Polen und Juden - Ein Appell
mit einem Vorwort von Sare, Josef (1850-1929) polnischer Architekt, Baumeister und Politiker
Autor: Feldstein, Herman (1863-1935) polnischer Ingenieur, Finanzier und Publizist, Erscheinungsjahr: 1915
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Polen, Galizien, Russland, Glaubensgenossen, Weltkrieg, Vaterlandsliebe, Mitbürger, Judenhass, Pogrome, Judenverfolgung,
Inhaltsverzeichnis
Vorwort.
Im großen Kriege, der Europa durchzittert, werden alle heiligsten und tiefsten Gefühle, die innigste Vaterlandsliebe, Hoffnung und Glaube an eine sonnige und sichere Zukunft, aber auch alle menschlichen Leidenschaften, die großen und die niedrigen, aufgerüttelt. Kein Land ist mehr von dem Kriege betroffen, als mein Vaterland, und keines hat mehr um seine Zukunft zu bangen, als dieses, das zerrissene Polen. Wird es stets der Spielball der Interessen anderer bleiben?
Nur fremdes Interesse konnte in diesem Augenblicke des blutigsten Ringens um die Zukunft eine ganze Kulturnation des Hasses beschuldigen gegen dreiundeinhalb Millionen jüdischer Mitbürger, meine Glaubensgenossen, die seit so vielen hunderten Jahren in Frieden in polnischen Landen leben und sich hier ihre Glaubensfreiheit bewahren und eine zweite Heimat gründen konnten.
Von einem Führer der Lemberger jüdischen Intelligenz soll das Verhältnis der Juden zu den Polen beleuchtet werden. Herman Feldstein stand zu Beginn der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts an der Spitze der Bewegung der jüdischen akademischen Jugend, welche sich die kulturelle und nationale Verschmelzung der polnischen Juden mit den Polen zur Aufgabe machte. Langjähriger Redakteur der dieser Aufgabe gewidmeten Lemberger polnischen Zeitschrift „Ojczyzna" („Das Vaterland"), später Sekretär der Baron Hirsch'schen Schulstiftung, gehört Herman Feldstein zu den besten Kennern der Judenfrage in Polen.
Seit vielen Jahren Gemeinderat der Hauptstadt Lemberg, gehört Bankdirektor Herman Feldstein zu den hervorragendsten Vertretern seiner Stadt. Keine Feder wäre berufener, das Verhältnis der polnischen Juden zur polnischen Nation in so objektiver Weise auseinanderzusetzen, keine wäre von größerer Liebe zum Vaterlande und zu seinen Glaubensgenossen geführt.
Möge diese kurze Schrift zur Aufklärung der Wahrheit führen!
Hofrat Josef Sare,
Vizepräsident der kgl. Hauptstadt Krakau.
Der große Krieg tobt über die polnischen Lande. Nicht Stadt und nicht Land, nicht Palast und nicht Hütte sind vom Kriege verschont. Wo noch vor Jahresfrist Arbeit und Wirken fleißiger Hände blühte, sind heute Schutt und Trümmer. Die Äcker sind zu Schützengräben geworden, die Fabriken und Werkstätten zu Grabstätten, die Wohnungen der Städter und die ländlichen Paläste, die ein freundliches Schicksal vor Kanonenkugeln bewahrte, ausgeraubt und vernichtet, die letzten Nahrungsmittel von den mit wechselndem Glücke durchziehenden Armeen weggeführt, und an Stelle des gestrigen Wohlstandes bürgerten sich Not, Elend, Hunger, nisteten sich alle Leiden ein. Hunderttausende Familien mussten ihre Heimat verlassen und in der Ferne der öffentlichen Wohltätigkeit unter unsagbaren Entbehrungen anheimfallen, viele Hunderttausende, die zurückblieben, flüchten, schlimmer als gehetztes Wild, in die Wälder, um vor Mord und Brand ihr nacktes Leben zu retten.
In dieser großen Not des Kriegsschreckens, welcher fast keinen Winkel der polnischen Erde verschont hat, sind sich alle gleich, alle Schichten der Bevölkerung, die Reichen und die Armen, der Städter und der Bauer, gemeinsame Not und gemeinsame Sorge ließen den Unterschied der Klassen und den Unterschied der Konfessionen verblassen. Denn wenn auch die Verwüstung nicht alle gleich betroffen hat, gleich ist das Bangen um das Schicksal der vielen hunderttausenden Männer, die im Felde stehen und mit ihrem Blute den heimatlichen oder fremden Boden düngen, gleich ist die Trauer der Frauen und der Mütter der Gefallenen und Vermissten, die vielleicht nie mehr wiederkehren, gleich der Schmerz um die unendlich vielen, die der Krieg verkrüppelt.
