3. Hochklassizismus und Romantik Schinkels in Potsdam.

1810-1840.

Seit Schinkels Eintritt in den Staatsdienst (1810) und nach den großen Erschütterungen der Freiheitskriege begann eine neue Blütezeit der Baukunst; sie dauert bis 1840: Schinkels Hochklassizismus im Bunde mit der Hochromantik. Waren seine Vorläufer vom Barockstil ausgegangen, — er ist ganz Klassizist. Trägt die Frühromantik sentimentale und dekorative Züge, — er geht auf architektonische Erfassung der Gotik aus. Seine Kunst ist nichts Angelerntes, von außen Übernommenes, sie ist deutsch, fest verankert in der großen nationalen Kultur, die um die Wende des Jahrhunderts geschaffen wird. Die ästhetische Ansicht Schillers und Goethes, die Kunstlehre der großen Romantiker hat Schinkel völlig in sich aufgenommen. Auf selbständigem Anschluss an die Antike und die Gotik beruht die Ursprünglichkeit seiner künstlerischen Wirkungen. Ihm eignet ein außerordentlich glückliches Raumempfinden, ein harmonisches Maßhalten, eine geschickte Anwendung klassischer und romantischer Formensprache.


Schinkel ist ganz erfüllt von der idealistischen Weltanschauung Schillers. Die Freiheit des Geistes erscheint, so sagt er selbst, bei jeder Selbstüberwindung, bei jedem Widerstände gegen äußere Lockung, bei jeder Pflichterfüllung! — Jeder freie Moment ist ein seliger. Ohne Schiller könnten diese Worte nicht geschrieben sein. Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben in des Ideales Reich! — das ist auch des großen Architekten Wahlspruch gewesen. Er hat daher, wie jeder aufrichtige Idealist, gewaltig durch den Zauber seiner Persönlichkeit gewirkt. Die wundervolle Harmonie seines Wesens teilte sich jedem mit, der mit ihm in Berührung kam. Keine andere Formensprache konnte seinem Wesen so gemäß sein, wie die klassizistische. Mit Bramante hörte in der Renaissance für ihn der beste Stil der Architektur auf. Sehr bezeichnend! — Die ganze gewaltige Entwickelung des Barockstils mit ihrem ungeheuren Kraftstreben war für ihn, wenigstens theoretisch, nicht vorhanden. Praktisch aber lässt sich der Fortschritt, den die Baukunst im Barock gemacht hatte, doch auch bei ihm nicht ausschalten. Schon die Verwendung kanonisch feststehender Bauformen verbindet ihn äußerlich mit der vorausgehenden Epoche, die auch klassizistische Züge die Menge aufweist. Die Profile Knobelsdorffs sind eine Vorahnung der späteren Klassik. Auch die Raumprobleme sind vielfach vom Barock her bestimmt. Die äußeren Umrisse der Nikolaikirche ferner atmen zwar Bramantesche Harmonie, aber die Kuppellinie ist nicht halbkreisförmig, sondern durch Michelangelo bestimmt und daher stark überhöht. Ganz ist also die zweihundertjährige Entwickelung nicht ausgeschaltet, sie wirkt, dem Künstler vielleicht unbewusst, doch noch nach. Neuen Zielen strebt er zu. Insofern als er nicht nachahmte, sondern die Bedingungen des Bauwerks zuerst sprechen ließ und je nach Belieben den Formenschatz der Überlieferung fruchtbar machte, ist er ganz modern. Sicherlich ist er zuerst und recht eigentlich Klassizist, nicht Romantiker. Harmonische Schönheit ist der Grundzug seines Wesens, auch seines Bauens. Die Gotik ist ihm der ergreifende Stil altdeutscher Bauart. Sie wurde, wie er selbst ausgesprochen hat, in ihrer Entwickelung durch einen wunderbaren und wohltätigen Rückblick auf die Antike für Jahrhunderte unterbrochen. Dadurch wurde die Welt geschickt, ein dieser Kunst zu ihrer Vollendung noch fehlendes Element in ihr zu verschmelzen. Dieser Ansicht entsprach er durch eine klassizistische Umgestaltung der Gotik. Die Vermeidung der Strebebögen, das Schwinden des hohen Steildaches deutet das an. Schinkels klassische Bestrebungen beeinflussen und berichtigen seiner Meinung nach die Gotik in Hinsicht auf harmonische, rein künstlerische Wirkung. Gewiss kannte er die Gotik aus eigener Anschauung. Wir finden Reiseskizzen aus Chorin und Brandenburg unter seinem Nachlass. Aus Marienburg berichtet er 1819: Einfachheit, Schönheit, Originalität und Konsequenz seien in diesem Bauwerk durchaus harmonisch verbunden. Schon sein Lehrer Friedrich Gilly hatte im Gegensatz zu den sentimentalen Romantikern der realistischen Auffassung historischer Gotik durch seine Aufnahmen der Marienburg vorgearbeitet. Ganz wie für Novalis ist für Schinkel das Mittelalter eine Zeit kraft erfüllter, einheitlicher, christlicher Kultur. Das sprach sich seiner Ansicht nach auch in der Kunst aus. Die mittelalterliche Kunst als Ausdruck dieser einheitlichen Kultur müsse wieder aufgenommen und unter dem Einfluss der Schönheitsprinzipien, die das heidnische Altertum liefert, fortgebildet und vollendet werden. Derartige Anschauungen leiteten ihn, für die Königin Luise ein Mausoleum im gotischen Stil zu entwerfen. „Nichts Großes und Schönes aus früheren Kunstepochen“, sagt er, „soll und kann untergehen in der Welt, es dauert ewig fort, künftigen Geschlechtern zur Veredelung. Aber es häuft sich, so lange die Welt steht, diese Masse mehr und mehr an; der Einfluss dieser Erbschaft auf die Ausübung gegenwärtiger Kunst wird unsicherer und lässt Missgriffe zu. Hierin Ordnung zu halten und das Wertvolle früherer Zeitalter unverfälscht unter uns lebendig zu erhalten und das Maß der Anwendung für die Gegenwart zu finden, ist eine der Hauptbestimmungen des Architekten.“ In diesem Sinne nahm der Meister die Werte der Vergangenheit auf, und hierin allerdings berührt er sich mit den führenden Geistern der Romantik. Auch sie umfassten das Vergangene, das Kulturerbe mit einem Blick. Klassisches und Romantisches schlössen sich ihnen nicht aus, die Höhen der Kulturentwickelung haben für sie dasselbe Niveau: Homer, Dante, Shakespeare und Goethe sind in gleicher Weise zu werten. So hat Schinkel empfunden und daher erscheinen Antike und Mittelalter nicht als Gegensätze, sondern als gleichberechtigt in seinem Geiste. Allerdings muss sich das letztere eine Berichtigung vom klassischen Altertum aus gefallen lassen. Die Architektur ist die Fortsetzung der Natur in ihrer konstruktiven Tätigkeit, hat Schinkel einmal gesagt. Dass die Griechen in ihrer Architektur diese Tätigkeit vollendet geübt haben, war sein unerschütterlicher Glaube.

