Abschnitt 7

I.
Die Wallfahrt des Obotritenfürsten Pribislav
und des Grafen Gunzel I. von Schwerin
mit Herzog Heinrich dem Löwen.


Dieser armenische Prinz Milo (oder wohl richtiger Melih oder Malich genannt) hatte einst dem Templerorden angehört; hernach beherrschte er, während sein Bruder Toros als König das ganze Land Armenien regierte, ein Gebiet am cilicischen Taurus. Hier gewann er bald einen üblen Ruf. Im Jahre 1171 nämlich, als Stephan, der Sohn des Grafen Theobald von der Champagne, seinen Rückweg aus Palästina von Antiochia über Cilicien durch Kleinasien nahm, legte Milo ihm bei Mamistra einen Hinterhalt und ließ ihn vollständig ausplündern; der Graf erlangte nur mit Mühe von den Räubern einen elenden Gaul, um seinen Weg fortsetzen zu können. Als dann bald hernach Toros starb und die Großen des Landes seinen Schwestersohn Thomas auf den Thron erhoben, schloß Milo ein Hülfsbündniß mit dem Sultan Nureddin, und mit dessen Truppen machte er sich zum Herrn von Armenien; er trat nun aber sofort feindselig gegen die Christen auf, trieb die Templer aus Cilicien, verkaufte christliche Gefangene an die Ungläubigen u. s. w. Der Fürst von Antiochia und andere christliche Herren ergriffen sogleich gegen ihn die Waffen. Der König Amalrich versuchte darauf noch erst eine gütliche Vermittelung; als aber solche erfolglos war, fiel er mit den andern christlichen Fürsten in Cilicien ein, mußte sich jedoch mit Verwüstungen des offenen Landes begnügen, da ihn die Nachricht von einer Unternehmung Nureddins gegen die Burg Petra oder Krak in Arabien abrief. -


Nicht hinlänglich mit diesen Ereignissen und mit dem Charakter des Armeniers bekannt, stürzte Herzog Heinrich der Löwe sich und seine Gefährten in die größte Gefahr, indem er Milo um freies Geleite durch sein Land bat. Der Armenier schickte dem Herzog eine Gesandtschaft von 20 vornehmen Männern entgegen, die ihm versichern sollten, daß der König bereit sei, ihn ehrenvoll und in durchaus ungestörtem Frieden durch sein Land zu geleiten.

Da empfing Heinrich aber in Antiochia noch rechtzeitig die Warnung, sich dem Armenier nicht anzuvertrauen. In der That möchte sonst auch der Obotritenfürst Pribislav hier ein ähnliches Loos gehabt haben, wie ein Jahrhundert später, wie wir sehen werden, seinen Enkel Heinrich den Pilger in Aegypten traf.

Heinrich gab also die Absicht, seinen Weg durch das Land des Armeniers zu nehmen, auf. Er zog vielmehr mit seiner Begleitung von Antiochia hinab zu dem unweit der Mündung des Orontes belegenen „Simeonshafen“ (jetzt Soldu oder Suwadia genannt); dort bestiegen sie die Schiffe, welche der Fürst Boemund ihnen besorgt hatte, und fuhren auf denselben an dem größten Theile der Küste von Cilicien vorüber bis nach der Stadt Tarsus (zu jener Zeit „Torsult“, von den Saracenen „Tortun“ genannt), die damals entweder noch dem Kaiser von Griechenland gehörte oder schon von diesem an den Fürsten von Antiochia abgetreten war 36).

Noch war indessen die Gefahr nicht ganz beseitigt, wenn anders der Weg durch Kleinasien fortgesetzt werden sollte. Denn das Land zwischen Tarsus und dem cilicischen Taurus (dem Bulgar-Dagh) war seit dem erwähnten Streifzuge des christlichen Heeres wieder in der Gewalt des durch Zurückweisung seines früher erbetenen Geleites sehr erzürnten Milo; erst hinter dem Gebirge lag das Gebiet des Sultans Kilidsch Arslan II. Dieser Letztere aber stand zu Milo in keinem besseren Verhältnisse als die christlichen Fürsten in Syrien. Er sandte also dem Herzoge Heinrich auf dessen Anmeldung nach Tarsus eine Bedeckung von 500 schwerbewaffneten Reitern (milites) entgegen, welche den Pilgerzug durch Milos Gebiet geleiten sollten.

