Abschnitt 1

I.
Die Wallfahrt des Obotritenfürsten Pribislav
und des Grafen Gunzel I. von Schwerin
mit Herzog Heinrich dem Löwen.


Der Herzog Heinrich der Löwe von Baiern und Sachsen stand im Jahre 1171 auf dem Gipfel seiner Macht und seines schon von den Zeitgenossen angestaunten Glückes. Nächst dem Kaiser Friedrich I. war er bei weitem der mächtigste Fürst des Reiches; er hatte Baiern gewonnen, das Herzogthum Sachsen bis an die Peene erweitert, seine Gegner zum Schweigen gebracht, mit dem König Waldemar von Dänemark nicht nur Frieden geschlossen, sondern auch eine Familienverbindung verabredet. Sein schwierigstes Werk war die Bezwingung der Wenden und die Einleitung ihrer Bekehrung gewesen; es hatte so recht seinem Charakter zugesagt, in dem sich ein nicht geringer Grad von Herrschsucht und Eigensucht mit kirchlichem Sinn in merkwürdiger Mischung vertrug.


Man konnte die Macht des Wendenthums für gebrochen halten, seitdem Zwantewits Bild auf Arkona gefallen war.

Heinrichs ehemals hartnäckigster Feind, der Wendenfürst Pribislav, war nicht nur besiegt, sondern auch aufrichtig versöhnt; er war des Herzogs Freund und Bewunderer geworden 1), und dabei nicht nur ein äußerlicher Bekenner des Christenthums, sondern auch innerlich von dessen Kraft und Wahrheit überzeugt. Wenn dieser Wendenfürst sich seines Volkes kräftig annahm und dessen Ueberreste unter dem Schutze fester Burgen neu sammelte und ansiedelte, so gründete er doch auch, um demselben die Segnungen der Kirche und christlicher Cultur leichter zu vermitteln, im Frühling 1171 das Kloster zu Althof bei Doberan; und am 9. Sept. 1171 erschien Pibisav sogar, wie schwer es im gewesen sein mag, auf einer der vornehmsten Burgen seiner Väter einen fremden Grafen walten zu sehen, zu Schwerin, als der Bischof Berno den Dom weihete und Herzog Heinrich, begleitet von manchen seiner Getreuen, gleichsam zum Abschluss seines Wirkens im Wendenlande, die feierliche Stiftung und Ausstattung des jüngsten seiner drei wendischen Bisthümer, zu der vornehmlich Pribislav das Kirchengut beisteuerte, vollzog.

Eben damals traf der Herzog schon Vorbereitungen zu einer Wallfahrt ins Heilige Land. Es waren nicht politische Beweggründe, die ihn in den fernen Orient trieben, wo sich für seine stets praktische Politik kein Feld fand; auch konnte er dort bei dem blühenden Zustande des Königreiches Jerusalem keine Gelegenheit zu Beweisen seiner Tapferkeit und Aufopferungsfähigkeit für kirchliche Zwecke erwarten. Treffend bemerkt vielmehr sein jüngerer Zeitgenosse Abt Arnold von Lübek, dem wir unsere Kunde von jener Wallfahrt zumeist verdanken: „Nachdem .. der Friede im Wendenlande befestigt .., der Herzog nun solcher Ruhe theilhaftig geworden und so großen und gefahrvollen Stürmen glücklich entronnen war, glaubte er, fromme es, das Heilige Grab als den Hafen des Heils aufzusuchen, den Herrn dort anzubeten, wo einst seine Füße gestanden.“ Damit handelte Heinrich ganz im Sinne seiner Zeit, die jede Wallfahrt, und namentlich die nach dem Heiligen Lande, als eine Buße oder als ein gottgefälliges Dankopfer ansah. Nebenbei reizte ihn aber wohl auch das Verlangen, den sagen- und wunderreichen Orient überhaupt, und namentlich jene Orte zu sehen, welche durch die Kämpfe und die Siege der Kreuzfahrer berühmt geworden waren, und das Reich zu schauen, welches die Streiter Christi in Palästina mit zahllosen Opfern und unvergleichlicher Hingabe von Gut und Leben geschaffen hatten.

Sein Herzogthum befahl Heinrich für die Dauer seiner Wallfahrt dem Erzbischof Wichmann von Magdeburg, seiner Gemahlin Mechthild zur Seite ließ er zwei tüchtige Ministerialen; eine große Anzahl von seinen geistlichen und weltlichen Herren in Sachsen aber nahm er zu seinen Gefährten. Unter den geistlichen ragten der Bischof Konrad von Lübek und die Aebte Berthold von Lüneburg und Heinrich von Braunschweig (dessen Mittheilungen Arnold von Lübek wiedergiebt 6), unter den weltlichen Herren der Obotritenfürst Pribislav, der Graf Gunzel I. von Schwerin, Graf Siegfried von Blankenburg 7)u. a. hervor.

