Abschnitt 8

I.
Die Wallfahrt des Obotritenfürsten Pribislav
und des Grafen Gunzel I. von Schwerin
mit Herzog Heinrich dem Löwen.


So schwach der Körper, so regsam war der Geist des Sultans; er ging gern auf ernste Unterhaltungen ein. Der Herzog berührte bei einem solchen Bespräche auch den Islam und unterließ nicht, seinen Gastfreund zur Annahme des Christenthums zu ermuntern; er erörterte weitläufiger die Lehre der Heiligen Schrift, und namentlich auch, daß Gott Mensch geworden. Da antwortete Kilidsch Arslan, dem dies alles, da seine Mutter eine heimliche Christin war, gewiß keineswegs neu erschien: „Es sei nicht schwer zu glauben, daß Gott, der den ersten Menschen aus einem Erdenkloß gebildet, auch selbst, wenn es sein Wille gewesen sei, von der unbefleckten Jungfrau das Fleisch angenommen habe.“ In der That scheint jene Unterredung großen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Man schrieb es wenigstens der Vermittelung Herzog Heinrichs zu, daß der Sultan allen Christensklaven in seinem Lande die Freiheit schenkte 38). Dieser ward wegen seiner Milde gegen die Christen gerühmt; und als ihm später auf ihrem Todbette die Mutter ihren Glauben bekannte und ihn ermahnte, an Christum zu glauben und die Christen zu lieben, soll er es gelobt, aber hinzugefügt haben, er wage es der Saracenen wegen nicht, seinen Glauben offen zu bekennen 39). -


Nachdem sich die Pilger in Aktscha-Schehr bei dem gastfreien Sultan verabschiedet hatten, setzten sie ihre Reise über Ismil und „Cunin“ (Iconium, Konieh), des Sultans Hauptstadt, in nordwestlicher Richtung auf Isnik (Nicäa) fort, also auf der Straße des ersten großen Kreuzzuges. Auf diesem Wege gelangten sie demnach über das alte Antiochia (bei Jalobatsch) oder Philomelium (jetzt Akschehr) in die Gegend von Doryläum (jetzt Eskischehr), wo einst durch die heiße Schlacht am 1. Juli 1097 die Kreuzfahrer die Macht des Sultans Kilidsch Arslan I. gebrochen hatten, und wo hernach König Konrad III. auf seinem Kreuzzuge im October 1147 nach dem mühevollen Zuge durch Gebirge und Wüsten bei den Angriffen der leichten türkischen Reiter und der schändlichen Verrätherei der Griechen den größten Theil seines Heeres verloren hatte und mit den Trümmern desselben auf einem Seitenwege durch die Gebirge von Lykaonien nach Nicäa zurückzukehren genöthigt war. Nachdem die Pilger einen „Wald“ von drei beschwerlichen Tagereisen - den Dumandji-Dagh? -, der das Sultanat von Konieh vom Gebiete des griechischen Kaisers schied, überwunden hatten, sahen sie - schon auf griechischem Gebiete - die „Alemannenburg“, von welcher aus einst Gottfried von Bouillon das ganze Saracenenreich erobert haben sollte, und dann erreichten sie die damals noch schön befestigte und ansehnliche Stadt „Anikke“ (Nicäa, Isnik), an welche sich so viele Erinnerungen aus den ersten Kreuzzügen knüpften, der Untergang der Schaaren Peters von Amiens und Walters in der Nähe derselben, und die gewaltige Belagerung der Stadt, um deren Früchte schließlich der griechische Kaiser die Pilgerfürsten zu bringen gewußt hatte.

Der kürzeste Weg hätte nun die deutschen Wallfahrer von Nieäa über Nikomedien, Chalcedon und Skutari nach Constantinopel zurückgeführt: das war der Weg der alten Kreuzfahrer. Aber sie wandten sich westlich, dem „St. Georgenarm“ (dem Hellespont) zu. Sie setzten über denselben bei der Stadt „Willekume“ (Gallipoli) und richteten dann ihren Zug wieder auf Constantinopel, um dort ihren Troß an sich zu nehmen und auf der ihnen schon wohlbekannten Straße durch Ungarn der lange entbehrten Heimath wieder zuzueilen.




38) Annal. Colon. max. (Pertz, Scr. XVII, p. 786): „In reditu vero (Heinrichs) quidam rex paganus eum honorifice suscipiens plura et magnifica dona optulit omnesque capitivos christianos, qui sub regno eius exulabant, interventu ducis absolvit.“
39) „Quod ipse spopondit se facturum; sed dixit, quod non auderet aperte cerede in salvatorem prop42) ter paganus.“ Roberti de Monte Chron. 1180. (Pertz, Scr.VI, pag. 531.)