Piratenwesen in China

Autor: Schuirman, G. und Thaulow, G. Vorsteher der deutschen Seemannschule in Hamburg, Erscheinungsjahr: 1865
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Piratenwesen von China, Seeräuber, Dschunken, Singapore, Shanghae, Pirat, Raubgesellen
Aus: Hansa, Zeitschrift für Deutsches Seewesen. II. Jahrgang 1865 redigiert und verlegt durch Schuirman, G. und Thaulow, G. Vorsteher der deutschen Seemannschule in Hamburg.

Durch den Oldenburgischen Kapitän A. Zedelius, dessen Schiff „Nubia“ bei Hainan von Piraten genommen wurde, ist uns freundlichst der nachstehende Bericht über diese Affaire zugegangen.
Die „Nubia“, Eigentum der Aktiengesellschaft Visurgis zu Oldenburg, war eine in Salem gebaute Bark von 530 tons Brit. Reg. und seit Mai 1864 meiner Führung anvertraut; die gesamte Besatzung bestand aus 15 Mann, darunter 4 Jungen. Von Liverpool ging ich damit nach Kalkutta und von da nach Penang und Singapore, und lag in letzterem Platze, der gänzlichen Stockung aller Frachtgeschäfte wegen, völlige zwei Monate unbeschäftigt. Zuletzt musste ich nur froh sein als mir eine sehr massige Kohlenfracht nach Shanghae geboten wurde, und griff natürlich auch mit Freuden zu, als mir ein Chinese, nachdem ich meine aus 700 tons bestehende Ladung fast eingenommen, eine ziemlich bedeutende Summe bot, wenn ich zweihundert Chinesische Deckpassagiere und 600 piculs Güter in Pan-ki-kang auf Hainan landen wollte. Pankikang ist auf keiner Karte verzeichnet, (liegt, wie ich später observierte, auf 19° 23' NW., an der Ostküste der Insel) ich hatte es also zu suchen und den Anweisungen des Chinesischen dort zu Hause gehörenden Supercargos zu folgen. Am 12. Juni verlies ich Singapore und ankerte am Morgen des 27. auf 11 Faden Tiefe etwa 3—4 Seemeilen vom Lande an einer offenen flachen sandigen Küste, wo nach Angabe eines am Abend vorher als Lotse an Bord gekommenen Fischers das Dorf Pankikang liegen sollte. Zu sehen war dasselbe indes vom Schiffe aus nicht, da ein dichtes Kokospalmengehölz es verdeckte.

Gegen Abend waren schon fast alle Passagiere und Güter gelandet, der Rest verlies anderen Tage, den 28., das Schiff. Sobald ich den mir noch zukommenden kleinen Rest des Frachtgeldes erhalten, der bei Weitem größte Teil war in Singapore vorausbezahlt, lichtete ich, gegen 3 Uhr Nachmittags etwa, Anker und stand bei sehr flauer Briese seewärts.

Gegen Abend bemerkten wir etwa ONO. von uns eine große Dschunke, dem Anscheine nach längs der Küste steuernd. Es fiel mir um so weniger ein, in diesem Fahrzeuge einen Piraten zu vermuten, als es eine der gewöhnlichen großen Handelsdschunken zu sein schien, keins jener mehr niedrig und flach gebauten Fahrzeuge, wie ich sie öfter, von Kriegsschiffen aufgebracht, gesehen habe. Zudem war, auch nachdem wir uns einander mehr genähert, nichts Verdächtiges zu bemerken. Bei Sonnenuntergang wurden mir die Bewegungen der Dschunke aber doch auffällig, und plötzlich hielt dieselbe direkt auf uns ab. Sofort postierte ich einige Leute an die Kanone (ich hatte an Waffen nur einen Dreipfünder auf der Back und einige Terzerole und Flinten, zu denen ich aber in Singapore keine passenden Zündhütchen bekommen konnte), und lies der Dschunke durch einen mit uns nach Shanghae reisenden Passagier zurufen, sich davon zu machen, widrigenfalls auf sie gefeuert werden würde. Nun wurde es auf ihr aber plötzlich lebendig, die langen Riemen wurden ausgesteckt und statt aller Antwort auf den Anruf, folgte Schuss auf Schuss, Kugeln und Kartätschen. Nach dem ununterbrochenen Feuern zu schließen, hatte die Dschunke wenigstens 10 bis 12 Kanonen, und zwar ziemlich schweren Kalibers an Bord; ihr Deck wimmelte von Menschen, und mochte sich deren Zahl wohl an hundert belaufen, so viel wir in der unterdessen vorgeschrittenen Dunkelheit schätzen konnten. Da mein Schill, wenn auch nur wenig, noch etwas durchlief, der Pirat aber seine Riemen gebrauchte, so konnten wir die Kanone auf der Back nicht mehr auf ihn richten, indem er hinten an der Steuerbordseite anzulegen versuchte. Ihn zurückzuschlagen war unmöglich, um so mehr, als meine Leute den Mut verloren und außerdem der zweite Steuermann sehr schwer, der Zimmermann seit einigen Tagen krank war. Es war mir, so wie der ganzen Besatzung daher sofort klar, dass nur in der Flucht unsere Rettung liege; demzufolge warfen wir zuerst das kleinere von den auf den Galgen liegenden Booten zu Wasser, da aber die in der Eile zu kurz festgemachte Fangleine brach, so trieb der erste Steuermann mit dem Boote, in welches er hineingesprungen war, um es von den Pardunen freizusetzen, allein fort. Das zweite Boot musste dann auf Steuerbordsseite, an der der Pirat sich angehakt hatte, über Bord. Dies gelang uns auch, und meine Leute mit dem Chinesischen Passagier begaben sich hinein, nachdem sie es bis unter die Fockrüsten gezogen hatten, während ich noch erst in meine Kammer lief um das bare Geld zu retten. Nachdem ich es eiligst in meine Mütze geworfen, lief ich längs Deck um ins Boot zu kommen, aber der Schirm von meiner Mütze brach und die meisten Dollars rollten über Deck. Während ich noch schleunigst so viel wie möglich davon wieder zusammenscharrte, sah ich schon einige der Raubgesellen auf dem Hinterdeck, so dass ich schnell machen musste, ins Boot zu kommen. Nachdem wir abgestoßen, gerieten wir, da das Schiff mit der Dschunke noch etwas durchlief, unter die Riemen der Dschunke, und konnten von Glück sagen, dass die damit auf uns gerichteten Hiebe keinen von uns verwundeten, eben so wenig, wie die Kanonenkugeln, welche die Chinesen uns ins Boot warfen, des darin schon stehenden Wassers wegen, nicht durchschlugen.

