosten der schönsten Krone der Christenheit und um einer Behausung im Schloßturme zu Peronne willen! So geh denn hin und entgehe der wohlverdienten Strafe nicht! – Es gibt einen Himmel über uns!« – »Ich überlaß Euch nicht Eurem Schicksal,« versetzte Martius, »bis ich in Euren Augen, so verdunkelt sie auch jetzt sind, jenen Ruf gerettet habe, der ein glänzender Edelstein ist, als der glänzendste in Eurer Krone, und den die Welt noch nach Jahrhunderten anstaunen wird, wenn Capets ganzes Geschlecht in der Gruft von Saint-Denis längst vermodert ist.« – »Sprich,« sagte der König, »Deine Schamlosigkeit kann weder meine Vorsätze noch meine Meinung ändern – doch da ich vielleicht nie wieder als König ein Urteil fällen werde, so will ich Dich nicht ungehört verdammen.«

»Kennst Du denn,« erwiderte kühn der Sterndeuter, »den geheimen Einfluß jener gesegneten Himmelslichter? Du sprichst ihnen den Einfluß auf die Gewässer ab und weißt doch nicht, daß selbst der schwächste, weil er unserer armen Erde am nächsten, nicht bloß solch ärmliche Ströme, wie diese Somme hier, sondern die Fluten des mächtigen Ozeans unter seiner Herrschaft hält, die, je nachdem sich seine Scheibe füllt oder abnimmt, sich senken und heben und auf seinen Einfluß harren, wie eine Sklavin auf den Wink der Sultanin wartet? Und nun, Ludwig von Valois, antworte einmal auf dies mein Gleichnis! – Bekenne! Gleichst Du nicht dem törichten Reisenden, der dem Lotsen zürnt, daß er das Schiff nicht in den Hafen bringen kann, ohne es der Gewalt widriger Winde und Strömungen auszusetzen? Ich konnte Dir allerdings den wahrscheinlichen Ausgang Deiner Unternehmungen als glücklich verkündigen, allein dem Himmel blieb es vorbehalten, Dich zum Ziele zu geleiten; und wenn der Pfad rauh und gefährlich ist, stand es in meiner Macht, ihn zu ebnen und sicherer zu machen? Wo ist denn Deine Weisheit von gestern geblieben, die Dich mit Grund erkennen ließ, daß die Wege des Schicksals, wenn sie auch unseren Wünschen zuwiderlaufen, uns doch oft zu unserm Heile führen?« – »Du erinnerst mich – Du erinnerst mich,« fiel der König hastig ein, »namentlich an eine Deiner Falschheiten. Du sagtest mir, jener Schotte würde seinen Auftrag zu meinem Vorteil und meiner Ehre beendigen; und Du weißt doch, es hat sich so geendigt, daß nichts in der Welt für mich verderblicher sein konnte, als der Eindruck, den die Sache, wie sie jetzt steht, auf das erhitzte Gehirn des tollen Stiers von Burgund machen wird. Dies ist eine unleugbare Falschheit! – Hier kannst Du mir nicht entschlüpfen – kannst Dich nicht auf eine entfernte günstige Wendung von Ebbe und Flut berufen, auf die ich ruhig warten soll, wie ein dummer Teufel am Ufer, bis das Wasser abgelaufen. – Hier ließ Dich Deine List im Stiche. – Du warst schwach genug, eine bestimmte Weissagung zu wagen, die sich nun geradezu als falsch bewiesen hat.« – »Und die sich als wahr und richtig erweisen wird,« erwiderte der Sterndeuter zuversichtlich. »Ich möchte mir keinen größeren Triumph der Kunst über die Unwissenheit wünschen, als diese Weissagung und ihre Erfüllung mir gewähren wird. – Ich sagte Dir, daß der Schotte bei Erfüllung eines jeden ehrenvollen Auftrages treu befunden werden würde – traf es nicht zu? – Ich sagte Dir, er würde Bedenken tragen, zu irgend einem bösen Anschlage seine Hand zu leihen – war dem nicht so? Zweifelst Du noch daran, so frage den Zigeuner Hayraddin Maugrabin.« – Der König erglühte vor Scham und Aerger. – »Ich sagte Dir,« fuhr der Sterndeuter fort, »daß die Konjunktur der Planeten, unter welchen er abreiste, für seine Person Gefahr bedeute – ist nicht sein Pfad mit Gefahren umringt gewesen? Ich sagte Dir, seine Reise verspreche dem Absender Vorteil, und diesen Vorteil wirst Du bald ernten.« – »Den Vorteil ernten?« rief der König aus; »ist nicht das Resultat Schmach und Gefangenschaft?« – »Nein,« antwortete der Sterndeuter, »das Ende ist noch nicht da. Ueber ein kleines soll Deine eigene Zunge bekennen, welch eine Wohltat Dir durch die Art und Weise zuteil geworden ist, wie der Bote seine Sendung ausrichtete.« – »Diese Frechheit geht zu weit,« rief der König, »einen in einem Atem so betrügen und verhöhnen wollen! – Aber fort mit Dir! – Allein ich glaube nicht, daß, was Du an mir verschuldet hast, so ungerächt Dir hingehen soll! – Es gibt einen Himmel über uns!« – Galeotti wandte sich um, um sich zu entfernen. – »Bleib! Du hast Deine Betrügerei wacker durchgeführt. – Antworte mir nur noch auf eine Frage; aber überlege wohl, ehe Du sprichst. – Kann Dir Deine vorgebliche Weisheit die Stunde Deines Todes verkündigen?« – »Nur in Beziehung auf das Schicksal eines andern,« erwiderte Galeotti. – »Ich verstehe Deine Antwort nicht,« sagte der König. – »So wisse denn, o König,« sprach Martius, »daß ich nur mit Gewißheit von meinem Tode sagen kann, daß er genau vierundzwanzig Stunden vor dem Deinigen erfolgen wird.« – »Ha! Was sagst Du?« rief Ludwig, die Farbe wechselnd. – »Halt – halt, – geh noch nicht – warte noch einen Augenblick. – Mein Tod, sagtest Du, werde so schnell dem Deinen folgen?« – »Innerhalb vierundzwanzig Stunden,« wiederholte Galeotti mit Festigkeit; »sofern nur ein Funke Wahrheit in jenen glänzenden, geheimnisvollen Verkündigern wohnt, die ohne Zunge zu uns sprechen. – Ich wünsche Ew. Majestät eine gute Nacht!«

