Abschnitt 9

I.
Die Wallfahrt des Obotritenfürsten Pribislav
und des Grafen Gunzel I. von Schwerin
mit Herzog Heinrich dem Löwen.


Den Kaiser fanden sie in seiner Hauptstadt nicht; er verweilte damals in „Manopolis“, dessen Lage nicht sicher ist 40). Sie suchten ihn daselbst auf, um von ihm Abschied zu nehmen, und erfuhren von ihm gleiche Gastfreundschaft wie früher. Trotz ihrer Sehnsucht nach der Heimath mußten sie noch einige Tage bei ihm verweilen. Vermuthlich wollte er auch nicht die gute Gelegenheit versäumen, von dem staatsklugen Herzoge über die Zustände in Palästina und Kleinasien, die ihn so lebhaft interessirten, Nachrichten einzuziehen und Urtheile zu vernehmen. Aber seine Zuneigung zu Heinrich scheint doch nicht allein durch politische Rücksichten bestimmt worden zu sein. Bei dem Abschiede überhäufte der Kaiser ihn wieder mit köstlichen Geschenken. Der Herzog lehnte diese indessen in höflichster Form ab und erbat sich dafür - Reliquien, an denen der Kaiser sehr reich war und mit denen er gern vor seinen Gästen zu prunken pflegte. Manuel ging auch auf diesen Wunsch willig ein; er schenkte seinem Gaste nicht nur eine große Zahl von Reliquien, sondern auch köstliche Edelsteine zum Schmuck derselben 41).


Die Heimkehr über Nisch, durch den Bulgerewald, durch Ungarn, wo der König Bela freies Geleite und gute Verpflegung gewährte, und durch Oestreich verlief ohne jeglichen Unfall.

Nach der Ankunft in Baiern begrüßte Herzog Heinrich zunächst den Kaiser Friedrich zu Augsburg, wo derselbe 1172 das Weihnachtsfest beging; dann aber eilte er nach Braunschweig, welches er gerade nach Jahresfrist wieder betrat. Seinem Hause war während der Wallfahrt große Freude widerfahren; es war ihm eine Tochter (die Richenza) geschenkt.

Auch der Graf Gunzel von Schwerin sah, so viel wir wissen, seine zahlreiche Familie ohne Verlust wieder.

Zu solchem Empfange bildete aber die Heimkehr des Fürsten Pribislav einen traurigen Contrast. Der Obotritenfürst fand seine Gemahlin, die Fürstin Woizlava, nicht mehr; sie hatte während seiner Wallfahrt nach den heiligen Stätten ihre irdische Wallfahrt vollendet und in der Klosterkirche zu Althof (bei Doberan) ihre Ruhestätte gefunden 42).




