Achtes Kapitel - Kaum hatte die Sonne den Weg in die kleine Zelle gefunden, so war auch Durward von ...

Kaum hatte die Sonne den Weg in die kleine Zelle gefunden, so war auch Durward von seinem Lager aufgesprungen, um in die stattliche Tracht zu fahren, die er hinfort als Page seines Oheims Balafré tragen sollte, und auf die er auch mit allem Recht stolz sein durfte, denn sie war vom Oheim auf das vornehmste und reichlichste bemessen worden ... »Na, Junge,« rief Balafré, sich lustig die Hände reibend, »zeigst Du Dich ebenso treu und tapfer, wie sich Dein Aussehen nett und schmuck macht, dann werde ich an Dir den prächtigsten Pagen des ganzen Korps haben! Aber nun folge mir ins königliche Vorzimmer, doch halte Dich immer mir zur Seite!«

Mit diesen Worten nahm er seine wuchtige, und doch kunstvoll verzierte Partisane und gab seinem Neffen eine leichtere, aber sonst der seinigen völlig gleiche Waffe derselben Art in die Hand. Dann begaben sie sich in den inneren Palasthof, woselbst ihre Kameraden, denen die Wache in den inneren Gemächern oblag, bereits Aufstellung genommen hatten. Auf einen Wink setzten die Garden sich unter Balafrés Befehl – der bei solchen Anlässen Offiziersdienst verrichtete, – in Marsch nach dem Audienzgemache, in welchem der König selbst erwartet wurde. So neu auch Quentin dergleichen Auftritte waren, so fand er sich doch durch das, was er jetzt erblickte, in seinen Erwartungen empfindlich getäuscht, denn er hatte sich von einem Königshofe eine ganz andere Vorstellung gemacht. Freilich waren reichkostümierte Offizianten des königlichen Haushaltes anwesend; auch an vorzüglich bewaffneten Wachen war kein Mangel; was er aber nicht erblickte, das waren die Berater der Krone, die alten Reichsräte, die hohen Kronbeamten; was er nicht hier hörte, waren die Namen der Adelinge und Ritter, der Feldherrn und Kommandanten, der jungen, nach Ehre und Ruhm dürstenden Söhne des Vaterlands. Diese strahlenden Kreise hielt des Königs eifersüchtige Natur, seine Zurückhaltung, seine künstliche Politik von seinem Throne fern; bloß bei ganz besonders festlichen Anlässen wurden sie entboten, aber gleich wieder entlassen, wenn die Ursache geschwunden war, der sie ihr Aufgebot verdankten, und keinem tat es leid darum, denn sie zogen alle wieder erleichterten Sinnes von dannen, wie die Tiere in der Fabel, die dem Löwen in seiner Höhle ihre Aufwartung machen müssen, aber froh sind, wenn sie wieder hinaus dürfen.


Die wenigen Männer, die Quentin Durward an diesem Königshofe in der Würde eines Rates der Krone zu bemerken Gelegenheit bekam, waren von niedrigem Aussehen, hatten Gesichter, aus denen nicht selten gemeine Verschlagenheit sprach, und verrieten durch ihre Manieren, daß sie aus niedriger Sphäre in einen Kreis gezogen worden waren, wohin sie, sowohl ihrer Erziehung, wie ihrer früheren Lebensweise nach, ganz und gar nicht paßten. Balafrés Dienst war hier so streng nicht, daß er sich nicht hätte erlauben dürfen, seinen Neffen mit den Namen derjenigen bekannt zu machen, die ihm vor allem in die Augen fielen: Mit Lord Crawford, der in seiner reichen Uniform ebenfalls zugegen war und in seiner Rechten einen schweren silbernen Stab trug, war Quentin Durward an dem zu seinen Ehren veranstalteten Gelage bekannt gemacht worden. Unter den anderen, die einen höheren Rang inne zu haben schienen, war Graf Dunois der bemerkenswerteste: der Sohn jenes berühmten Dunois, der als »Bastard von Orleans« unter den Fahnen der Johanna D'Arc an Frankreichs Befreiung von englischem Joche teilgenommen hatte. Der Sohn verstand es geschickt, den Ruhm des Vaters zu behaupten, und Ludwig der Elfte mied ihn ungern, im Kronrate sowohl wie in seiner persönlichen Gesellschaft. Er war in allen ritterlichen Künsten damaliger Zeit wohlgeübt, besaß auch alle ritterlichen Tugenden, war aber von Gestalt nichts weniger als ein schöner, stattlicher Herr, und auf keinen Fall ein Muster fränkischer Eleganz. Er war wohl stark und kräftig, aber von ziemlich kleiner Gestalt; seine Beine hatten die häßliche Form des lateinischen O, waren also besser geeignet für einen Reiter als einen Fußsoldaten. Seine Schultern waren breit, sein Haar schwarz, seine Gesichtsfarbe dunkelbraun, seine Arme ungewöhnlich lang und nervig. Seine Gesichtszüge waren nicht regelmäßig, sogar häßlich; indessen lag doch in seinem ganzen Wesen ein Ausdruck von Selbstgefühl und Adel, der auf den ersten Blick den hochgeborenen Mann und den unerschrockenen Krieger zu erkennen gab. Seine Haltung war kühn und aufrecht, sein Schritt frei und männlich, und das Rauhe in seinen Zügen gewann durch den Adlerblick und die Löwenstimme des Mannes eine ganz besondere Würde. Sein Anzug bestand in einem Jagdkleide, das mehr kostbar als schön war.