Nun ruderten wir direkt nach der Küste zu, die etwa 7 oder 8 Seemeilen entfernt war, während die Piraten uns noch viele Kugeln und Kartätschen nachsandten, die jedoch glücklicherweise hoch über uns hingingen. Nach angestrengtem 14 stündigem Rudern, strandeten wir mit beiden Booten (ich hatte das erste Boot mit dem Steuermann sofort aufgesucht und ihm die Hälfte der Leute gegeben) auf einem Korallenriff, zogen die Boote hier so hoch als möglich hinauf, und suchten das Dorf Pankikang auf, wo wir von dem Supercargo aufgenommen wurden. Am nächsten Tage sahen wir wie das Schiff von mehreren Dschunken ausgeraubt wurde; die Segel wurden abgeschlagen, Tauwerk von oben gekappt etc. In der Nacht vom 29. auf 30. Juni wurde die „Nubia“ in Brand gesteckt und stand bei Tagesanbruch in vollen Flammen; die Masten waren bereits gefallen.

Am 30. traten wir unter Führung eines der Englischen Sprache ziemlich mächtigen Chinesen die Fußreise nach Hai-kow (an der Nordseite der Insel, an der Haetan Strasse) an, erreichten diese Stadt nach 3 Tagen voll großer Mühseligkeiten und Strapazen. Die Einwohner im Innern der Insel waren zwar nicht feindselig gesinnt, belästigten uns aber sehr durch ihre Neugierde, da sie nie Europäer gesehen. Die Piraten sind nach der Behauptung der Hainan-Leute sämtlich von Macao und Honkong, und haben die Küstenbewohner der Insel die größte Angst vor denselben, da häufig von ihnen die Stranddörfer ausgeplündert werden.

In Haikow angekommen, trafen wir dort die Hamburger Bark „Atalante“, Kapitän Busse, gerade im Begriff unter Segel zu gehen; wir wurden von Kapitän Busse äußerst freundlich aufgenommen und am 30. Juli in Saigon gelandet. Von Saigon gelangte ich mit meinen Leuten auf dem Französischen Kriegsdampfer „Cosmaô“ nach Singapore.

Die „Nubia“ hätte allerdings besser bewaffnet sein können, ich kann mir dies aber nicht zum Vorwurf machen, ebensowenig wie es mir bis jetzt von anderer Seite zum Vorwurf gemacht worden ist. Man schafft sich nicht gern die teuren Kanonen an (und wenn man gute haben will, so sind sie draußen sehr teuer), auch stellt man sich nicht immer gleich das Allerschlimmste, was einen überkommen könnte, vor, sonst gäbe es wahrlich wenig Seeleute. Vier Kanonen, etwa 6pfünder sind meiner Meinung nach für jedes Schiff zur Verteidigung genug, eine hinten, eine vorn und eine an jeder Seite, die sich nach der andern Seite hinbringen lässt, weshalb also 2 Kanonenpforten an jeder Seite mittschiffs sein sollten. Ist das Schiff dann stark genug bemannt, oder besser gesagt ist das Schiff groß genug, denn danach wird sich, trotz aller Seeräuber, doch immer die Bemannung richten, so kann man unter Umständen damit schon immerhin etwas ausrichten. A. Zedelius.

Hansa 1865

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