4. Spätklassizismus (Renaissancismus) und Spätromantik Friedrich Wilhelms IV.

Friedrich Wilhelms IV. 1840-1861.

Die Epoche Friedrich Wilhelms IV. ist eine Zeit des Abschlusses und Ausbaues. Sie reicht von 1840—1861, in manchen Wirkungen noch darüber hinaus. Rückwärts kann man ihre Anfänge bis in die 30 er und 20 er Jahre verfolgen. Friedrich Wilhelm IV. war in hohem Maße künstlerisch begabt. Dafür haben wir das schwerwiegende Zeugnis Schinkels: ,,Er war mit den höchsten Naturgaben und der edelsten Gesinnung ausgestattet, stellte mir die geistreichsten Aufgaben fast in allen Abteilungen der Kunst, und was von mir hierin gefördert wurde, das beurteilte er mit der geistreichsten Kritik, modifizierte es noch und stellte es endgültig fest.“ Mehrere tausend Handzeichnungen zeigen, daß der Herrscher es verstand, seinen Ideen auch zeichnerisch vollendeten Ausdruck zu geben. Für die eigentliche Aufgabe der Baukunst hatte er tiefes Verständnis, das beweisen seine klaren und sicheren Grundrissskizzen, seine Aufrisse und Perspektiven. Als Kronprinz wurde ihm das Glück zuteil, mit einem verständnisvollen Freunde, Schinkel, zusammenarbeiten zu können. Beide gingen Hand in Hand, und es ehrt den Fürsten, daß bei seiner vornehmen Gesinnung es nie zu einem Zusammenstoß mit dem Architekten kam. Der Ideenreichtum Friedrich Wilhelms wurde durch Schinkel in formvollendeter Weise zum Ausdruck gebracht. Durch Kuhlows Forschungen ist erwiesen, daß der König in höherem Maße der Gebende war, als man das bisher annehmen konnte. Andere künstlerische Einwirkungen hatten ihn bestimmt, und doch fanden sich die Freunde in dem gemeinsamen Ziel, dem Streben nach klassischer Harmonie. Dankbaren Sinnes hat als Symbol für diese edelste Freundschaft der Herrscher im Treppenhaus von Charlottenhof die Marmorbüste des Architekten aufstellen lassen. Neben der Antike erschien dem Könige wie den romantischen Theoretikern die Renaissance von besonderem Wert. Für die Architektur fand er selbständig den Zugang zu ihr durch Percier und Fontaine. Ihr Werk: Choix des plus célèbres maisons de plaisance de Rome et de ses environs“ vermittelte ihm die Kenntnis der vornehm abgeklärten Villenbaukunst der Italiener. Erst 1828 hat er auf seiner italienischen Reise sie aus eigener Anschauung kennen gelernt. Fontaine war ihm 1815 in Paris begegnet, er blieb mit ihm in regem Briefwechsel. 1841 verlieh Friedrich Wilhelm ihm den Roten Adlerorden 2. Klasse. Er spricht in dem Begleitbriefe von Fontaines unvergleichlichen Entwürfen, den herrlichen Werken, die dieser veröffentlicht habe. Er stellt fest, daß sie einen gewaltigen Einfluss auf die fortschreitende Richtung seines Kunstgeschmacks ausgeübt hätten. In der Geschichte seiner geistigen Entwickelung seien sie epochemachend gewesen, indem sie seine Begeisterung für die Architektur entflammten und nährten. „Eine Stunde wie die, die ich vor 25 Jahren in der Mitte Ihrer Reichtümer und Ihrer Schöpfungen erlebt habe, würde mir ein unbegrenztes Glück sein. Sie würden durch die Weisheit Ihrer Ratschläge die Hitze einer ungeordneten Einbildungskraft dämpfen können. Das ist nur ein Traum, aber ein schöner Traum Ihres wohlgeneigten Friedrich Wilhelm.“ Diese Worte lassen uns einen tiefen Blick in die Seele des Herrschers tun. Die eigentümliche Unrast seiner genialen Veranlagung hat selbst schwer auf ihm gelastet. Fontaines schlichtes Maßhalten hat eine wundervolle, beruhigende Wirkung auf ihn ausgeübt. Wir denken an Orest und die heilende Kraft der inneren Harmonie von Iphigeniens Seele. Von hier aus ist der Kern seines Wesens zu erfassen. Gewiss war Friedrich Wilhelm Romantiker im eigentlichen Sinne des Wortes. Er gehört in die Reihe der großen Vertreter dieser Richtung, zu Friedrich Schlegel und Novalis. Auch sie waren umfassende Geister, auch sie litten unter dem Drucke der ungeheuren Vielfältigkeit der Interessen. Die reine, edle, harmonische Schönheit steht oft im Gegensatz zu ihrem eigenen Wesen, daher fühlen sie sich so stark zu ihr hingezogen. Für Friedrich Wilhelm war die Antike und die Renaissance ein Quell der ewigen Schönheit, aber auch der Heilung und Beruhigung. So erklärt sich die Liebe zur Antike, die Begeisterung für Pompeji und Herculanum, die Stätten, wo bis in die kleinsten Bedarfsgegenstände hinein der Adel seliger Harmonie waltet. Wiederauferstanden ist dieser Kunstgeist in der Renaissance. Hier ist auch der Geist des Christentums der alten Schönheit vermählt, in keinem mehr als in Raffael. Seine Kunst hat vor allem die feinsten Schwingungen in der Seele des Königs ausgelöst. Daher hingen in Charlottenhof als vornehmster Schmuck die Stiche der Loggien und Stanzen von Volpato, daher vereinigte der Herrscher alle erreichbaren Kopien aus Familienbesitz in der zentralen Anlage des Raffaelsaales der Neuen Orangerie. Unzweifelhaft war etwas von dieser Harmonie auch ein Teil seines eigenen Wesens, der Teil seines reichen Seelenlebens, der in der Architektur am reinsten zum Ausdruck kommt.


