Abschnitt 3

I.
Die Wallfahrt des Obotritenfürsten Pribislav
und des Grafen Gunzel I. von Schwerin
mit Herzog Heinrich dem Löwen.


„Brandiz“, das slovenische Branitschewo, das alte römische Viminiacum, heut zuTage unter dem Schutt der weitläufigen Ruinen bei Kostolatz begraben (östlich von Belgrad am südlichen Donauufer), war im Mittelalter oft ein Zankapfel der Griechen und der Ungarn 15); damals gehörte es dem Kaiser von Byzanz. Bei dieser Stadt pflegten die Reisenden die Donau zu verlassen und den Landweg nach Constantinopel einzuschlagen. Eben diese Absicht hatte auch der Herzog Heinrich. Ein Beamter (legatus) 16) Kaiser Manuels empfing die Pilgerschaar und den Bischof von Worms, um sie sicher weiter zu führen.


Ohne Gefahr und Beschwerden ließ sich aber dieser Landweg allerdings auch nicht zurücklegen. Denn zunächst war der verrufene „Bulgerewald“ zu passiren, der sich zwischen Branitschewo und Nisch östlich von der Morava ausdehnte, ein Waldrevier, welches sich von den Höhen der Mittelgebirge (Golidsch, Omolje, Golubinje . . .) zu dem sumpfigen Thale der Morava hinabzieht und hie und da von sehr unzuverlässigen Bulgaren und Serben bewohnt ward. Der lange Wagenzug, welcher mit einem Ueberfluß von Lebensmitteln und Bequemlichkeiten aller Art beladen war, mußte auf dem engen, oft nur ein Geleise breiten und dabei, zumal jetzt im Frühling, tiefen Waldwege alle Augenblicke anhalten, so oft nämlich ein Wagen oder ein Karren zerbrach oder die im Schlamm stecken bleibenden Pferde den Dienst versagten.

Doch diesem Uebelstande war noch abzuhelfen. Der Herzog gebot nämlich bald, die Wagen preiszugeben, das Gepäck aber und vom Proviant so viel als möglich auf die Pferde zu laden, alles Andere dagegen zurückzulassen.

Schlimmer als der Verlust, den der Pilgerzug hiedurch erlitt, war es vielleicht noch, daß die Bulgaren und Serben, welche sich der zurückgebliebenen zahlreichen großen Weinfässer und Kisten mit Mehl, Fleisch, Fischen und sonstigen Leckerbissen bemächtigen konnten, durch einen so mühelosen Gewinn zu bösen Absichten verlockt wurden.

Der Obotritenfürst Pribislav mag sich Anfangs gefreut haben, als er hier im Serbenlande eine Sprache vernahm, die seiner wendischen Muttersprache verwandt und ihm wenigstens zum Theil wohl verständlich war. Aber er sollte bald erfahren, wie übel seine entfernten Stammesgenossen gegen den Pilgerzug gesinnt waren. Abt Arnold kann nicht Worte genug finden, um die Wildheit und die Gier dieser „Belialssöhne“ zu beschreiben. Man darf dabei jedoch auch nicht außer Acht lassen, daß die Serden nicht ohne Grund stetes Mißtrauen gegen ihren kaiserlichen Herrn zu Constantinopel hegten, daß sie in früheren Zeiten mit den Kreuzfahrern schon schlimme Erfahrungen gemacht hatten, und daß der Pilgerzug Herzog Heinrichs ein kleines Heer ausmachte, indem er nach Arnolds Angabe 18) nicht weniger als 1200 streitbare Männer zählte.

Als nun der byzantinische Geleitsmann, im Moravathal dem Zuge vorauseilend, in der mitten in dieser Waldgegend (12 Meilen von Branitschewo) belegenen kleinen Festung „Ravanelle“ (wohl richtiger „Ravanetz“ oder „Ravana“ 19), jetzt Tjuprija, d. h. Brückenstadt, genannt) anlangte, welche den Uebergang über die Ravanitza, einen kleinen Zufluß der Morava, beherrschte, und dort eine ehrenvolle und gastliche Aufnahme für die Pilger begehrte, wie sie sich in des Kaisers Landen zieme: da verweigerten die Serben mißtrauisch jeglichen Einlaß derselben und wiesen sogar den kaiserlichen Sendboten selbst schnöde ab.

