Abschnitt 3

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Auf solche „Chronica Obotritorum“ beruft sich geradezu Hermann Korner, der bis etwa 1438 geschrieben hat, und zwar zweimal, einmal, wo er des Fürsten Auszug, und hernach, wo er desselben Heimkehr berührt 89). Und wirklich hat er nicht Alles, was er giebt, aus Detmar’s Chronik entnommen, namentlich nicht die Nachricht, daß der Fürst das Kreuz vom Bischof von Ratzeburg empfangen habe. Im Uebrigen aber ist bekannt genug, wie wenig zuverlässig Corner in der Angabe seiner Quelle für jeden einzelnen Fall ist. Das Meiste, was er hier nach der wendischen Chronik giebt, ist ersichtlich aus Detmar’s Chronik oder aus dessen Lübischer Quelle entnommen. Dazu kommen Flüchtigkeiten, wenn solche nicht zum Theil auf Rechnung des Abschreibers zu setzen sind; z. B. setzt er die Ausfahrt auf das Jahr 1273, die Heimkehr ins Jahr 1301, dort berechnet er die Dauer der Gefangenschaft auf 26, hier auf 28 Jahre, den Diener des Fürsten nennt er unrichtig Hermann statt Martin, die Verpflegung des Fürsten von Rom bis Lübek soll der Lübische Rathsschreiber getragen haben u. s. w.


Eine eigenthümliche Stelle nimmt endlich Ernst von Kirchberg ein, der einzige Schriftsteller des Mittelalters, der es versucht hat, eine einigermaßen zusammenhangende Erzählung von des Fürsten Fahrt nach dem Orient zu geben. Er hat anscheinend keine chronistische Aufzeichnungen benutzt; eben darum entbehrt aber sein Bericht auch der Nüchternheit, welche noch den seines Zeitgenossen Detmar auszeichnet. Gelegentlich beruft sich Kirchberg geradezu auf die umlaufende Sage; seine meisten Nachrichten aber kann man unbedenklich zurückführen auf jenen Berthold von Weimar, der, bis dahin Chorschüler zu Magdeburg, sich ebendaselbst 1298 dem auf der Heimkehr begriffenen Fürsten anschloß und hernach, wie Kirchberg meldet, noch 40 Jahre im Kloster Doberan gelebt hat, also gegen das Jahr 1340 verstorben sein muß. Daß er an Kirchberg noch persönlich Mittheilungen gemacht hätte, deutet Letzterer nirgends an; dieser Schriftsteller, der erst 1378 seine Reimchronik zu schreiben anfing, war auch schwerlich schon 40 Jahre früher zu Doberan. Er hat also seine Nachrichten im besten Falle erst aus zweiter Hand, jedenfalls durch mündliche Ueberlieferung, erfahren. Ueberdies darf man auch zweifeln, ob Berthold von Weimar, der nicht Augenzeuge der Erlebnisse im Orient gewesen war, die Erzählungen, welche er aus dem Munde des Fürsten selbst oder von dem fürstlichen Diener Martin Bleyer vernahm, bei dem Mangel an eigener Anschauung (und vielleicht auch an den erforderlichen geographischen Vorkenntnissen) allemal richtig verstanden, und ob er sie bis ins Alter treu behalten hat. Einer Prüfung des Kirchberg’schen Berichtes aber werden wir uns um so weniger entschlagen dürfen, da derselbe nicht nur die Kreuzfahrt Heinrichs, sondern zugleich die Genealogie des meklenburgischen Fürstenhauses betrifft. Uebrigens, wiewohl Kirchberg verhältnißmäßig ausführlich erzählt, bleibt doch auch dabei noch mancher Punct dunkel. Liest man die erwähnten Berichte aus dem Mittelalter allein, so begreift man kaum des Fürsten Thun und Schicksale, ja seine ganze Fahrt erscheint fast abenteuerlich. Und bezeichnend genug hebt in der Chronik Albrechts der Abschnitt über jene an mit den Worten: „By desen tyden scude och vele wonders in der werlde.“

Versuchen wir also unsere einheimischen Aufzeichnungen durch einen Blick auf die Lage des Heiligen Landes zu der Zeit, da der meklenburgische Fürst den Orient aufsuchte, zu ergänzen und zu erläutern.

Im Allgemeinen war man in unsern Gegenden unterrichtet von den Bedrängnissen, in welchen die Christen Palästinas schwebten, seitdem Jerusalem, auf kurze Zeit durch Kaiser Friedrich II. noch einmal der Christenheit wiedergewonnen, durch die grausamen Chowaresmier für den Sultan Ejub von Aegypten wieder besetzt war, der erste Kreuzzug König Ludwigs IX. von Frankreich nach Aegypten einen unglücklichen Verlauf genommen hatte, und die Christen mehr und mehr auf die Seeküste und einzelne feste Plätze im Innern beschränkt waren. Denn, wie wir aus Testamenten 92) ersehen, wanderten einzelne Pilger auch aus unsern Gegenden immer noch nach dem Heiligen Lande, und dieser oder jener wird doch auch zurückgekehrt sein. Ueberdies sandten ja die Päpste ihre Boten in alle Lande aus, um unter Darlegung des obwaltenden Nothstandes zu Gaben für das Heilige Land und zu Kreuzfahrten dahin auffordern zu lassen. Endlich standen die Johanniter-Comthureien in beständigem Verkehr mit den Leitern des Ordens und dadurch mit dem Haupthause desselben zu Akkon.