Gestützt auf Dunois' Arm, erschien Ludwig, Herzog von Orleans, mit langsamem und schwerem Schritte. Dieser Prinz, der eifersüchtig bewachte Gegenstand von Ludwigs Argwohn, im Falle des Fehlens männlicher Nachkommenschaft des Königs Thronerbe, durfte sich nicht vom Hofe entfernen, und doch ward ihm, während er sich dort aufhielt, jede Anstellung und jeder Einfluß verweigert. Die Niedergeschlagenheit, welche sein entwürdigender, einer Gefangenschaft ähnlicher Zustand natürlich über das ganze Wesen dieses unglücklichen Prinzen verbreiten mußte, ward noch im hohen Grade dadurch vermehrt, daß der König mit einer der grausamsten, ungerechtesten Handlungen umging. Er wollte ihn nämlich zwingen, der Prinzessin Johanna von Frankreich, mit der er in seiner Kindheit verlobt worden war, seine Hand zu reichen.

Das Aeußere dieses unglücklichen Prinzen zeichnete sich in keiner Hinsicht vorteilhaft aus; allein er hatte einen Ausdruck von Sanftmut, Milde und Wohlwollen, der sich selbst unter dem Schleier der äußersten Niedergeschlagenheit, mit dem sein Charakter umhüllt war, nicht verkennen ließ. Ganz verschieden von letzterem war das Benehmen des stolzen Kardinals und Prälaten, Johann von Balue, des damals begünstigten Ministers Ludwigs. Ludwig hatte diesen Minister aus dem niedrigsten Stande zu der Würde, oder wenigstens dem Genusse der Pfründe eines Großalmoseniers von Frankreich erhoben, ihn mit Wohltaten überhäuft und ihm sogar den Kardinalshut verschafft. Der Kardinal war durch diese Auszeichnung dem Irrtume derer nicht entgangen, die aus einer niedrigsten Sphäre zu Macht und Ehre erhoben werden, und lebte damals der Ueberzeugung, daß seine Talente ihn zu jederlei Angelegenheiten befähigten, selbst zu solchen, die seinem Stande und seinen Studien auch noch so fern lägen. Groß und plump, wie er war, befliß er sich dennoch einer gewissen Galanterie und Bewunderung für das schöne Geschlecht. Irgend ein Schmeichler oder eine Schmeichlerin hatten ihm in einer unglücklichen Stunde in den Kopf gesetzt, daß ein Paar plumpe, unförmliche Beine, die von seinem Vater, einem Fuhrmanne von Limoges, als Erbstück auf ihn übergegangen waren, eine besondere Schönheit in ihren Umrissen verrieten. Diese Idee hatte ihn dergestalt betört, daß er seinen Kardinalsrock beständig auf einer Seite etwas aufgehoben trug, damit sein plumper Gliederbau dem Auge ja nicht entgehen könne. – »Weiß es der König,« fragte Dunois den Kardinal, »daß der burgundische Gesandte auf eine unverzügliche Antwort dringt?« – »Ja, er weiß es,« antwortete der Kardinal, – »und hier kommt eben der allgenügsame Oliver Dain, um uns mit dem Willen Sr. Majestät bekannt zu machen.«

Als er so sprach, trat der merkwürdige Mann, der damals die Gunst Ludwigs mit dem stolzen Kardinal teilte, aus dem inneren Gemache, aber ohne sich die wichtigtuende, bedeutsame Miene zu geben, die der aufgeblasene, übermütige Diener der Kirche annahm. Im Gegenteil war dies ein kleines, blasses, schmächtiges Männchen, dessen schwarzseidenes Jäckchen und Beinkleid, ohne Oberkleid, Mantel oder Ueberwurf, wenig geeignet waren, eine ganz gewöhnliche Gestalt etwas zu ihrem Vorteil herauszuheben. Er trug ein silbernes Becken in der Hand und ein über den Arm geworfenes Handtuch deutete seinen niedrigen Beruf an. Sein Blick war durchdringend und scharf, obgleich er diesen Ausdruck aus seinen Gesichtszügen zu verbannen suchte, indem er die Augen beständig zu Boden schlug, während er mit dem verstohlenen, leisen Tritt einer Katze mehr durch das Zimmer hinschlich als ging.

Nachdem er auf ein paar Augenblicke angelegentlich mit dem Grafen Dunois gesprochen hatte, verließ dieser sogleich das Zimmer, und der Barbier schlich wieder in das königliche Gemach zurück, während er Ludwig Lesley ein Wörtchen ins Ohr flüsterte, daß seine Angelegenheit günstig beigelegt wäre.

Gleich nachher erhielt er die Bestätigung dieser angenehmen Nachricht; denn Tristan l'Hermite, Generalprofoß der königlichen Hofhaltung, trat ein und ging gerade auf Balafré zu. Der reiche Anzug dieses furchtbaren Beamten hatte bloß die Wirkung, das Finstere, Unheilweissagende seines Gesichtes, sowie das Unangenehme seiner Miene noch mehr herauszuheben; auch war der Ton seiner Stimme, in die er etwas Versöhnliches zu legen meinte, ungefähr so, wie das Brummen eines Bären. Der Inhalt der Worte war jedoch freundlicher als die Stimme, mit der sie gesprochen wurden. Er bedauerte nämlich, daß das erwähnte Mißverständnis am vorigen Tage zwischen ihnen stattgefunden, und bemerkte, daß es einzig daher käme, daß Herrn Balafrés Neffe nicht die Uniform des Korps getragen, noch sich als demselben zugehörig angekündigt habe, was allein die Ursache des Irrtums gewesen sei, wegen dessen er um Verzeihung bitte ... Ludwig Lesley gab hierauf den gebührenden Bescheid, und sobald Tristan den Rücken gewandt hatte, machte er seinem Neffen bemerklich, daß sie von nun an die Ehre genössen, in der Person dieses furchtbaren Beamten einen Todfeind zu haben. – »Aber ein Soldat,« setzte er hinzu, – »der seine Pflicht tut, lacht über den Generalprofoß.«

Quentin konnte nicht umhin, seines Oheims Meinung zu teilen, denn als Tristan l'Hermite den Rücken wandte, tat er es mit dem grimmigen Blick eines verwundeten Bären. In der Tat sprach aus seinem tückischen Auge, auch wenn er minder aufgeregt war, eine Bosheit, die jeden, der seinem Blicke begegnete, schaudern machte, und das Gefühl des Abscheus war bei dem jungen Schotten um so tiefer, als er immer noch an seinen Schultern den Griff der todbringenden Helfershelfer dieses gräßlichen Beamten zu fühlen glaubte. Die Flügeltüren öffneten sich alsbald, und König Ludwig trat in das Audienzzimmer.