Glücklich diejenigen, die im Felde stehen. Sie opfern ihr Leben und ihr Blut einer glücklichen Zukunft ihres Volkes, einig in ihrer Liebe zum Vaterlande, das sie beschützt und dem sie mit allen Fibern ihres Daseins angehören, einig im Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, im Dienste der höchsten menschlichen Ideale, von denen man beseelt sein kann. Aber nicht einmal dieses Glück wird der polnischen Nation zuteil. Sie müssen in den feindlichen Reihen kämpfen und Bruder gegen Bruder zieht die todbringende Waffe. Hunderttausende kämpfen unter den Fahnen der Zentralmächte, hunderttausende in den feindlichen russischen Reihen, und nur die zehntausende freiwilliger Kämpfer der polnischen Legionen, welche auf Seiten Österreich-Ungarns und Deutschlands kämpfen, beweisen, wohin sich die Sympathien der polnischen Nation neigen, woher sie die Verwirklichung ihrer Hoffnungen, der nationalen Wiedergeburt und der nationalen Vereinigung, erwartet, um ihr eigenes nationales und wirtschaftliches Dasein zu leben, um fürderhin nie mehr wieder in einem großen Ringen Bruder gegen Bruder, fremdem Willen gehorchend, zu kämpfen. Und der Kamp! des Bruders gegen Bruder ist nicht ein bildlicher, dieser große Krieg, der jetzt Europa durchzittert, hat es in buchstäblicher, grausamer Wahrheit gezeitigt.
In diesem großen Kampfe um die nationale Auferstehung, welchen die polnische Nation jetzt ringt, um derentwillen so viel junges Blut fließt, alle Gräuel, alle Not, alles Elend, allen Schrecken dieses blutigsten Krieges erträgt, um derentwillen hunderttausende Mütter und Frauen willig den Verlust der Allerteuersten zu beklagen gefasst sind, was dünken uns alle jene Streitfragen des heutigen Tages, wie klein werden alle Klassen- und Konfessionsgezänke von gestern? In den Reihen der großen Heeresverbände, ja in den Reihen der Freiwilligenschar der polnischen Legionen, kämpfen sie alle, der Großgrundbesitzer und der Bauer, der vom Adel und der vom Bürgerstande, der große Intellektuelle, Schriftsteller und Maler von Namen und Ruf, Professoren und Lehrer, Handwerker und Arbeiter, Christ und Jude, alle vereint in dem Gedanken, der der Zukunft des Vaterlandes gilt, dem freien Polen. Und niemals würde sich mein Sohn, vom ersten Tage des großen Krieges an, freiwillig den polnischen Legionen angeschlossen haben, in deren Reihen er kämpft, wenn er nicht gleich mir das volle Bewusstsein hätte, dass das freie Polen allen seinen Söhnen, auch den von Geburt Enterbten, ein gleich fürsorgliches Vaterland sein wird.
Warum Zwietracht in unsere Reihen bringen in dem Augenblicke, wo sie fester gefügt sein müssen als je? Warum der Verleumdung Gehör schenken, wenn die Wahrheit festzustellen ist? Von unseren Freunden, von den Freunden der Polen und der Juden in Polen, wollen wir Ermutigung und nicht Entmutigung hören!
Im großen Kriege, der Europa durchzittert, werden alle heiligsten und tiefsten Gefühle, die innigste Vaterlandsliebe, Hoffnung und Glaube an eine sonnige und sichere Zukunft, aber auch alle menschlichen Leidenschaften, die großen und die niedrigen, aufgerüttelt. Kein Land ist mehr von dem Kriege betroffen, als mein Vaterland, und keines hat mehr um seine Zukunft zu bangen, als dieses, das zerrissene Polen. Wird es stets der Spielball der Interessen anderer bleiben?
Nur fremdes Interesse konnte in diesem Augenblicke des blutigsten Ringens um die Zukunft eine ganze Kulturnation des Hasses beschuldigen gegen dreiundeinhalb Millionen jüdischer Mitbürger, meine Glaubensgenossen, die seit so vielen hunderten Jahren in Frieden in polnischen Landen leben und sich hier ihre Glaubensfreiheit bewahren und eine zweite Heimat gründen konnten.
Von einem Führer der Lemberger jüdischen Intelligenz soll das Verhältnis der Juden zu den Polen beleuchtet werden. Herman Feldstein stand zu Beginn der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts an der Spitze der Bewegung der jüdischen akademischen Jugend, welche sich die kulturelle und nationale Verschmelzung der polnischen Juden mit den Polen zur Aufgabe machte. Langjähriger Redakteur der dieser Aufgabe gewidmeten Lemberger polnischen Zeitschrift „Ojczyzna" („Das Vaterland"), später Sekretär der Baron Hirsch'schen Schulstiftung, gehört Herman Feldstein zu den besten Kennern der Judenfrage in Polen.
Seit vielen Jahren Gemeinderat der Hauptstadt Lemberg, gehört Bankdirektor Herman Feldstein zu den hervorragendsten Vertretern seiner Stadt. Keine Feder wäre berufener, das Verhältnis der polnischen Juden zur polnischen Nation in so objektiver Weise auseinanderzusetzen, keine wäre von größerer Liebe zum Vaterlande und zu seinen Glaubensgenossen geführt.
Möge diese kurze Schrift zur Aufklärung der Wahrheit führen!
Hofrat Josef Sare,
Vizepräsident der kgl. Hauptstadt Krakau.
