Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung. Band 3. 28. Sitzung, Frankfurt, den 12. May 1817

§. 236. Seeräubereien der Barbaresken.
, Erscheinungsjahr: 1817
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Barbaresken, Piraten, Seeräuber, Freie Hansestädte, Sklavenhandel, Menschenraub
Präsidium. Der Herr Gesandte der freien Städte habe den Wunsch zu erkennen gegeben, einen Antrag wegen der Seeräubereien der Barbaresken zu machen, wozu man nun ebenfalls das Protokoll eröffne.

Freie Städte, Lübeck, Bremen, Frankfurt und Hamburg. Der Gesandte der freien Städte hat von den Senaten der freien Hansestädte den Auftrag, erhalten, einer hohen Bundesversammlung folgendes vorzulegen:

Die Senate der freien Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg fühlen sich verpflichtet, die Aufmerksamkeit der hohen Bundesversammlung auf einen Gegenstand zuleiten, der nicht nur unmittelbar für diese Städte, so wie für alle deutsche Staaten, welche Seehandlung treiben, sondern auch für den ganzen deutschen Bund von der größten Wichtigkeit ist.

Es ist schon aus öffentlichen Blättern bekannt, dass unerhörter Weise von Tunesischen Kapern in der Nordsee und selbst im Kanal Seeräuberei getrieben worden ist. Auch geht aus mehreren offiziellen Berichten der hanseatischen Geschäftsträger und Konsuln in Madrid und Lissabon hervor, dass zufolge der ihnen durch den Königlich Niederländischen Minister am elfteren, und durch den Königlich Französischen General-Konsul am letzteren Hofe gemachten förmlichen Mitteilungen, mehrere bewaffnete Barbaresken - Fahrzeuge, worunter besonders zwei Tuneser, in das atlantische Meer gegangen seien, um gegen hanseatische und andere deutsche, namentlich auch preussische Schiffe zu kreuzen, und diese Absicht unter der Äußerung, dass sie mit diesen Staaten im Kriegszustande befindlich seien, ausdrücklich erklärt haben.

Am 16. des vorigen Monats ward das hamburgische Schiff „Ocean“ mit einer Ladung von großem Werte, und das von Lübeck abgesegelte Schiff „Christina“, und späterhin noch ein hamburgisches und ein oldenburgisches Schiff, beide „Catharina genannt“, von ihnen genommen. Glücklicherweise haben Königlich Großbritannische Kriegsschiffe die Seeräuber nebst den genommenen Schiffen nach England aufgebracht, wo letzteren vorläufig erlaubt worden ist, ihre Reise fortzusetzen; indes ist der Kapitän des Schiffes „Ocean“, mit fünf Mann von seiner Equipage, die an Bord eines andern Raubschiffes gebracht waren, in den Händen der Tuneser geblieben, und so viel man weiß, wird das atlantische Meer und die Nordsee noch jetzt durch einen Tunesischen Kaper unsicher gemacht. Zwar, ist es mit Dank zu erkennen, dass England durch die Tat erklärt hat, dass es solchen Frevel wenigstens in den in seiner Nähe liegenden Gegenden des Meeres nicht zu gestatten Willens ist, und man darf sich auch der Hoffnung überlassen, dass sämtliche an der See liegende europäische Mächte, an welche der hamburgische Senat sich durch ihre in Hamburg residierenden Gesandten sofort gewandt hat, für die für ganz Europa wichtige Wiederherstellung der Sicherheit der Meere lebhaft mitwirken werden; allein die Senate der freien Hansestädte halten es eben so sehr für ihre Pflicht, als es ihnen angemessen scheint, den hohen deutschen Bund und die Mitglieder desselben dringend aufzufordern, zu dauernder Abstellung dieser beispiellosen, alle Handlung störenden Frevel kräftig mitzuwirken.