Schinkels erste große Schöpfung bei Potsdam war Charlottenhof und Umgebung. Hier liegen aber so starke Wirkungen der Renaissancerichtung Friedrich Wilhelms IV. als Kronprinz vor, daß eine Einreihung unter die Werke dieses Fürsten geboten erscheint. Etwa zur gleichen Zeit entstand das Schlösschen Glienicke für den Prinzen Karl in ungemein schlichten Wohnhausformen. Es erinnert in seiner Art etwas an jenes einfache Kavalierhaus, das der Meister für den Park von Charlottenburg schuf. In der Stadt selbst vollendete er ein Meisterstück vornehmer bürgerlicher Baukunst, das Zivilkasino (1820 — 1822) (Abb. 61) Das Innere des Gebäudes mit den festlichen Sälen zeigt die Begabung Schinkels für wirksame Repräsentation und mit Stolz darf er in einem Briefe an den Minister vom 18. Okt. 1820 sagen: ,,So sehr die Beibehaltung dieses Saales wünschenswert ist (es handelte sich um Einschränkung bei der Bauausführung), so kann man doch dreist jedermann auffordern, in Berlin und Potsdam irgendwo, die Königlichen Schlösser ausgenommen, ein Gesellschaftslokal zu suchen, was dem, außer jenem Speisesaal, noch bleibenden Reste des Casinogebäudes zu vergleichen wäre!“ Auch das Äußere in seiner Zurückhaltung ist ganz selbständige, aus dem Zweck entwickelte Schöpfung.

