Die polnischen Frauen

Es zeigt sich demnach, dass Bismarck in den polnischen Frauen eine noch größere Gefahr für die Einheit und Sicherheit des Deutschen Reiches erblickt, als in den Männern. Er hat ihnen hiermit unfreiwillig Lobworte erteilt, die auf ihren Stolz und ihren Menschenwert hinweisen. Und sie verdienen das Lob. Sie sind, wo es den Kampf um Erhaltung des Volksgeistes gilt, das Mark des Landes.

Die Frauen, die hier in Betracht kommen, sind die Aristokratinnen. Bei den unteren Volksklassen lebt nur ein religiöses Nationalbewusstsein, und einen Bürgerstand wie in den germanischen und romanischen Ländern gibt es nicht.


Im allgemeinen kann man von diesen Frauen der höheren und niederen Aristokratie sagen, dass ihre Eigenschaften, Tugenden und Laster keine bürgerlichen sind. Sie sind nicht häuslich und sie sind nicht kleinlich. Die besten besitzen einen Stolz, der hoch und selten wie er ist, dem Gefühle des starken und reinen Seelenlebens entspringt. Es sind Frauen, die zum Herrschen geschaffen wurden, und die selbst in kleinen und engen Verhältnissen das große Selbstgefühl, das ihnen im Blute liegt, bewahren. Es ist dieser Typus, dessen Geistesleben völlig in der nationalen Frage aufgeht. Verschiedene unter ihnen sind noch eifrige Katholikinnen, aber den meisten und aufgeweckteren ist der Katholizismus nur als Palladium der Nationalität wertvoll und teuer. Cherbuliez' Bezeichnung der polnischen Frau als „Punsch, mit Weihwasser bereitet", ist heutigen Tags wohl etwas veraltet.

Die polnischen Frauen sind durch ihre Schönheit berühmt und machen ihrem Rufe Ehre. Es ist eine Art Glaubenssatz in Polen, dass die echte, polnische Frau blond ist; es gilt für das feinste, blond zu sein. Doch obgleich man einzelne Frauen sieht, die nicht allein durch die goldgelbe Farbe der Haare den schwedischen und norwegischen Frauen nahe kommen, sondern die auch in der leuchtenden Weiße der Haut alles übertreffen, was man im Norden sieht, hält dieser Glaubenssatz nicht Stich. Man sieht überall sehr viele Brünetten, und die Haupthaarfarbe ist in der Regel dunkelbraun.

Die vollendete Form der Hände und die Kleinheit der Füße ist bei den Polinnen berühmt. Sie legen selbst den meisten Wert auf die Schönheit der Hände. „Ich sehe meine Hände, aber nicht mein Gesicht”, sagte eine Polin, und eine andere, die sonst durchaus nicht an ihr Äußeres denkt und zu gebildet ist, um eitel zu sein, ließ, als sie in Paris Frost an den Händen bekam, deshalb den berühmtesten Arzt der Stadt holen. Polnische Damen behaupten, dass, wenn sie in Wien die Schuhwarengeschäfte besuchen und ihre kleinen Füße mit den hohen Spannen zeigen, die Schuhmacher ausrufen: „Das kennen wir, das sind polnische Füße.“ Man erzählt auch in Warschau, dass man in den Wiener Schuhmagazinen zu diesen Füßen einen besonderen Schrank mit Schuhzeug habe, dessen Inhalt in hohem Grade von dem für die Engländerinnen bestimmten Schrank verschieden sei.

Die stehende Auffassung ist hier, wie in allen anderen mir bekannten Nationalitäten, dass die echt nationale Frau für das Heim und die Kinder lebt — vielleicht mehr für die Kinder als für den Mann, und eigentlich kaum ein Liebesleben fuhrt. Die Ehe wird weniger zur Schau gestellt als in Deutschland und gibt nicht so häufig zu Katastrophen Veranlassung wie in Frankreich. Der Kopf der polnischen Frauen ist heisa, ihre Sinne sind beherrscht.

Zuweilen geschieht eine große Unregelmäßigkeit: Eine Dame verlässt ihren Mann und lebt mit einem Geliebten; ein junges Mädchen verheiratet sich mit dem Kammerdiener ihres Vaters. Das sind seltene Ausnahmen. Wenn man in der Gesellschaft eine raffinierte Kokette trifft, ist sie fast immer von fremder Abstammung. Hingegen sind große Beispiele mütterlicher Aufopferung keineswegs selten. Gräfin Rosa K., die infolge ihrer Verwandtschafts- und Vermögensverhältnisse die erste Dame Polens genannt wird, hat jahrelang ganz einsam in einer unbedeutenden Bergstadt in den Karpaten gelebt aus Rücksicht für die Gesundheit ihres kleinen, schwächlichen Sohnes.

Man findet in Polen noch starke Überreste der abstrakten Frauenverehrung, die, solange der polnische Staat bestand, in der Bezeichnung der Madonna: Virgo Maria Regina Polonice, Ausdruck fand. Obgleich die ökonomische Befreiung der Frau noch nicht einmal in Angriff genommen ist, oder vielleicht gerade darum ist die Galanterie gegenüber dem weiblichen Geschlechte eine Zwangsregel. Männer erheben sich immer im Pferdebahnwagen, um einer Dame Platz zu machen. Und an jedem beliebigen öffentlichen Orte, sogar auf den feinsten Redouten und Bällen, wird der Stuhl unter einem weggenommen mit dem Zurufe: Für eine Dame!