Gewiss war selbst in der Beschränkung, worin die Barbaresken mit ihren Seeräubereien bis jetzt gehalten worden sind, ihre Existenz schon ein öffentliches Unglück für ganz Europa; und die dadurch erzwungene Ausschließung derjenigen deutschen, Seefahrt treibenden Staaten aus dem mittelländischen Meere, welche sich außer Stand befinden, ihre Flagge durch eine Seemacht oder durch beträchtliche Aufopferungen zu schützen, war nicht nur für diese, sondern auch in Beziehung auf den Handel, welcher durch ihre Hände geht, ein nicht geringes Übel, welches noch durch die Unsicherheit eines Teils des atlantischen Meeres vermehrt ward. Schon in dieser Beschränkung war die Abstellung der Seeräuberei der Barbareskenein Gegenstand der sehnsuchtsvollen Wünsche von ganz Europa, und der Aufmerksamkeit der auf dem Wiener Kongress versammelten Mächte. Wie klein erscheint aber dieses partielle Übel gegen die unberechenbaren unglücklichen Folgen, welche es nach sich ziehen würde, wenn den afrikanischen Seeräubern gestattet sein sollte, sich in ruhige, von ihren verpesteten Küsten weit entfernte Meere zu verbreiten, und das Verderben, welches sie begleitet, bis dahin zu bringen. So lange die Gefahr auf das mittelländische Meer beschränkt war, kannte man sie wenigstens, und suchte sich dagegen zu sichern, oder vermied sie; und obwohl die Verteuerung der Produkte jener Gegenden, welche eine Folge der notwendig gewordenen kostspieligen Sicherheitsmittel und der verminderten Konkurrenz sein muss, ein allgemeines Übel ist, so ward dadurch der Verkehr, wenn gleich erschwert, doch nicht ganz gestört. Eine gänzliche Stockung der deutschen Schifffahrt und des deutschen Handels aber würde die notwendige Folge davon sein, wenn die Barbaresken nicht auf das Nachdrücklichste davon abgehalten werden, sich in andere Meere zu verbreiten. Dürfen sie das atlantische Meer, die Nordsee, die Ostsee durchstreifen, ist es ihnen unverwehrt, mitten im Frieden unbewehrte, auf Treu und Glauben des Völkerrechts fahrende, keine Gefahr argwöhnende Kauffahrer zu überfallen, so liegt deutsche Schifffahrt und Handlung gänzlich danieder. In eine gänzliche Stockung wird der Absatz aller Produkte und Fabrikate Deutschlands gerathen, die auf den in die Nord – und Ostsee sich ergießenden Flüssen, oder durch Landtransport in die Seestädte gebracht, und durch deren Schifffahrt in andere Länder und Weltteile geführt werden. Ein gleiches Schicksal wird die für Deutschland nötige Einfuhr treffen. Gegen bekannte Gefahren sichert sich der unverteidigte Kauffahrer durch Assekuranz. Selbst bei den der Schifffahrt und Handlung so nachtheiligen Seekriegen, erhalten hohe Prämien, wenn gleich nicht ohne große Beschwerde der Handelnden, der Produzenten und der Konsumenten, diese doch im Gange; allein gegen die von den Barbaresken drohende Gefahr ist keine Assekuranz möglich. Diese Seeräuber, denen Völkerrecht unbekannt ist, und die nur auf Raub ausgehen, deren so genannte Kriegserklärung man erst durch ihre Überfälle erfährt, obgleich bei ihnen die Ausrüstung solcher Raubschiffe nicht als Privatunternehmung zu betrachten ist, sondern als ein Regale betrieben wird, binden sich an keine Zeit, an keine Formen, stoßen unvermutet und plötzlich auf den wehr- und arglosen Kauffahrer, und rauben nicht nur Eigentum, sondern auch Menschen, deutsche Mitbürger, von deren Angstgeschrei die befreundeten Küsten wiederhallen, in deren Angesicht afrikanische Seeräuber sie zu den finstern Höhlen der Sklaverei fortschleppen. Gefahren dieser Art lassen sich nicht berechnen, und eben deshalb gibt es keine Versicherung dagegen. Schon einzelne Vorgänge dieser Art verbreiten ein Gefühl von Unsicherheit, was auf lange hin Schifffahrt und Handlung stört, weil niemand weiß, wann sie sich wiederholen können, und die angefühlten Frevel haben für den Augenblick eine gänzliche Stockung zur Folge gehabt. Das Unbestraftbleiben dieser Seeräuber, das Gelingen einzelner Versuche wird sie immer kühner machen. Wer steht dafür, dass sie nicht auf ihren Streifzügen mitunter an unbewachten und wehrlosen Stellen der deutschen Küsten landen, und auch dort ihr Gewerbe, Plünderung und Menschenraub treiben, und Angst und Not verbreiten würden? Wer sichert uns, dass sie nicht zu allem Ungemach, worunter Deutschland nach so schweren Zeiten leidet, noch die schrecklichste der Plagen, die bei ihnen einheimische Pest, hinzufügen werden?