Nach einigen Jahren äußerer Ruhe, welche die morgenländischen Christen durch innere Streitigkeiten ausfüllten, begann für sie mit dem Jahre 1260 eine gar schwere Zeit. Die Ritterschaft des Königreichs Jerusalem erlitt eine furchtbare Niederlage von den von Norden her eindringenden Turkmannen 93), welche sehr schwer empfunden ward. Aber noch verhängnißvoller sollte es für sie werden, daß die Mongolen, aufgemuntert vom Könige von Armenien, über Bagdad, wo sie das Chalifat zerstörten, 1260 nach Syrien vordrangen, Haleb, Damaskus und viele andere Plätze einnahmen. Die Christen begrüßten dieses Ereigniß freilich Anfangs als ein höchst erfreuliches; denn gegen sie bezeigten sich diese grausamen Feinde der Muhammedaner, Dank der christlichen Gemahlin des Khans Hulaku, milde und freundlich. Schon verhöhnten jene leichtfertig hie und da die Saracenen. Aber bald entfremdeten sie sich auch die Mongolen und begünstigten den Zug des ägyptischen Sultans Kotuz, als dieser nach Syrien kam, um die Mongolenmacht zu vernichten. Dies gelang Kotuz noch in demselben Jahre durch zwei Siege; aber indem er nun das Sultanat Damaskus mit Aegypten vereinigte, umschloß eine muhammedanische Herrschaft fast ganz die christlichen Gebiete in Palästina; und was das bedeutete, sollten die Christen nur zu bald erfahren. Eben weil Kotuz diesen freundlich gesinnt war, aber auch, weil er den Ehrgeiz seines Mamlukenführers Bibars nicht befriedigte, ward er (wie bereits ein anderer Sultan vor ihm) von Bibars schon auf dem Rückmarsch nach Aegypten ermordet. Der Mörder ward jetzt Sultan; die Muhammedaner priesen ihn, den bewährten Krieger, als den „Vater der Eroberungen“, sie rühmten seine Gerechtigkeit und seine unermüdliche Thätigkeit, sie sahen in ihm wegen seiner strengen Beobachtung ihrer Lehren und Gebräuche eine Säule des Islams; die Christen aber sollten bald seine Rohheit, seine Grausamkeit und seinen Fanatismus kennen lernen.




89) Eccard II, 950: „Secundo anno Alberti, qui est Dn. MCCCI, dominus Henricus de Mykelenburg, quem soldanus Babyloniae XXVIII annis, a tempere videlicet, quo Lodowicus rex Francorum secundario pro liberatione Terrae Sanctae cum exercitu multo mare transfretaverat, (!) et qui diu in terra sua mortuus dictus fuerat, secundum chronicam Obotritorum, cum unico famulo suo Hermanno captivitatem evasit. Servus autem ille Hermannus in captivitate texendi modum et faciendi pannos sericos et deauratos didicerat et cum tali labore et mercede dominum suum nutrierat. De loco ergo captivitatis proficiscentes pervenerunt Romam, ubi dominus Henricus a papa Bonifacio honorifice susceptus est et peccatorum suorum plenariam remissionem consecutus. Ibi quoque dominus Henricus invenit Alexandrum Hunen, protonotarium civitatis Lubicensis, qui in causa dictae civitatis, qua[m] cum episcopo suo et ejus capitulo habebat, curiam visitaverat. Hic in expensis suis dictum dominum Henricum usque Lubeke deduxit, ubi processionaliter clerus et populus ei obviam venientes, cum honore magno ipsum receperunt. At, [i]bi ut refocillatus esset per aliquot dies et recreatus, solenni conductu armatorum ipsum in terram suam perduxerunt, mirantibus cunctis et dicentibus: Qui perierat, inventus est; qui mortuus putabatur, revixit.“ Das Korner Eigenthümliche ist gesperrt gedruckt
92) „Heinricus domine Windelen ad Terram Sanctam proficiscens“ machte sein Testament zu Rostock 1261, „Bolwinus de Cropelin ad Sanctam Terram proficiscens“ ebendaselbst 1267. (Meklenb. Urk.-Buch IV, Nr. 2680, II, Nr. 1103.)
93) Wir folgen hier der quellenmäßigen, ausführlichen Darstellung bei Wilken VII, S. 401 f.