Abschnitt 5

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Denn wenn auch der Sultan Bibars sich, so lange ihn das große Kreuzheer bedrohete, ruhig verhalten hatte: so stand doch jetzt, nachdem jene Gefahr mindestens auf einige Jahre hinaus beseitigt war, zu vermuten, daß er wieder irgend einen Vorwand benutzen würde, um sein Vorhaben gegen Akkon auszuführen. Und war auch dieses gefallen und die christliche Ansiedelung in Syrien erst einmal ganz vernichtet, so durfte er eine abermalige Gründung eines christlichen Reiches in Palästina bei der ersichtlichen Abnahme der Begeisterung für die Kreuzzüge kaum noch fürchten. Es galt also, Akkon mit allen Kräften und in kürzester Frist beizuspringen, wollte man nicht das Heilige Land ganz in die Hände des Sultans gerathen lassen.


Recht kurz berichtet, wie wir oben gesehen haben, Detmar zum Jahre 1271, daß Herr Heinrich von Meklenburg das Kreuz empfing, um über das Meer zu ziehen. Viel ausführlichere Kunde giebt uns der gelehrte und fleißige M. Dietrich Schröder 100) zum Jahre 1271 aus einer seitdem verloren gegangenen handschriftlichen Chronik von Wismar. Nach dieser ist Heinrich am „ 13. Julii“ 1271 „mit vielen seiner Ritter und Edelleute, das Heilige Land und die darinnen bedrengte Christen wider die Saracenen verfechten zu helffen, ausgezogen, nachdem er am gemeldetem Tage von Martino, des Wismarischen Franciscaner-Closters damahligem Guardiano, auf de[m] Franciscaner-Kirchhof mit dem H. Creutz bezeichnet und eingeseegnet, und daraus zu einem Feld-Obersten verordnet und bestätiget worden.“

Fast mit denselben Worten hatte früher schon Steinmetz (Latomus) dieselbe Nachricht aus einer „Histor. Johannit.“ gebracht, nur daß er, durch Albert Krantz verleitet, irrig hinzufügt, Fürst Heinrich sei ausgezogen „auff Babst Gregorii 10., der damals die gantze Weld beherrschet, ausschreiben“ - während Gregors Wahl doch erst am 1. Sept. 1271 geschah, als Heinrich Akkon schon ganz oder fast ganz erreicht hatte, und der Fürst dort den neu erwählten Papst vor dessen Abfahrt nach Italien noch antraf - und daß er als den Tag des Auszuges nicht den 13. Juli, sondern den 13. Juni angiebt. Der Schluß der Erzählung Schröders verräth nun freilich sogleich die sagenhafte Erweiterung einer späteren Zeit; aber wir dürfen darum doch kaum bezweifeln, daß der Kern derselben echt ist und der Hauptinhalt auf eine sehr alte, den Ereignissen beinahe gleichzeitige Aufzeichnung zurückgeht. Dafür bürgt die Nennung eines bestimmten Namens und eines bestimmten Datums. Leider wird uns von dem Jahre 1255 an, wo Bruder Dietrich Guardian der Franciscaner zu Wismar war, Auch den angegebenen Daten, mag man nun den 13. Juli oder den 13. Juni für einen Schreib- oder Druckfehler halten, steht keine urkundliche Nachricht entgegen; vielmehr sind die letzten uns erhaltenen Urkunden des Fürsten Heinrich vor seiner Wallfahrt im Jahre 1271, am 9. und am 12. Juni, und zwar zu Wismar, ausgestellt 103). Wir stehen aber nicht an, den 13. Juni (nicht den 13. Juli) für das richtig überlieferte Datum zu erklären. Denn einmal konnte der Fürst, welchen Weg nach dem mittelländischen Meere er auch wählte, kaum noch hoffen, wenn er erst am 13. Juli aus Wismar zog, noch rechtzeitig einen Hafen am Mittelmeer zu erreichen, um mit dem großen Sommerzuge, der spätestens im August nach Akkon abging, dorthin überzufahren; zum andern gewinnt die Urkunde vom 12. Juni, in welcher Heinrich dem Kloster Sonnenkamp (Neukloster) das Eigenthum von 4 Hufen zum Besten des Siechenhauses schenkte, erst ihre rechte Deutung, wenn wir annehmen, daß der Fürst diese Schenkung Angesichts seiner großen und gefahrvollen Fahrt machte.

