Abschnitt 2

I.
Die Wallfahrt des Obotritenfürsten Pribislav
und des Grafen Gunzel I. von Schwerin
mit Herzog Heinrich dem Löwen.


Die Octave des Festes der Heil. drei Könige (13. Jan.) 1172 11) ward noch zu Braunschweig verlebt; dann brach der Herzog mit dem Fürsten Pribislav und dem ganzen zahlreichen Gefolge von dort auf, zunächst nach Baiern. Zu Regensburg, wo das Marienfest am 2. Februar begangen ward, schlossen sich dem Pilgerzuge noch mehrere bairische Edle an, namentlich die Pfalzgrafen Friedrich und Otto von Wittelsbach 12).


Man wollte den damals seit den beiden Kreuzzügen gewöhnlichen Weg nach dem Qrient über Constantinopel einschlagen; Boten des Herzogs an den König Stephan von Ungarn, vielleicht auch an den Kaiser Manuel, eilten dem Zuge voran, um ein freies Geleite durch die Lande zu erbitten.

Zu Kloster-Neuburg begrüßte Herzog Heinrich von Oestreich mit einer großen Schaar von Priestern und Laien seinen Stiefsohn, den Herzog von Sachsen und Baiern, und führte ihn und sein ganzes Gefolge nach Wien.

Dort wurden Schiffe genommen, mit Speise und Wein und allem sonstigen Reisebedarf ausgerüstet, wobei der Herzog von Oestreich eine große Freigebigkeit bewies, und mit einem großen Theil des Reisegepäcks beladen. Denn hier begann Herzog Heinrich mit seinem Gefolge die Donaufahrt. Die Knechte dagegen führten die Rosse zu Lande längs des Stromes weiter, trafen aber am Abend immer wieder mit den dann landenden Schiffen zusammen. Der Abt Heinrich von Braunschweig, der die Pilgerfahrt in der strengsten Form, im härenen Gewande, in unablässigem Fasten und Beten zurücklegte, pflegte während des ganzen Zuges an jedem Abend eine Vigilie und an jedem Morgen vor dem Aufbruche eine Frühmesse zu Ehren des Heilands und der Heil. Jungfrau zu halten.

Auch der Bischof Konrad von Worms und der Herzog Heinrich von Oestreich gaben von Wien aus der Pilgerschaar das Geleite, der Herzog jedoch nur, um sie seinem Schwager, dem Könige Stephan von Ungarn, zuzuführen. Der Wormser Bischof dagegen ging mit einem vertraulichen Auftrage Kaiser Friedrichs I. nach Constantinopel, um dort für seines Kaisers Sohn um eine Tochter Kaiser Manuels zu werben; daneben aber sollte er auch, so meinte man wenigstens, diesem Pilgerzuge bei dem oströmischen Kaiser eine günstige Aufnahme erwirken, die bekanntlich Barbarossa selbst, freilich nicht ohne eigene Schuld, und König Konrad III. bei demselben Kaiser auf ihrem Kreuzzuge nicht gefunden hatten.

In Mesenburg (jetzt Mosony oder Wieselburg) erwartete die Wallfahrer schon Florenz, König Stephans Abgesandter, um sie durch Ungarn zu geleiten. So ging die Fahrt die Donau hinunter ruhig von Statten, bis am 3. oder 4. März die starke Festung Gran erreicht ward.

Dort überraschte die Pilger aber eine schlimme Kunde; in derselben Nacht nämlich (4. März) starb der König Stephan, wie man meinte an Gift, das ihm sein Bruder Bela, der mit ihm in schweren Zerwürfnissen lebte, hatte reichen lassen. Mit des Königs Tode war aber das sichere Geleite durch Ungarn erloschen. Glücklicher Weise war jedoch der Erzbischof und Primas von Ungarn eben in der Stadt, um die Vorbereitungen zu des Königs Beisetzung zu treffen. An ihn wurden nach gepflogener Berathung der Bischof Konrad von Lübek und die beiden vorhin erwähnten Aebte wegen eines weiteren Geleites abgesandt; und der Erzbischof ging gern auf solchen Wunsch ein, berief die anwesenden Magnaten zu einer Berathung und erwirkte leicht den Beschluß, daß Florenz den Pilgerzug durch ganz Ungarn sicher hindurch führen sollte.