Wohl leisteten Pribislav, den der Kaiser Friedrich 1170 unter die Fürften des Reichs aufgenommen hatte, und der Graf Gunzel als des Herzogs Lehnmannen mit solchem Gefolge dem Herzog Heinrich einen schuldigen Ehrendienst. Und wenn auch nicht deutlich genug bezeugt würde, daß Pribislav sein Lehnmann gewesn sei (wiewohl die Fürsten von Meklenburg hernach ihre Lande nicht von den Herzogen von Sachsen zu Lehn nahmen): so lag es doch in den gegenseitigen Beziehungen, daß Pribislav, wenn der Herzog gegen ihn den Wunsch äußerte oder ihm das Anerbieten machte, ihn unter seine Reisebegleiter aufzunehmen, nicht wohl ablehnen konnte. Aber es spricht auch nichts gegen die Annahme, daß des Herzogs geistlicher Beweggrund in dem Herzen des neubekehrten Wendenfürsten einen kräftigen Widerhall fand, und daß sich dieser danach sehnte, dem Erlöser am heiligen Grabe und auf Golgatha seinen Dank darzubringen.

Wie der Herzog seine Gemahlin (die ihrer Entbindung entgegen sah) daheim ließ, so blieb auch Pribislavs Gemahlin, die Fürstin Woizlava, zu Meklenburg, und ebenso die Gräsin Oda zu Schwerin von der langen und anstrengenden Fahrt zurück. Jener standen während der Abwesenheit ihres Gemahls vermuthlich ihr Sohn Burwin, der wohl mindestens 20 Jahre zählte und wahrscheinlich schon mit Mechthild, der Tochter Herzog Heinrichs, vermählt 10) war, und ihr Neffe, des unglücklichen Fürsten Wartislav hinterbliebener Sohn Niclot (der spätere Fürst von Rostock), schützend und helfend zur Seite; und eine ähnliche Stütze fand Gunzels Gemahlin, die Gräfin Oda, an ihrem ältesten Sohne Helmold. Wenigstens wird dieser so wenig wie die beiden jungen meklenburgischen Herren unter dem Gefolge des Herzogs erwähnt. Ueberdies hatten die beiden Regentinnen in dem Bischof Berno von Schwerin einen einsichtsvollen Rathgeber.




1) Arnolds Lubicensis I, 1: Pribizlavus vero, frater Wertizlavi , ex inimico factus est duci amicissimus, sciens, quod nil prevalerent adversus eum suscepta molomina, considerans etiam viri magnificentiam et [quod], quocunque se vertebat, in omnibus fotuna prevallebat
6) Heinrich ward hernach Bischof von Lübek. In Arnolds Berichte tritt er in den Vordergrund. - Ein Auszug aus Arnolds Erzählung ging - mit einigen Zusätzen - über in die (jetzt verlornen) Chronica Saxonum aus Welchen Hinricus de Hervordia (p. 158, 159), Detmar (z. J. 1171, 1172) und der Verf. der Historia de duce Hinrico (nach 1283) geschöpft haben. Vgl. Kohlmann in: Quellensammlung der Gesellsch. für schlesw.-Holst.-Lauenb. Gesch. IV, S. 231 flgd. und den Text S. 241 flgd. Die Abweichungen und Zusätze führen wir weiterhin an
7) Arnold Lub. I. 1 nobiliores terre intineres sui socius fecit, Conradum videlicet episcopum Lubicensem, Heinricum abbatem de Bruneswich, Bertoldum abbatem de Lunenburg et memoratum Pribizlavum regulum Obotritorum et Guncelinum comitem de Zverin de suis viris liberis quam de ministerialibus
10) Kirchberg erzählt freilich (Cap. 113), Heinrich Burwin I. Sei erst während dieser Wallfahrt, alfo im Jahre 1172, geboren; aber dies ist unglaubwürdig. Denn dann wäre dieser Fürst, als dessen Todestag der 28. Januar 1227 feststeht (Meklenb. Urk.-Buch Nr 336), in seinem 55. Lebensjahre gestorben und hätte doch schon fast mündige Enkel (Sohneskinder!) hinterlassen. Daß er in seinen letzten Jahren seine Söhne und sogar seine Enkel (Meklenb. Urk.-Buch I, Nr. 321) für sich eintreten läßt, macht es vielmebr sehr wahrscheinlich, daß er ein hohes Alter erreicht hat. Es könnte daher eher Heinrich Burwins I. Sohn, Heinrich (Burwin) II., im Jahre 1172 geboren sein, und Kirchbergs Angabe auf einer Verwechslung des Vaters mit dem in Chroniken (wenn auch nicht in den Urkunden) gleichnamigen Sohn beruhen. Wenigstens war Heinrich (Burwin II.) schon unter den Geiseln, welche sein Vater BurWin I. und sein Oheim Nicolaus von Rostock spätestens 1189 (vgl Meklenb. Urk.-Buch I, Nr. 147 und 148 nebst dem Siegel) nach Arnold III, 4 dem Könige Kanut von Dänemark stellten