Der große Krieg tobt über die polnischen Lande. Nicht Stadt und nicht Land, nicht Palast und nicht Hütte sind vom Kriege verschont. Wo noch vor Jahresfrist Arbeit und Wirken fleißiger Hände blühte, sind heute Schutt und Trümmer. Die Äcker sind zu Schützengräben geworden, die Fabriken und Werkstätten zu Grabstätten, die Wohnungen der Städter und die ländlichen Paläste, die ein freundliches Schicksal vor Kanonenkugeln bewahrte, ausgeraubt und vernichtet, die letzten Nahrungsmittel von den mit wechselndem Glücke durchziehenden Armeen weggeführt, und an Stelle des gestrigen Wohlstandes bürgerten sich Not, Elend, Hunger, nisteten sich alle Leiden ein. Hunderttausende Familien mussten ihre Heimat verlassen und in der Ferne der öffentlichen Wohltätigkeit unter unsagbaren Entbehrungen anheimfallen, viele Hunderttausende, die zurückblieben, flüchten, schlimmer als gehetztes Wild, in die Wälder, um vor Mord und Brand ihr nacktes Leben zu retten.
In dieser großen Not des Kriegsschreckens, welcher fast keinen Winkel der polnischen Erde verschont hat, sind sich alle gleich, alle Schichten der Bevölkerung, die Reichen und die Armen, der Städter und der Bauer, gemeinsame Not und gemeinsame Sorge ließen den Unterschied der Klassen und den Unterschied der Konfessionen verblassen. Denn wenn auch die Verwüstung nicht alle gleich betroffen hat, gleich ist das Bangen um das Schicksal der vielen hunderttausenden Männer, die im Felde stehen und mit ihrem Blute den heimatlichen oder fremden Boden düngen, gleich ist die Trauer der Frauen und der Mütter der Gefallenen und Vermissten, die vielleicht nie mehr wiederkehren, gleich der Schmerz um die unendlich vielen, die der Krieg verkrüppelt.
Glücklich diejenigen, die im Felde stehen. Sie opfern ihr Leben und ihr Blut einer glücklichen Zukunft ihres Volkes, einig in ihrer Liebe zum Vaterlande, das sie beschützt und dem sie mit allen Fibern ihres Daseins angehören, einig im Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, im Dienste der höchsten menschlichen Ideale, von denen man beseelt sein kann. Aber nicht einmal dieses Glück wird der polnischen Nation zuteil. Sie müssen in den feindlichen Reihen kämpfen und Bruder gegen Bruder zieht die todbringende Waffe. Hunderttausende kämpfen unter den Fahnen der Zentralmächte, hunderttausende in den feindlichen russischen Reihen, und nur die zehntausende freiwilliger Kämpfer der polnischen Legionen, welche auf Seiten Österreich-Ungarns und Deutschlands kämpfen, beweisen, wohin sich die Sympathien der polnischen Nation neigen, woher sie die Verwirklichung ihrer Hoffnungen, der nationalen Wiedergeburt und der nationalen Vereinigung, erwartet, um ihr eigenes nationales und wirtschaftliches Dasein zu leben, um fürderhin nie mehr wieder in einem großen Ringen Bruder gegen Bruder, fremdem Willen gehorchend, zu kämpfen. Und der Kamp! des Bruders gegen Bruder ist nicht ein bildlicher, dieser große Krieg, der jetzt Europa durchzittert, hat es in buchstäblicher, grausamer Wahrheit gezeitigt.
In diesem großen Kampfe um die nationale Auferstehung, welchen die polnische Nation jetzt ringt, um derentwillen so viel junges Blut fließt, alle Gräuel, alle Not, alles Elend, allen Schrecken dieses blutigsten Krieges erträgt, um derentwillen hunderttausende Mütter und Frauen willig den Verlust der Allerteuersten zu beklagen gefasst sind, was dünken uns alle jene Streitfragen des heutigen Tages, wie klein werden alle Klassen- und Konfessionsgezänke von gestern? In den Reihen der großen Heeresverbände, ja in den Reihen der Freiwilligenschar der polnischen Legionen, kämpfen sie alle, der Großgrundbesitzer und der Bauer, der vom Adel und der vom Bürgerstande, der große Intellektuelle, Schriftsteller und Maler von Namen und Ruf, Professoren und Lehrer, Handwerker und Arbeiter, Christ und Jude, alle vereint in dem Gedanken, der der Zukunft des Vaterlandes gilt, dem freien Polen. Und niemals würde sich mein Sohn, vom ersten Tage des großen Krieges an, freiwillig den polnischen Legionen angeschlossen haben, in deren Reihen er kämpft, wenn er nicht gleich mir das volle Bewusstsein hätte, dass das freie Polen allen seinen Söhnen, auch den von Geburt Enterbten, ein gleich fürsorgliches Vaterland sein wird.
Warum Zwietracht in unsere Reihen bringen in dem Augenblicke, wo sie fester gefügt sein müssen als je? Warum der Verleumdung Gehör schenken, wenn die Wahrheit festzustellen ist? Von unseren Freunden, von den Freunden der Polen und der Juden in Polen, wollen wir Ermutigung und nicht Entmutigung hören!