3. Zweiter Abschnitt des Potsdamer Barockstils. Der französisch-akademische Stil.

König Friedrich und Knobelsdorff. 1740-1753. Der französisch-akademische Stil.

König Friedrich der Große hat die Stadtmauer nur am Berliner Tor ein wenig weiter hinausgeschoben, im übrigen die Grundform der Stadtanlage seines Vaters unberührt gelassen. Er ging daran, die Straßenfronten künstlerisch umzugestalten, seine ganze Bautätigkeit ist im wesentlichen ein Umbau großen Stils nach künstlerischen, insbesondere malerischen Gesichtspunkten.


Eine richtige Beurteilung des Königs ist nur möglich, wenn wir uns in seine Seele hineinversetzen. Er gestaltete zunächst seine nächste Umgebung vom Standpunkte des Künstlers aus. So weit es sich dabei um Raumbildung handelt, verfuhr er also rein architektonisch. Seine Wohnung im Stadtschlosse ist namentlich im Ostflügel ein System von Räumen zum Zwecke des schönen Wohnens. Der eigenhändige Entwurf zu Sanssouci zeigt, daß Friedrich zwar kein guter Zeichner war, aber doch architektonisch denken konnte. Er ging nicht, wie man ihm vielfach vorgeworfen hat, nur von der Fassade aus, im Gegenteil, die Grundrissgestaltung und die Wohnlichkeit war ihm hier die Hauptsache. Bei der Anlage des Neuen Palais bestimmte sogar sein Wunsch nach einer bequemen einstöckigen Wohnung die äußere Gestaltung des Baus. Die Räume des Königs liegen in dem kleinen, nach Süden angebauten sogenannten Trianonflügel, dem der Symmetrie halber auch nach Norden zu ein Gegenstück geschaffen wurde. Die Innenarchitektur entsprach seiner Veranlagung für feinste, ja raffinierte Stimmungen. Statt des damals üblichen Goldes wandte er das Silber an, und in Blau und Silber wusste er wie mit Rot und Gold wundervolle Wirkungen zu erzielen. Eine ganze Schule von Kunstgewerblern bildete sich heran, unter ihnen Künstler ersten Ranges wie Nahl, Johann Michael Hoppenhaupt, dessen Sohn Johann Christian Hoppenhaupt, Melchior Kambly. Auch eine Wandlung im Stil lässt sich bemerken. Die Formen des Rokoko im Neuen Palais und den Neuen Kammern sind schwerer, stärker, reicher als die in Sanssouci und im Stadtschloss. In der ersten Zeit seiner Regierung liebte Friedrich, trotz der Begünstigung reichen barocken Schmuckwerks in der Außenarchitektur, einen harmonischen Klassizismus; nur gelegentlich hat er aus besonderen Gründen wie an der Gartenseite seines Weinbergschlosses ein charakteristisches deutsches Barock angewandt. Die Stadt selbst aber fasste er als weitere Umgebung seines Schlosses in einen künstlerischen Rahmen, soweit es seinen Interessen diente. Dabei verfolgte er den Zweck der Repräsentation. Er selbst wünschte für sein Auge einen prächtigen Anblick der Straßenfronten, auch der Fremde sollte die stattlichen Außenseiten der Häuser bewundern. Das Wohnen der Bürger kam erst in zweiter Linie. So wird die Stadt lediglich Widerspiel seiner künstlerischen Geschmacksrichtungen und konzentrisch auf seine Künstlerseele hin angelegt. Immerhin erhielten die Hauseigentümer erhebliche Zuschüsse, die Vorderhäuser zum Teil auch als Geschenk. Nur mußten sie sich dann den Wünschen des Herrschers fügen. So konnte Friedrich, wie kaum ein anderer Fürst, seinem Schönheitssinn auch im Stadtbilde Rechnung tragen. Selbstverständlich hatte die Art der Stadtgestaltung ihre großen Nachteile; das Verfahren des Königs, der hierin ganz ein Kind der Barockzeit war, beförderte auf diesem Gebiete den Kulissenbau zum Zwecke einer nur schönen Wirkung. Erst in späterer Zeit findet sich eine größere Rücksicht auf die Bedürfnisse bürgerlichen Wohnens. — Schon ganz im allgemeinen steht die Potsdamer Stadtarchitektur als Urkunde der Wirksamkeit eines künstlerisch veranlagten Fürsten einzig da.