In der höheren Gesellschaft scheinen die Frauen auf den ersten Blick ein völlig müßiges Leben zu führen. Aber im Sommer auf dem Lande, wo noch in großer Ausdehnung patriarchalische Verhältnisse herrschen, hat die Frau des Gutsbesitzers viel zu tun und in Warschau lebt sie nur scheinbar ein allein den Zerstreuungen gewidmetes Leben.

Die vornehme Dame steht zwischen 1 und 2 Uhr auf und geht um 4 Uhr morgens zu Bett; sie fährt von Besuch zu Besuch, von einer Gesellschaft zur andern. Aber im Grunde wirkt sie dennoch täglich für öffentliche und nationale Interessen. Alles, das unschuldigste Unternehmen, die Errichtung einer Bibliothek, eines Spitals, einer Nähschule, was es auch sei, wird ein Glied in der Wirksamkeit, um das Polentum zu stärken. Es kommen nicht vier Damen in einem Wohltätigkeitskomitee zusammen, ohne nationale Ziele unter diesem Deckmantel zu verfolgen.

Es ist verboten, den Kindern in einer Schule das Polnische zu lehren. Aber es ist erlaubt sie nähen zu lehren. Man zeichnet also Korsette auf die Tafel für den Fall, dass Gendarmen hereinkommen sollten; man hat das Nähzeug auf dem Tische und die Bücher darunter.

Einzelne durch bedeutende Anlagen hervorragende Frauen haben sich bestrebt mehr zu tun; so die bekannte Schriftstellerin Elise Orzeszkowa, die selbst eine Druckerei anlegte, um im Dienste der Volksaufklärung zu wirken. Diese Wirksamkeit hörte auf, als die Regierung sie verbot, die Druckerei schloss und Frau Orzeszkowa auf eine längere Reihe von Jahren in Grodno internierte. Ihre Romane, die viel Aufsehen erregt haben — Meir Ezofowicz ist besonders lesenswert — zeigen ein Talent, das dem der George Sand ein wenig verwandt ist; sie sind mit einer schwermütigen Vaterlandsliebe, aus einem begeisterten Freiheitsglauben geschrieben; ihre kleineren Novellen haben schärferes Wirklichkeitsgepräge und bestimmtere künstlerische Form, aber die gleiche patriotisch erziehende Tendenz. Eine jüngere Dichterin, die in lyrischer Inspiration sehr Hohes erreicht, Marja Konopnicka, hat im Kampfe mit den schwersten und drückendsten Lebensverhältnissen sich zum poetischen Repräsentanten für ein Freiheitsleben des Gedankens und Empfindens entwickelt, wie es in Polen noch eine Seltenheit ist. Auch in ihren Poesien, wie z. B. in ihrer Ode an Matejko aus Anlass des Bildes Die Schlacht bei Grünwald, bebt die Saite der Vaterlandsliebe.

Der Gegensatz Polnisch-Russisch schwindet eigentlich nie aus dem Gemüte der Frauen. Man erfährt dies stets im täglichen Leben: Ein junges Mädchen war von ihrem Verlobten verlassen worden. Es wurde stets als ein besonderes Moment, das die Untreue und Rücksichtslosigkeit verschärfte, hervorgehoben, dass er einer russischen Tänzerin wegen mit ihr gebrochen hatte. Ein junges Mädchen von noch nicht zwanzig Jahren zankte in dem sächsischen Garten eine Schar halberwachsener Schulknaben aus, weil sie miteinander russisch sprachen. Solche kleine Züge lehren jeden, der sich einige Zeit in Russisch-Polen aufhält, dass es die Frauen sind, welche die nationale Leidenschaft im Kochen erhalten.

Übrigens sind sie, wie allerwärts, selbstverständlich ganz verschieden; sanft weiblich und ruhig oder misstrauisch scharfsichtig, jungfräulich streitbar oder erotisch veranlagt oder eitle Schauspielerinnaturen. Es gibt welche, die echt slawisch ganz in intellektuellen Enthusiasmus aufgehen, und es gibt einzelne ausgezeichnete, typisch polnische, mit der Entschlossenheit und Festheit eines außergewöhnlichen Mannes, die Anführerinnaturen. Da war eine, die der Vater, ein Artilleriegeneral, der sein Band von Furchtsamkeit heilen wollte, vom zehnten Jahre an gezwungen hatte, neben den Kanonen zu stehen wenn sie abgefeuert wurden, und die nun, einige zwanzig Jahre alt, das Grundgepräge hatte, dass sie vor Schuss stehen konnte. Oft sind es gemeinsame patriotische Interessen, die sie mit den Männern vereinen; zuweilen wählen sie unbewusst den Mann, weil er sich am wenigsten von ihrem patriotischen Ideale entfernt. Im Ganzen kann man sagen, dass sie die Männer ziemlich gering schätzen und gründlich ihre Fehler kennen. Mannesmut genügt ihnen nicht. „Wenn sie sich nicht einmal mehr schlagen könnten, so könnte man sie begraben lassen“, gab ein junges Mädchen mit viel Charakter als Antwort auf eine Äußerung, die diese Tugend der Männer besonders hervorhob. Als Regel kann man von diesen Frauen sagen: sie fordern viel und geben dafür viel wieder.