Dreizehntes Kapitel - An dem Vormittag, welcher der wichtigen und nicht minder gefahrvollen Zusammenkunft ...

An dem Vormittag, welcher der wichtigen und nicht minder gefahrvollen Zusammenkunft zwischen den beiden Fürsten im Peronner Schlosse vorausging, war Oliver Le Dain seinem Herrn der geschäftigste, gewandteste Unterhändler, den König Ludwig sich nur irgend wünschen konnte. Er gewann ihm überall Freunde und Förderer, bald durch Geschenke, bald durch Versprechungen; wie schon in der Nacht vorher, schlich er von Zelt zu Zelt, von Behausung zu Behausung, und wie es von andern politischen Agenten geheißen hat, »war sein Finger in jedermanns Hand und sein Mund in jedermanns Ohr« – kurz und gut, er sorgte dafür, daß die Ansicht Oberwasser bekam, daß man nicht allzu lebhaftes Interesse hätte, sich aus dem Regen selbst in die Traufe zu bringen, und daß es der Burgunder Herzog wohl um so weniger an despotischem Gelüst fehlen lassen möchte, wenn er »allein Hahn im Korbe wäre«; daß es also in ihrem eigenen Interesse läge, nicht den einen Herrscher völlig zu ducken, um den andern allein auf den Schild zu heben, sondern daß sie besser dabei fahren würden, wenn sie nach wie vor darauf hielten, einen gegen den andern ausspielen zu können. Und so erreichte denn Oliver von dem Grafen Crevecoeur, wenn auch mit einiger Mühe, die Erlaubnis, in Gegenwart Balafrés und mit Einverständnis Lord Crawfords, des Korpskommandanten, eine Unterredung mit Quentin Durward zu führen, der seit seiner Rückkehr nach Peronne in einer Art von Ehrenhaft gehalten wurde. Um nun diese Erlaubnis zu erhalten, mußten allerdings Privatsachen herhalten; indes ist es doch nicht so unwahrscheinlich, daß sich Graf Crevecoeur, aus Besorgnis, sein Herr und Gebieter mochte sich durch seine Leidenschaftlichkeit zu irgend einer unverantwortlichen Handlung gegen Ludwig hinreißen lassen, ganz gern dafür entschied, Lord Crawford mit dem jungen Schotten verhandeln zu lassen, weil er annehmen durfte, daß es dabei ohne nützliche Verhaltungswinke für den letzteren nicht abgehen werde.

Die beiden Landsleute waren äußerst erfreut über dieses Wiedersehen, und Lord Crawford strich dem jüngern Freunde zärtlich mit der Hand durch das lange, blonde Haar. »Du bist doch wirklich ein wunderlicher Jüngling,« hub er an, »Du hast ja bei allem, was Du unternimmst, mehr Glück, als wenn Du mit einer Glückshaube zur Welt gekommen wärest,« – »Das kommt doch einfach bloß daher,« bemerkte Balafré zur Sache, . . »weil er als solch junger Grünschnabel schon in unser Korps eingestellt worden ist. Von mir ist nicht halb soviel die Rede, trotzdem ich schon über ein Vierteljahrhundert dabei bin.« – »Du warst aber auch das richtige Ungeheuer von Page, meiner lieber Ludwig,« erwiderte Crawford, »hattest einen Bart wie ein Jude, der sich drei Jahre lang nicht hat scheren lassen, und einen Rücken so breit wie ein Keiler.« – »Leider werde ich wohl nicht mehr lange Anspruch auf diese Ehre, Bogenschütze Seiner allerchristlichsten Majestät zu sein, erheben dürfen,« erwiderte Quentin mit zu Boden gesenktem Blicke .. »denn ich werde mich wohl entschließen müssen, diesen Dienst zu quittieren.«