Die zweite Epoche der Potsdamer Baukunst im Zeitalter des Barockstils wird durch den Namen ,,Knobelsdorff“ gekennzeichnet. Dieser bedeutende Mann war in Italien und Frankreich für seine Aufgaben vorgebildet worden, er war der Neigung nach Klassizist. Aber er kommt nicht mehr von dem Blondelschen akademischen Stil her, seine Vorbilder sind nach dem Zeugnisse des Königs Jules Hardouin-Mansart und Claude Perrault: Louvrekolonnade und Gartenseite von Versailles erschienen ihm unübertrefflich. Ein Wunder der Zeit war sein Werk, das durch die Reinheit seiner Einzelformen, die Tempelfront, die beziehungsreichen klassischen Bildwerke ausgezeichnete Opernhaus in Berlin. Es schien würdig neben Claude Perraults Louvre zu treten. Bei genauer Betrachtung staunt man über die unnachahmliche Reinheit und Schönheit der Profile. Selbständiger Schöpfer ist Knobelsdorff durchaus, das zeigen seine Potsdamer Bauten. Merkwürdig ist hier seine Verwendung des Motivs der gekuppelten Säulen. Diese der römischen Kunst entlehnte Anordnung schien dem Könige Pracht und Gefälligkeit zu vereinen. Auch Perrault lässt an seiner weltberühmten Louvrehalle die Säule paarweise auftreten und von diesem Vorbilde fühlte sich der deutsche Meister angeregt.

So kann man dies Motiv seines Klassizismus etwa siebenmal nachweisen. Der König sagt von dem Freunde: Er zog in der Außenarchitektur die Italiener vor. Somit war Knobelsdorff vom Geiste der auf römischen Vorbildern ruhenden Hochrenaissance, die ja auch in Frankreich wirkte, berührt. Daher nehmen denn die Tempelhallen der Stadtschlossflügel, die Säulen vor der Front an der Lustgartenrampe, die Kolonnade im Hof von Sanssouci reine klassische Formen an. Immerhin hat auch dieser Klassizist dem barocken Zeitgeist seinen Tribut gezollt. Im Berliner Opernhause beweist das der von Karyatiden getragene Apollosaal.

Am Potsdamer Stadtschloss haben wir als barocke Motive: Die elliptische Treppenanlage des Vestibüls, die Atlanten der Eingangstür, die perspektivischen Gewände der Fenster am Mittelbau, die Säulengitter des Lustgartens, die nur eine Balustrade tragen. Dazu treten in Sanssouci die zu vieren gekuppelten Säulen des Haupteingangs und die Muschelgrotte. Die Ellipse, die ein größeres Raum Verhältnis vortäuscht, und im Barock sehr beliebt war, beherrscht ferner die Hofkolonnade hinter Sanssouci und den Speisesaal, sie bildet den Grundriss für die französische Kirche. Die Vorliebe für klassizistische Motive führte den König und den Künstler zusammen. Bei Friedrich sehen wir, um eins herauszugreifen, eine starke Bewunderung für das römische Pantheon. Genau nachgeahmt hat er es aber nie, er benutzte es nur als Motiv in vielfach veränderter Form, und zwar sah er es in der Weise, wie das schon vor ihm der Renaissancetheoretiker Sebastiano Serlio oder auch Baumeister wie Bernini (S Maria in Ariccia) getan hatten. Es genügte im Innern im wesentlichen eine Kuppelwölbung mit Oberlicht, die durch klassisch geordnete Säulen gestützt wurde. Die zweigeschossige Anordnung des alten Pantheon wurde auf ein Geschoss zurückgeführt, und diesem Fenster eingeordnet. So erscheint zunächst auf elliptischer Grundlage der Speisesaal von Sanssouci, der, wie der König selbst sagt, das Pantheon nachahmt. An Stelle des kreisrunden Grundrisses ist hier die Ellipse getreten, die auch Serlio schon auf die Tempelform angewandt hatte.

Dieselbe Grundform im Sinne Serlios, nur ohne jeden Schmuck und das Oberlicht, besitzt die Französische Kirche in Potsdam, die sich im Äußeren dem römischen Gebäude nähert. Erst im Anfang des 19. Jahrhunderts erhielt sie das Kreuz, bis dahin hielt man also an der antiken Tempelform fest. Legeay entwarf ganz im Einklang mit Serlios Theorien die katholische St. Hedwigskirche in Berlin mit einer Aufsatzlaterne und einem Glockenturm, der später Beichtkapelle wurde. Oberlicht, Seitenfenster, gekuppelte Wandsäulen und kreisrunder Grundriss gaben diesem Werke die Eigenart. Trotzdem ist die klassizistische Note und die Anlehnung an Rom unverkennbar. Der Antikentempel im Park um das Neue Palais gibt den Ausklang des königlichen Lieblingsmotivs. Die kreisförmige Grundgestalt, die fensterlose Rundwand, das einfallende Licht im Zenith zeigen strengere Züge, nur die schmucklosen Wände und die Außenform scheiden den Bau von dem römischen Urbild.

