Gesinderecht.

VIII. Die Rechtsverhältnisse der Angestellten der Brauereien gestalten sich verschieden, je nachdem es sich um Handlungsgehilfen (Comptoiristen, Buchhalter, Stadtreisende etc.) oder um gewerbliche Gehilfen (Braumeister, Brauburschen, Schäffler etc.) handelt. Für die ersteren gelten die handelsgesetzlichen Vorschriften, für die letzteren die Bestimmungen der Gewerbeordnung. Die bezüglichen neuen Vorschriften des Handelsrechts (§§ 59 mit 83 des H. G. B.) sind schon seit 1. Januar 1898 in Kraft, die Bestimmungen der Gewerbeordnung sind neuerdings überhaupt nicht geändert worden und werden als bekannt vorausgesetzt.

Dagegen soll hier hervorgehoben werden, dass das bayer. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch in Art. 15 bis 31 ein vollständiges Gesinderecht geschaffen hat. Dieses Recht bezieht sich aber, wohl bemerkt, nur auf eigentliche Dienstboten, nicht auf Gewerbsgehilfen, zu welch' letzterer Kategorie auch Kellnerinnen zu zählen sind.


Die wichtigsten Bestimmungen dieses neuen Gesinderechtes sind folgende:

Das Draufgeld wird im Zweifel nicht vom Lohn abgezogen.

Ist der Dienstlohn in längeren Zeitabschnitten als Vierteljahren zahlbar, so kann der Dienstbote nach dem Ablauf von je drei Monaten der Dienstzeit die Hälfte des auf diesen Zeitraum treffenden Betrages verlangen. Die Dienstherrschaft kann Entschädigungsansprüche wegen einer auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhenden Verletzung der Verpflichtungen des Dienstboten gegen dessen Lohnforderung unbeschränkt aufrechnen.

Das Dienstverhältnis eines landwirtschaftlichen Dienstboten gilt im Zweifel — d. h. wenn nichts Anderes ausdrücklich bestimmt ist — für ein Jahr, das ist vom 1. Februar bis 31. Januar, eingegangen. Tritt der Dienstbote unter der Zeit ein, beispielsweise am 1. Mai, so gilt das Dienstverhältnis bis zum nächsten 31. Januar eingegangen. An diesem Tage erlischt also das Dienstverhältnis ohne weitere Kündigung. Wird es aber fortgesetzt, so gilt es gemäss § 625 B. G. B. auf unbestimmte Zeit verlängert, und dann ist in der Folge Kündigung nur für den ersten Februar und nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen zulässig.

Bei nichtlandwirtschaftlichen Dienstboten bemisst sich die Kündigung folgendermaßen:

a) Ist die Vergütung des Dienstes nach Tagen bemessen, so ist die Kündigung an jedem Tage für den folgenden Tag zulässig;

b) ist die Vergütung nach Wochen bemessen, so ist die Kündigung nur für den Schluss einer Kalenderwoche zulässig und hat spätestens am ersten Werktage der Woche zu erfolgen;

c) ist die Vergütung nach Monaten bemessen , so ist die Kündigung nur für den Schluss eines Kalendermonats zulässig und hat spätestens am 15. eines Monats zu erfolgen;

d) ist die Vergütung nach Vierteljahren oder längeren Zeitabschnitten bemessen, so ist die Kündigung nur für Schluss eines Kalendervierteljahres und nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat zulässig (.§ 621 B. G. B.. mit Art. 22 des bayer; Ausf.-Ges. zum B.G.B.).

Ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kann das Dienstverhältnis von jedem Teil gekündigt werden , wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ob dies der Fall, entscheidet das richterliche Ermessen. Das Gesetz führt als einzelne solcher wichtigen Gründe, ohne den Anspruch auf Vollzähligkeit erheben zu wollen, folgende auf:

a) Außerordentliches Kündigungsrecht der Dienstherrschaft (Art. 24):

1. Wenn der Dienstbote : die Dienstherrschaft bei Eingehung des Dienstvertrages durch Vorzeigung eines fälschen oder gefälschten Dienstzeugnisses oder Dienstbotenbuches hintergangen oder über das Bestehen eines anderen, ihn gleichzeitig verpflichtenden Dienstverhältnisses in einen Irrtum versetzt hat;

2. wenn der Dienstbote sich eines Diebstahls, mehrmaliger Entwendung, einer Unterschlagung, eines Betruges oder eines liederlichen Lebenswandels schuldig macht;

3. wenn der Dienstbote den Antritt des Dienstes ohne rechtfertigenden Grund verweigert oder in erheblichem Maße verzögert, wenn er den Dienst während einer den Umständen nach erheblichen Zeit unbefugt verlässt oder den ihm obliegenden Verpflichtungen nachzukommen beharrlich verweigert;

4. wenn der Dienstbote die ihm obliegenden Verpflichtungen beharrlich in grober Weise vernachlässigt, die ihm anvertrauten Personen oder Thiere schlecht behandelt oder durch Vernachlässigung gefährdet; .