Der Oheim Balafré war außer sich vor Erstaunen, und aus den Zügen des alten Lords sprach das tiefste Mißfallen... »Was fällt Dir ein,« rief endlich Balafré, »Du willst Deinen Dienst quittieren? wer hätte sich dergleichen träumen lassen? mir könnte das nicht passieren, und wenn ich Aussicht hätte, Großkonnetable von Frankreich zu werden,« – »Ruhig, Ludwig!« sprach Lord Crawford, »der Jüngling weiß besser als wir, wie man nach dem Winde steuern muß, denn ihm ist mehr Wind um die Ohren gestrichen, und wir fangen an, zum alten Register zu gehören. Auf seiner Tour wird er wohl manches über König Ludwig vernommen haben, was ihm nicht recht behagt; und wenn er daraufhin burgundisch wird und der Meinung ist, mehr herausschlagen zu können, wenn er den Herzog davon in Kenntnis setzt, nun, so läßt sich unsererseits doch nichts dagegen tun.« – »Wenn das seine Gedanken wären, Lord Crawford,« rief Balafré, »so schnitte ich ihm selber die Kehle durch, gleichviel ob er meiner Schwester Kind ist.« »Aber ohne zuvor zu untersuchen, ob ich solche Behandlung auch verdiene,« sagte Quentin Durward, »würdet Ihr mich solcher Prozedur doch Wohl nicht unterziehen, Ohm? Und Ihr, Mylord, wißt wohl, daß sich die Rolle eines Zuträgers für mich nicht schickt. Möchte mir während meines Dienstes bei König Ludwig auch das Schlimmste zu Ohren gekommen sein, so könnt's doch keine Folter über meine Lippen zerren! Insoweit weiß ich, was ich meinem Diensteide schuldig bin. Aber ich habe keine Lust, in einem Dienste zu verbleiben, in welchem ich nicht bloß den Streichen meiner Feinde im offenen Kampfe, sondern auch den verräterischen Tücken meiner Freunde ausgesetzt bin.« – »Wenn das der Fall sein sollte,« nahm Valafré das Wort, indem er auf seinen Kommandanten einen kummervollen Blick heftete, »dann muß ich freilich fürchten, Mylord, daß kein Rat mehr mit ihm sein wird. Ich hab ja selbst ein paar Dutzend Male gegen solche Hinterlist ankämpfen wollen, die leider unserm König nicht abzugewöhnen ist, denn sie bildet nun einmal seine beliebteste Kriegsmanier.« – »Freilich, Ludwig, freilich!« pflichtete ihm Lord Crawford bei, »aber schweigen wir lieber, kommt es mir doch so vor, als ob Du der Sache mehr auf den Grund blicktest als ich.« – »Aber trotzdem kann ich's nur schwer verwinden, Mylord,« sagte Balafré, »daß ich mir sagen muß, meiner Schwester Sohn habe Dampf vor Türken und Hinterhalten.«