Der Künstler stand im Jahre 1826 auf der Höhe seines Schaffens, als er den Auftrag Friedrich Wilhelms III. empfing, Entwürfe für eine Kirche auf dem Alten Markte in Potsdam zu liefern. Die neue Wache in Berlin (1816—1818), das dortige Schauspielhaus (1818-1821), das Alte Museum (1822-1828) zeigen seine vollendete Meisterschaft, seine sichere Beherrschung der klassischen Formensprache. Durch einen günstigen Zufall ist uns ein Blatt von des Meisters Hand erhalten geblieben, das über den Gang der Entwickelung seiner ersten Entwürfe Auskunft gibt. Der Inhalt stehe voran; dann soll seine Deutung folgen: Bemerkungen zu den Plänen für die in Potsdam neu zu erbauende Kirche. Blatt Nr. I stellt die Kirche St. Philippe du Roule in Paris dar. Bei dieser Kirche, welche nur die Vorderfassade gegen eine Hauptstraße kehrt, ist die Seiten- und Hinterfront vernachlässigt. Die Vorderfassade hat ungeachtet der Kolossalität der vier toskanischen Säulen (welche die am Berliner Schauspielhause um drei Fuß an Höhe übersteigen) etwas Dürftiges, zugleich wenig Kirchliches. Im Innern sind die Säulenreihen zu weit nach der Mitte hineingestellt, dadurch wird der Raum für die Zuhörer einer evangelischen Kirche geschmälert, weil hinter den enggestellten Säulen nicht viel auf das Sehen der Kanzel und das Hören des Predigers zu rechnen ist.

Blatt Nr. II. Neuer Entwurf in Form einer reinen Basilika, welcher sich im ganzen am meisten dem Plane Nr. I anschließt, jedoch mit folgenden Unterschieden: Der Portikus ist sechssäulig, die Säulen selbst aber von mäßiger Proportion, die übrigen Fassaden sind gleichfalls mit korrespondierender Architektur versehen, weil das ganze Gebäude ringsum frei liegt. Die Säulenstellung im Innern ist weiter aus der Mitte gerückt, die Säulen untereinander stehen weiter auseinander und sind von geringerer Stärke, weil in der Höhe zwei Rang übereinander gestellt sind. Alle diese Einrichtungen gewähren größere Vorteile für Sehen und Hören. Die Kirche hat statt der ganz gewölbten Decke, die dem Sprechen hinderlich ist, eine flache Decke erhalten. Es ist Raum für eintausenddreihundert bis eintausendfünfhundert Menschen in dieser Kirche. Der Situationsplan zeigt, welchen Raum sie auf dem Platze einnehmen wird. In den vier oberen Ecken des Gebäudes sind Räume für mäßige Glocken eingebaut.

Blatt Nr. III. Ein anderer neuer Entwurf in der Totalgröße dem ad Nr. II gleich mit einer anderen Einrichtung im Innern. Statt der Unterstützung der Kirchendecke durch fünf Säulen an jeder Seite sind hier nur zwei Säulen angebracht, über welche Bogen gespannt sind, hierdurch werden für das Hören und Sehen noch mehr Hindernisse aus dem Wege geräumt. Der obere Rang Säulen fällt hiernach fort. Die Seitenfassade betont in Konsequenz dieser inneren Einrichtung große Bogenfenster. Die vordere Fassade ist ganz der ad II gleich und also kann der Effekt der hier gegebenen prospektivischen Ansicht für den Entwurf II in dieser Partie mitdienen.

Blatt Nr. IV. Ein anderer neuer Entwurf, bei welchem die Länge der äußersten Extremitäten soviel bedeutender angenommen ist, daß die Treppe des Portikus bis A (im Situationsplan Nr. II) vortritt und dann im Alignement der Häuser in der am Rathaus laufenden Straße liegt. Im Innern sind die Bogenspannungen noch weiter gehalten, um noch mehr Räumlichkeit zu gewinnen, so daß eintausendfünfhundert bis eintausendsechshundert Menschen Platz erhalten.