Auch in den romantisch gerichteten Bauwerken wird dieser feine, schlichte Geist wirksam, alles Übermäßige und Kleinliche ist hier vermieden. Nach Hirths Zeugnis (26. Mai 1821 ) war der König ein großer Gönner des Byzantinischen und Gotischen. Die Wiederherstellung mittelalterlicher Bauwerke lag ihm am Herzen. Bezeichnend ist die Einrichtung des Arbeitszimmers und der Bibliothek im gotischen Stile im ältesten Teile des Berliner Schlosses. Schon als Kronprinz hatte er auf der Marienburg geweilt. Die Begrüßungsworte des Liedsprechers, die Eichendorff gedichtet, haben in seinem empfindenden Herzen sicher lebhaften Widerhall geweckt:

Und ob’s mit Schwert, mit Liedern
Sich Bahn zum Himmel schafft,
‘S ist eine Schar von Brüdern
Und eine Liebeskraft!
Wo die vereint, da ranken
Sich willig Stein und Erz,
Da pfeilern die Gedanken
Sich freudig himmelwärts!


Nirgends ist die romantische Empfindung gotischer Bauweise von einem Dichter vollendeter ausgesprochen worden, und es ist geschichtlich von eigener Bedeutung, daß das in Gegenwart Friedrich Wilhelms geschah.

