Abschnitt 4

I.
Die Wallfahrt des Obotritenfürsten Pribislav
und des Grafen Gunzel I. von Schwerin
mit Herzog Heinrich dem Löwen.


Sofort erhoben sich die Pilger und rüsteten sich zum Streit. Zum herzoglichen Banner versammelte der Marschall schnell die Ritter, während die Knappen, unter deren Schutze seitwärts die Schlachtrosse und die Packpferde standen, angewiesen wurden, von einem etwanigen Angriffe der Feinde den Rittern sofort Meldung zu thun.


Der Herzog nahm, mit seiner Rüstung angethan, Platz vor einem mächtigen Wachtfeuer, neben ihm saßen der Bischof von Lübek und die beiden Aebte, sein Vertrauter, Graf Gunzel von Schwerin, stand mit andern Tapfern vor ihm; sie besprachen, was zu thun sei, und feuerten gegenseitig ihren Muth an. - Da flog plötzlich ein Pfeil nahe bei ihnen nieder. Und als sie nun alle schnell auffuhren und zu den Waffen griffen, ward auch schon gemeldet, daß das Lager des Wormser Bischofs angegriffen, ein Ritter dort durch einen Pfeilschuß getödtet und zwei Knechte durch vergiftete Pfeile auf den Tod verwundet seien.

Augenblicklich sandte der Herzog diesem Bischof 20 gepanzerte Ritter zur Hülfe; und diesen gelang es bald die Serben zurückzutreiben, zumal da der feindliche Führer durch einen Schuß aus einem Wurfgeschoß getödtet ward.

Nun wagten die Feinde keinen neuen nächtlichen Ueberfall mehr. Als am nächsten Morgen, nachdem ein dichter Nebel sich endlich zerstreut hatte, die Deutschen ihren Marsch fortsetzten, bemerkten sie freilich den ganzen Tag über noch Serben, welche den Zug in einiger Entfernung auf den Höhen begleiteten, um etwanige Nachzügler abzuschneiden; indessen gaben sie diesen dazu keine Gelegenheit.

Unversehrt gelangten die Pilger, an der bulgarischen Morava bis zum Einflusse der Nissava und dann längs dieser hinaufziehend, nach der Stadt Nisch, die als seinen Geburtsort Kaiser Constantin einst verschönert, Attila hernach zerstört, Kaiser Justinian aber wieder hergestellt und befestigt hatte. Hier durften sich die Deutschen nach langen Anstrengungen ausruhen; sie fanden hier eine sehr ehrenvolle Aufnahme und wurden auf Kosten Kaiser Manuels bewirthet.

Ohne alle Fährlichkeiten legten sie hierauf den Weg nach Constantinopel auf der bekannten Straße über Sophia, Philippopel und Adrianopel 22) zurück. Am Charfreitage (14. April), also volle drei Monate nach der Abreise von Braunschweig, zogen die Pilger in die durch die Erzählungen der Normannen und der Kreuzfahrer auch im nördlichen Europa wegen ihrer Pracht und ihres Reichthums längst als Wunderstadt berühmte Hauptstadt des oströmischen Kaisers Emanuel ein.

Wie anziehend einem Ankömmling aber auch alle Herrlichkeiten Constantinopels erscheinen mochten, der hohe Festtag verbot den Deutschen alle Zerstreuungen. In aller Stille feierten die Pilger die Passion des Herrn, und ebenso begingen sie den heiligen Sonnabend vor Ostern.

Am ersten Ostertage hörten sie schon in aller Frühe die Messe. Aber nach dem Frühmahl stiegen sie endlich zur Kaiserburg hinan. Dorthin hatte Herzog Heinrich seine für den Kaiser mitgebrachten zahlreichen und kostbaren Geschenke bereits vorausgesandt, die köstlichsten Pferde mit Decken und Sätteln, Panzer, Schwerter, Gewänder von Scharlach und die feinsten Leinenstoffe.

Kaiser Manuel I. stand bei den Deutschen nicht eben im besten Andenken wegen des Haders, den er 25 Jahre früher mit seinem Schwager, dem deutschen Könige Konrad III., bei Geleaenheit des zweiten Kreuzzuges, vornehmlich um die unbesonnene Weise Barbarossas, gehabt hatte. Aber man kannte ohne Zweifel doch auch seine große Vorliebe für das abendländische Ritterthum, wie er denn selbst alle ritterlichen Künste gern und mit Auszeichnung geübt hatte und damals - im Alter von 52 Jahren - vielleicht mitunter noch übte. Wie sollte er also nicht den längst berühmten Herzog von Baiern und Sachsen freundlich bei sich aufnehmen, zumal, wenn er nicht mit einem Kreuzheere, sondern mit einer Schaar friedlicher Pilger erschien, und obenein gerade dessen mächtiger Gönner, Kaiser Friedrich, der den Herzog so warm empfahl, sich mit dem oströmischen Kaiserhause aufs Engste zu verbinden gedachte!

Unter solchen Umständen ließ sich erwarten, daß der prachtliebende Manuel den vollen Glanz des berühmten byzantinischen Ceremoniels entwickeln würde.

Und so geschah es auch. Nur drückt sich unser Berichterstatter, Abt Arnold von Lübek, leider so unbestimmt aus, daß die von ihm bezeichneten Oertlichkeiten sich kaum wiedererkennen lassen.

Aus der östlichen Spitze der Landzunge, welche das Häusermeer Constantinopels bedeckt, erhebt sich die alte Akropolis, auf welcher der Kaiser residirte. Dort lag im Norden der goldene Saal, und an diesen schlossen sich südwärts mehrere Prachtbauten. Dann folgte der freie Platz, auf dem sich die Sophienkirche erhebt, und weiter gelangte man durch „das Thor der Todten“ zum Hippodrom. Eine lange Treppe führte vom Hippodrom hinunter zu den Uferbefestigungen.

Eben diese hohe Treppe stiegen vermuthlich die Deutschen zu ihrer feierlichen Audienz beim Kaiser hinan, und gelangten also zunächst in den Hippodrom, wenn anders diese Rennbahn der bei Arnold genannte weite, ebene, ummauerte Jagdhof (curia venationis) ist. Dorthin hatte Manuel zum feierlichen Empfang der Gäste und zugleich zur Begehung des Osterfestes die sämmtlichen weltlichen Großen seines Hofes und die höchste Geistlichkeit berufen. Er selbst erschien im kaiserlichen Ornate. Zahllose Zelte von seinen Leinen- oder Baumwollenstoffen und Purpur, mit vergoldeten Spitzen und sonstigem, je nach dem Range und Stande der Inhaber mannigfach abgestuftem Schmuck waren daselbst aufgeschlagen.




22) Arnold (I, 3): Inde (von Nisch) „deductus est Andernopolim, deinde Vinopolim.“ Er verwechselt die Reihenfolge; denn Vinopolis ist auch ihm (IV, 9) Philippopel. - Vgl. „Vinipopolin, quae et Philippis“ Annal. Colon. max. (Pertz, Scr. XVII, p. 797)