Abschnitt 6

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Sowie nun aber der fürstliche Pilger von seinem Hause und von seinen Unterthanen Abschied nimmt, ist er auch unsern Blicken auf lange Zeit entschwunden. Seine Zeitgenossen wenigstens geben uns über den Weg, welchen er nach Palästina einschlug, auch nicht den leisesten Wink.


Anders freilich Kirchberg. Nach diesem zog Heinrich aus

mit synen mannen rechte,
rittir vnd knechte,
- vnd quam gar schon
in dy stad zu Ackaron,
dy man Akers nennet
vnd hude noch wol irkennet,
mit geleyde vnd mit synnen
von Marsilien der konigynnen,
dy syns vatir swestir waz.

Die Beurtheilung dieser Angabe ist nicht eben leicht. Freilich die (auch an einer andern Stelle 112) von Kirchberg erzählte) Verwandtschaft des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg mit der angeblichen Königin von Marsilien (Marseille) und deren Schwester, einer Königin von Cypern, gehört in das Gebiet genealogischer Fabeln; und es gab damals, als Heinrich nach Palästina zog, schon längst keine Herrscherfamilie mehr zu Marseille. Wie man sich aber auch die Entwickelung einer solchen Sage denken mag, wahrscheinlich ist sie daraus entsprungen oder dadurch begünstigt, daß der Fürst auf seiner Fahrt nach Akkon Marseille und Cypern berührt hat.

Schlug der Fürst den Landweg durch Deutschland ein, so lag ihm allerdings die Richtung auf Venedig am nächsten. Aber wir wissen ja nicht, ob ihn überall noch in der Heimath die Kunde von dem Aufschub des Kreuzzuges erreichte. Wußte er von demselben noch nichts, so war es ganz natürlich, daß er die wichtigste französische Hafenstadt am Mittelmeere aussuchte, um sich dort französischen Kreuzfahrern anzuschließen. Und selbst wenn er rechtzeitig von dem Aufgeben des Kreuzzuges unterrichtet war, konnte auch er immerhin, so gut die Friesen den Seeweg um Spanien herum einzuschlagen pflegten und sich ihrer Flotte 1218 Schiffe aus der Bremischen Kirchenprovinz anschlossen, etwa in Hamburg oder wohl leichter noch in Bremen ein hanseatisches Schiff besteigen und auf demselben entweder zunächst einen Hafen des südlichen Frankreichs am Atlantischen Ocean erreichen und Marseille dann auf dem Landwege aufsuchen, oder auch dasselbe Schiff direct bis Marseille 114) benutzen, um von dort auf einem Orientfahrer nach Akkon zu gelangen. Die Kaufleute und Schiffer von Marseille wetteiferten damals mit den Venetianern, Genuesen und Pisanern in Rechten und Freiheiten im Heiligen Lande und in der Schifffahrt und im Handel nach Akkon, Cypern und Aegypten.