Gleich allen andern richtete Quentin seine Augen auf ihn und schrak so plötzlich zurück, daß ihm fast seine Waffe entfallen würde, als er in dem König von Frankreich jenen Seidenhändler, Meister Peter, erkannte, der ihn auf seiner Morgenwanderung begleitete hatte. Sonderbare Ahnungen über den wahren Stand dieses Mannes hatten sich ihm mehrmals aufgedrungen, allein die Wirklichkeit übertraf seine kühnsten Vermutungen.

Der strenge Blick seines Oheims, der sich über diesen Verstoß gegen das, was der Anstand des Dienstes erforderte, höchlich ärgerte, brachte ihn bald wieder zur Besinnung, aber wie erstaunte er, als der König, dessen geübter Blick ihn sogleich herausgefunden, gerade auf ihn zukam, ohne sonst von irgend jemand Kenntnis zu nehmen. – »Ich habe gehört, junger Mann,« sagte er, »daß Ihr gleich bei Eurem Eintritt in die Touraine Händel angefangen, aber ich verzeihe Euch, da es doch hauptsächlich die Schuld des alten Kaufmanns war, der törichterweise dachte, Euer kaledonisches Blut müßte schon früh des Morgens durch Beaune-Wein erwärmt werden. Wenn ich ihn auffinden werde, so will ich an ihm ein Exempel statuieren, daß er meine Garden zu Ausschweifungen verleitet. – »Balafré,« fuhr er dann fort, »Euer Neffe ist ein feuriger, aber wackrer Junge. Wir mögen Leute von solcher Gemütsart wohl leiden, und gedenken, die tapferen Männer, welche uns umgeben, höher zu heben, als wir es jemals taten. Laßt Jahr, Tag und Stunde seiner Geburt aufzeichnen und es Oliver Dain zustellen.«

Balalfré verbeugte sich tief und nahm dann seine aufrechte, kriegerische Haltung wieder ein, wie jemand, der durch sein Benehmen seine Bereitwilligkeit zeigen will, zum Kampf für seinen König oder dessen Verteidigung das Schwert zu führen. Quentin, der sich unterdessen von seinem Erstaunen erholt hatte, bemühte sich jetzt, das Aeußere des Königs genauer zu studieren, und fand mit Verwunderung, wie ganz verschieden der Eindruck war, den die äußere Erscheinung des Königs auf ihn machte, als er ihn zum erstenmale gesehen hatte. In seiner Kleidung bemerkte er keine große Veränderung, denn Ludwig, immer ein Verächter des äußeren Prunkes, trug auch bei dieser Gelegenheit ein altes dunkelblaues Jagdkleid, das nicht viel besser war, als die Bürgerkleidung am vorigen Tage, und einen großen Rosenkranz von Ebenholz. Statt der Mütze mit einem einzigen Bilde trug er jetzt einen Hut, dessen Rand mit wenigstens einem Dutzend kleiner bleierner Heiligenbilder umgeben war.

Aber diese Augen, die nach Quentins Eindruck nur Gewinnsucht hatten erblicken lassen, bekamen jetzt, da sie einem talentvollen, mächtigen Fürsten angehörten, einen durchdringenden, scharfen Blick; und die Runzeln auf der Stirn, die, wie er geglaubt hatte, die Wirkung eines unter kleinlichen Handelsplänen zugebrachten Daseins waren, schienen jetzt Furchen, welche langes, scharfsinniges Nachdenken über das Schicksal von Nationen gebildet hatte.

Unmittelbar nach der Erscheinung des Königs traten die Prinzessinnen von Frankreich nebst den Damen ihres Gefolges ins Zimmer. Die älteste war schlank, ziemlich hübsch, besaß Beredsamkeit und Talente und viel von ihres Vaters Scharfsinn, der auch viel Vertrauen in sie setzte, und sie vielleicht in solchem Grade liebte, wie er nur irgend jemand lieben konnte.

Die jüngere Schwester, die unglückliche Johanna, verlobt an den Herzog von Orleans, ging schüchtern an der Seite ihrer Schwester einher. Sie war blaß, mager und von kränklichem Aussehen; ihre Taille neigte sich sichtbar nach einer Seite hin, und ihr Gang war so schwankend, daß sie für lahm gelten konnte. Schöne Zähne und schöne Augen voll melancholischen Ausdrucks, Sanftmut und Entsagung, nebst einer Fülle lichtbrauner Locken waren das einzige, was sogar Schmeichelei gegen die gänzliche Häßlichkeit ihrer Figur in die Wagschale legen konnte. Der König, der sie nicht liebte, schritt, als sie eintrat, hastig auf sie zu. – »Nun, was ist das, Tochter,« sprach er, »bist Du immer noch die Weltverächterin? – Hast Du Dich heute zur Jagd oder zur Messe gekleidet? Sprich, antworte!« – »Zu allem, was Eure Hoheit befiehlt, Sire,« antwortete die Prinzessin mit kaum hörbarer Stimme. – »Ja, ohne Zweifel willst Du mich glauben machen, es sei Dein Begehr und Wunsch, den Hof zu verlassen, und der Welt, samt ihren Eitelkeiten, ein Lebewohl zu sagen. – Ha! Mädchen, denkst Du denn, daß wir, der erstgeborene Sohn der heiligen Kirche unsere Tochter dem Himmel vorenthalten wollen, wenn sie des Altars würdig wäre? – Nein, liebe Tochter,« fuhr er fort, »ich und ein anderer kennen Eure wahren Gesinnungen besser. – Nicht wahr, mein schöner Vetter von Orleans? Nähert Euch und führet diese unsere Jungfrau zu ihrem Pferde!«

