Abschnitt 9

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Das Uebelste war jedoch, wenigstens für den Fürsten Heinrich von Meklenburg und für andere Pilger, welche das Heilige Grab zu besuchen gedachten, daß die muhammedanische Bevölkerung Syriens, die ohnehin durch den Einfall der Mongolen schon erbittert genug war, durch den ungeahnten Angriff auf friedliche Hirten aufs Aeußerste erzürnt ward. Man durfte fürchten, daß sie gegen friedlich dahin ziehende Pilger Vergeltung üben würden. Eine Wallfahrt von Akkon nach Jerusalem und den andern heiligen Stätten ward unter diesen Umständen ein höchst gefährliches Unternehmen.


Andererseits aber mußte es dem Fürsten Heinrich bald klar genug geworden sein, daß zu einem ruhmvollen Kampfe gegen die Ungläubigen zur Zeit gar keine Aussicht vorhanden, geschweige denn an einen Siegeseinzug in Jerusalem zu denken war. Wollte er sich also seines Gelübdes in Jerusalem entledigen, und nicht heimkehren, ohne das Heilige Grab besucht zu haben, so mochte es ihm am zweckmäßigsten erscheinen, dorthin noch im Winter zu wallfahren, bevor man den Sultan, dessen Geneigtheit zum Frieden noch recht zweifelhaft erschien, wieder mit Heeresmacht vor Akkon erwarten durfte.

So trat er denn, von den seinen begleitet, im Januar 1272 von Akkon aus die Fahrt nach der Heiligen Stadt an. Vielleicht, um nicht als Kämpfer, sondern als friedlicher Wallbruder zu erscheinen, ließ Heinrich seine Rittergürtel nebst einigen andern Werthsachen zu Akkon im Hause des Deutschen Ordens zurück.

Aber das schlimmste Loos sollte ihm zu Theil werden: er ward am Tage Pauli Bekehrung (am 25. Januar) von Muhammedanern gefangen genommen und dem Sultan zugeführt.

Ueber die Umstände, unter denen sich dies unglückliche Ereigniß vollzog, sind wir nicht näher unterrichtet; ja nicht einmal über den Ort, wo die Gefangennehmung geschah, sind unsere Quellen in Uebereinstimmung. Detmar und die Lübeker Jahrbücher nennen leider den Ort gar nicht; Kirchberg dagegen meldet, daß der Fürst mit seinem Diener Martin Bleyer die Grabeskirche zu Jerusalem besucht habe und dort nach der üblichen Darbringung eines Geschenkes beide von den Heiden gefangen genommen und an den Sultan überliefert seien. Er setzt hinzu:

dy andirn quamen von im alle
zu lande heym von sulchir walle;
wy sy von dannen quamen doch,
des kunde ich ny irfarin noch.

Und nur etwas bestimmter berichten die Franciscaner zu Wismar 130), der Fürst und seine Edelleute seien „alle gefangen worden van den Saracenen im tempel des hilligen graues am dage conversionis Pauly“.

„De adel auerst des hern Hinrici“, heißt es hier weiter, „wurden, wedderumb gefort in dat ehre vaderlandt, da se versamleten eynen schatt“ (Schatz) „tho ehres hern verlosinge“ (Auslösung). „Wen de here Hinricus wort myt eynem knechte, Martinus Bleyer genomet, in Babylonien gefort“.

Aber wenngleich diese Uebereinstimmung zweier von einander unabhängiger Quellen auf den ersten Blick etwas Bestechendes hat, so erkennen wir in ihrer Angabe rücksichtlich des Ortes doch den Einfluß der Volkssage, welche es liebt die Erzählung dramatischer zu gestalten. Denn in der Chronik Albrechts, deren Bericht wir auf des Fürsten eigene Mittheilungen zurückführen zu müssen glauben, heißt es, Heinrich sei auf dem Wege zum Heiligen Grabe gefangen genommen („over mere an pelegrimaze uppe deme weghe tho deme heylyghen grave“).

In völliger Uebereinstimmung melden dann aber alle unsere Quellen weiter, daß der Fürst nach „Babylonien“ (oder Kairo) abgeführt und dort in Gefangenschaft gehalten sei. Am genauesten ist auch hier wieder die Chronik Albrechts, wo es heißt, Heinrich sei gefangen gewesen „by Babelonie up eneme torne, de heet Kere.“

Denn der alten römischen Militairstation Babylon entsprach etwa die muhammedanische Stadt Fostat am rechten Nilufer. Die Christen pflegten Letztere im 13. Jahrhundert noch Babylon zu nennen; für sie war dies der wichtigste Theil der ganzen „dreifach getheilten und dreieckigen Stadt“, wie sie uns der oben mehrfach erwähnte Oliver in seiner Erzählung vom Kreuzzuge nach Damiette in den Jahren 1218-21 beschreibt. „Die Stadt Babylon selbst, am Nil erbauet, dehnt sich“ (nach Oliver 131) „der Länge und der Breite nach aus, hat gerade Straßen und dichtgedrängte Wohnungen wegen der zahlreichen Bevölkerung. Die Christen haben dort mehrere Kirchen; sie sind sehr zahlreich (numerosa multitudo) und sind dem Landesfürsten dienstbar und tributpflichtig (sub tributo servientium). In dieser Stadt sind die Niederlagen der Kaufleute, welche aus Alemanien“ (Armenien?), „Aethiopien, Libyen, Persien und andern Gegenden kommen. Beinahe eine Meile davon, in der Richtung auf Damiette, breitet sich Kairo mit weitläufigen Gebäuden und Straßen aus; es hat prachtvolle Wohnsitze, welche dem Adel des Landes und vornehmeren Bürgern zum Aufenthalt dienen. Diese Stadt erreicht den Nil nicht, wie Babylon, sondern ein mit Schilfwurzeln besäeter Raum“ (spatium junceis radicibus consitum) liegt dazwischen. Ferner erblickt man auf einer höheren Warte die aus großen Thürmen bestehende Feste des Sultans (castrum regale). Von der Burg aber zieht sich zu beiden Seiten eine Mauer herab, welche Kairo und Babylonien umschließt. Zwischen diesen drei Stadttheilen aber liegt ein großer sandiger platz, auf welchem ein zahlreiches Heer lagern kann.“

Diese Beschreibung wird auch noch für die Zeit gelten, da, ein halbes Jahrhundert später, der meklenburgische Fürst als Gefangener nach Kairo gebracht ward. Er ward also in die bei den arabischen Schriftstellern schlechthin als „die Bergfeste“ bezeichnete Citadelle geführt, welche der Sultan Saladin auf einem Abhange des Mokattam aufgeführt hatte, wo auch seine Nachfolger (wie in neuester Zeit die Vicekönige) residirten, und wo jetzt zahllose Reisende von der Terrasse neben der Moschee den entzückten Blick über die zu ihren Füßen ausgebreitete Stadt, die „Perle des Orients“, und bis zu den „im Süden sich scharf am Horizont abhebenden Pyramiden“ hinschweifen lassen. -




130) Im Kirchenbuch erhaltene Abschrift einer Tafel im Chor der Franciscaner-Kirche: Jahrb VI, S. 100, die auch Latomus meint, wenn er sich für dieselbe Erzählung auf eine „Wism. Urk.“ beruft. Die Inschrift der Tafel fußt natürlich auf ältere Aufzeichnungen
131) Eccard, Corp. hist. medii aevi II, p. 1430