»Halt – halt – geh nicht,« rief der König, ihn unter dem Arme fassend und von der Tür zurückführend. »Martius Galeotti, ich bin stets ein gütiger Herr gegen Dich gewesen, habe Dich bereichert, habe Dich zu meinem Freunde, zu meinem Gesellschafter, zum Lehrer in meinen Studien gemacht. – Sei offen gegen mich, ich bitte Dich darum. Ist etwas Wahres an dem, was Deine Kunst weissagt? Soll dieses Schotten Sendung in der Tat mich zu einem guten Ende führen? Martius, nicht wahr? Du wolltest mir nur einen Streich spielen. – Gestehe, ich bitte Dich, ich bin bei Jahren – bin ein Gefangener – werde, nach allem zu schließen, ein Königreich verlieren; – in meiner Lage ist Wahrheit Königreiche wert, und von Dir, teurer Martius, muß ich dies unschätzbare Kleinod erwarten.« – »Und ich habe es Ew. Majestät dargereicht,« antwortete Galeotti, »und zwar auf die Gefahr hin, daß Ihr in wilder Leidenschaft Euch gegen mich wenden und mich vernichten könntet.« – »Wer? Ich, Galeotti?« fragte der König mild; »ach, Du verkennst mich! Bin ich nicht gefangen, und sollte ich nicht geduldig sein, da mein Zorn nur meine Ohnmacht offenbaren kann? Sag mir also aufrichtig – Du hast mich zum besten gehabt, oder ist Deine Wissenschaft redlich, und sagst Du mir Wahrheit?« – »Ew. Majestät wird mir verzeihen,« erwiderte Martius Galeotti, »wenn ich hierauf antworte, daß nur die Zeit – die Zeit und der Erfolg den Unglauben besiegen können. Wenn Ihr mir nicht glauben wollt, so kann ich Euch bloß auf den Verlauf der Ereignisse verweisen. Ein paar Tage Geduld wird bewahrheiten oder widerlegen, was ich in Hinsicht des jungen Schotten behauptet habe; und ich will auf dem Rade sterben und mir Glied für Glied zerbrechen lassen, wenn nicht das unerschrockene Benehmen Quentin Durwards Ew. Majestät einen wichtigen Dienst leisten wird.«

Ludwig hielt noch immer Galeotti am Kleide, als er ihn nach der Tür führte, und sprach, indem er sie öffnete, mit lauter Stimme: »Morgen sprechen wir davon. Geht in Frieden, mein gelehrter Vater – geht in Frieden, geht in Frieden!« Er wiederholte diese Worte dreimal und führte den Sterndeuter in die Halle, ihn fest beim Gewande haltend, als ob er fürchte, er könne ihm entrissen und vor seinen Augen umgebracht werden.

Der Generalprofoß betrachtete, während seine Leute sich nach der Entfernung des Königs zur Ruhe anschickten, die stattliche Gestalt des Sterndeuters mit dem Blicke eines Bullenbeißers, der ein Stück Fleisch, das der Koch ihm aus den Zähnen gerissen, mit den Augen verfolgt, während seine Gehilfen ihren Gedanken in kurzen Sätzen Luft machten. So verfloß die Nacht in dem Hubertusturme des Schlosses zu Peronne. Als der erste Strahl des Tages in das alte gotische Gemach drang, rief der König Oliver zu sich, der den Monarchen in seinem Schlafrocke sitzend fand und über die Veränderung erstaunte, die eine Nacht, in Todesangst zugebracht, in den königlichen Gesichtszügen hervorgebracht hatte. Er wollte eben seine Besorgnisse hierüber äußern, allein der König gebot ihm Stillschweigen und setzte ihm die verschiedenen Wege auseinander, die er versucht hatte, sich am Hofe von Burgund Freunde zu erwerben, und die Oliver, sobald ihm gestattet würde, auszugehen, weiter verfolgen sollte.

Nie aber war dieser schlaue Minister über die Einsicht des Königs und seine Bekanntschaft mit allen Triebfedern menschlicher Handlungen erstaunter, als während dieser merkwürdigen Unterredung. Zwei Stunden darauf erhielt Oliver vom Grafen Crevecoeur die Erlaubnis, auszugehen und die Aufträge auszurichten, die ihm sein Herr und Meister anvertraut hatte. Ludwig ließ dann den Sterndeuter wieder holen, dem er aufs neue sein volles Vertrauen zu schenken schien, und hielt mit ihm ebenfalls eine lange Beratung, woraus er allem Anschein nach mehr Mut und Vertrauen schöpfte, als er anfangs gezeigt hatte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quentin Durward. Zwei Bände