Auf eine so unwillkommene Botschaft zog Herzog Heinrich bis nahe an die Festung hinan, schlug dort sein Lager auf und machte nun wiederholt Versuche, die Serben durch freundliche Unterhandlungen umzustimmen; er verlangte von ihnen nur noch einen Geleitsmann und versicherte, mit diesem in Frieden weiterziehen zu wollen. Aber das Mißtrauen der Serben gegen abendländische Pilger und Kreuzfahrer war zu groß, sie ließen sich auf keine Verhandlungen ein.

Da richtete Herzog Heinrich an die seinen eine kräftige Anrede, die wir, wie sie Arnold aufgezeichnet hat, hier wiedergeben. „Als Pilger“, sprach er, „hätten wir freilich ruhig und friedfertig unseres Weges ziehen und uns einer Feste des Kaisers, zu dem wir uns hinbegeben, nicht in Kriegsrüstung nahen sollen. Aber da jene Belialssöhne ja nicht friedlich verfahren, sondern, wie es scheint, Streit mit uns beginnen wollen: so erhebt die Banner! Vorwärts! Der Gott unserer Väter, für dessen Namen wir wallfahren und auf dessen Geheiß wir unsere Brüder, unsere Frauen und Kinder, Haus und Feld verlassen haben, sei mit uns! Hier gilt es unsere Kraft zu zeigen. Kämpfen wir tapfer! Sein Wille geschehe! Denn wir leben oder wir sterben, so sind wir des Herrn.“

Mit erhobenen Bannern zogen die Pilger nun an der Festung vorüber und schlugen dann unweit derselben ihr Lager wieder auf, in einem langgestreckten Thal, an einem klaren Bache, auf der einen (östlichen) Seite 20) durch Anhöhen, auf der andern durch niedriges, dichtes Gebüsch gedeckt. Sie zündeten große Wachtfeuer an, stellten Posten aus, ließen dem Leibe die nöthige Pflege angedeihen und legten sich dann zur Ruhe.

Um Mitternacht aber wurden die Schläfer sehr unsanft geweckt. Die Serben hatten nun die Größe des Zuges überschlagen können; er mochte ihnen nicht allzu unbezwinglich erscheinen. Die Bevölkerung des ganzen Waldgebirges hatte sich zusammengeschaart und rückte in vier Abtheilungen von verschiedenen Seiten heran. Um die Deutschen zu schrecken und wo möglich zu einer vorschnellen Flucht zu bewegen, wobei eine reiche Beute zu erwarten stand, stimmten die feindlichen Haufen abwechselnd ein furchtbares Schlachtgeheul an.




15) Wiener Jahrb. der Lit. 42, S. 30 f. (Abhandlung über den Zug Kaiser Friedrichs I. von Wien bis Constantinopel zur Erläuterung des Ansbertus de expeditione Friderici imperatoris.)
16) Ob man an einen eigens zu diesem Zwecke von Constantinopel abgeordneten Gesandten denken darf, ist zweifelhaft. Wahrscheinlich war allerdings ein Bote, wie an König Stephan vorher und an den Sultan hernach, so auch an Kaiser Manuel zur Anmeldung des Zuges vorausgeschickt, und ein Gesandter empfing den Herzog demgemäß zu Branitschewo, wie früher Florenz beim Eintritt in Ungarn. Ohne Befehl hatte ein Statthalter Kaiser Manuels kaum freies Geleite gewähren können; vielleicht aber empfing eben der Statthalter diesen ausdrücklichen Befehl, und der legatus bekleidete alfo dasselbe Amt zu Branitschewo wie der IV, 9 von Arnold erwähnte „dux de Brandiz.“
18) I, 3 Fuit autem numerus virorum educcentium gladium mille ducenti. - Hist. ducis Hinrici erantque in comitatu ducis prefati ad duo milia hominum; und ebenso Detmar: „unde quam to paschen to Conftantinopole mit twee dusent mannen.“ - Annal. Colon. max. [Pertz, Scr. XVII, p. 785] cum 500 fere mili[ti]bus
19) Uebrigens nennt sie Arnold IV, 9 gleichfalls castrum Ravanelle
20) „habentes a dextris montana, a sinistris vero rubum pinarum den sissimum“, sagt Arnold, indem er sich die Front nach der Festung zurück gewendet denkt. Denn östlich lagen die Vorberge des Golubinja-Gebirges