Abschnitt. 1

Im Rittersaale tummelte sich der junge Schwarm oder bremsete in den weiten, grünen Räumen zwischen Dianentempel, Eremitage und Belvedere hin und her. Die Familie, die Freunde, die näheren Bekannten waren reichlich mit Nachkommenschaft gesegnet; zuweilen trieben da droben an dreißig junge Leute ihr Wesen, die natürlich nicht alle in Betten untergebracht werden konnten, sondern zu Nacht Streulager empfingen.
Mit den Studenten hatte der Oheim ein besonders nahes Verhältnis. Es studierte fast alles aus der Familie in Halle, und da dieser akademischen Jugend die Vorratskammern des Amtes werter waren als den Israeliten die Fleischtöpfe Ägyptens, so fehlte es jahraus jahrein nie an Zuspruch von der Hochschule. Auf diese Weise hatte der Oheim sechs bis sieben der kurzlebigen akademischen Generationen an sich ab- und heruntergelebt und wußte die verschiedenen Epochen genau zu charakterisieren. In seinen Schilderungen war jedoch weniger von Fleiß und Wissen, sondern mehr vom „flotten“ Wesen die Rede. Der Oheim unterschied die flottesten von den flotteren, flotten und nicht flotten Jahrgängen des studierenden Wachstums. Letztere nannte er „Teekessel“. Mit denen wollte er nichts zu tun haben; sie kamen auch späterhin, wenn sie gemachte Männer waren, nie ohne Seitenhiebe bei ihm durch. Denn er begehrte Spaß von den jungen Leuten, ihr Übriges ging ihn so viel nicht an.
Man findet viele ältere Personen, die zu den Schalkspossen der Jugend nicht sauer sehen, man trifft da und dort auch wohl einen muntern Alten, der sich in einen Schwank gefällig einläßt; selten aber wird einer, der in den Ruhestand gehört, sein, welcher den Anführer der Jugend zu allen Schwänken macht. Mein Oheim Yorick ließ sich dieses Kommando nicht nehmen. Er stiftete Sackhüpfen in der Rennbahn, er ließ mit verbundenen Augen nach dem Topfe schlagen und ging mit gutem Beispiele voran, er munterte zum Klettern in die Bäume auf und arbeitete unermüdlich, vom Schweiße seines Antlitzes betrieft, im Fache der Attrappen, deren Zweck und Ziel denn war, daß einer, der die Sache noch nicht kannte, Schläge von unsichtbarer Hand erhielt oder einen mehlweißen Mund bekam oder mit Wasser bespritzt wurde. Letzteres geschah, wenn der Oheim „Zauberer“ spielte. Er hatte dann ein großes Bettlaken um sich hangen, ließ den zu Mystifizierenden mit trügerisch-kabbalistischen Worten in ein Becken voll Wasser schauen, worin ein fernes Bild erscheinen sollte, und patschte ihm, wenn Jener sich tief über das Gefäß bückte, das Wasser in das Gesicht. Das Resultat dieser Zauberei war gewöhnlich, daß der Magus nasser wurde als sein Opfer, was aber die Lust daran nicht verdarb. Vielmehr wiederholte der Oheim bei jedem Besuche sein täuschendes Wasserbeschwören, denn es gab immer deren, die noch nicht naß gemacht worden waren.
Zuweilen richtete er die sogenannte ägyptische Finsternis an. Diese bestand darin, daß er abends, wenn das Haus ganz voll war, plötzlich sämtliche Lichter auslöschte, die Küche verschloß, damit Niemand zu dem Feuer auf dem Herde gelangen konnte, und nun in dem Dunkel durch gewaltiges Läuten mit der großen Hausglocke das Signal zu einem allgemeinen Getümmel, zum wildesten Tasten, Tappen und Spektakulieren gab. Er selbst pflegte sich aber, um seine Glieder sicher zu stellen, bei dieser Velustigung zeitig einen wohlverwahrten Versteck zu erkiesen, aus dem wir ihn dann, wenn endlich wieder Licht ward, sich schüttelnd vor Lachen, hervorzogen.
