Abschnitt. 4

Als seine Frau in die Wochen kam, war eben wieder stille Zeit unter den Tischlern eingetreten, und Schenk hätte bei den geringen Bestellungen zwei seiner Gesellen entlassen können. Aber die gesteigerten Bedürfnisse zwangen ihn zu verdoppelter Anstrengung, und statt die Arbeit der Zeit gemäß beschränken zu können, war er genöthigt, dieselbe auf eigne Gefahr fortzuführen und zu erweitern. Schenk arbeitete, was sonst nie geschehen war, öfters bis in die späte Nacht. Jeden Sonnabend Abend fuhr er dann mit den verfertigten Möbeln zu den Händlern, um ihnen seine Waaren zum schnellen Verkauf anzubieten. Sonnabends war die Zeit, wo er durchaus Geld einnehmen mußte. An diesem Tage erhielten die Gesellen ihren Lohn, ohne den sie die Arbeit eingestellt haben würden, und gleichzeitig mußten auch die Bretterhändler bezahlt werden, da sie ebenfalls mit der Bezahlung nicht länger als eine Woche warteten und Schenk ohne sie kein Material zur Arbeit gefunden haben würde. So hatte er die doppelte Sorge, einmal seine Waaren regelmäßig bis zum Ende der Woche zu vollenden, und dann sie auch noch an den Mann zu bringen. Die Möbelhändler, welche die Lage der kleinen Meister sehrwohl kennen, nahmen die Anerbietungen Schenks gewöhnlich nicht sehr freundlich auf. Sie zeigten ihm ihre reichgefüllten Magazine, klagten über schlechten Absatz und Verdienst, und meinten, daß sie, ohne sich zu ruiniren, nicht noch mehr Kapital in ihr Geschäft verwenden könnten. Zuletzt boten sie ihm auf seine Waare einen so geringen Preis, daß Schenk trotz der drängenden Noth weiter ging. Aber je länger er umherzog, desto mehr schwanden seine Hoffnungen. Die anderen Händler beobachteten dasselbe Verfahren, Manche boten ihm noch geringere Summen, und Schenk war zuletzt genöthigt, seine Waare für einen Spottpreis wegzugeben. Bezahlte er dann seine Gesellen und die
Bretterhändler, so blieb ihm kaum so viel, um das unumgänglich Nothwendige für die Wirthschaft zu beschaffen.

Auf diese Weise kam das Hauswesen immer mehr zurück. Die Frau kränkelte und vermochte ihres Zustandes wegen nicht mehr auf Ordnung zu sehen, die Gesellen wurden laß oder arbeiteten wenigstens nicht wie früher mit Eifer und Liebe, der Hausmann, Bäcker, Schuhmacher und andere kleine Gläubiger drängten allmählig ernstlicher, und Schenk selbst verfiel durch all diesen Jammer in düstere Stumpfheit. Seine Seele erlag nach dem kurzen Traum des Glückes nur um so schneller dem Druck der hoffnungslosen Armuth, es
ward wüst und leer in ihm, und selbst sein Äußeres fiel ab in Elend.


In einer stillen Nacht kniete der Mann vor einem ärmlichen Bett, und seine heißen Thränen rollten auf die abgemagerte Hand seines bleichen Weibes. Neben ihr regte es sich, und ein hinfälliges neugebornes Kind erwachte eben aus seinem ersten Schlafe. Der Handwerker sah mit einem starren Blick der Verzweiflung durch seine Thränen auf das kleine welke Geschöpf.
»Was wird dein Schicksal sein, du unschuldig Wesen!« grollte er bitter in sich hinein. »Was hast du gethan, daß du geschaffen werden mußtest? In Armuth geboren, in Noth und Elend zu leben, in Sünde vielleicht zu sterben! Was willst Du in der Welt? Wahrlich, es wäre besser, ich tödtete Dich in Deinem friedlichen Schlummer, bevor ihn das Bewußtsein Deines verfluchten Lebens zerstört!« –

Als die Arbeit dergestalt zu erlahmen begann, daß Schenk von dem Erlös kaum noch die Gesellen bezahlen konnte, mußte er sich endlich dazu entschließen, einen derselben zu entlassen. Es war dies der Anfang eines immer größeren Verfalls. Die Arbeit wurde jetzt
geringer und demgemäß auch der Verdienst des Meisters schmäler. Die Kränklichkeit der Wöchnerin, die stärkender Nahrung bedurfte, verlangte größere Ausgaben, und da Schenk Alles auf sie verwendete, oft ohne daß sie das Opfer selbst bemerkte, so mußten die übrigen Verpflichtungen zurückstehen. Demzufolge kündigte ihm zunächst der Hausmann, der seit längerer Zeit keine Miethe erhalten hatte, die Wohnung auf, und Schenk mußte noch zufrieden sein, daß ihm nicht sein kleines Besitzthum an Zahlungs Statt zurückgehalten wurde.

Sie bezogen jetzt eine ärmlich kleine Wohnung. Schenk arbeitete nur noch mit einem einzigen Gesellen und die Werkstatt bildete zugleich Wohn- und Schlafstube. Die kränkliche Frau und das hinfällige Kind litten indeß nicht lange unter dem Geräusch der Arbeit, denn ein halbes Jahr darauf stand dieselbe ganz still. Schenks Verdienst bei der angestrengtesten Thätigkeit war jetzt so gering geworden, daß er damit nicht einmal die nothwendigsten Existenzmittel bestreiten konnte. Einige Vorschüsse bei dem Bretterhändler und der Rückstand des Gesellenlohnes setzten ihn bald außer Brot.

Eine Zeitlang lief Schenk umher, um bei Andern Arbeit zu suchen, aber wie er auch flehte und seine verzweiflungsvolle Noth schilderte, sein Bemühen blieb ohne Erfolg. Sein früherer Meister, an den er sich mit der Bitte wendete, ihm nur irgend eine geringe und grobe Arbeit zu geben, ließ ihn am härtesten an.

»Wenn es blos auf Euren schwachen Arm ankäme,« sagte er, »da wollte ich schon Nachsicht haben. Aber Ihr habt bereits einen Diebstahl begangen und einen solchen Menschen, der mir vielleicht meine Gesellen noch verführt, kann ich nicht brauchen.« –
Schenk trieb sich in düsterer Verzweiflung umher. Zuweilen erhielt er irgend eine zufällige Beschäftigung, einen Auftrag zum Lasttragen oder auch auf Tagelohn. Den kleinen Verdienst brachte er dann seinem Weib und Kinde, für sich selbst – erbettelte er das Brot.

Er sank moralisch und physisch tiefer und tiefer in’s Elend. Und dennoch, bei all diesem Jammer, den ihm das stumme Leid seines abgezehrten, zerlumpten Weibes und seines siechenden Kindes verursachte, bei all der gräßlichen Verzweiflung und all dem heißen, bittern Groll gegen die Gerechtigkeit der menschlichen Gesellschaft, die ihn zu diesem unverschuldeten Loos verfluchte, dennoch lebte er dies Leben drei lange Jahre lang. Drei Jahre! Wie ist doch die Zeit ein schlechtes Maaß für ein Menschenleben! Dem Reichen verfliegt in Lust und Freuden die Zeit so schnell, daß er am Sterbebett nicht weiß, wo sie geblieben ist; aber dem Unglücklichen war sie eine qualvolle Ewigkeit.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Polizei-Geschichten.