»Mein Sohn,« wandte sich nun Lord Crawford an Quentin Durward, »ich glaube den Sinn Deiner Worte zu erraten: Du bist auf der Reise, die Du auf Befehl unternommen, hinter Dinge gekommen, die Dir als Verrat erscheinen, und als Urheber davon vermutest Du nun Deinen König?« – »Allerdings hat der König mir nachgestellt, während ich für ihn unterwegs war. Aber ich bin so glücklich gewesen, diesen Anschlägen zu entgehen. Wie Seine Majestät solches Verhalten vor Gott und seinem Gewissen verantworten kann, das mag ihm überlassen bleiben. Er hat mich gespeist, als ich hungrig war, hat mich beherbergt, als ich ein irrender Fremdling war. In seinem Unglück ihn mit Anschuldigungen zu belasten, soll mir nie beikommen, denn es könnte sein, daß das, was mich dabei nicht persönlich angeht, nicht völlig auf Wahrheit beruht. Die Quellen, aus denen ich schöpfen mußte, sind schließlich nicht die allerreinsten.« – »Mein wackrer Sohn!« rief da Lord Crawford, den Jüngling in die Arme schließend, »das nenn' ich gesprochen, wie es eines echten Schotten würdig ist! Du denkst wie einer, der sich nur des Guten von dem Menschen erinnert, den er schon mit dem Rücken am Henkerpfahle stehen sieht.« – »Nun, da Mylord meinem Neffen solch herzliche Ehre antut,« rief Balafré, »hab ich wohl nicht nötig, sie ihm vorzuenthalten . . immerhin, Junge, solltest Du wissen, daß dem Soldaten der Dienst im Hinterhalt so wichtig ist und so nötig wie dem Priester sein Meßbuch.« – »Still, Ludwig!« wehrte ihm Lord Crawford, »Du weißt nicht, wie dankbar Du dem Himmel sein mußt, daß er Dir diesen wackern Burschen gesandt hat. Du aber, Quentin, sage mir, ob der König um Deine mannhafte, christliche Gesinnung weiß? es sollte dem unglücklichen Herrscher doch nicht vorenthalten bleiben, auf wen er in seinen Nöten bauen darf. Ach, hätte er doch nur sein ganzes Leibgardekorps mit hergeführt! Aber wer kann gegen Gottes Willen? Wie gesagt, Quentin, weiß der König um Deinen Entschluß?«

»Das zu sagen, Mylord, bin ich außerstande,« versetzte Quentin, »aber seinem Sterndeuter Galeotti habe ich die Versicherung gegeben, daß es mein fester Wille sei, über alles, was dem Könige nachteilig werden könnte, tiefstes Stillschweigen zu wahren gegenüber dem Herzoge von Burgund. Was mir als besonders verdächtig erschienen ist,« setzte er hinzu, »werde ich übrigens auch Euch nicht mitteilen, Mylord, und umsoweniger habt Ihr also Grund zu der Annahme, ich hätte Lust haben können, dem Philosophen mein Inneres zu erschließen.« – »Brav, mein Sohn! brav!« rief der Lord, »mir fällt ein, daß Oliver gesagt hat, der Galeotti habe prophezeit, wie Ihr Euch verhalten würdet; da bin ich nun freilich froh, daß er die Kunde aus einer sichereren Quelle geschöpft hat als aus einem Gestirn . . aber, Ludwig! wir müssen Deinen Neffen nun verlassen und wollen zu unsrer lieben Frau beten, daß sie ihn in seinem guten Sinne auch fürderhin bestärke, denn es liegt hier ein Fall vor, wo ein einziges ungeschicktes Wort größeres Unheil stiften könnte, als das ganze Parlament von Paris wieder gut zu machen vermöchte . . Nimm also meinen Segen, mein Sohn, und den Rat: beeile Dich nicht zu sehr, unser Korps zu verlassen, denn es wird bald tüchtige Wamse bei hellem Tage setzen, und nicht mehr in Hinterhalten.« – »Und meinen Segen, Junge, will ich Dir nicht vorenthalten,« sagte Ludwig Lesley, »denn wenn mein edler Hauptmann zufrieden mit Dir ist, dann darf ich keine Ursache mehr zur Unzufriedenheit finden.«

»Noch eine kurze Weile verzeiht, Mylord,« sagte Quentin, indem er den Korpskommandanten beiseite nahm, »ich darf nicht unerwähnt lassen, daß es noch jemand in der Welt gibt, der über die näheren Umstände von mir aufgeklärt worden ist, die jetzt um der Sicherheit des Königs Ludwig willen verschwiegen bleiben müssen. Diese Person dürfte vielleicht meinen, daß ihr nicht die gleiche Verpflichtung, zu schweigen, obliegt, wie mir als Dienstmann Ludwigs ...« – »Ihr, sagt Ihr?« rief Lord Crawford, »o weh! wenn's ein Frauenzimmer ist, die drum weiß, dann sei uns Gott gnädig! da säßen wir ja wieder ganz gehörig in der Tinte!« – »Das braucht Ihr nicht zu meinen, Mylord!« versetzte Durward, »doch macht Euren Einfluß bei dem Grafen Crevecoeur geltend, daß er mir eine Unterredung mit Gräfin Isabelle gestatte. Denn sie allein ist's, die um das Geheimnis weiß, und ich zweifle nicht, daß es mir gelingen werde, sie in gleicher Weise zum Stillschweigen zu bestimmen, wie das mir meinem eignen Ich gegenüber gelungen ist.«