Orleans erschrak bei den Worten des Königs und eilte ihm zu gehorchen, aber mit solcher Hast und Verwirrung, daß Ludwig ausrief: »Nun, Vetter, mäßigt Eure Galanterie und seht Euch vor! – Was doch Liebende oft für Streiche machen? – Beinahe hättet Ihr Annens Hand statt der ihrer Schwester ergriffen. – Muß ich selbst Johannas Hand Euch reichen?« Der unglückliche Prinz blickte auf und schauderte wie ein Kind zusammen, das etwas zu berühren gezwungen wird, vor dem es einen natürlichen Abscheu hat; dann aber sich ermannend, faßte er die Hand der Prinzessin, welche ihm dieselbe weder gab noch vorenthielt. Wie sie so dastanden, ihre kalten, feuchten Finger in seiner zitternden Hand, beide mit zur Erde gesenktem Blicke, wäre es schwer gewesen, zu bestimmen, welches von diesen beiden jugendlichen Wesen grenzenloser unglücklich sei – der Herzog, der sich an den Gegenstand seiner Abneigung durch die Bande gefesselt fand, die er nicht zu zerreißen wagte, oder das unglückliche Mädchen, das nur zu deutlich sah, wie sie dem ein Gegenstand des Abscheus war, dessen Zärtlichkeit sie mit ihrem Leben erkauft hätte.

»Und nun zu Pferde, meine Damen und Herren! – Wir selber wollen unsere Tochter Beaujeu führen,« sprach der König, »und Gottes und des heiligen Hubertus' Segen auf die heutige Jagd!« – »Ich fürchte,« sprach Graf Dunois, »Sie unterbrechen zu müssen. – Der Gesandte von Burgund steht vor den Toren des Schlosses und verlangt eine Audienz!« – »Verlangt eine Audienz?! – Dunois,« versetzte der König, »habt Ihr ihm denn nicht, wie wir Euch durch Oliver wissen ließen, geantwortet, daß wir keine Zeit hätten, ihn heute zu sehen, daß morgen das Fest des heiligen Martin wäre, wo wir, so Gott will, unsere Andacht nicht durch irdische Gedanken stören lassen wollen, und daß wir tags darauf nach Amboise reisen, daß wir aber nicht ermangeln werden, ihm nach unserer Rückkehr, sobald es unsere dringenden Geschäfte gestatten, eine Audienz zu bewilligen?« – »Dies alles sagte ich,« antwortete Dunois, »aber dennoch, Sire.« – »Pasquedieu! Mann, was ist's, das Dir so im Schlunde steckt?« sagte der König, »die burgundischen Redensarten müssen recht schwer zu verdauen sein!« – Dann fuhr er fort: »Ich kehre mich an seine polternden Gesandtschaften nicht mehr denn die Türme dieses Schlosses sich an das Pfeifen des Nordostwindes kehren, der von Flandern kommt, gleich diesem Prahlhanse von einem Gesandten!« – »So wißt denn, Sire,« versetzte Dunois, »daß Graf Crevecoeur mit seinem Gefolge von Herolden und Trompetern unten hält und erklärt, da Euer Majestät über die dringendsten Angelegenheiten eine Audienz verweigere, die er nach den Befehlen seines Herrn verlangen soll, so wolle er hier bis Mitternacht warten und Ew. Majestät anreden, zu welcher Stunde es Euch gefallen möge, sich aus dem Schlosse, sei es zu Geschäften, zum Vergnügen oder Gottesdienst, zu verfügen; keine Rücksicht als offene Gewalt, werde ihn von diesem Entschlusse abbringen.« – »Er ist ein Tor,« sprach der König mit großer Ruhe; »glaubt denn der hitzige Hennegauer, es sei für einen Mann von Verstand ein Büßung, vierundzwanzig Stunden in seinen Mauern zu bleiben, wenn die Angelegenheiten seines Reiches ihn beschäftigen? Diese ungeduldigen Narren denken, alle Leute müssen sich gleich ihnen unglücklich fühlen, wenn sie nicht im Sattel und Steigbügel sitzen. Laßt die Hunde wieder loskoppeln und wohl versorgen, edler Dunois. – Wir wollen heute Rat halten, statt zu jagen.« – »Mein Gebieter,« antwortete Dunois, »auf diese Weise werdet Ihr Euch Crevecoeurs nicht entledigen; denn seines Herrn Befehle gehen dahin, wofern Ihr ihm die verlangte Audienz nicht bewilliget, seinen Handschuh an die Pallisaden vor dem Schlosse zum Zeichen der Herausforderung auf Leben und Tod von seiten seines Herrn anzunageln, des Herzogs Lehnstreue gegen Frankreich aufzukündigen und den Krieg sogleich zu erklären.« – »So!« sprach Ludwig, ohne eine merkliche Veränderung der Stimme, runzelte aber die Stirn dergestalt, daß seine durchdringenden schwarzen Augen unter den buschigen Brauen beinahe unsichtbar wurden, »steht es so? spricht unser alter Vasall in solchem Tone mit uns, behandelt uns unser lieber Vetter so unfreundlich? – Nun denn, Dunois, so lassen wir die Oriflamme wehen und rufen: Denis Montjoye!« – »Amen!« sprach der kriegerische Dunois, »und in der unglücklichsten Stunde.«