Blatt Nr. V. Ein anderer Entwurf nach den Prinzipien von Nr. II, jedoch in einer solchen Breite projektiert, daß die Kirche über zweitausend Zuhörer fassen kann. Wegen des größeren Flächeninhalts und der danach proportionierten größeren Höhe werden sich die Kosten um die Hälfte vermehren.

Blatt Nr. VI. Ein anderer Entwurf, gleichfalls auf eine Anzahl von zweitausend Zuhörern berechnet. Die Kirche ist mit einem flachen Kuppelgewölbe überspannt, in dessen Zenith ein einfallendes Licht angebracht ist. Dieser Entwurf gewährt die Freiheit, in der Folge einmal eine hohe Kuppel mit Tambour auf zusetzen, wenn ein solcher Bau etwa jetzt zu viel Kosten mit einem Mal verursachen sollte. Wie die Form einer solchen Kuppel ausfallen könnte, ist auf einem besonderen Blatte, zum Aufpassen angegeben.

Die Kosten dieses letzten Entwurfs werden die von Nr. V noch um etwas übersteigen, wegen der Gewölbe und der dazu nötigen stärkeren Widerlager und Grundmauern. Der späterhin vielleicht einmal auszuführende Dom über dieser Kirche würde dann ca. 2/5 von den Kosten noch mehr betragen.

Was können uns diese Entwürfe erzählen? Zunächst gibt uns die Wahl der Kirche St. Philippe du Roule als Ausgangspunkt einigen Aufschluss. — Sie war von J. F. Th. Chalgrin von 1769 — 1784 in Paris gebaut worden und galt als ein Muster neuklassischer Bauweise. Sie übertrug ganz folgerichtig den Tempelstil auf das christliche Gotteshaus. König Friedrich Wilhelm III. hatte das Gebäude bei seiner Anwesenheit in Paris kennen gelernt, und es hatte ihm ausnehmend gefallen. Das kann man vollkommen verstehen. Noch heute verfehlt diese Kirche der vornehmen Welt in der stillen Straße des Faubourg St. Honoré mit ihren schlichten Wandflächen, den kraftvollen Säulen, dem intimen Säulensaal des Inneren ihre Wirkung nicht. Etwas ähnliches wünschte der Herrscher wohl in Potsdam zu haben, und Schinkel wird darin mit ihm eines Sinnes gewesen sein. Das Tempelmotiv, die harmonische Schlichtheit, das alles sagte ihm zu. Dazu kam, daß mit Rücksicht auf den Platz und die umgebenden Gebäude eine gewisse Höhe nicht überschritten werden konnte. Sonst hätte man die fein abgewogene Einheit der Anlage zersprengt. Höher als das alte Portal sollte der Neubau zunächst nicht werden, auch aus wirtschaftlichen Gründen verbot sich das. Das damalige Preußen war arm, die Aufgaben des Tages erforderten alle Kräfte; es ist eigentlich erstaunlich, daß unter so schwierigen Umständen noch soviel für die Kunst getan werden konnte. Die Kunstpflege trotz solcher Hindernisse ist ein Ehrentitel Preußens, ein Ehrentitel des sonst so nüchtern-praktischen Königs Friedrich Wilhelm III. Die Rücksicht auf die Kosten zieht sich denn auch durch alle Entwürfe Schinkels hindurch, sie zeigt die Enge des Raumes an, in der ein so begabter Künstler sich eben zurecht finden mußte. Der Baumeister dachte bei seinen Zeichnungen, wie sich deutlich zeigt, weniger daran, einen klassischen Tempel zu schaffen, er suchte vielmehr unter Berücksichtigung der kirchlichen Aufgaben, eine neue Art Langhaus, etwa im Sinne der kirchlichen Basilika, herzustellen. Stets dachte er — das zeigen seine eigenen Worte — an die Wirkung des gesprochenen Wortes, der Predigt, im Räume. So suchte er nach Möglichkeit die schmückenden Säulen aus der Mitte zu rücken, um Platz für das Hören und Sehen zu gewinnen. Und noch ein zweites kam hinzu. Eine möglichst große Hörerschaft sollte in dem Räume vereinigt sein, handelte es sich doch um die größte Gemeinde der Stadt. Daher verschwanden schließlich die Säulen, die das Innere in drei Schiffe teilten, sie wichen bis unter die Emporen zurück, an Stelle des Langhauses trat ein kraftvoller, quadratischer Zentralbau. Von vier Eckpfeilern aus spannten sich große Bogen, die einen Ring für die Flachkuppel bildeten. Ein ähnliches System hat Schinkel auch für den ersten klassischen Entwurf der Werder-Kirche angewandt. Es geht zurück auf Motive des Pariser Panthéons, und zwar auf die Konstruktion der von Flachkuppeln überwölbten vier Kreuzarme dieses Bauwerks. Vorsichtig und leise deutet der Meister noch eine großartigere Lösung an, wenn die Kosten sie zulassen. Man könnte später einmal eine hohe Kuppel mit Trommeluntersatz anbringen. Diese Idee erwuchs aus dem Übergang zum Zentralbau, aber auch aus dem Wunsche, der Stadtkirche für den verschwundenen Turm einen Ersatz und dem Stadtbilde einen beherrschenden Mittelpunkt zu schaffen. Ein Blatt zum Aufpassen zeigt die Kuppel wesentlich so wie heute, allerdings ist die Kuppelschale eine reine Halbkugel. Da die Wirkung etwas gedrückt erschien, hat Schinkel mit dem Stift daneben eine neue stark überhöhte Wölbung gezeichnet, die dann für die weiteren Entwürfe maßgebend wurde.