An zwei Stellen geht die Wirksamkeit Knobelsdorffs mit der Friedrichs Hand in Hand: in Sanssouci (1745—1747) und beim Stadtschloss (1744-1751).

Sanssouci ist im Innern rein rokokomäßig gehalten. König und Architekt, der sich im Rokoko schon in der goldenen Galerie Charlottenburgs versucht hatte, arbeiteten zusammen. Auf Knobelsdorff sind in der Gesamterscheinung des Baues der säulengetragene Mittelsaal, der Parolesaal, die klassizistischen Pilaster der Nordseite, die Säulenhalle (Abb. 7) dortselbst zurückzuführen. Auf den Einfluss des Königs weisen der gesamte Grundriss, vor allem die runden Ecksäle (Comme à Rheinsberg schreibt Friedrich im ursprünglichen Entwurf), die eigenartigen Hermenpilaster (Abb. 8) der Südseite, die Vermeidung des Sockelgeschosses hin. Barock ist die Gartenseite, aber auch der klassizistischen Nordfassade fehlt in reichem Schmuckwerk ein barocker Schimmer nicht. Die intime Und bequeme Anlage ist im wesentlichen den Wünschen des Königs zu verdanken, durch das Verwachsensein mit dem Boden unterscheidet sich Sanssouci glücklich und eigenartig von ähnlichen Schlössern wie z.B. von den späteren Bauten der Solitude (Stuttgart) und Monrepos (Ludwigsburg). Die beiden echten Rokokofassaden der Neuen Kammern und der Bildergalerie verdanken wir den persönlichen Wünschen Friedrichs. Das typische Rokokopalais im Innern und Äußern stellen die ersteren dar. Einen klassischen Saal, von mächtiger Wirkung durch die gewölbte Flachdecke, die korinthischen Säulen, die antiken Reliefs, enthält das zweite Gebäude in seiner ganzen Länge. Hier waren die italienischen und niederländischen Meister vereint, denen der König seit 1755 huldigte.

Sieben Jahre (1744 — 1751) dauerte der Umbau des Stadtschlosses (Abb. 9). Es war das Siegesmonument für den Dresdner Frieden, die Wappen Brandenburgs und Preußens an der Stirnseite hatten das Abzeichen der neuen Provinz Schlesien als drittes Wahrzeichen neben sich. Schlesischer Marmor wurde im Treppenhaus und Vorsaal verwendet. Der große Prunksaal im Innern blieb, er wurde zum Denkmal für die Taten des Großen Kurfürsten ausgestaltet. Alle übrigen Innenräume kündeten preußische Rokokokunst. An dieser Stelle können wir wie an keiner anderen die Eigenart des königlichen Künstlers belauschen. Einen Organismus von Zwecken zu schaffen und diese so entwickelten Räume in inneren Zusammenhang zu setzen, war man lebhaft bemüht. Die Form des Einzelgrundrisses ist meist die des Rechtecks mit gerundeten Ecken, also echtes Rokoko. Von den erhaltenen Zimmern liegt eins der vornehmsten westlich der Haupttreppe neben dem großen Marmorsaal mit den Schlüterschen Putten an der Decke: der Bronzesaal. Sein Schmuck ist wahrscheinlich nach Zeichnungen von Nahl in Bronze von Kambly ausgeführt. Köstliche Blumengewinde ranken sich an den Wänden empor, reich und vielseitig in der Erfindung. Der Marschallsaal, ganz in Grün und Gold, zeigt feinen Régencestil der Holzschnitzereien. An Durchbildung der technischen Ausführung ist er das Vollendetste, was aus jener Zeit erhalten ist. Der Teesalon, blau mit Silber, vermittelt den Übergang ins Konzertzimmer mit vergoldeten Holzschnitzereien, die das Schilfmotiv enthalten. Sie umschließen auf Goldgrund feine Malereien à la chinoise. Ein kleines Zedernkabinett tut sich auf mit entzückendem Flurfenster nach der bequemen Treppe hin, die zum Lustgarten führt. Auf das Zedernkabinett als Vorzimmer folgt das Arbeitszimmer des fürstlichen Bewohners. Bunt bemalte Blumen zieren die Wände. Gehänge und Körbe erzielen einen überraschenden Eindruck. Das Schlafgemach (Abb. 10) an der Straßenseite ist nach Rokokositte als Hauptpunkt der Privatgemächer, als chambre de parade gedacht. Ein wunderbarer Zusammenklang von Farbentönen umfängt uns. Blaue Seidentapeten bekleiden die Wände. Deren oberer Teil und die Decke ist blau, violett und weiß gehalten, mit silbernen Zierraten von originellem deutschen Geschmack. Den Alkoven, der ursprünglich die Bibliothek enthielt, trennt vom Hauptraum eine silberne Balustrade mit Putten. Beim Umbau des Stadtschlosses ließ der König seinem Baumeister für die Herstellung der Außenseite ziemlich freie Hand.