Der alte Soldat stand einen Augenblick überlegend da, dann richtete er den Blick bald auf die Dielen, bald zur Decke hinauf, dann schüttelte er den Kopf – dann sagte er: »Weiß der Himmel! aber hinter dieser ganzen Geschichte steckt noch etwas, das ich nicht verstehe . . Gräfin Isabelle von Croye? und mit der wolltest Du Springinsfeld schottischer Herkunft eine Unterredung haben? mit einer Dame von ihrer Geburt, von ihrem Rang und Reichtum? Entweder hast Du zu hohes Vertrauen in dich, mein Sohn, oder Du hast unterwegs Deine Zeit vermaledeit gut verwendet! Immerhin will ich mit Crevecoeur in dieser Sache reden, und da er tatsächlich fürchtet, sein hitzköpfiger Herr könnte sich zu etwas Verdrießlichem von seiner Leidenschaft hinreißen lassen, so wird er wohl, denke ich, in Dein Begehren willigen, so seltsam und absonderlich es ihm auch, meiner Sixen, erscheinen wird.«

Hierauf verließ der Lord das Zimmer, achselzuckend und in Begleitung Balafrés, der nichts Besseres wußte, als ebensolche geheimnisvolle Miene aufzusetzen wie sein Kommandant.

Es dauerte nicht lange, so kehrte Lord Crawford wieder zurück, aber ohne seinen Schatten Balafré, und mit weit heitrerer Miene als vorhin. Ja er lachte und kicherte in sich hinein, auf eine Art, wie sie gar nicht recht zu seinem rauhen, runzligen Gesicht passen mochte. Dann wieder schüttelte er den Kopf, wie über eine Sache, die wohl seinen Tadel verdiente, die ihm aber nichtsdestoweniger außerordentlich albern vorkam. »Wirklich, Landsmann!« sagte er endlich, »blöde seid Ihr nicht, und aus Schüchternheit werdet Ihr sicherlich keine Schöne einbüßen. Crevecoeur kam mir vor wie einer, der Essig schluckt, als er Euren Vorschlag vernahm, und bei allen Heiligen Burgunds verschwor er sich, Euch keinen Schritt zu der Gräfin vergönnen zu wollen, wenn nicht gerade die Ehre der beiden Fürsten und der Friede der beiden Reiche auf dem Spiele stünde! Wäre er nicht schon verheiratet, so hätte ich, weiß Gott! gedacht, er wolle um der schönen Isabelle Hand selbst noch eine Lanze brechen! aber er denkt vielleicht an seinen Neffen, den Grafen Stephan? Seh einer an! Aber auf die Unterredung, das sage ich Euch, darf viel Zeit nicht verloren gehen, denn sonst möchte dem Grafen Crevecoeur die Geduld reißen! Hahaha! schmälen kann ich mit Euch, weiß Gott! nicht ob solcher Anmaßung, aber lachen, herzlich lachen muß ich darüber!«