Die Form seines Kuppelaufbaues entnahm er den klassizistischen Vorbildern, die er kannte. Sie findet sich in Europa Zuerst an Christopher Wrens Paulskirche in London und an Soufflots Panthéon in Paris. Sie ist ursprünglich ein Gedanke Bramantes für die Kuppel der Peterskirche. Der wollte die Trommel der Kuppel mit toskanischen Säulen umstellen, die Kuppelschale halbkugelig wölben. Das geplante System zeigt sich im kleinen an seinem Tempietto auf dem Klosterhofe von San Pietro in Montorio zu Rom. Bramante führte den Bau St. Peters nicht zu Ende, Michelangelo war sein Nachfolger. Seinem Riesengeist genügte die Halbkugel auf der Höhe nicht, er steigerte die Kuppellinie in die überhöhte Form hinein. In unerhörter Kühnheit war er bis an die Grenze des Möglichen gelangt. Die Außenseite der Kuppel wurde nicht mit dem Bramanteschen Säulenrund, sondern zwischen den Fenstern mit Wandpfeilern versehen, an die sich paarweis geordnete Säulen lehnen. Diese etwas ärmliche Anordnung lässt allerdings die unvergleichliche Herrlichkeit der Kuppellinie um so heller aufleuchten. Christopher Wren, der Meister von Sankt Paul in London, griff nun als strenger Klassizist auf die säulenumgebene Trommel Bramantes zurück, verband sie aber mit der überhöhten Kuppellinie Michelangelos und bildete das Ganze mit großer Folgerichtigkeit durch. Das Innere erreicht als Nachahmung der römischen Kirche das Äußere an Wirkung nicht. Auch Soufflot hat beim Bau des Pariser Panthéon (ursprünglich St. Genevieve-Kirche) sich wohl Bramantes erinnert; das Originellste an dem französischen Werke ist die Gestaltung des Innern. Das Studium römischer Thermenanlagen (vornehmlich der des Caracalla) hat auf die wundervolle eigene Gestaltung der vier Kreuzarme gewirkt, über großen Ecksäulen schwingen sich Bogen empor. Sie tragen einen Kuppelring, der durch eine flache Wölbung geschlossen wird. Es ist nicht zweifelhaft, daß Schinkel für die Außengestaltung Anregungen von Wren, für die Innenkonstruktion solche von Soufflot übernahm. London und Paris waren ihm ja von seinen Reisen her wohlbekannt. Aber er übernahm nur Anregungen. Seine Nikolaikirche ist keine Nachahmung, sondern eigenes Werk. Die Kuppel wurde noch folgerichtiger klassisch durchgebildet (Abb. 62). An die Stelle einer Balustrade über den Säulen der Trommel setzte er einen Akroterienkranz, und verstärkte so den Eindruck des Tempelhaften. Der Aufsatzstock dicht unter der Kuppelschale erhielt über den Fenstern schlichte gerade Gesimse; Soufflot hat an dieser Stelle Kämpferbogen, Wren unruhig wirkende Schilde. Auch die Laterne ist im Gegensatz zu den fast barocken der ausländischen Künstler ruhiger, tempelartiger. Schinkels eigenster Gedanke ist die Herstellung eines selbständigen Zentralbaues, er brach mit jeder Überlieferung des lateinischen und griechischen Kreuzes. Nur in der altchristlichen Kunst, zu deren Überlieferungen er somit zurückkehrte, finden wir Ähnliches. Die Verbindung dieses Zentralbaues mit der stark überhöhten Kuppel ist die glänzendste Leistung des Schinkelschen Genius. Die eigenartige Kraft und der sichere Aufstieg aller Bauglieder im Innern des Gotteshauses können auf kein empfängliches Gemüt den Eindruck verfehlen. Der deutsche Meister tritt mit seinem Werk ebenbürtig neben Christopher Wren und Soufflot. Sein Werk ist ferner auf dem Gebiet des protestantischen Kirchenbaues das klassizistische Gegenstück zu dem bedeutendsten Zentralbau des Barockstils in Deutschland, zu Bährs protestantischer Frauenkirche in Dresden. Eine große Aufgabe protestantischen Kirchenbaues war erwachsen, ihre Vollendung stand Hinweise auf die Möglichkeit einer so großartigen Lösung in Schinkels Notizen beweisen, daß er, durch traurige Erfahrungen gewitzigt, kaum an die Verwirklichung seines Künstlertraumes dachte. Auch die Rücksicht auf die Finanzen des Staates, die sich eben erst zu erholen begannen, legte ihm, wie seine Aufzeichnungen beweisen, große Beschränkungen auf. Wenn er aber sein Ziel erreichte, dann durfte er diesen Bau als die Krönung seines Lebenswerkes betrachten.