5. wenn der Dienstbote der Verwarnung ungeachtet mit Feuer und Licht unvorsichtig umgeht;

6. wenn der Dienstbote sich Tätlichkeiten oder grobe Beleidigungen gegen die Dienstherrschaft oder ihren Vertreter oder gegen die Familienangehörigen der Dienstherrschaft oder des Vertreters zu Schulden kommen lässt;

7. wenn der Dienstbote sich einer vorsätzlichen rechtswidrigen Sachbeschädigung zum Nachtheile der Dienstherrschaft, ihres Vertreters, ihrer Familienangehörigen oder des Nebengesindes schuldig macht;

8. wenn der Dienstbote Familienangehörige der Dienstherrschaft oder ihres Vertreters oder das Nebengesinde zu Handlungen verleitet oder zu verleiten sucht oder mit Familienangehörigen der Dienstherrschaft oder des Vertreters Handlungen begeht, die wider die Gesetze oder die guten Sitten verstoßen;

9. wenn der Dienstbote die Behausung zur Nachtzeit heimlich verlässt oder jemand zur Nachtzeit heimlich in die Behausung einlässt;

10. wenn der Dienstbote zu den ihm obliegenden Dienstleistungen unfähig ist oder an der Verrichtung der Dienste durch anhaltende Krankheit oder eine mehr als eine Woche dauernde Freiheitsstrafe oder eine die Zeit von vier Wochen übersteigende militärische Dienstleistung verhindert wird;

11. wenn der Dienstbote an einer ansteckenden oder abschreckenden Krankheit leidet;

12. wenn ein weiblicher Dienstbote sich verheiratet;

13. wenn ein unverheirateter weiblicher Dienstbote sich im Zustande der Schwangerschaft befindet.

In den unter Ziffer 1 bis 9 und 12 genannten Fällen ist die Kündigung wegen Tatsachen, die der Dienstherrschaft länger als eine Woche bekannt sind, nicht mehr zulässig.

b) Außerordentliches Kündigungsrecht der Dienstboten (Art. 25):

1. Wenn die Dienstherrschaft die Aufnahme des Dienstboten verweigert oder den Dienstboten vor Beendigung des Dienstverhältnisses entlässt;

2. wenn der Dienstbote zu den ihm obliegenden Verrichtungen unfähig wird oder, wenn sich ergibt, dass die Fortsetzung der Verrichtungen das Leben oder die Gesundheit des Dienstboten einer erheblichen Gefahr aussetzen würde, die ihm bei Eingehung des Dienstverhältnisses nicht bekannt war;

3. wenn die Dienstherrschaft oder ihr Vertreter sich Tätlichkeiten oder grobe Beleidigungen gegen den Dienstboten zu Schulden kommen lässt oder es verweigert, den Dienstboten gegen solche Handlungen eines Familienangehörigen der Dienstherrschaft oder des Vertreters, eines anderen Dienstboten oder eines Angestellten zu schützen;

4. wenn die Dienstherrschaft oder ihr Vertreter oder Familienangehörige der Dienstherrschaft oder des Vertreters dem Dienstboten Handlungen zumuten, die wider die Gesetze oder die guten Sitten verstoßen;

5. wenn die Dienstherrschaft den Lohn oder den gebührenden Unterhalt nicht gewährt oder den ihr nach § 618 des B. G. ß. obliegenden Verpflichtungen nachzukommen verweigert.

Diese Verpflichtungen bestehen darin, dass der Dienstherr Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften so zu regeln hat, dass der Dienstbote gegen Gefahr für Leben und Gesundheit so weit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet, und insbesondere, dass der Dienstherr in Ansehung der Wohn- und Schlafräume, der Verpflegung, sowie der Arbeitsund Erholungszeit diejenigen Einrichtungen und Anordnungen zu treffen hat, welche mit Rücksicht auf die Gesundheit, die Sittlichkeit und die Religion des Dienstboten erforderlich sind.

In den unter Ziffer 3 genannten Fällen ist die Kündigung wegen Thatsachen, die dem Dienstboten länger als eine Woche bekannt sind, nicht mehr zulässig.

Bietet sich dem Dienstboten Gelegenheit zur Verheiratung oder zur Begründung eines eigenen Hausstandes, so ist er zur Kündigung berechtigt; die Kündigung ist aber nach dem Antritt des Dienstes nur für den Schluss eines Kalendermonats zulässig und hat spätestens am 15. eines Monats zu erfolgen.

Erteilt die Dienstherrschaft einem Dienstboten, der gegen sie eine schwere Veruntreuung begangen hat, in Kenntnis dieser Thatsache das Zeugnis treuen Verhaltens, so ist sie für den Schaden verantwortlich, welcher der nachfolgenden Dienstherrschaft aus dem Vertrauen auf die Richtigkeit des Zeugnisses entsteht.

Als Übergangsbestimmung ist zu merken, dass sich ein am 1. Januar 1900 bestehendes Dienstverhältnis von diesem Tag an nach den neuen Bestimmungen regelt, wenn nicht die Kündigung im Jahre 1900 für den ersten Termin erfolgt, für welchen sie nach den bisherigen Gesetzen und örtlichen Statuten und Gewohnheiten zulässig ist.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Praktische Winke für Brauereibesitzer