40) „Manopolis“: Arnold (I, 12), der die Namen oft in sehr entstellter Form wiedergiebt. Scheidt (Org. Guelf. III, p. 78) vermuthet in diesem Namen: „Maximianopolis“ (ehemals Porsulae), das heutige Gümüldschina, welches südlich von Tajardi nahe dem Archipel (zwischen den Flüssen Karassu und Maritza) liegt
41) Nach d. Chron. Saxonam empfing Herzog Heinrich nicht erst auf der Rückkehr, sondern schon auf dem Hinwege, in Constantinopel, die Reliquien. Es heißt bei Hinricus de Hervordia p. 159: Dux ab imperatore Constantmopolitano cum gloria maxima recipitur, sanguine domini nostri Jhesu Cristi et reliquiis aliis donatur. Dost navigio veniunt Accaron. Etwas weitläufiger wird in der Hist. de d. Hinrico berichtet: Sepedictus domnus dux cum sacro sanguine domini nostri Jesu Christi, qui de sacro latere eius effluxerat, cum maximis donariis reliquiarum sanctarum tam regis quam regine onustus dimissus est. Der Grund dieser Abweichung beruht lediglich darin, daß der Auszug aus Arnolds Chronik, welcher hier benutzt ward, von einer zweiten Begegnung des Herzogs mit dem Kaiser nichts mehr enthielt, sondern schon mit der Beschenkung der Pilger durch den Sultan schloß. Unmittelbar nach der Erzählung von dieser Beschenkung berichtet Hinr. de Hervordia kurz weiter: Post perveniunt in patriam. Detmar dagegen hilft sich mit der naiven Bemerkung: „Unde wat eme“ (H. Heinrich) „mer uppe der reyse wedervor, daraf is in ander wech vele mer beschreven.“ In der Hist. de d. Hinrico heißt es gar: Post hec ascendens in navim(!), reversus est cum suo comitatu ad terram propriam, unde venerat. - Arnold macht von den Reliquien keine einzige namhaft, dagegen, wie schon erwähnt, Heinrich von Herford und die Historia die Reliquie des H. Bluts, weil wie diese besonders interessirte. Jener berichtet nämlich p. 159: Post perveniunt in patriam. Et tunc Henricius abbatem sancti Egydii Brunswicensis loco Conradi fecit episcopum Lubicensem, donans ei et Guncelino comiti Swerinensi munera multa, et sanguinem Domini nostri cum tremore et amore dividens, partem uni et partem alteri tribnit. Und ähnlich heißt es in der Historia d. d. Hinr. p. 244. Nec immemor beneficiorum in locum Conradi episcopi - domnum Henricum - promovit, donans ei et Guncelino comiti Swerinensi munera plurima et sanguinem domini nostri Jhesu Christi, quem in duas particulas cum tremore et amore diuidens, partem uni et partem alteri tribuit et ad terras proprias tantis muneribus honoratos et onustos remisit. Weiter wird dann erzählt, daß der Bischof Heinrich seinen Theil der Reliquie an das neue Johanniskloster zu Lübek, das 1245 (nicht, wie die Historia meldet, 1173) nach Cismar versetzt ward, verschenkte, das Kloster Cismar aber 1283 wiederum von diesem Theil einen Theil an das (abgebrannte) Mutterkloster St. Aegidien zu Braunschweig zu dessen Aufhülfe gab. Die ganze Historia ist augenscheinlich nur geschrieben, um die H. Bluts-Reliquie des Aegidienklosters zu beglaubigen. Die Quelle für jenen Bericht ist aber ein Beglaubigungszeugniß des Klosters Cismar an das St. Aegidienkloster vom 20. August 1283, wo es von jener Reliquie heißt: Quem thesaurum olim illustris princeps Hinricus dux Bavarie et Saxonie, de Grecia transtulit et suo familiari fel. record. Hinrico episcopo Lubicensi pro parte contradidit pro suorum exigentia meritorum. (Vgl. oben: immemor beneficiorum!) -Aus diesem „pro parte“ ist meines Erachtens die Sage dahin fortgebildet, daß der andere Theil an Gunzel geschenkt sei, da man in Braunschweig eine ungenaue Kunde davon hatte, daß in Schwerin eine aus dem Orient stammende H. Bluts-Reliquie sei. Denn es ist überall nicht wahrscheinlich, daß die Reliquie des Klosters Cismar vom Kaiser Manuel gekommen war (wie sie denn auch der Lübische Bischof Albert von Krummendyk schon für unecht erklärt hat, Quellensammlung IV S. 233). Sollte Arnold, der der erste Abt des Lübischen Johannisklosters war, zu dessen Händen also dies Kloster jenen Schatz (der überdies durch die Gaben der Verehrer unendlich einträglich zu werden versprach) von Bischof Heinrich empfangen haben mußte, hiervon zu reden unterlassen haben, da er doch von des Herzogs Reliquien und Gaben an die Kirchen nach seiner Rückkehr von jener Wallfahrt ausdrücklich spricht? Daß aber Gunzel sollte eine Reliquie des H. Bluts empfangen und an den Dom gegeben haben, ist darum vollends unglaublich, weil von der Verehrung oder von der Existenz derselben gar kein Nachweis zu finden ist. Welche ausgedehnte Verehrung die 1222 vom Grafen Heinrich mitgebrachte Reliquie des H. Bluts zu Schwerin genoß, ist bekannt genug, Heinrich wird deshalb von der Schweriner Geistlichkeit gerühmt, die Reliquie in Inventarien aufgeführt und genau beschrieben; von Gunzel wird aber Gleiches nicht gesagt, seine angebliche Reliquie in Inventarien gar nicht nicht erwähnt! - Nur eine scheinbare Stütze gewinnt jene Erzählung von der Reliquie Gunzels in dem Ablaßbriefe des Papstes Honorius III. vom 29. Juni 1220, wo es schon von der Schweriner Domkirche heißt: in qua a Christi fidelibus sacramentum sanguinis domini nostri Jesu Christi pie creditur esse reconditum. Dieser Ablaßbrief ist aber schon aus andern Gründen der Fälschung verdächtig. S. unten!
42) Kirchberg Cap. 113. [Westph., Mon. ined. IV, p. 757, Cap 111. Westphalen giebt die Capitelzahl von Cap. 100 an um 2 Einheiten zu niedrig.]