Erst nach der Beendigung des alten Museums (1828) konnte der Meister wieder an die Arbeit für die Potsdamer Nikolaikirche herangehen. Noch schwankte man zwischen dem Langhause und dem Kuppelbau. Für das erstere wurde ein ausführlicher Entwurf fertig gestellt. Ein basilikales Langhaus mit Säulenvorhalle und je fünf Fenstern in zwei Geschossen an den Langseiten war geplant. Im Innern drei Schiffe, durch Säulenreihen, die in zwei Rängen übereinander stehen, getrennt. Aber der Gedanke an das Stadtbild überwiegt auch schon hier die Erwägung, den Rahmen des Platzes nicht zu sprengen. Das zeigt ein Entwurf, der Vorderfront rechts und links zwei Türme beizugeben. Wäre der zur Ausführung gekommen, so hätten wir ein deutsches Gegenstück zu Hittorfs St. Vincent de Paul in Paris.

Auch der Zentralbau mit übergewölbter Flachkuppel wurde noch einmal mit anderen Zeichnungen ausgeführt und vorgelegt.

Er wurde vom Könige genehmigt, aber die Hoffnung Schinkels, doch noch die hohe Kuppel aufsetzen zu können, erfüllte sich nicht. Friedrich Wilhelm wies diesen kostspieligen Plan zurück. Er trat vielmehr mit einem eigenen Entwurf hervor. Auf dem quadratischen Zentralbau mit übergewölbter Flachkuppel sollten in der Vorderfront über dem Hauptgesims zwei Türme angebracht werden, ,,an welchen“, wie Schinkel sagt, ,,Seine Majestät höchsteigenhändig Kuppelformen zu bestimmen geruht hatten“. Schinkel führt weiter aus, daß bei der quadratischen Grundform die Anbringung zweier Türme nicht ganz mit den Regeln des Ebenmaßes und der historischen Begründung der Kirchenformen zu vereinen sei, aber ungeachtet vollständiger Auseinandersetzung dieses Punktes sei sie vom Könige beibehalten worden.