Die Garden in der Halle, unvermögend, demselben Drange zu widerstehen, rührten sich gleichfalls auf ihrem Posten, so daß ein dumpfer, aber vernehmbarer Waffenklang entstand. Stolz warf der König den Blick umher, und auf einen Moment glich er seinem heldenmütigen Vater. Allein diese augenblickliche Aufwallung wich bald politischen Bedenklichkeiten, die unter den gegebenen Umständen einen offenen Bruch mit Burgund äußerst gefährlich machten. Eduard VI., ein tapferer und siegreicher König, der persönlich dreißig Schlachten geschlagen, hatte jetzt den Thron von England bestiegen, war ein Bruder der Herzogin von Burgund und wartete, wie es sich leicht denken läßt, nur auf einen Bruch zwischen seinem nahen Verwandten und Ludwig, um jene Waffen, die in den Bürgerkriegen obgesiegt hatten, auf den Grund von Frankreich durch das immer offene Tor von Calais zu tragen. Zu dieser Bedenklichkeit kamen noch die ungewisse Treue des Herzogs von Bretagne und mancherlei andere wichtige Gründe. Als daher Ludwig nach einer tiefen Pause wieder das Wort nahm, sprach er zwar noch in demselben Tone, aber in verändertem Sinne:

»Behüte der Himmel, daß etwas anderes, als nur die äußerste Not uns, den allerchristlichsten König, vermöchte, Christenblut zu vergießen, wenn noch etwas, außer Unehre, diese Trübsal abwenden kann. Das Glück und die Wohlfahrt unserer Untertanen schlagen wir höher an als die Beleidigung, die unserer eigenen Würde durch die Roheit eines ungeschliffenen Gesandten widerfahren mag, der vielleicht die Vollmacht, die er bekommen, überschritten hat. Man lasse daher den Gesandten von Burgund vor uns erscheinen.«

Gleich darauf verkündete das Schmettern der Trompeten auf dem Hofraume die Ankunft des burgundischen Grafen. Alle, die sich im Audienzgemache befanden, traten schnell nach ihrem Range in Ordnung, während der König und seine Töchter in der Mitte der Versammlung blieben. Graf Crevecoeur, ein berühmter und unerschrockener Kriegsmann, trat nun in den Saal und erschien gegen den Gebrauch bei Gesandten befreundeter Mächte, das Haupt ausgenommen, völlig bewaffnet, in einer glänzenden Rüstung von trefflicher mailändischer Arbeit in Stahl mit Gold ausgelegt, und nach dem damaligen phantastischen Geschmacke der Arabeske verziert. Um seinen Nacken und über den spiegelblanken Harnisch herab hing seines Herrn Orden vom goldenen Vließe, einem der ehrenvollsten Ritterorden, die man damals in der Christenheit kannte. Ein schöner Page trug ihm den Helm nach, vor ihm her schritt ein Herold mit dem Beglaubigungsschreiben, das er, auf ein Knie sich niederlassend, dem König überreichte, während der Abgesandte in der Mitte des Saales stehen blieb, als ob er allen Zeit geben wollte, seinen stolzen Blick, seine ehrfurchtgebietende Gestalt, sowie die kühne Haltung seines ganzen Wesens zu bewundern. Sein übriges Gefolge wartete im Vorgemach oder auf dem Hofraume.

»Tretet näher, Graf Crevecoeur,« sprach Ludwig, nachdem er einen flüchtigen Blick auf seine Vollmacht geworfen hatte, »es bedurfte dieses Schreibens unsers Vetters nicht, einen so wohlbekannten Krieger einzuführen, noch uns des wohlverdienten hohen Vertrauens zu versichern, worin Ihr bei Eurem Herrn steht. Wir leben der Hoffnung, daß Eure schöne Gemahlin, in deren Adern auch Blut von unsern Ahnherren fließt, bei guter Gesundheit ist. Hättet Ihr sie hierher gebracht, Herr Graf, so hätten wir gedacht, Ihr trüget Eure Rüstung bei dieser ungewohnten Gelegenheit, um die Überlegenheit ihrer Reize gegen die verliebte Ritterschaft Frankreichs zu behaupten. So aber vermögen wir nicht zu erraten, aus welchem Grunde Ihr in diesem vollständigen Waffenschmucke vor Uns erscheinen möget.« – »Sire,« erwiderte der Gesandte, »Graf Crevecoeur muß sein Mißgeschick bedauern und um Vergebung bitten, daß er bei dieser Gelegenheit die königliche Artigkeit, womit Eure Majestät ihn beehrt hat, nicht mit der gebührenden demütigen Unterwürfigkeit verehren kann. Allein obgleich es bloß die Stimme Philipp Crevecoeurs von Cordes ist, die da spricht, so müssen doch die Worte, die er vorbringt, die seines gnädigsten Herrn und Souveräns sein.« – »Und was hat Crevecoeur zu sagen in den Worten Burgunds?« sprach Ludwig, indem er den Ausdruck königlicher Würde annahm. »Doch halt! erinnert Euch, daß in diesem Augenblick Graf Crevecoeur zu dem spricht, den er seines Herrn Souverän nennen muß.« – »König von Frankreich, der mächtige Herzog von Burgund sendet Euch nochmals eine geschriebene Nachweisung der Unbilden und Bedrückungen, die Euer Majestät Besatzungen und Beamte an seinen Grenzen sich zuschulden kommen ließen, und der erste Punkt seiner Anfrage ist, ob es der Wille Euer Majestät ist, ihm für diese Beeinträchtigungen Genugtuung zu geben?«