112) Kirchberg Cap. 120. Johann von Meklenburg (der, als er 1228 zur Regierung kam, noch nicht ganz volljährig war und in den Jahren vorher in meklenburgischen Urkunden oft erscheint) soll in Paris 20 Jahre Theologie studirt haben „mit syns oheymes helfe glich, des koniges von Frangrich“. (Vielleicht ist diese Sage auf eine dunkle Kunde von Waldemar, Prisclavs Sohn, der als Mönch zu St. Genovefa in Paris lebte und starb [Meklenb. Urk.-Buch I, 139, 140], zurückzuführen.) Weiter erzählt Kirchberg vom Fürsten Johann, „daz her syne swestir czwo beried zu Paris, e her“ [angeblich 1226 oder 1227] „dannen schied; syn eynen swestir gab her schon des koniges von Marsilien son, syne andirn swestir gab her do des koniges son von Czipern so“. - In Wirklichkeit vermählte sich Raimund Berengar IV. von der Provence (Alfons’ II. und der Gersende Sohn) im Decbr. 1220 mit Beatrix, der Tochter des Grafen Thomas von Savoyen, die 1266 starb. Diese Ehe war mit 4 Töchtern gesegnet, von denen Margarete 1234 mit dem Könige Ludwig IX. von Frankreich, Eleonore 1236 mit König Heinrich III. von England, Sancie 1244 mit Richard von Cornwallis vermählt wurden. Seine Herrschaft vermachte Raimund Berengar († 19. August 1245) seiner vierten Tochter, der Beatrix, und diese brachte die Provence (1245) an ihren Gemahl Karl von Anjou, der Marseille 1257 und namentlich 1262 durch Waffengewalt zum Gehorsam zwang. Seit 1265 war Karl von Anjou auch König von Neapel und Sicilien; dorthin folgte ihm seine Gemahlin Beatrix, die 1267 starb. 1271 war der König (für seine Söhne) noch Herr der Provence; seit 1269 war er wiedervermählt mit Margarete, der Tochter Eudo’s von Burgund. - Die Königin von Cypern, welche 1271 lebte, Isabelle, die Gemahlin König Hugo’s III. von Cypern und Jerusalem, war aber weder eine Tochter des Grafenhauses von der Provence, noch eine Verwandte des Fürsten Heinrich von Meklenburg, sondern eine Tochter des Guy von Ibelin; ihr Gemahl starb 1284, sie überlebte ihn bis 1327. - Zu seiner angeblichen Tante, der Königin von Cypern, läßt Kirchberg den Fürsten Heinrich auch auf der Rückfahrt 1298 kommen. Hier liegt aber eine ersichtliche Verwechselung der Königin Isabelle von Cypern mit der Fürstin Isabelle von Achaja (Morea) vor, wie wir hernach sehen werden. Diese Letztere, Isabelle von Villehardouin, die von ihrem Vater, dem Fürsten Wilhelm († 1278) das Fürstentum Achaja (als neapolitanisches Lehn) erbte, Stand zum neapolitanischen Königshause aller- dings einmal im nächsten Verwandtschaftsverhältniß, indem sie seit 28. Mai 1271 die Gemahlin des 1277 verstorbenen Prinzen Philipp von Neapel, mithin König Karls I. Schwiegertochter gewesen war. Im September 1289 hatte sie sich wiedervermählt mit Florence d’Avesnes von Hennegau, und beide waren zugleich von Karl II. mit Achaja belehnt; aber auch Fürst Florenz war am 23. Januar 1297 gestorben. (Vgl. über Isabelle: Hopf in Ersch und Grubers Encyklopädie, Abth. I, Bd. 85, S. 291 flgd., 332 flgd., 346 flgd.) Erwägt man nun, daß diese Fürstin 1298, als sie den Besuch Heinrichs des Pilgers empfing, also eine verwittwete Fürstin von Hennegau war, die Mutter des Fürsten Heinrich von Meklenburg aber aus dem Hause der Grafen von Henneberg stammte: so wird es vielleicht nicht unwahrscheinlich dünken, daß das genealogische Märchen von der Verwandtschaft dieser Fürstin zunächst sich aus einer Verwechselung der Namen Hennegau und Henneberg entsponnen hatte, dann aber, sagenmäßig in mündlicher Ueberlieferung weiter entwickelt, sich auf Kirchberg vererbte, dieser es historisch faßte und die Tanten des Fürsten auf die väterliche Seite stellte, da er wußte, daß sie unter den Ahnen von mütterlicher Seite keinen Platz fanden.
114) Auch die Friesen, welche 1270 am Kreuzzuge Theil nahmen, legten in Marseille an, Menko p. 554. - Das südliche Frankreich ward von Meklenburg aus auch sonst besucht; der Wallfahrtsort Rocamadour (Roquemadour) kommt in der Form „Rutsemedune“ schon 1272 flgd. im Wismarschen Stadtbuche A. vor. Man pflegte dahin zunächst den Seeweg bis zur französischen Westküste einzuschlagen. Jahrb. VIII, S. 225 flgd.