Aber auch die frühchristliche Kunst und die byzantinische zogen ihn lebhaft an. Er gab die Anregung zur Erforschung der ravennatischen Bauten und der Hagia Sophia, er kaufte in Venedig die Mosaiken, die jetzt die Friedenskirche in Potsdam und das Kaiser-Friedrich-Museum zieren. Die alte christliche Kunst enthält den vollen Nachklang der Antike, sie schien den reinen christlichen Geist, den Geist der ersten Liebe widerzuspiegeln. In den Basiliken konnte man sich in die Zeit der frühen Reinheit zurückversetzen, aus den strengen Formen der Glasstiftbilder sprach eine herbe, ergreifende Tiefe religiösen Gefühls. So ist es kein Wunder, daß von einer derartigen Kunstauffassung in der Bautätigkeit Friedrich Wilhelms deutliche Spuren sichtbar werden. Der Protestantismus betrachtete sich als unmittelbaren Nachfolger der ersten Christen; ihre Gemeindeverfassung, ihre gar nicht klerikale Gestaltung des Gottesdienstes erschienen als vorbildlich. Derartig waren auch die Ansichten des Herrschers über das tiefste Wesen der Konfession, der er mit innerster Seele angehörte. Erschien ihm auch der Katholizismus als eine bedeutende Ausprägung des Christentums, als bedeutungsvoll für die Kunst, er strebte trotz allem nach einem selbständigen Ausdruck protestantischen Geistes. Den glaubte er in dem Basilikenstil am klarsten gefunden zu haben. Daher plante er eine domartige Basilika als Fortsetzung der Bauten in Charlottenhof jenseits des Kanals der römischen Bäder, daher trug der Entwurf für den Berliner Dom mit seinem Campo Santo des Hauses Hohenzollern frühchristliche Züge. Am stillen Port erhob sich bei Sakrow die Heilandskirche. Die Friedenskirche (Abb. 64) steht am Ende einer ganzen Entwickelung. Äußere Anlehnungen, aber mit eigenartiger Umprägung der Anregungen, an San demente und Sa. Maria in Cosmedin zu Rom sind vorhanden, aber der einem Campo santo (Pisa) ähnliche Kreuzgang, die Verbindung der Predigerhausgruppe mit der Kirche geben dem Ganzen die persönliche Note. Romantische Erinnerungen an die maurische Kunst zeigen ein Saal im Pfingstbergbelvedere, die Fontänenanlage auf der Charlottenhof-Terrasse, das Dampfmaschinenhaus mit Moscheekuppel und Minaret. Es handelte sich hierbei auch um eine allgemeine Zeitströmung, das beweist die ,,Wilhelma“ bei Stuttgart.

Für Nutzbauten erfand Persius einen eigenen Potsdamer Burgenstil. Dieser verwertete Motive aus Unteritalien, so die Simsstützen, die Zinnenbekrönung, schloss aber im übrigen Grundbestandteile der englischen Spätgotik, der romanischen Kunst, ja sogar der Renaissance in sich ein. Man erfand für die einzelnen Spielarten neue Kunstausdrücke, man sprach vom normannischen und toskanischen Stil. Hierher gehören der Turm auf dem Ruinenberge, die Husarenkaserne, das Proviantamt, die Försterwohnungen des Wildparks.

Beherrschend bleibt aber auch für diese Zeit die klassische Richtung. Das zeigen die Villenbauten im äußeren Umkreis der Stadt, für die Persius schon 1835 in seinem Landhaus (an der Ecke der KaiserWilhelm- und Hohenzollernstraße, sogenannte Villa Keller), das Vorbild aufstellte. Sie weisen zusammen mit den Villen für die königlichen Gärten alle die gleichen Züge auf. Die Regelmäßigkeit des Grundrisses, die breiten Treppenflure, die beherrschende Anordnung des Salons. Wohn- und Speisezimmers, das italienische Flachdach, den flachgedeckten Aussichtsturm gleicher Herkunft.

Durch die Einfügung des Turmes in die Baugruppe ergeben sich eigenartige Gesamt Wirkungen, die aber doch unter einer gewissen Gleichförmigkeit des Motives leiden. Der äußere Schmuck kehrt in mannigfacher Änderung wieder. Bei der überwiegenden Mehrzahl ist er klassizistisch, nur hier und da treten gotische oder Rundbogenformen auf. Schmuckhafte Putzrustika, Blendkämpferbögen, Dreiecksgiebel, Exedren, Gartenhallen im Tempelstil, Säulen- oder Pfeilerlauben und Gänge, schlichte Verdachungsgesimse oder Fensterumbauten, Nischen für Statuen, breite Freitreppen sind bezeichnende Einzelheiten. Sie finden sich auch an der letzten Schöpfung für den König selbst (1860), an Schloss Lindstedt (Abb. 65), nur hat hier der Aussichtsturm einen Kreisgrundriss und die Halle auf der Höhe ist ein Säulenrund mit einer Kuppelwölbung darüber. — Die verhältnismäßig nicht sehr zahlreichen Gebäude innerhalb der Stadt zeigen die klassizistischen Eigentümlichkeiten in noch einfacherer Weise (z. B. die Loge Minerva und das Schützenhaus, ferner der Bahnhof). Allerdings müssen alle diese Bauten in ihrer Wirkung für die bauliche Gesamterscheinung Potsdams sehr hoch gewertet werden. Sie haben den Vorteil der inneren Einheit des Stiles, eines stets gleichmäßigen Strebens nach feiner Harmonie. Sie fügen sich dem schon Vorhandenen willig ein und treten ihm als Zeugnisse eines einheitlichen Kunstwillens würdig zur Seite. Sie zusammen mit den friderizianischen Bauten sind der künstlerische Kern des Stadtbildes.