Scharlachrot im Gesicht ob dieser Worte des alten Kriegers, aber schweigend, weil er sich sagte, daß jedes Wort die Sache nur verschlimmern würde, folgte Durward seinem Kommandanten in das Kloster, worin die Gräfin Zuflucht genommen hatte. Dort traf er im Sprechzimmer den Grafen Crevecoeur. . »Also, junger Schwerenöter,« sprach dieser in gemessenem Tone, »wie es scheint, müßt Ihr die holde Partnerin Eurer romantischen Spritzfahrt durchaus noch einmal sehen?« – »Allerdings, Herr Graf,« antwortete Durward kalt, aber fest, »und was noch mehr ins Gewicht fallen dürfte, ich muß sie unter vier Augen sehen und sprechen.« – »Das wird nimmermehr der Fall sein,« versetzte entschieden der Graf, »urteilt selbst, Lord Crawford! die junge Dame ist die Tochter meines ältesten und wertgeschätztesten Waffengefährten, dabei die reichste Tochter der burgundischen Lande, und sie hat zugegeben, daß sie eine – na, wie soll ich sagen? – na, eine Törin ist, Euer Kriegsmann dort aber ein anmaßender junger Geck . . kurz und gut, unter vier Augen dürfen sie einander nicht sehen . . auf keinen Fall!« . . »Nun, dann werde ich eben in Eurer Gegenwart kein Wort mit der Gräfin reden,« versetzte Quentin; »Ihr habt mir ja mehr bekannt gegeben, als ich bei aller mir eigentümlichen Anmaßung zu hoffen mich getraut hätte.« – »In Wahrheit, Freund,« nahm jetzt Lord Crawford das Wort, »Ihr seid mit Euren Reden nicht vorsichtig genug gewesen. Da Ihr Euch aber auf mich beruft, so möchte ich meinen, daß im Sprechzimmer ja doch ein ziemlich starkes Gitter den Klosterinsassen von dem Besucher absperrt. Ich denke, daraufhin könntet Ihr doch wohl ruhig es darauf ankommen lassen, was sie mit ihren Jungen anfangen werden? Wenn das Leben eines Königs und vieler seiner Edeln und Untertanen von der Unterredung solches jungen Menschen mit einer jungen Dame in gewissem Grade abhängt, dann meine ich, sollte man sie zusammen in aller Ruhe schwatzen lassen.«

Mit diesen Worten zog Lord Crawford den Grafen aus dem Zimmer. Er folgte, wenn auch nicht ohne Widerstreben, dem klügeren Greise, konnte aber nicht umhin, den jungen Bogenschützen noch mit recht zornigen Blicken zu messen. Gleich darauf trat Gräfin Isabelle ein, und zwar von der anderen Seite des Gitters. Kaum hatte sie den jungen Schotten allein in dem Sprechzimmer erblickt, als sie stehen blieb und ein paar Sekunden lang die Augen zu Boden geschlagen hielt ... »Aber warum sollte ich undankbar sein?« sagte sie schließlich? »weil andre mich mit ungerechtem Argwohn verfolgen? ... Mein Freund, mein – Retter, denn so muß ich Euch nennen – da ich von allen Seiten von Verrat umringt war – mein einzig treuer und aufrichtiger Freund!« Sie reichte ihm durch das Gitter die Hand und ließ sie in der seinen ruhen, ja, sie ließ es zu, daß er sie mit Küssen bedeckte.. Dann aber sagte sie: »Quentin Durward! sollten wir uns jemals wiedersehen, so würde ich diese Torheit Euch nie erlauben!« – Dann entzog sie ihm ihre Hand, trat einen Schritt vom Gitter weg und fragte Durward in einem ziemlich verlegenen Tone: was er eigentlich von ihr wolle? »Denn daß Ihr mich um etwas bitten wollt, hat mir der alte schottische Lord gesagt, der mit dem Grafen Crevecoeur bei mir war. Aber um eins möchte ich bitten: sprecht nichts, was uns beiden, denn es ist wohl anzunehmen, daß wir belauscht werden, zum Nachteil gereichen könnte.« – »Seid ohne Furcht, edles Fräulein,« erwiderte Quentin besorgt; »blickt nicht zurück, sondern vorwärts, standhaft vorwärts! wie alle tun müssen, die auf gefahrvollem Pfade wandeln, und höret mich an! König Ludwig hat es um Euch nicht besser verdient, als daß er öffentlich als hinterlistiger Ränkeschmied erklärt werde. Im gegenwärtigen Augenblick würde es aber, wenn nicht seinen Tod, so doch den Verlust seiner Krone bedeuten, wenn er angeklagt würde als derjenige, der Euch zu Eurer Flucht geraten, ja der den Plan ersonnen hat, Euch dem Eber von der Mark in die Hände zu liefern; und ganz ohne Zweifel dürfte feststehen, daß es infolge solcher öffentlichen Brandmarkung des Königs Ludwig zum blutigen Kriege zwischen Frankreich und Burgund kommen müßte.«

