Abschnitt. 2

Denn man kann vom Despotismus reden und braucht dennoch nicht in Montesquieus*) Verwünschungen einzustimmen. Die Menschheit schwankt bei allen ihren Schritten zwischen Freiheit und Notwendigkeit; der Despotismus ist nur eine Notwendigkeit mehr, neben welcher manches Leben in Freiheit aufblühen kann. Er kann zu seiner Zeit nützlich sein; bisweilen mag die Welt nichts Anderes verdient haben. Er waltet fast durch den ganzen Orient, und der Orient beweist, daß unter ihm eine ehrwürdige Volksphysiognomie sich ausbilden könne. Lamartine**) hat noch neuerdings gesagt: Wenn man zu den Orientalen komme, so sei es, als trete man unter die erstgeborenen Kinder des Hauses, unter die Bewahrer vornehmerer, anständigerer Sitte. Der Despot will nicht die Hand in den Taschen aller Menschen haben, er will nicht Blut trinken; sondern er will nur, daß die Freiheit der Einzelnen lediglich auf ihre Privatverhältnisse beschränkt sei, in den öffentlichen aber die eine und unteilbare Majestät herrsche. Er vernichtet die politischen Rechte, die bürgerlichen läßt er unangefochten. Er darf es wenigstens tun, ohne seinen unterscheidenden Charakter einzubüßen. Der ungerechte Kadi ist von vielen Despoten des Orients grimmig bestraft worden. In dieser Beziehung hatte auch Napoleon einen richtigen Takt. Er besaß ein wahres Interesse am Privatrechte, er ehrte den Richterstand höchlich, wenn er ihn auch schlecht bezahlte. Das Eigentum ließ er unangetastet, wenn nicht Kriegszwecke einen Konflikt hervorbrachten.
Der Despotismus findet seinen Damm in der Religion, im Hause, in der Sitte. Die Gebiete der Freiheit, welche dahinter liegen, werden ihm gegenüber eigensinnig abgemarkt: in ihnen macht sich der Mensch Bewegung. Der Despot bildet die Menschen zu Religiosen, zu Freunden des Hauses und der Sitte um. Man kann nun nicht sagen, daß unsere Verhältnisse für die Ausbreitung und Befestigung des Despotismus ungünstig gewesen seien. Politische Rechte waren nicht vorhanden, oder sie waren an den Berechtigten gehaßt. Sitten und Gebräuche hatten sich zwar abgelebt, dagegen besitzt der Deutsche einen natürlichen Hang, sich zu unterwerfen, zu dienen, bis zur Selbstverleugnung imponiert zu sein. Von jeher flüchtete er gern von der Erde zum Himmel, von draußen in das Innere des Hauses. Wahrlich, ein vernünftiger Despot hatte mit ihm leichtes Spiel. Und Napoleon war von Italien, Ägypten, von den ordnenden Tagen des Konsulats her ohne Frage die größte, bezauberndste Erscheinung.
Aber damit der Despotismus in den Seelen Wurzel schlage, muß er rein und naiv auftreten. Er muß sich ankündigen als das, was er ist, als Wille, der nicht zu schmeicheln braucht, als Gewalt, die da sagt: „Ich bin Gewalt, weil Gott in dieser Gewalt wohnt.“ Napoleons Erscheinung war aber eine gemischte. Weil seine Weltstellung etwas Zwiespältiges und Gebrechliches hatte, so konnte daraus auch nur ein zwiespältiger, gebrechlicher Despotismus folgen. Der Riese stand in zu verschiedenartiger Beleuchtung: Die Legitimität***) beleuchtete ihn, der Republikanismus, die militärische Glorie beleuchteten ihn, das Diogeneslämpchen****), welches nach Ruhe und Frieden suchen ging, ließ seinen schrägen Schein auf ihn fallen. Er warf daher keinen tiefen, schwarzen Schatten, der Schatten irrte das Auge durch blauen, grauen, rötlichen, grünlichen Farbenschiller.