Die bezeichnenden Werke der Epoche Friedrich Wilhelms IV. sind Charlottenhof, das Pfingstbergschloss, die Neue Orangerie. Die kleine Villa (Abb. 66) im Süden des Sanssouciparkes ist eine Schöpfung des Königs und Schinkels, ein Denkmal ihrer gemeinsamen Arbeit. Das Hauptgebäude ging aus einem Umbau des früheren Herrenhauses hervor. Es ist nach Kuhlow wahrscheinlich, daß der erste Entwurf des Königs auf einem Vorbilde in Schinkels Reiseskizzen beruht, der Villa des Principe Val Guarnera nella Bagaria bei Palermo. Die dorische Säulenhalle ist ein Gedanke Friedrich Wilhelms im Sinne seines Architekten, das Hauptportal ein eigenes Werk Schinkels. Die Grundrissanordnung ging vom Könige aus, ebenso der Gedanke, den Mittelteil als Risalit zu behandeln, wobei ursprünglich nach dem Dichterhain auch eine Säulenhalle vorgesehen war. Die Renaissancevillen im allgemeinen waren Vorbild, Percier und Fontaine wurden benutzt. Auf die Terrasse hat die der Villa Albani gewirkt. Auch Geßners klassische Zeichnungen zog der Herrscher heran, die Wasserlaube an dem römischen Bade geht auf diese Vorlage zurück. Etwa zehn Jahre nach der Anlage Charlottenhofs plante Friedrich Wilhelm westlich vom Schlosse nach dem Hippodrom zu ein großes Landhaus in rein antikem Stile. Mazois’ „Ruines de Pompéi“ und dann eigene Eindrücke von der italienischen Reise beeinflussten den damaligen Kronprinzen bei dieser Idee, die ihm allein gehört. Vornehmlich aber dürfte die äußere wie auch die Grundrissgestaltung dieses Projektes durch Mazois’ Phantasieentwurf: ,,Le palais de Scaurus“ bestimmt worden sein. In der Nähe des Schlösschens Charlottenhof fanden die Wirtschaftsräume nach einem Entwurf Friedrich Wilhelms in Form einer italienischen Fabbrica ihre Stätte. Dahinter erstreckte sich dann das römische Haus mit seinem Baderaum (Abb. 67). Auch hier hat Kuhlow Mazois’ Einfluss festgestellt. Die ,,thermae Lolliae“ bieten eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Charlottenhof, sie scheinen aus dem Palast des Scaurus als kleine selbständige Gruppe herausgelöst zu sein, um in Potsdam ihre Stätte zu finden. Fünf Jahre nach der Thronbesteigung, zwanzig Jahre nach der beglückten Arbeit an Charlottenhof, ging der kunstsinnige Fürst daran, die Umgebung Potsdams mit neuen, großartigen Bauten zu schmücken. Schinkel war 1840, Persius 1845 dahingegangen. Friedrich Wilhelm war vielfach mehr auf sich selbst angewiesen, einen ganz ebenbürtigen Freund fand er unter den Architekten nicht. Dennoch gab es tüchtige Männer, die seine Ideen zur Ausführung brachten. Stüler steht in Berlin an der Spitze des Bauwesens. Hesse, v. Arnim, Schadow, Gottgetreu arbeiten in Potsdam.