So ward denn die Donaufahrt eine Weile glücklich fortgesetzt, wenigstens, so weit der Strom in südlicher Richtung durch die ungarische Ebene ruhig dahin fließt. Hernach aber ereignete sich ein Unfall, der leicht dem ganzen Unternehmen hätte ein jähes Ende bereiten können. Wo sich dieser zutrug, wird von unserm Gewährsmann nicht berichtet; vielleicht geschah das Unglück dort, wo unterhalb der Einmündung der Drau die sirmische Bergkette (jetzt Werdnik genannt) den Donaustrom zu einer fast östlichen Richtung bis zum Einflusse der Theiß zwingt und die Höhen, wenngleich an sich nicht bedeutend, zum Theil schroff in den Strom hinabfallen; oder es ereignete sich erst auf der Strecke nahe unterhalb Belgrad, wo „zur Rechten abschüssige Felsenhügel mit verfallenen Castellen“ erscheinen, wenn dort auch jetzt „kein so gefährlicher, mit Klippen besäeter Engpaß 14)“ hervortritt, wie Arnold ihn schildert. „Ungeheure Klippen“, schreibt er, „springen dort Bergen gleich vor, deren eine von einer Burg gekrönt wird; sie hemmten den Lauf des Wassers und erschwerten die Vorüberfahrt aufs Aeußerste; denn die verengten Gewässer bäumen sich und schäumen zuerst hoch empor und stürzen hernach mit großem Getose in die Tiefe. Dennoch kamen nach Gottes Willen alle Schiffe daselbst unverletzt vorüber; nur allein der Herzog litt dort Schiffbruch. Indessen, die auf der Burg waren, warfen sich schnell in einen Nachen und zogen den Herzog ans Land; Gunzel aber und der Truchseß Jordan und die Uebrigen retteten sich durch Schwimmen. Das Schiff ward wieder hergestellt, und so erreichten sie Brandiz, wo bei dem Wassermangel die Schiffe auf dem Trocknen standen“, weil, wie ein ortskundiger Mann bemerkt, „der rechte Arm der getheilten Donau hier bei niedrigem Wasserstand schmal und seicht wird.“




[sup11)[/sup] Dies Jahr steht trotz Abweichungen bei den Annaliften (Detmar und Histde duce Hinrico 1171) urkundlich fest. S. die Urk. in den Orig. Guelf. III, 515, 516: „D. anno dom. incarn. MCLXXII., gloriosissimi autem Henrici ducis Bauarie et Saxonie anno peregrinationis primo“, und daselbst p. 510 die zu Jerusalem 1172 gegebene Urkunde über Heinrichs Stiftung der drei Lampen in der Auferstehungskirche
12) Cohn, Gött. gel. Anz. 1866, S. 609, und danach Lappenberg zu Arnold I, 2
14) Die angeführten Worte sind der Erörterung eines ungenannten („Pf. Sch.“) über Arnold I, 3 in den Wiener Jahrb. der Literatur Bd. 42 (1828, 2), S. 32, entnommen. Der ungenannte Verfasser zieht die Strecke längs des Werdnik gar nicht in Betracht - ob mit Recht oder mit Unrecht, könnte nur eine Untersuchung an Ort und Stelle entscheiden -, sondern nimmt ohne Weiteres an, Arnold meine den Donaulauf unterbalb Belgrad. Da aber zwischen Belgrad und Branitschewo kein so mit Klippen besäeter Engpaß vorhanden, so ist es ihm „mehr als wahrscheinlich, daß der Herzog die Fahrt auf der Donau bis zu dem ersten Engpaß zwischen Dobra und Poretsch machte, hier Schiffbruch litt, und dann nach Branitschewo zurückkehrte“, und daß das von Prokop erwähnte Castell Kampses „aller Wahrscheinlichkeit nach die von Marsigli auf dem Vorgebirge Greben, 2 Stunden oberbalb Poretsch, ganz in der Nähe des Engpasses bemerkte Ruine und dasjenige Castell ist, bei welchem der Herzog Schiffbruch gelitten.“ Uns dünkt diese Vermuthung, welcher Lappenberg zustimmt, unannehmbar; denn einmal spricht Arnold gar nicht von einer Umkehr, zum andern konnte der Herzog nicht an einem beliebigen Orte landen, da ihn ja nicht überall ein kaiserlicher „legatus“ zu freiem Geleite erwartete, und drittens führte, wie unser Anonymus S. 35 selbst zeigt, schon von früher her die Straße nach Constantinopel über Branitschewo ins Thal der Morava. Man wagte sich eben nicht durch das Eiserne Thor bei Orsova. Das deutet auch Arnold an, wenn er schreibt: „Ibi (bei Branitschewo) enim Danubius subterraneo meatu absorptus (? s. die Worte des Anonymus in unserm Text) in amnem parvissimum derivatur et post longa terrarum spacia turgentibus fluctibus ebulliens in Sowam (Anon. liest Irsowam) protrabitur. Relictis igitur navibus etc.