Napoleon konnte die Reminiszenzen der Ochlokratie (Massen- oder Pöbelherrschaft) , des Parvenu, das Gefühl der mißlichen Stellung nicht verleugnen. Deshalb mußte er unter allen Hatt-i-Scherifs (Türkischer Name für die eigenhändig geschriebenen Befehle der Großherrn; sie haben unmittelbar Gesetzeskraft) , die er erließ, und an der Spitze von fünfhunderttausend Bajonetten demagogisch kajolieren, rhetorisch sich blähen; auch strebte er beständig, zu überzeugen. Mit allen diesen kleinen Mitteln befaßt sich der reine, große Despotismus nicht. Hätte er den Mut gehabt, zu sagen: „Ich bin Gottes Geißel, aus der Niedrigkeit berufen, euch zu züchtigen, wie ihr's durch eure Sünden verdient habt, tut Buße, ein Anderes ist diesem Geschlechte nicht zugeteilt“ – wer weiß? .... Denn die Deutschen sind fähig, viel Not zu leiden, wenn sie sich nur mit einer kompakten Idee speisen können. Sie haben ein Talent, an sich zu zweifeln und zu verzweifeln. Fichte sagte ihnen ja ungefähr dasselbe, und sein Auditorium (Zuhörerschaft) erduldete es. Warum sollten sie nicht resignierend in ihren Busen gegriffen haben, wenn ihnen der Weltgebieter eine ähnliche Bußpredigt gehalten hätte?
Statt dessen sagte er: „Armes Volk, schmachtend unter den Lasten, die euch eure Gewaltigen auflegten, verkauft an England, ich nahe, dein Befreier, ich werde euch alle glücklich machen“. Dies mußte das Volk hören, welches, so unzufrieden es auch da und dort mit seinen Fürsten gewesen war, doch für sie ein Familiengefühl, wie das schmollender Kinder ist, bewahrt, welches von Englands Einflusse nie etwas vernommen hatte und inmitten aller Verheißungen des neuen Glücks Hunger und Durst litt.
Schlimm war auch die Polissonnerie (Ungezogenheit, Gassenbubenart) , die seinem Grimme anklebte und nach Marats verschollenem Blatte*****) schmeckte. Der Despot wirft sein Opfer nieder, verachtet es dann und läßt es im Blute liegen. Napoleon kehrte das blutige Opfer hin und her, beschimpfte es, besudelte es. Er vergaß sich so weit, Frauen zu schmähen, die gegen ihn gewirkt hatten. Man denke an die Königinnen von Neapel und Preußen! Das vergab ihm das Volk nicht, am wenigsten konnte es in solchen Invektiven (Schmähungen, Beleidigungen) einen echten Gesandten höherer Geschicke erkennen.



*) Charles de Montesquieu (1689-1755), der angesehenste politische Philosoph seines Jahrhunderts, besonders durch seine Werke über den Geist der Gesetze und über die Größe und den Verfall der Römer berühmt, ein Anhänger der englischen Verfassung.
**) Der französische Dichter und Staatsmann Alphonse de Lamartine bereiste 1832 das Morgenland und gab 1835 seine „Reise in's Morgenland“ heraus.
***) Die Gesinnung, wonach die angestammten Fürsten von Gottes Gnaden und darum rechtmäßig regierten, so daß man ihnen nach Gottes Willen vollkommenen Gehorsam schuldig sei. Danach war der Emporkömmling Napoleon kein rechtmäßiger Kaiser, sondern wurde nur ertragen, bis man seiner übermächtig werden konnte.
****) Von dem griechischen Philosophen Diogenes (414-324 v. Chr.) wird erzählt, daß er einmal bei hellem Tage mit einer Laterne ging und Denen, die sich darüber verwunderten, erklärte, er wolle Menschen suchen. D. hatte sich zur größten Bedürfnislosigkeit erzogen und verachtete auch Ruhm und Macht. Als Alexander der Große, der Napoleon des Altertums, ihm anbot, er möge sich eine Gnade erbitten, erbat sich D., der König möge ihm aus der Sonne gehen, damit er der Wärme besser genieße.
*****) Marat, geb. 1744, von Charlotte Corday 1793 ermordet, der blutgierigste unter den Demagogen der Revolution, gab u.a. die Zeitschrift „l'ami du peuple“ („Volksfreund“) heraus, in der er den Gelüsten des Pöbels schmeichelte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Preußische Jugend zur Zeit Napoleons