Das angeführte wird gewiss mehr als hinreichend sein, um einleuchtend darzutun, dass das Interesse, welches die freien Hansestädte dem hohen Bunde dringend zu empfehlen sich veranlasst sehen, so wichtig es auch für die Städte ist, keineswegs ausschließlich ihr Interesse, noch das der übrigen Küstenländer und Schifffahrt treibenden Staaten ist, sondern dass die Abstellung der Seeräuberei der Barbaresken mit dem Wohl der ganzen deutschen Nation in genauer Beziehung steht. Die Senate dürfen sich daher vertrauensvoll der Hoffnung überlassen, dass die empörenden Vorgänge, welche der Gegenstand dieser Vorstellung sind, bei sämtlichen allerhöchsten und hohen Mitgliedern des deutschen Bundes den stärksten Unwillen und die lebhafteste Teilnahme erregen werden, und dass nicht nur ein jeder von ihnen mit den Mitteln, welche ihm zu Gebote stehen, zur Ausrottung eines so drohenden Übels mitzuwirken geneigt sein, sondern dass auch der hohe deutsche Bund als Gesamtheit und europäische Macht sich bewogen finden wird, alle Schritte zu tun, welche in seiner Macht sind, um die durch jene Seefrevel gefährdete Ehre der deutschen Flagge und Wohlfahrt der deutschen Nation aufrecht zu erhalten.

Hat der deutsche Bund, als solcher, gleich keine Seemacht, so wird es ihm doch weder an Kraft noch an Mitteln gebrechen, für die Sicherheit der deutschen Schifffahrt auf eine wirksame Weise Sorge zu tragen, und der Antrag zu einer ernstlichen Überlegung dieses Gegenstandes wird daher, wie die freien Hansestädte hoffen, den Beifall der hohen Bundesversammlung nicht verfehlen.

Bei der hierüber von dem Präsidio gehaltenen Umfrage vereinigten sich alle Stimmen darin, dass man den höchsten Höfen und Committenten hierüber berichten müsse, um die wirksamsten Mittel zur möglichsten Sicherung der deutschen Seehandlung zu ergreifen; die Mehrheit erachtete zugleich für zweckmäßig, eine Commission von fünf Mitgliedern zu wählen, welche angemessene Vorschläge zur Beförderung der Berichtserstattung vorzulegen übernähme.

Der Königlich Niederländische, Großherzoglich Luxemburgische Herr Gesandte gab dabei noch besonders zu Protokoll:

Dass wir bei diesem Anlass unsere Höfe befragen sollen, und insbesondere die größeren Höfe, ist außer Zweifel. Es kommt nicht darauf an, was man vermeine, sondern was man tun soll und kann. Für die gesammten Niederlande bin ich ohnehin hier nicht bevollmächtigt.

Nichts desto weniger würde ich mich hier und beinahe immer der Mehrheit anschließen, wenn sie für einen Ausschuss stimmte. Denn in solchen Ausschuss lege ich keineswegs oder selten die Idee alsbaldiger Hilfe, sondern nur die größerer Klarheit und größerer Betriebsamkeit.

Eben so bin ich fast bei jedem Vorkommnis geneigt, zuvörderst hier die Gründe für und gegen zu entwickeln, weil die Höfe erst auf diese Reibung ihre Ansichten bauen können. Auf welchem Weg sollen sie auch sonst die öffentliche Meinung hören! Oder auf welchen besseren Weg soll diese gelenkt werden?

Gleich der erste Artikel der Bundesakte redet von der Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten, nicht der Territorien oder Gebiete. Wenn nun: Staat, aus etwas anderem als fünf Buchstaben besteht, aus Ehre, Leben, Freiheit, Eigentum und Sicherheit der Individuen, aus ihrer Tätigkeit und ihren Gewerben; so ist sicher der Fall der Beschirmung entschiedener, als ob eine Hilfe denkbar und ausführbar sei. Aber die verschiedenen Zweige dieser Möglichkeit sind einer gründlichen Prüfung wohl wert!
Bei der Bourbonischen Familien-Einigung fragte man gewiss nicht, ob die Beleidigung oder das Unrecht zu Wasser oder zu Land sei zugefügt worden! Ob es Kriegs - oder Kauffahrteischiffe betraf!

Nicht nur durch Seuchen ist die Ausbreitung und Rückwirkung des gegenwärtigen Übels denkbar, sondern auch durch Fallimente, durch Misstrauen, durch Stockung mancher Bestellungen und folglich mancher Industriezweige im Binnenland. Man schritt hiernächst zur Wahl der Commission, und diese fiel auf Herrn Grafen von der Golz, Herrn Freyherrn von Eyben, Herrn Freyherrn von Gagern, Herrn von Berg und Herrn Syndikus Danz. Beschluss: Dass die Herren Gesandten, Graf von der Goltz, Freyherr von Eyben, Freyherr von Gagern, Herr von Berg und Herr Syndikus Danz, ersucht werden, ein gemeinschaftliches Gutachten über die wirksamsten Vorkehrungen zur möglichsten Sicherung der deutschen Seehandlung gegen die Räubereien der Barbaresken, Behuf der Berichtserstattung an die höchsten Höfe und Committenten, vorzulegen.