Der Baumeister hoffte aber, die „imposante Größe und die sich charakteristisch aussprechende Grundform“ würde den König bestimmen, vom Bau der Türme abzulassen. Da aber drängte der Herrscher 1832 mit der Ausführung der Türme und wollte die nötigen Summen sofort vorschießen lassen. Schinkel fürchtete ,,allgemeines Missfallen“ bei der Ausführung und wandte sich in seiner Not an Beuth. Dieser riet ihm, unmittelbar an den König zu gehen. Noch einmal wurde das gesamte Material vorgelegt unter Beifügung einer Ansicht des Stadtbildes mit den beiden Türmen von St. Nicolai im Verhältnis zu dem nahen gewaltigen Garnisonturm. Den Bedenken einer ungünstigen Wirkung der Türmchen im Stadtbilde neben der Heiligengeist- und Garnisonkirche verschloss sich der König nicht, er verzichtete auf seinen Lieblingsplan und gab Befehl, den ursprünglichen Flachkuppelentwurf auszuführen, das Gebäude aber mit einem flachen Satteldache zu bedecken und an der Vorderfront über dem Hauptgesims ein großes Giebelfeld anzubringen, das in größerem Maßstabe dem Giebelfeld an der kleinen Säulenvorhalle entsprach. So wurde denn auch verfahren.

Der Plan von 1829 unterschied sich im Inneren und Äußeren von der heutigen Ausführung in wesentlichen Punkten. Am Außenbau fehlten die vier Ecktürme. Im Innern war die Apsis mit Szenen aus der Leidensgeschichte des Herrn geschmückt, die großen Tragbogen zeigten drei Reihen echter Kassetten, die von zwei Gurtbogen eingefasst wurden. Die Ausschmückung wurde 1834 durch Schinkel geändert. An Stelle der echten traten vier Reihen gemalter Kassetten mit nur einem Gurtbogen, die Chornische empfing eine Malerei, die bis auf die Figur des Christus der heutigen gleich ist. Der Künstler hatte den thronenden Herrn in starker Bewegung und in seitlicher Wendung zur Darstellung gebracht. Diese Gestalt wurde zur Zeit Friedrich Wilhelms IV. von Professor Holbein geändert. Der Maler Rosendahl, ein Corneliusschüler, hatte die Ausführung. Am 7. Januar 1837 gab Persius in einem Schreiben an Schinkel Bericht über die Fortschritte der Innendekoration. Er schreibt: Über den Kirchenbau und zunächst über das Bild glaubte ich, würde Herr Rosendahl, der bereits seit 14 Tagen nach Berlin gegangen ist und nun erst im nächsten Frühjahre zurückzukehren gedenkt, um die letzte Hand anzulegen, Ihnen einige Mitteilungen gemacht haben. Er hat in der letzten Zeit die von Ihnen gewünschten Änderungen an einzelnen Teilen bewerkstelligt und auch das Fehlende an den letzten vier Aposteln vollendet. Eine Änderung in der rechten Engelgruppe, wo Sie rieten, die Hände des mittleren Engels mehr gehoben anzudeuten, um mehr den Ausdruck der Innigkeit zu bezeichnen, scheint jedoch nicht ganz geglückt zu sein. Ich vermute, daß es mit der Änderung der Hände allein nicht abgemacht sein kann, sondern daß die Arme mehr angezogen gedacht werden müßten. Das Bild hat sich wie der ganze Kirchenraum in der letzten Zeit sehr gut gehalten und ist mit gehöriger Beobachtung der wechselnden Temperatur in den vergoldeten Flächen kein Anschlagen bemerkt worden. — — Die Orgel ist soweit gediehen, daß das Aufstellen der Pfeifen nunmehr begonnen hat. Die sämtlichen Ornamente sind befestigt und die Vergoldung derselben ist bis auf die unteren Kelche erfolgt. Die Altarbalustrade ist gänzlich vollendet und an der Kanzel werden die Architekturleisten vom Tischler befestigt. Herr Geiß hat zugesagt, in kurzer Zeit einen Teil der Ornamente dafür zu liefern. Die Modelle zu den Distelranken hat Herr Stützel nach Ihrer Anweisung abgeändert, die sich jetzt viel besser machen und, wie ich hoffe, Ihren Beifall haben werden. Für die Ausführung der Schrifttafeln an der Kanzel werde ich mir, wie ich hoffe, recht bald persönlich Ihren gütigen Rat erbitten und Ihnen dann über den Bau noch ausführlicher berichten.“ Am 17. September 1837 vollzog in Gegenwart Friedrich Wilhelms III. Bischof Neander, der Generalsuperintendent der Kurmark, die Einweihung. Was war nun das Ergebnis einer mehr als zehnjährigen Mühe, einer Künstlerarbeit, die bis ins kleinste hinein gewissenhaft ihre Pflicht erfüllt hatte? — Das Gebäude blieb ein Bruchstück, die kühnen Gedanken des Meisters blieben ohne Verwirklichung. Als Predigtkirche war es, obwohl man gerade diesen Zweck im Auge gehabt hatte, völlig unbrauchbar; denn der Prediger war nur auf der rechten Seite des Schiffes in nächster Nähe verständlich, ein Flüsterecho beeinträchtigte die Akustik in hohem Maße. Unter den schweren Enttäuschungen, die ihn in den letzten Lebensjahren trafen, muss dies für Schinkels hochstrebenden Geist die schlimmste und schmerzlichste gewesen sein. Sie hat mit dazu beigetragen, den plötzlichen Zusammenbruch seiner seelischen Kraft zu beschleunigen. Die Krone seiner vaterländischen Schöpfungen sollte der stolze Kuppelbau werden, einen traurigen, unbrauchbaren Torso hinterließ er der Nachwelt.