Der König warf einen flüchtigen Blick auf die Denkschrift, die ihm der Herold kniend überreichte, und sprach: »Diese Angelegenheiten sind schon lange von unserm geheimen Rate eingesehen worden. Was die Beeinträchtigungen betrifft, über die man Klage führt, so sind einige nur Widervergeltung derjenigen, die meine Untertanen erlitten haben, andere wieder durch des Herzogs Besatzungen und Soldaten erwidert worden. Sollten aber noch einige übrig sein, die nicht zu den genannten zu rechnen wären, so sind Wir als christlicher Fürst nicht abgeneigt, Genugtuung für Unrecht zu geben, das Unsere Nachbarn erlitten haben, obgleich es nicht allein ohne Unser Zutun, sondern sogar gegen Unsern ausdrücklichen Befehl verübt worden ist.« – »Ich werde Eurer Majestät Antwort,« erwiderte der Gesandte, »meinem gnädigsten Gebieter überbringen; erlaubt mir jedoch zu bemerken, daß sie in keiner Hinsicht von den früheren ausweichenden Antworten verschieden ist, die ihm bereits auf seine gerechten Beschwerden zugekommen sind, und daß ich darum nicht hoffen kann, sie werde dazu beitragen, Frieden und Freundschaft zwischen Frankreich und Burgund wiederherzustellen.« – »Sei dem, wie ihm wolle,« erwiderte der König. »Nicht aus Furcht vor den Waffen Eures Gebieters, sondern einzig um des Friedens willen gebe ich eine so gemäßigte Antwort auf seine beleidigenden Vorwürfe. Doch fahret fort mit Eurem Auftrage.« – »Meines Gebieters nächste Forderung,« fuhr der Gesandte fort, »geht dahin, daß Eure Majestät aufhöre, geheime Einverständnisse mit seinen Städten Gent, Lüttich und Mecheln zu unterhalten. Er verlangt, daß Eure Majestät die geheimen Unterhändler zurückberufe, die unter seinen guten Bürgern von Flandern Unzufriedenheit anfachen, und daß die verräterischen Flüchtlinge, die nach ihrer Flucht von dem Schauplatze ihrer Umtriebe nur zu willige Aufnahme in Paris, Orleans, Tours und andern französischen Städten gefunden haben, aus Euern Landen ausgewiesen oder vielmehr ihrem Lehnsherrn zur wohlverdienten Bestrafung überantwortet werden.«

»Sagt dem Herzog von Burgund,« versetzte der König, »daß ich von solchen geheimen Umtrieben, deren er mich beschuldigt, nichts wisse; daß meine französischen Untertanen mit den guten Städten Flanders nur in Handelsverkehr stehen, dessen Unterbrechung sowohl seinem als meinem Interesse zuwiderliefe; daß ferner viele Flamänder in meinem Königreiche wohnen und den Schutz meiner Gesetze genießen, keine aber, soviel mir bekannt sei, um Verrat oder Meuterei gegen den Herzog von Burgund anzuzetteln. Fahret fort mit Eurer Botschaft! Meine Antwort auf das Bisherige habt Ihr vernommen.«

»Mit Bedauern, wie zuvor, Sire,« erwiderte Graf Crevecoeur, »denn sie ist nicht so bestimmt und ausführlich, wie sie mein Herr, der Herzog, als Genugtuung für eine lange Reihe von Machinationen, die um nichts weniger gewiß sind, ob sie gleich Eure Majestät in Abrede zu stellen belieben, zu erhalten gewünscht hätte. Aber ich fahre fort mit meiner Botschaft. – Der Herzog verlangt demnächst von dem Könige von Frankreich, daß er ohne Verzug und unter sicherm Geleit in seine Lande zurücksende die Gräfin Isabelle von Croye, nebst ihrer Verwandten und Beschützerin, der Gräfin Hameline von derselben Familie, in Anbetracht, daß besagte Gräfin Isabelle zufolge der Gesetze des Landes und des Lehnsverbandes ihrer Güter Mündel des besagten Herzogs von Burgund, aus seinen Landen entwichen ist und sich dessen Obhut, die er als sorgsamer Fürst ihr angedeihen lassen wollte, entzogen hat, jetzt aber insgeheim hier von dem Könige von Frankreich zurückgehalten und in ihrer Widerspenstigkeit gegen den Herzog, ihren natürlichen Herrn und Vormund, allen göttlichen und menschlichen Rechten zuwider, die in dem ganzen zivilisierten Europa anerkannt sind, bestärkt wird ... Ich erwarte auch hierauf die Antwort Euer Majestät.«