Diese ganze Gruppe von Künstlern bildet eine selbständige preußische Architektenschule, die im Aufblick zu dem Meister Schinkel eigene Wege ging. Eine Entwickelung der Baukunst war in Norddeutschland vorhanden, der eigentlich im übrigen Reiche nur noch Semper und seine Schüler an die Seite gestellt werden können. Die Hauptarbeit des Königs, Stülers und Hesses galt der Neuen Orangerie (Abb. 68). Der Gedanke eines Orangeriehauses im Bunde mit einer Villa war bald nach der Erbauung Charlottenhofs im Geiste des Herrschers aufgetreten, er gewann in veränderter Form in der Orangerie Gestalt. Die Entwürfe weisen aber ein langsames Abwenden vom rein klassischen Stile auf, ein immer stärkeres Eindringen der eigentlichen Renaissancemotive (vgl. auch die Durchfahrt am Palast Barberini (Abb. 68 a). Das zeigt sich nicht nur in den Terrassengärten. Auf die Einflüsse aus Fontaines und Perciers Werk weist der Mittelbau sehr deutlich hin. Die Villa Medici auf dem Pincio mit ihrer Gartenhalle und den beiden Türmen gab die Grundanregung. Alle Einzelheiten wurden strenger klassisch durchgebildet, nach Süden ein Säulenvorhof angefügt, nach Norden die eigentliche Gartenhalle dem Villenkomplex eingeordnet. Die langen Fronten, die seitlichen Durchgangsgebäude rufen uns die Erinnerung an Vasaris Uffizien wach; aber die Symmetrie der Flügelbauten, das Offenstehen der Baugruppe nach der Terrasse zu gewähren eine bessere Erfassung und verleihen dem Ganzen einen freien und großen Zug. Renaissance atmen das Paradiesgärtl nach Westen, der Nordische und Sizilianische Garten nach Osten zu. Die Baldachinfontaine an der Mauer der Bornstädter Landstraße im Vorgarten von Sanssouci lässt uns der Villa Este gedenken, die früher vorhandene Pferdefontaine erinnert an die Villa Borghese, der Seelöwenspringbrunnen im Sizilianischen Garten an die Villa Albani.

Ein der Orangerie ähnlicher Prunkbau sollte den Pfingstberg krönen. Schon 1847 begannen hier die Arbeiten, 1852 kamen sie zum vorläufigen Abschluß. Die Anlage bot den Rückhalt für den älteren Neuen Garten, indem das Marmorpalais ausgebaut wurde. Die Turmhallen der Orangerie zeigen das Säulenmotiv, eine Säulenhalle verbindet; am Pfingstberg weisen die Türme, eine Erinnerung an die Villa Este, Kämpferbögen auf; die Verbindungshalle zeigt die gleichen Bogenstellungen (Abb. 69).

Ein ausgeführter Entwurf Hesses (Abb. 70) lässt uns die Absicht erkennen, im Innern zwei Höfe einzufügen und mit einer zweistöckigen Villa am Ostabhange zu schließen. Ein Motiv vom Casino der Villa Caprarola sollte in großartiger Weise verwertet werden, ein Treppen-Wasserfall war nach dem Neuen Garten zu vorgesehen. Breite Terrassengärten rechts und links von dem Wassersturz sollten ihm zur Seite entstehen und zur Tiefe leiten. So wäre ein Werk von großartiger Phantastik geschaffen worden, ein würdiges Gegenstück zur Villa Este bei Tivoli. Zur Vollendung kamen alle diese kühnen Gedanken nicht. Was heute steht, ist ein Bruchstück, aber von wundervoll romantischem Reiz.

Unwiderstehlich packt den Betrachter die Erinnerung an den jähen Zusammenbruch eines stolzen Künstlergeistes, es paart sich die Wirkung der harmonischen Schönheit dieser Stätte mit einem Zuge seltsamer, weltentrückter Schwermut.