Das Gotteshaus blieb 1837 unvollendet und wurde dann von 1843 bis 1850 unter Aufsetzung der Kuppel fertig gestellt. Erst zu dieser Zeit fügte Persius die 4 Ecktürme ein. Die Motive zu dem Kuppelbau stammen aus der Hochrenaissance und der römischen Antike, bei der inneren und äußeren Konstruktion der Kuppel aber hatte Schinkel etwas vom Geiste des Barocks übernommen.

So erklärt sich der eigenartige Gegensatz dieses Gebäudes zu den hellenistischen Bauten in Berlin.

Einige Zweckbauten, wie die Husarenställe in der Neuen Königstraße, die Kaserne der Schulabteilung, das Kadettenhaus, das Teltower Tor begleiten die Hauptarbeit an der Nikolaikirche. Die klassischen Motive beschränken sich bei ihnen auf große Giebelfelder und gelegentliche Verwendung des Säulenschmuckes. Der Bau der Glienicker Brücke, des feinen Kasinogebäudes (Abb. 63) im Park des Prinzen Karl, der Gartenhalle mit den Motiven vom Lysikrates-Monument zeigen Schinkels hervorragende Fähigkeit, die Architektur mit der Landschaft in harmonischen Einklang zu setzen. Schon bei der Nikolaikirche hatte sich diese bewährt. Mit der Umrisslinie der Kuppel schuf er den beherrschenden Mittelpunkt für das Hügel- und Seengebiet der Havelstadt. Schloss Babelsberg kündigt eine zeitweilige Wendung zur Gotik an. Englische Einflüsse des Tudorstils sind hier unverkennbar. Die Kenntnis des allerdings künstlich wiederhergestellten Windsor muss in Anschlag gebracht werden, doch handelt es sich nicht um eine Kopie. Gerade der Bergfried mit seinen noch romanischen Formen deutet das an. Die übrigen Teile im Perpendicularstil sind geistreich mit dem Turme verbunden. Die Anordnung der Gemächer in Hakenform steigert den romantischen Eindruck, gleichzeitig werden dadurch hofähnliche Einsprünge gewonnen. Romantisch zu fassen ist auch die Übernahme russischer Motive in der Kolonie Alexandrowska und ihrer Alexander Newski Kapelle, die aber nicht Schinkel selbst angehört. Dagegen ist unter seiner Leitung die burgartig gehaltene, zinnengekrönte Ulanenkaserne aus Backstein (jetzt Gendarmeriekaserne am Brandenburger Tor) fertiggestellt worden. Tätigkeit war sein Lebenselement, bis in die kleinsten Details drang seine Anteilnahme, ausführlich hat er sich z. B. über das Gitter der Husarenställe geäußert (Juli 1822). Unter der übergroßen Last der Arbeit ist schließlich sein stolzer Geist zusammengebrochen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Potsdamer Baukunst