»Solches Herzeleid soll niemals durch mich über diese beiden herrlichen Länder gebracht werden,« erklärte Gräfin Isabelle in festem, doch freundlichem Tone, »sofern es sich irgend verhindern läßt. Dazu würde mich die leiseste Bitte aus Eurem Munde vermögen, denn ich bin nicht rachsüchtig. Also sagt mir, was ich tun soll? wenn mich der Burgunder Herzog vor sich ruft, soll ich schweigen oder die Wahrheit sagen? das erstere wäre Widerspenstigkeit, und das andere Lüge. Und dazu mich zu erniedrigen, werdet Ihr mir doch nicht zumuten?« – »Ganz gewiß nicht, edle Gräfin,« erwiderte Durward, »aber beschränkt Eure Aussage über König Ludwig auf das wenige, von dessen Wahrheit Ihr fest überzeugt seid . . und wenn Ihr erwähnt, was andre Euch berichtet haben, so tut es nur in dem Sinne, wie man sich Gerüchten gegenüber verhält, und nehmt Euch in acht, Dinge, die Ihr selbst nicht erlebt habt, als wahr unter Eurem Zeugnis zu sagen. Mag mithin, was Euch selbst nicht so bekannt ist, daß Ihr es auf Euer Zeugnis nehmen könnt, durch andre Beweismittel als bloße Gerüchte erhärtet werden.«

»Ich glaube, den Sinn Eurer Rede zu verstehen,« erwiderte die Gräfin. – »Ich will mich noch deutlicher auszudrücken suchen,« sagte Quentin und schickte sich eben an, das Gesagte noch weiter auszuführen, als die Klosterglocke erklang . . »Das ist das Zeichen,« sagte die Gräfin, »daß wir uns zu trennen haben . . zu trennen für immer! . . Aber vergeßt mich nicht, Durward . . denn ich werde Euch ... Eure treuen Dienste auch nimmer vergessen!« – Weiter konnte sie nicht sprechen, aber sie reichte ihm noch einmal die Hand und noch einmal drückte er sie an die Lippen, und ich weiß nicht, wie es kam, aber die Gräfin trat, als sie ihm ihre Hand zu entziehen suchte, so dicht an das Gitter heran, daß Quentin den Mut fand, ihr einen Abschiedskuß auf die Lippen zu drücken . . und sie schalt ihn deshalb nicht, vielleicht war keine Zeit mehr dazu – denn Graf Crevecoeur und Lord Crawford, die, wenn nicht Ohren-, so doch Augenzeugen, und zwar durch einen günstig gelegenen Spalt, vom ganzen Vorgange gewesen waren, stürzten in den Raum, der erstere wild vor Zorn, der andere berstend vor Lachen und umsonst bemüht, den andern in den Schranken der Vernunft zu halten.