Für Knobelsdorff charakteristisch sind die Kolonnaden, die das Schloss auf der einen Seite mit der Havelbalustrade, auf der anderen mit dem Marstall verbinden. Schon in Rheinsberg ist die Säulenhalle, die beide Flügel miteinander vereinigt, sein Werk. Hier in Potsdam hat er sich den veränderten Bedingungen angepasst. Ein klassisch erweitertes, in die Höhe entwickeltes Gitter stellen diese Reihen schöner, wie bei Perrault gekuppelter, korinthischer Säulen dar und lehnen sich so an die Bauart des Schlosses an. An diesem ist das Parterregeschoss mit Rustikaquaderung zur reinen Plinthe geworden, an den Risaliten erheben sich Pilaster, die zwei Geschosse zusammenfassen. Das Mittelrisalit hat nach der Hof- und Gartenseite zu an Stelle der Wandpfeiler mächtige gekuppelte Dreiviertelsäulen. Die Seitenfassaden Perraults am Louvre und die Gartenseite von Versailles haben hier unbedingt eingewirkt. Die Gesimse der Fenster sind von klassischer Reinheit. Nach dem Hofe zu finden sich aber an den Mittelfenstern des ersten Stockes auch echt barocke, perspektivisch vertiefte Gewände. Der Wunsch, der dem Erbauer nach Perraults Vorbild nahelag, vor den Hauptbau freistehende Säulen zu stellen, ging durch des Königs Einspruch nicht in Erfüllung. Nach der Marktseite zu aber hatte er Freiheit. So entstanden denn hier nach dem Vorbilde des Berliner Opernhauses zwei antike Tempelhallen von Wirksamkeit und Schönheit als Flügelabschluss.

Die östliche war Vorhalle des Theaters, sie trägt auf ihrer Giebelspitze eine schöne Minerva, die westliche bezeichnete die Schlosskapelle. Der Giebel trägt den Herkules, dessen Leben nach damaliger Ansicht dem Christentum verwandte Züge aufweist. Betrat man von der Brücke her durch das Portal den Lustgarten, so grüßte rechts das Schloss mit seiner kraftvollen Palastarchitektur , seinen reich vergoldeten Zierraten. Die Ringergruppen der zweiten Kolonnade weisen auf die Bedeutung des Exerzierplatzes hin und führen uns zu Nerings Marstall (Abb. 11), an dessen Risalite sich, von Knobelsdorff angefügt, toskanische, gekuppelte Halbsäulen mit bandartiger Rustika lehnen. Barocke Pferdegruppen Glumes ragen auf ihm empor. Der ganze königliche Besitz wurde im Hintergrunde durch eine Mauer mit Malereien in lebhaften Farben geschlossen. Zwischen den beiden Schilderhäusern des Ausgangstors hindurch blickte man am Garnisonturm vorbei auf zwei Obelisken im Hintergrunde der Straße, das Neustädter Tor. Auch dies stammt vom Architekten des Schlosses (1753). Er schuf damit einen wirkungsvollen, malerisch abschließenden Prospekt.

Bis 1753 herrschte Knobelsdorffs Stil. Er hat auch in bemerkenswerter Weise in der bürgerlichen Wohnhausarchitektur der Residenz Schule gemacht. Eine ganze Reihe von Bürgerhäusern (Abb. 12) rühren von dem Meister her (Abb. 13, 14). Im Gegensatz zu dem zeitweiligen Maskenbau des Königs ließ er den Baukörper aus den Bedingungen des Wohnens erwachsen und verzichtete auf alles Übermaß im Schmuckwerk. So trägt ein ganzer Stadtteil in unnachahmlicher Schlichtheit sein Gepräge, ein Typus des deutschen Barockbürgerhauses war im Werden. Boumann setzte diese Überlieferung allerdings in nicht ganz so vollendeter Weise fort.

Diese verheißungsvollen Anfänge fanden ein Ende durch den Bruch zwischen Friedrich und dem alten Freunde, der vornehmlich durch den Willen des Königs bedingt war, seinen eigenen klassisch gerichteten Stil zur Geltung zu bringen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Potsdamer Baukunst