Daß ein solcher Anreiz unter lauter grüner Zuzucht wie der Funke in einer Pulverkammer war, läßt sich begreifen. Wir suchten auf das beste seinem Vertrauen zu entsprechen: die durch den Zauberspiegel Genäßten wußten ihm reichlich zu vergelten; man legte ihm die Schlüssel weg und tat äußerst unschuldig bei seinem Suchen; man ließ ihn, wenn er gegen Mittag in der Festung aus dem Morgenhabit in den kornblumfarbigen Frack gleiten wollte, lange nicht dazu kommen, weil die Räuberbande unaufhörlich die Festung stürmte, sich in den Besitz der Falltüre vom Boden aus gesetzt hatte und die Leiter hinuntersenkte, um in das Innere einzudringen.
Einmal hatten wir vor Tagesanbruch aus den Wagen, Pflügen, Eggen, Walzen und allem sonstigen Ackergeräte des Gutes im Hofe eine ungeheure Konfiguration errichtet, welche ihm, als er am Morgen das Fenster öffnete, einer in Knittelversen als ein Symbol seines Standes auslegte. Der Redner war ganz in Stroh gekleidet, trug einen Kranz von Klatschrosen und nannte sich die blonde Demeter*); wir Andern aber hingen malerisch verteilt, in entsprechenden vegetabilischen Masken als die Repräsentanten der Getreidearten, der Rappsaat und des Turnips zwischen den Stockwerken des Gerüstes. Anfangs ging die Sache gut, nachher aber bekam sie ihr Schlimmes und wäre beinah zu Unfrieden ausgeschlagen. Denn wir hatten in unserem Eifer die Allegorie des Landbaus so fest mit Stricken und Ketten verschnürt, daß ein halber Tag darüber hinging, bevor der Verwalter und die Knechte sie wieder in ihre sinnlichen Bestandteile zerlegt hatten. Der Oheim, dessen Wirtschaft hiedurch und zwar gerade in der drangvollsten Erntezeit unersetzliche Stunden verlor, sah jener Analyse (Auflösung) mit grimmigen Zornesworten zu. Ceres aber und sämtliche Cerealien hielten es für gut, Waldeinsamkeit zu suchen. Wir sahen wie die Ebräer im Exil auf Belvedere zusammen und sahen nach der güldenen Aue, als in der Mittagsstunde unser verstimmtes Oberhaupt in unsern Kreis trat, uns eine derbe Strafrede hielt und mit der Weisung schloß, in Zukunft mit unserer Laune ihm Wagen und Pflug zu verschonen.
Das Gewitter hatte mit diesem Schlage sich zwar entladen, es folgte ihm aber ein grauer Regenhimmel, denn es ging einige Tage nun sehr nüchtern zu. Das war einer der Fälle, in welchen der Oheim sich plötzlich erinnerte, daß er denn doch ein alter, verständiger Mann sei. Sie kamen zuweilen vor, und dann ließ sich schlimm mit ihm verkehren.
Er gab Bälle, veranstaltete Musiken im Freien, ließ, wenn das Wetter besonders schön war, am Dianentempel oder bei dem Nonnenbrunnen speisen. Aber alles das wäre noch nichts gewesen ohne seine Kunstliebe. Diese führte zu den höchsten Entfaltungen des dortigen Lebens.
Der Oheim besaß eine ausnehmende Kunstliebe. Sie richtete sich jedoch, wie es damals noch allgemein stattzufinden pflegte, hauptsächlich auf das Schauspiel. Er ließ kein Theater, welches ihm erreichbar war, unbesucht. Ich erinnere mich, daß er einstmals, als Iffland**) in Magdeburg Gastrollen gab, um vier Uhr nachmittags in das Parterre ging, um einen Platz zu bekommen. Er hatte aber doch schon nur einen Stand gewinnen können und war nun bis zehn Uhr abends die sechs Stunden hindurch auf seinen alten, müden Füßen verblieben. Halbtot und fast aufgelöst von Hitze und Gedränge, kam er zurück, seine Züge waren schlaff geworden, übrigens aber fühlte er sich froh und begeistert von dem Friedländer***), den Iffland an jenem Abende gegeben hatte.



*) Griechische Göttin des Erdsegens und der Fruchtbarkeit; ihr lateinischer Name ist Ceres.
**) August Wilhelm Iffland (1759-1814) war der berühmteste deutsche Schauspieler jener Zeit; seit 1796 leitete er das jetzige Königliche Schauspielhaus in Berlin. Immermann schätzte auch seine Theaterstücke hoch.
***) Wallenstein in Schillers gleichnamigem Drama.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Preußische Jugend zur Zeit Napoleons