»Auf Euer Zimmer, meine Dame!« rief der Graf der Gräfin zu, die ihren Schleier über das Gesicht zog und sich eilig entfernte, »und ich will Sorge tragen, daß Ihr es mit einer Zelle bei Wasser und Brot vertauscht. Ihr seiner Musje dagegen, Ihr werdet wohl demnächst in Verhältnisse kommen, wo das Interesse von Königen und Ländern nicht mehr von Euren Kenntnissen abhängig ist. Dann soll Euch die Strafe für solche Frechheit, Euer Bettlerauge zu einer Gräfin von Burgund zu erheben, noch hinterher zuteil werden!« – »Herr Graf,« nahm darauf Lord Crawford das Wort, »das sind der Worte von Eurer Seite nun wahrlich genug; Ihr dagegen, Quentin, verhaltet Euch still! ich befehl's Euch, verstanden? Graf Crevecoeur soll es durch mich erfahren, daß Ihr ein Edelmann seid so gut wie er, so gut wie der König, wenn auch nicht, wie es in Spanien heißt, so reich wie er . . Aber von einer Strafe zu reden Euch gegenüber, dazu hat er kein Recht! weiß Gott nicht! weiß Gott nicht!«

»Mylord,« erwiderte der Graf, »die Frechheit dieser Mietstruppen im französischen Lande ist schier zum Sprichwort geworden, und Ihr tätet wahrlich besser, sie nicht zu züchten, sondern einzudämmen.« – »Ich bin nun an fünfzig Jahre Kommandant des Bogenschützenkorps, Herr Graf,« erwiderte Lord Crawford, »ohne daß ich den Rat eines Franzosen, geschweige eines Burgunders gebraucht habe, um zu wissen, wie ich mich dabei zu verhalten habe . . und wenn Ihr nichts dawider habt, so denke ich es in Zukunft in dieser Hinsicht auch nicht anders zu halten.« – »Meinetwegen, Mylord,« versetzte Graf Crevecoeur, »beleidigen wollte ich Euch nicht; Rang und Alter geben Euch ja einiges Vorrecht, Euch gehen zu lassen, und was die beiden jungen Menschen angeht, nun, so will ich insofern mal fünf gerade sein lassen, als ich ja hinfort dafür Sorge tragen werde, daß sie einander nicht mehr vor die Augen kommen.« – »Darauf möcht ich an Eurer Statt denn doch lieber keinen bindenden Eid ablegen,« erwiderte der alte Schotte mit Lächeln, »so gut, wie Berge aufeinander zurücken, so können's menschliche Geschöpfe doch auch, zumal sie doch Beine haben, und Lust und Liebe, sie in Bewegung zu sehen, auch. Mir ist's wenigstens so vorgekommen, als sei es ein recht herzhafter Schmatz gewesen, den wir mitangehört haben; und so was, weißt's doch immer, vergißt sich im Leben nicht.«

»Lord Crawford,« antwortete Crevecoeur, »Ihr wollt abermals meine Geduld auf die Probe stellen, allein gelingen soll's Euch nicht! Doch da läutet die Glocke auf dem Schlosse . . da wird's eine wichtige Versammlung setzen, und was sie bringt, das weiß allein Gott! – »Was sie bringen wird,« sagte Lord Crawford, »will ich Euch voraussagen: der König wird, wenn ihm Gewalt angetan werden sollte, und mag er noch so wenig Freunde haben, mag er von Feinden noch so dicht umringt sein, nicht allein fallen, und auch nicht ungerächt fallen . . ich beklage nur, daß seine unmittelbaren Befehle es mir unmöglich gemacht haben, meine Maßregeln zu treffen und mich auf einen solchen Ausgang des tollen Einfalles beizeiten zu rüsten.«

»Mylord Crawford,« erwiderte der Burgunder, »solchem Uebel kommt man am sichersten zuvor, wenn man es herbeiführt. Gehorcht den Befehlen Eures königlichen Gebieters, und gebt keinen voreiligen Anstoß zu Gewalttaten, dann werdet Ihr finden, daß der Tag friedlicher endigen wird, als Ihr zurzeit vermutet.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quentin Durward. Zwei Bände