Abschnitt. 3

Eines Tages wurde Schenk in dem Hause, wo er in Schlafstelle lag, zu einem Manne beschieden, um eine Unebenheit am Fußboden auszuhobeln. Als er seine Arbeit beendigt hatte und sich vom Boden erhob, war der Besitzer des Zimmers auf einen Augenblick hinaus-gegangen. Schenk sah mit einer Art ängstlicher Neugierde umher, während er die Rückkehr des Mannes erwartete. Da bemerkte er dicht am Ofen auf dem Boden eine Brieftasche. Daneben stand ein Stuhl, über den einige Kleider gebreitet lagen; augenscheinlich war die Brieftasche aus einem der Kleidungsstücke gefallen. Schenk lauschte einen Moment mit bangem Zögern, ob Niemand komme. Es war Alles still, und ängstlich vorsichtig hob er die Brieftasche auf. Als er sie eben geöffnet hatte, und nur den Rand einiges Papiergeldes sah, nahte sich von Außen der Schritt des Herrn. Schenk wollte die Brieftasche rasch wieder zusammenklappen, aber die zitternde Hast ließ ihn im Augenblick das kleine Schlößchen nicht finden, und mit einem plötzlichen Entschluß schob er sie unter seinen Rock auf die Brust. Als der Mann eintrat, klopfte sein Herz heftig gegen das lederne Etui; es war, als wollten die Schläge das geraubte Gut von dort wegdrängen. Während ihm der Eigenthümer den Lohn für die Tischlerarbeit auf den Tisch zählte, stand er in fiebern der Angst vor Entdeckung und die Sohlen brannten ihm, den Ort seines Vergehens endlich verlassen zu können. Zu Hause fand er, daß die Brieftasche nur eine Kleinigkeit an Geld enthielt. Er vermochte jedoch nicht, darüber zu rechnen, seine Gedanken waren einzig mit seiner bösen That beschäftigt. Die Folgen blieben auch nicht aus.

Als der Besitzer den Verlust seiner Brieftasche bemerkte, stieg in ihm sogleich der Verdacht gegen den Handwerker auf, da er sich des verlegnen und zweideutigen Benehmens desselben erinnerte. Der Polizei-Kommissair, der alsbald herbeigeholt wurde, begab sich nach der Kammer Schenks, und sein erster Blick traf gleich den Gegenstand der Nachforschung. Der Unglückliche hatte, von seinem Gewissen gefoltert, garnicht daran gedacht, seinen Raub zu verbergen.


Schenk wurde alsbald verhaftet und später zu sechswöchentlicher Einsperrung verurtheilt.

Hatte in ihm schon das böse Bewußtsein seiner That die bittersten Gefühle erweckt, so wurde er während seiner Haft vollends von tiefster Beschämung und Reue ergriffen. Die Genossen, welche er hier fand, waren meist alte, mit Verbrechen vertrautere Gefangene, die den scheuen, in sich gekehrten Neuling mit der Jauche ihres Spottes übergossen. Schenk fühlte, wie sein Herz bei den rohen Späßen seiner in Sünde erzogenen Gefährten sich zusammenzog. Er gedachte mit Entsetzen, wie doch er auch denselben Weg dieser Unglücklichen bereits betreten habe, und die Zukunft, die er hier vor sich sah, erfüllte ihn mit verzweifelnder Angst. Der einzige Trost, der ihn noch aufrecht hielt, war seine Geliebte. Dies arme Wesen hing mit rührender Treue an ihm, und statt ihn in seinem Elend zu verlassen, hatte sie sich mit doppelter Hingebung an ihn angeschlossen. Ihr Herz blutete über das Vergehen und die beschämende Lage ihres Geliebten, aber sie duldete schweigend, ohne einen Laut der Klage zu äußern. Sie machte ihm keine Vorwürfe, sie redete ihm nie von ihrem Kummer, sie hoffte nur durch ihre Liebe ihn auf eine andere Bahn zu führen. Schenk wurde tief ergriffen von dem stummen Leiden dieser treuen Seele, und in stillen Stunden sagte er sich oft, daß er noch einmal Alles aufbieten wolle, um sich ein ehrliches Leben zusichern, und wenn ihm dies nicht gelänge, lieber vom Leben als von der Ehrlichkeit zu lassen. Die Sonne des Glücks schien noch einmal über den beiden Liebenden aufgehen zu wollen.

Schenk erhielt unmittelbar nach seiner Freilassung die Nachricht, daß eine alte Verwandte, deren er sich kaum erinnerte, gestorben sei und ihm ein paar Hundert Thaler hinterlassen habe. In dem befriedigenden Stolz des Gefühls, seine Vorsätze nun ausführen zu
können, eilte er zu seiner Verlobten, und mit Thränen freudiger Hoffnung versprach er ihr jetzt, das Glück ihres Lebens durch kein Vergehen mehr zu trüben.

Schenk hatte kurz vorher, ehe ihn der Unfall mit seinem Arme traf, den Meisterbrief erhalten, und war Anfangs, weil ihm die Mittel zu einem selbstständigen Geschäft fehlten, später, weil ihn auch sein Gebrechen hinderte, noch bei seinem ersten Meister geblieben. Jetzt wurde eine Werkstatt eingerichtet, mehrere Gesellen wurden geworben, und als die Arbeit inSchwung gekommen war, fand endlich auch die Vereinigung der beiden Liebesleute statt.

Eine Zeit lang ging das Geschäft ganz gut. Die Gesellen waren tüchtige Arbeiter, Schenk verstand dem Gewerk wohl vorzustehen, und da es im Ganzen genug zu thun gab, so war auch der Verdienst leidlich vortheilhaft. Schenks Frau fühlte sich Mutter, und dies neue Band der Vereinigten erhöhte das friedliche Glück ihres Heerdes. Allmählig aber stellten sich einzelne Sorgen ein.

Die Leute, welche bei Schenk arbeiten ließen, bezahlten nicht immer sogleich, und Schenk konnte sich die Kundschaft bei den vornehmen Leuten nicht dadurch verderben, daß er alsogleich sein Geld verlangte. Doch mußte er selbst seine Gesellen und das Material zur Arbeit regelmäßig bezahlen. Schenk war daher genöthigt, hin und wieder Schulden zu machen.

Die unregelmäßigen Einnahmen ließen ihn nicht zur ordentlichen Einrichtung kommen, und es kam öfters vor, daß er das Geld, statt damit die kleinen Schulden zu bezahlen, in die Wirthschaft verwenden mußte. So wurde er allmählig immer verschuldeter, ohne es eigentlich selbst ganz zu bemerken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Polizei-Geschichten.