Abschnitt. 1 -

In dem Kriminalgefängniß zu B. erhängte sich vor einiger Zeit ein Gefangner, der nach den Aussagen des Arztes und des Gefängniß-Inspektors an Schwermuth gelitten hatte. Die Geschichte dieses Unglücklichen, welche wir dem Leser hier erzählen, ist ein vollkommen wahres Ereigniß, und die folgenden Einzelheiten, wobei wir nur die Namen verschweigen, werden vielleicht bei Manchem die Erinnerung an die handelnden Personen erwecken.

Fritz Schenk war ein Tischler. Er hatte als Geselle lange Zeit bei einem der größern Meister in B. gearbeitet, und stand im Rufe eines ordentlichen Menschen und fleißigen und geschickten Arbeiters. Da er für Niemand weiter zu sorgen hatte, so reichte sein Verdienst eben zu seinen nothwendigen Bedürfnissen aus, und nicht minder wie bei dem Meister wegen seiner Brauchbarkeit, stand er bei den andern Gesellen wegen seines Frohsinns in Gunst.


Eines Abends war Fritz aus der Werkstatt auf die dunkle Straße getreten, als eine Karosse, die an einem andern Wagen vorüberfuhr, ihn streifte und zu Boden warf. Er erhob sich zwar alsogleich wieder, fühlte aber, daß sein rechter Arm plötzlich erschlafft war. Der Herr in der Karosse ließ bei dem Schrei, den der Handwerker unwillkührlich ausgestoßen hatte, halten und erkundigte sich, ob er Schaden genommen. Auch der Meister und die übrigen Gesellen kamen herzu, und als sie den Verwundeten in die Werkstatt führten, ergab sich, daß er den Arm zweimal gebrochen hatte. Der vornehme Besitzer der Karosse ließ seine Börse zurück, um die ersten Kosten der Heilung zu decken, und auf die Bemerkung des Meisters, daß Schenk der tüchtigste seiner Arbeiter sei, versprach er noch weitere Sorge für ihn zu tragen.

Schenk wurde in das Stadt-Krankenhaus gebracht, wo die langwierige Behandlung den an Thätigkeit gewohnten Arbeiter geistig und körperlich ziemlich bedrückte. Der Verursacher seines Unglücks bezahlte die Kosten seiner Pflege, bekümmerte sich aber nicht weiter um ihn, und nachdem Schenk endlich als geheilt entlassen worden war, glaubte er seiner Verpflichtung gänzlich quitt zu sein. – Als Schenk zu seinem Meister zurückkehrte, fand sich, daß es mit der Arbeit keineswegs mehr so wie früher fortging. In dem Arm war eine große Schwäche zurückgeblieben, und war er auch nicht gerade gelähmt und arbeitsunfähig geworden, so vermochte er doch nicht so anhaltend und schnell zu arbeiten, wie ehedem. Er sah, daß die Mitgesellen ihn, der sonst stolz auf seine Arbeit war, überflügelten. Er wurde mißgestimmt und sein Fleiß und seine Sorgsamkeit erlahmten mit der Lust zur Arbeit. Dazu kam, daß auch seine Verhältnisse eine neue Gestaltung bekommen hatten.

In dem Stadt-Krankenhaus hatte Schenk ein junges Mädchen, das seine Erziehung im Waisenhaus genossen, zur Wärterin gehabt. In der leeren Einsamkeit dieser Stunden war sie sein tröstender Engel gewesen, sie hatte ihn mit frommem, schwesterlichem Eifer gepflegt, und der junge Arbeiter fühlte sich durch ihr sittsames Wesen mächtig zu ihr hingezogen. Als er die Anstalt verließ, war ihm der Umgang bereits zur nothwendigen Gewohnheit geworden. Er benutzte Sonntags seine freien Stunden regelmäßig, um sie zu besuchen, und die junge Wärterin verhehlte nicht, daß sie ihn mit Vergnügen kommen sah. Die Theilnahme, welche sie Anfangs für den Kranken gefühlt hatte, machte einem innigeren Gefühl Platz, und als Fritz seinen Heirathsantrag vorbrachte, hatte ihr Herz ihm längst schon das Versprechen der Treue gegeben.

Schenk hoffte dazumal noch, daß die Schwäche des Armes sich allmählig durch Wiedergewöhnung an die Arbeit verlieren würde, und dann hätten ihn ja seine Ersparnisse, seine Geschicklichkeit und sein zu dem Ziel verdoppelter Eifer vielleicht bald in den Stand setzen können, eine eigne Werkstatt anzulegen. Aber das Übel verzog sich nicht, und eine düstere Niedergeschlagenheit bemächtigte sich des Unglücklichen. Seine treue Verlobte verbarg ihren eignen Kummer über sein Mißgeschick und suchte ihn zu trösten und so viel als möglich mit Hoffnungen zu trösten, an die sie selbst nicht glaubte. Schenk konnte nicht anders glauben, als daß ihm unter solchen Verhältnissen eine trübe Zukunft bevorstand.

Der Meister mußte jedesmal in den stillen Monaten, wo es weniger Arbeit gab, einige seiner Arbeiter entlassen. So lange Schenk im Besitz seiner vollen Kraft und Thätigkeit war, hatte er nicht nöthig gehabt, um sein Unterkommen besorgt zu sein, jetzt machten ihn tüchtigere Arbeiter seinem Meister entbehrlich.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Polizei-Geschichten.