Zweifelhafter ist aber jene Stelle des Berichts, wonach der Fürst von vielen seiner Ritter und Knappen begleitet gewesen sein soll. Allerdings ist die landläufige Vorstellung, als ob Heinrich allein mit einem Diener (denstknecht, knappe), dem Martin Bleyer, der früher als Grundbesitzer zu Wismar im Stadtbuche erscheint, und ohne alles ritterbürtige Gefolge auf die Pilgerfahrt gegangen sei, nicht nur gegen die Sitte jener Zeit, sondern Detmar berichtet auch ausdrücklich, daß dem Fürsten „de sine dar (zu Kairo) alle dot blewen ane en knecht, Mertine“; und ebenso hat auch nach den Lübischen Jahrbüchern Heinrich dort bis auf Martin seine ganze Gefolgschaft oder Dienerschaft verloren (perdita tota sua familia). Immerhin begünstigt aber dieser Ausdruck familia die Ansicht, daß die Zahl der Getreuen, welche dem Fürsten sich anschlossen, eine unerhebliche gewesen ist 105). Leider können wir von diesen keinen einzigen außer Bleyer namhaft machen; nicht einmal die Sage hat uns einen Namen aufbewahrt.

Ueber die Vorbereitungen, welche der Fürst Heinrich traf, um die Angelegenheiten seines Hauses und seines Landes für die Dauer seiner Pilgerfahrt zu regeln, sind wir hinlänglich unterrichtet. Die Regierung übertrug er seiner weisen und erprobten Gemahlin; tüchtige Räthe und Vögte, wie Heino von Stralendorf, Detwig von Oertzen, Ulrich von Blücher u. s. w., standen ihr zur Seite. Für alle schlimmen Fälle aber bestimmte er, nicht seine Brüder, denen er nach früheren Erfahrungen wenig Vertrauen schenken mochte, auch nicht den bereits hochbetagten Oheim Nicolaus von Werle, sondern dessen beide Söhne, die Fürsten Heinrich und Johann, zu Vormündern seiner Gemahlin und seiner 3 Kinder, der Prinzessin Luitgard, die etwa 14 Jahre zählen mochte 109), und der beiden Söhne Heinrich, der kaum 4 Jahre alt war, und Johann, der höchstens erst im zweiten Lebensjahre stand.




100) Papist Meckl. S 729. Er nennt als seine Quelle: „Anton, Chron. Wism. Msct. ad a. c.“, obgleich er dabei auch den Latomus (Westphalen, Mon. IV, p. 258) citirt
103) Das. Nr. 1230 und 1231. - Irrig schloß ich früher (Gesch. der Familie V. Blücher I, S. 93) daraus, daß der Erzbischof Konrad von Magdeburg in seiner Bündnißurkunde vom 1. Mai 1272 (Mekl. Urk.-Buch II, Nr. 1250) auch Heinrich von Meklenburg als seinen Verbündeten gegen Brandenburg nennt, der Fürst müsse seine Fahrt nach Jerusalem erst nach diesem Tage angetreten haben. Ohne Zweifel findet aber dieser anscheinende Widerspruch gegen alle Ueberlieferungen der verschiedenen chronistischen Quellen eine genügende Lösung in der Annahme, daß Anastasia dem Bunde beigetreten ist im Namen und als Stellvertreterin ihres Gemahls, dessen Heimkehr man nach Ablauf eines Jahres (weil man so lange in der Regel auf der Kreuzfahrt diente) erwarten konnte, und daß dieser deshalb auch selbst genannt ist
105) Der Ausdruck „familia“ nöthigt zu dieser Ansicht nicht eben. Vgl. z. B. Meklenb. Urk.-Buch IX, Nr. 6226: „Hainricum de Reyschach, capitaneum nostrum“ (des Markgrafen von Brandenburg), „cum nostra familia sibi commissa“, die Lübek zu Hülfe kommen sollen. In des Kaisers gleichzeitigem Briefe an die Lübeker (Lüb. Urk.-Buch II, p. 686) ist dafür der Ausdruck gebraucht: „Wizzet ouch, daz wir Heinrichen von Rischach - mit gewappenden l?ten z? igeschicket haben.“
109) Sie ward schon 1274 auf den Rath ihres Großvaters, Herzog Barnims von Stettin, von der Mutter mit dem Herzog Przemislav von Gnesen vermählt. S. Detmar I, S. 152