Mehr noch als der Bauherr der Schlösser und der Stadt Potsdam ist Friedrich Wilhelm der Schöpfer der Potsdamer Landschaft. Die Vereinigung von Kunst und Natur, die Herrschaft des künstlerischen Geistes über sie war der echt romantische Gedanke des Romantikers auf dem Throne. Die Absichten des Herrschers und seiner Gartenkünstler Lenne und Sello hat kein geringerer als Alexander von Humboldt am tiefsten erfasst. In seinem Dankschreiben für die Verleihung der Ehrenbürgerwürde Potsdams sagt er: „Durch die Huld zweier edler Monarchen ist mir 22 Jahre lang die Freude geworden, mit wenigen Unterbrechungen als ihr Mitbürger zu leben und in einer anmutig geschmückten Natur die Anregungen zu finden, deren keine Darstellung des ewigen Waltens physischer Kräfte entbehren darf.“ Die ganze Insel Potsdam sollte in eine von Natur und Kunst verschönte Landschaft verwandelt werden. Die moderne Auffassung des Landschaftsparks gab die Grundlage für alles Schaffen. Die sentimentale englische Anschauung ist überwunden, aber im Mittelpunkte steht das Streben, die Natur in der Nachahmung zu übertreffen.

Der Landschaftspark wird damit die kunstvollste, ja bis zu einem gewissen Grade die künstlichste Schöpfung des Menschen auf dem Gebiete der Gartenarchitektur. Der geniale Vertreter dieser modernen Richtung, der Fürst Pückler-Muskau, weilte 1834 in Potsdam und war bei der Anlage des Babelsberger Parkes beteiligt. Er ist auch der bedeutendste Theoretiker auf seinem eigensten Gebiet. Das Ideal der Gartenkunst war ihm da, wo sie wieder freie Natur, jedoch in ihrer edelsten Form zu sein scheint. Er sah in der Gartenkunst eine Naturmalerei, die ein Bild nicht mit Farben, sondern mit wirklichen Wäldern, Bergen, Wiesen, Flüssen hervorrief. Sein Ziel war: die durch Kunst idealisierte Natur. Das war eine Auffassung ganz im Sinne des Königs. Er fand den Mann, der selbständig zu ähnlicher Anschauung gelangt war: Peter Lenné. Dieser Künstler muss dem kunstliebenden Fürsten Pückler als gleichwertig an die Seite gestellt werden. Er war ungefähr gleichaltrig, hatte ein langes Studium seines Faches und eine erfolgreiche praktische Tätigkeit hinter sich. Idealisierung der Natur durch Kunst, wobei der Schein des Natürlichen erhalten blieb, war sein Bestreben. Ihn zeichnete dabei eine genaue Kenntnis der Eigenart, der Gruppenwirkung, der Farbwerte aller Baumarten aus, eine außerordentliche Geschicklichkeit in der Anordnung der Wege, der Ausnutzung der Flächen und Durchblicke. Bei aller Genauigkeit in der Behandlung der Einzelheiten verlor er nie den Blick für die große Gesamtwirkung. Ihm zur Seite stand Sello als verständnisvoller Mitarbeiter. Lennés und Sellos Wirken entstammen die Verbindungsalleen zwischen Bornim, Eiche, Bomstedt, Nedlitz, die Anlage von Sakrow, des Königswaldes.

Der Kirchberg bei Nedlitz, die Ravensberge, Templin zeigen die Spuren ihrer Arbeit. Die Waldeinsamkeit des Wildparks geht auf sie zurück.

Das Verdienst des Königs darf nicht gering angeschlagen werden. Mit seinen Gartenarchitekten arbeitete er nachschaffend und helfend an der Verschönerung der gesamten Gegend, schloss die Lücken, die die Natur gelassen, und eröffnete Ein- und Ausblicke von harmonischer Wirkung. Friedrich Wilhelm hat das feinste und umfassendste Empfinden für die Natur Potsdams aufzuweisen; noch heute überrascht uns der sichere Blick, den er bewiesen, empfinden wir mit ihm die mannigfachen Reize, die er uns sehen gelehrt. Sein Wirken hat unvergängliche Spuren hinterlassen. Seine Gestaltung der Landschaft Potsdam ist noch heute vorbildlich. Die eigentümliche Schönheit des Havelgebietes in der Umgebung seiner Residenz, den Kranz der Parkanlagen an großen Wasserflächen, der einzig in Europa dasteht, verdanken wir seinem starken und reinen künstlerischen Wollen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Potsdamer Baukunst