»Ihr habt wohlgetan, Graf Crevecoeur,« entgegnete der König zornig, »Eure Botschaft bei guter Tageszeit zu beginnen, denn wenn Ihr die Absicht habt, mich für jeden Vasallen, den Eures Herrn heftige Leidenschaft aus seinen Landen vertrieb, zur Rechenschaft zu ziehen, so wird die Litanei vor Sonnenuntergang nicht zu Ende sein. Wer kann behaupten, daß die beiden Damen sich in meinem Gebiete befinden? wer will behaupten, daß ich, wenn dem so wäre, ihnen zur Flucht behilflich war oder sie unter Zusicherung meines Schutzes aufgenommen habe?« – »Sire,« versetzte Crevecoeur, »Eure Majestät halten zu Gnaden, ich hatte für diese Tatsache einen Zeugen, der die flüchtigen Damen in dem Gasthause zur Lilie sah, der Eure Majestät in ihrer Gesellschaft, obgleich unter der ungeziemenden Verkleidung eines Bürgers von Tours getroffen hat, einen Zeugen, der von ihnen in Eurer königlichen Gegenwart Aufträge und Briefe an ihre Freunde in Flandern empfing, die er alle dem Herzog von Burgund unter eingehendem mündlichem Bericht in die Hände lieferte.« – »Bringt den Zeugen her,« sagte der König, »stellt ihn mir gegenüber, den Mann, der solche handgreiflichen Unwahrheiten zu behaupten wagt.« – »Ihr sprecht so triumphierend, Sire, denn wohl wißt Ihr, daß dieser Zeuge nicht mehr lebt. Man nannte ihn, als er noch lebte, Zamet Magraubin; er war von Geburt Zigeuner. Wie ich in Erfahrung gebracht habe, ist er gestern von den Leuten des Generalprofoßen Eurer Majestät hingerichtet worden, wahrscheinlich um zu verhindern, daß er hier auftrete, um das zu bestätigen, was er über diesen Gegenstand dem Herzog von Burgund angesichts seines geheimen Rates und meiner Wenigkeit ausgesagt hat.« – »Nun, bei Unserer lieben Frau von Embrun!« entgegnete der König, »diese Anschuldigungen sind abgeschmackt, und mein Gewissen ist so frei von allem, was mit solcher Tatsache in Verbindung stehen kann, daß ich, bei meiner königlichen Ehre, darüber eher lachen als zürnen muß. Meine Polizeiwache bringt pflichtmäßig alle Diebe und Landstreicher vom Leben zum Tode; und was immer diese Diebe und Landstreicher Unserm heißblütigen Vetter von Burgund und seinem weisen Rate hinterbracht haben mögen, es ist Verleumdung meiner Krone. Ich bitte Euch, meinem lieben Vetter zu sagen, daß er am besten täte, wenn er solche Gesellschaft liebe, sie doch lieber in seinem Lande zu behalten, denn hier wird ihnen doch nur, wenn man sie trifft, eine kurze Beichte und ein festes Stück Hanfstrick bewilligt.« – »Mein Herr bedarf keiner solchen Untertanen, Herr König,« erwiderte der Graf in einem minder ehrfurchtsvollen Tone, als dem, in welchem er bisher gesprochen hatte, »denn der edle Herzog pflegt nicht Hexen, herumstreichende Zigeuner und derlei Volk über das künftige Schicksal und die Bestimmung seiner Nachbarn und Verbündeten zu befragen.«

»Wir haben bis jetzt Geduld genug, ja nur zuviel gehabt,« unterbrach ihn der König, »und werden, da der Zweck Deiner Sendung nur der gewesen zu sein scheint, Uns zu beleidigen, jemand in Unserm Namen an den Herzog von Burgund senden – überzeugt, daß Du in Deinem Benehmen gegen Uns die Grenzen Deines Auftrages überschritten hast.«

»Im Gegenteil,« sprach Crevecoeur, »ich habe mich meines Auftrages noch nicht vollständig entledigt. Höret denn, Ludwig von Balois, König von Frankreich, hört mich, Ihr Edle und Herren, die Ihr etwa zugegen seid, höret mich, all Ihr guten und getreuen Leute – und Du, Toison D'Or« (hier wandte er sich an den Herold) »verkündige mir nach! ich, Philipp Crevecoeur von Cordes, Reichsgraf und Ritter des ehrenfesten und fürstlichen Ordens vom Goldenen Vließe, im Namen des sehr mächtigen Herrn und Fürsten, Karls von Gottes Gnaden, Herzogs von Burgund und Lothringen, von Brabant und Limburg, von Luxemburg und Geldern, Grafen von Flandern und Artois, Pfalzgrafen von Hennegau, Holland, Seeland, Namur und Zütphen, Markgrafen des heiligen römischen Reiches, Herrn von Friesland, Salins und Mecheln, tue Euch, König Ludwig von Frankreich, hiermit öffentlich kund und zu wissen, daß Er sich, da Ihr Euch geweigert habt, den mancherlei Beschwerden und Unbilden und Beeinträchtigungen, die durch Euch oder durch Euer Anstiften Ihm und seinen lieben Untertanen zugefügt worden sind, sich durch meinen Mund von aller Lehnsverbindlichkeit und Treue gegen Eure Krone und Würde lossagt, Euch für falsch und treulos erklärt und Euch als Fürsten und Mann in die Schranken fordert. Hier liegt mein Handschuh zum Zeugnis dessen, was ich gesprochen.«

Mit diesen Worten zog er den Handschuh von seiner Rechten und warf ihn auf den Boden des Saales hin. Bis zu diesem höchsten Grade von Verwegenheit hatte in dem königlichen Gemache während dieser außerordentlichen Szene das tiefste Schweigen geherrscht; allein der Schall des niedergeworfenen Handschuhs, begleitet von dem Ausrufe des burgundischen Herolds: »Es lebe Burgund!« wurde kaum vernommen, so erhob sich unter den Anwesenden ein allgemeiner Aufruhr. Während Dunois, Orleans, der alte Lord Crawford und einige andre, die ihr Rang zu einer Einmischung berechtigte, sich darum stritten, wer den Handschuh aufheben dürfe, schrien die andern im Saale: »Nieder mit ihm! haut ihn in Stücke! kommt er her, den König von Frankreich in seinem eignen Palaste zu beschimpfen?«

Der König besänftigte den Aufruhr, indem er mit donnernder Stimme rief: »Ruhe, Ruhe, meine Getreuen! lege keiner Hand an diesen Mann, noch berühre er diesen Handschuh ... Und Ihr, Herr Graf, woraus besteht denn Euer Leben, daß Ihr es auf einen so gefährlichen Wurf setzt? oder ist Euer Herzog aus einem andern Metall, als die übrigen Fürsten, daß er seine vermeintlichen Ansprüche auf solch ungewöhnliche Weise geltend macht?«