Waren somit unsern Wallfahrern also auch die syrischen Pässe, durch welche einst das erste große Kreuzheer nach Antiochia gezogen war, nicht zu Gesichte gekommen, so konnten sie nun doch auf demselben Wege, auf dem einst Tankred den ersten Zug von Heraklea durch die hohen Pässe des Taurus nach Tarsus hinabgeführt hatte, zum Hochlande von Kleinasien hinaufsteigen. Sie entgingen glücklich der Rache des Armeniers; aber doch mochte mancher unter ihnen bald über die Wahl des Weges durch Kleinasien murren. Denn, hätten nicht ihre saracenischen Reiter, wohlbekannt mit der „Rumenischen Wüste“, schon im Gebirge die Packpferde mit Wasserschläuchen beladen, so wären auf dem dreitägigen Marsche durch die wasserlose Einöde bei glühender Sommerhitze Menschen und Pferde verschmachtet. In „Rakelei“ (dem alten Heraklea, jetzt Erekli) erquickten aber die Türken mit großer Freundlichkeit die Pilger, welche sie als ihres Sultans Gäste ansahen.

Den Landesherrn selbst, den Sultan Kilidsch Arslan II., sahen die Deutschen erst auf ihrem weiteren Zuge zu Axarat (jetzt Aktscha-Schehr), wo derselbe zu einem feierlichen Empfange Vorbereitungen getroffen hatte. Da er an den Füßen ganz gelähmt und darum beständig in einem Wagen zu fahren genöthigt war, würde es ihm schwer geworden sein, den Gästen selbst entgegen zu kommen.

Zu Axarat also begrüßte er den Herzog Heinrich mit Kuß und Umarmung - als einen Blutsfreund. Heinrich wußte von dieser Verwandtschaft nichts; der Sultan erzählte ihm aber, daß eine seiner Ahnfrauen, die Gemahlin eines russischen Königs, eine deutsche Edle gewesen sei. Dann bezeugte er seine große Freude über die glückliche Ankunft seiner Gäste; er dankte Gott, daß sie Milos Händen entkommen seien, da dieser treulose Verräther ihnen sonst nicht nur ihr Gut, sondern auch ihr Leben genommen haben würde. Er selbst erwies den Deutschen eine großartige Gastfreundschaft in orientalischem Stil. Nachdem er dem Herzog Mantel und Untergewand von schönster Seide verehrt hatte (aus denen dieser hernach Priestergewänder anfertigen ließ), wurden 1800 Rosse vorgeführt, von denen sich jeder der „Ritter“ des Herzogs eins nach Gefallen auswählen durfte. Der Herzog selbst empfing noch 30 starke Rosse mit silberbeschlagenen Zäumen und mit Sätteln von Elfenbein und Tuch, 6 Filzzelte nebst den 6 Kamelen, die sie tragen sollten, und deren Führern, endlich auch noch 2 Leoparden, die vermuthlich zur Jagd abgerichtet waren, da sie auf Pferden saßen und von Sklaven geleitet wurden.




36) „Tarsum primae Ciliciae metropolin, quam (Boemund) a Graecis receperat“, sagt Wilhelm von Tyrus XXII, 24 Die Zeit, wann? ist unbekannt, Wilken III, 2, S. 227, Anm. 140, vermuthet, es sei schon bei Manuels Vermählung mit Maria von Antiochia geschehen. Arnold v. Lübek erzählt I, 9, Milo habe hernach Tarsus zur Rache dafür, daß ihm unsere Pilger entkommen waren, sich unterworfen (expugnans sibi subjugavit); dies spricht dafür, daß jene Pilger Tarsus für eine antiochenische Stadt hielten. Uebrigens verkaufte Boemund Tarsus 1183 an den Fürsten Rupin, den Bruder des Fürsten Leo von Cilicien; er muß also wieder in den Besitz derselben gekommen sein, vorausgesetzt, daß Arnolds Angabe Grund hat