»Allerdings ist er von andrem, edlerm Metall, denn alle übrigen Fürsten Europas,« sprach der unerschrockene Graf; »denn da kein anderer es wagte, Euch – Euch, König Ludwig, Schutz zu geben – als Ihr aus Frankreich verbannt waret, verfolgt von dem Grimme väterlicher Rache, und all der Macht des Reiches, da war Er es, der Euch wie einen Bruder aufnahm und beschützte, und Ihm habt Ihr seinen Edelmut so schlecht vergolten! – Lebt wohl, Sire, mein Auftrag ist ausgerichtet.« Mit diesen Worten verließ Graf Crevecoeur plötzlich den Saal. »Ihm nach – ihm nach – hebt den Handschuh auf und ihm nach!« rief der König. »Ich meine Euch nicht, Dunois, auch nicht Euch, Mylord Crawford; Ihr dünkt mir für einen solchen Strauß zu alt; noch Euch, Vetter Orleans; Ihr seid zu jung dazu ... Herr Kardinal, Herr Bischof von Auxerre – Euer heilig Amt ist es, Frieden zu stiften unter Fürsten; hebt Ihr den Handschuh auf und stellt Graf Crevecoeur die Sünde vor, die er begangen hat, indem er einen großen Fürsten an seinem eignen Hofe also höhnte und ihn zwang, die Drangsale des Krieges über sein und seines Nachbars Land zu bringen.«

Auf diese persönliche Aufforderung trat Kardinal Balue vor, den Handschuh aufzuheben; doch tat er es mit solcher Behutsamkeit, als müßte er eine Natter berühren, so groß war sein Abscheu vor diesem Sinnbilde des Krieges – und augenblicklich verließ er das königliche Gemach, dem Herausforderer nachzueilen.

Ludwig schwieg und blickte rund in dem Kreise seiner Hofleute umher, von denen die meisten, außer denen, die wir bereits bezeichnet haben, Leute von niederm Stande, und zu dem hohen Range an des Königs Hofe durch andre Eigenschaften als durch Mut und Waffentaten erhoben waren. Diese sahen einander bloß an, indem sie sichtbar einen höchst unerfreulichen Eindruck von dem Auftritte, der soeben vorgefallen, erhalten hatten. Ludwig blickte sie mit Verachtung an und sagte dann mit lauter Stimme: »Obgleich der Graf ein anmaßender, übermütiger Herr ist, so muß ich doch gestehen, daß der Herzog an ihm einen so kühnen Diener hat, wie nur je einer eine Botschaft für einen Fürsten übernahm. Ich möchte gern wissen, wo ich einen Gesandten finden könnte, der ihm ebenso treu meine Antwort überbrächte.« – »Sire, Ihr tut den Edeln Eures Reiches unrecht,« nahm Dunois das Wort, »nicht einer von Ihnen bedächte sich, auf seines Schwertes Spitze dem Burgunder eine Herausforderung zu überbringen.« – »Sire,« bemerkte der alte Crawford, »auch den schottischen Adeligen, die Euch dienen, tretet Ihr zu nahe. Ich und jeder meiner Untergebenen von erforderlichem Range nähme nicht einen Augenblick Anstand, den stolzen Grafen zur Rechenschaft zu ziehen; mein eigner Arm ist hierzu noch stark genug, wenn mir Eure Majestät die Erlaubnis hierzu geben wollen.« – »Aber Eure Majestät,« nahm wieder Dunois das Wort, »wollen nun einmal uns zu keinem Dienste verwenden, wo wir uns selbst Ihrer Majestät und Frankreichs Ehre gewinnen könnten.« – »Sagt lieber,« versetzte der König, »daß ich der ungestümen Leidenschaft nicht Raum gebe, auf eine eitle Ehrengrille hin, Euch, den Thron und Frankreich aufs Spiel zu setzen. Keiner unter Euch ist, der nicht recht gut wüßte, wie kostbar jede Stunde Freuden für Frankreich ist, wie not es tut, die Wunden des zerrütteten Reiches zu heilen; und doch ist jeder von Euch augenblicklich bereit, auf die Erzählung eines wandernden Zigeuners hin oder zugunsten eines irrenden Dämchens, deren Ehre vielleicht es kaum verlohnt, sich in einen Krieg zu stürzen. – Doch hier kommt der Kardinal und, wie Wir hoffen, mit friedlicheren Nachrichten. – Nun, habt Ihr den Grafen zur Vernunft und Mäßigung gebracht?« – »Sire,« antwortete Balue, »mein Geschäft hat viel Schwierigkeiten gehabt. Ich stellte dem stolzen Grafen vor, daß der anmaßende Vorwurf, mit dem er seine Botschaft abgebrochen, von Eurer Majestät so angesehen werden müsse, als komme er nicht von seinem Herrn, sondern von seiner eignen unziemlichen Art sich zu benehmen, her, und daß er dadurch der Willkür Eurer Majestät zu beliebiger Bestrafung verfallen sei.« – »Da habt Ihr gut gesprochen,« erwiderte der König; »und wie lautete seine Antwort? Vermochtet Ihr ihn, nach zu bleiben?«

»Noch vierundzwanzig Stunden, und mittlerweile den Fehdehandschuh wieder an sich zu nehmen,« antwortete der Kardinal; »er ist im Gasthofe zur Lilie abgestiegen.« – »Sorget dafür, daß er auf unsere Kosten anständig bedient und bewirtet werde,« befahl der König, »denn solcher Diener ist ein Juwel in eines Fürsten Krone ... Vierundzwanzig Stunden?« fuhr er fort, vor sich hinmurmelnd, indem er die Augen dabei so weit öffnete, als wollte er in die Zukunft schauen; »eine kurze Frist! doch zweckmäßig und mit Geschick verwendet, mögen sie ein Jahr in den Händen eines trägen und unbeholfenen Unterhändlers aufwiegen ... Gut! ... Jetzt hinaus in den Wald! in den Wald!« rief er; »die Eberspieße zur Hand! Euren Speer, Dunois! nehmt meinen, denn er ist zu schwer für mich ... Zu Roß, zu Roß, meine Herren!«

Und die Jagdgesellschaft ritt davon.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Quentin Durward. Zwei Bände