Abschnitt 2

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Nach allem diesem versteht man es wohl, wenn der Fürst Heinrich I., nicht zufrieden, gegen die Heiden an der Ostsee für die Ausbreitung der Kirche Christi gestritten zu haben, sich entschloß, sobald sich nur irgend eine Aussicht zur Befreiung des Heiligen Grabes aus den Händen der Ungläubigen eröffnete, zu Christi Ehre eine Kreuzfahrt nach dem Heiligen Lande zu unternehmen. Aus den Händen des Bischofs Ulrich von Ratzeburg empfing er das Kreuz 82).


Oder lag dem Fürsten der Gedanke für das Heilige Grab zu streiten fern? Wollte er nur als friedlicher Pilger dahin ziehen, um dort wie seine Vorfahren Herzog Heinrich der Löwe und Pribislav zu beten und durch die Anschauung der heiligen Orte, wo Jesus gelebt und gelitten, sich dessen Gedächtniß um so mehr zu vergegenwärtigen und seinen Glauben zu stärken, ein gottgefälliges, verdienstliches Werk zu thun?

Die letztere Ansicht ist schon von Kirchberg angedeutet 83) und neuerdings wieder geltend gemacht 84), man hat den Fürsten daher vor andern durch den Beinamen des „Pilgers“ ausgezeichnet; früher dagegen, schon seit dem 15. Jahrhundert, fasste man Heinrichs Fahrt vornehmlich als einen Auszug „zur Unterstützung des Heiligen Landes“, als eine Kreuzfahrt, auf.

Versuchen wir nun, uns aus den Quellen ein richtiges Bild von Heinrichs Unternehmen zu entwerfen, so müssen wir vorweg gestehen, daß dieselben leider sehr lückenhaft und sehr mangelhaft sind, und wir, um sicher zu gehen, nicht umhin können, auch die Lage des Heiligen Landes und die Zeitverhältnisse, unter denen der Fürst seinen Entschluß faßte, uns zu vergegenwärtigen.

Wir besitzen freilich in der „Chronik des (Lübischen) Canzlers Albrecht von Bardewik vom Jahre 1298 bis 1301“ 85) einen zeitgenössischen Bericht über die Rückkehr Heinrichs des Pilgers, geschrieben von einem Lübeker und beruhend auf den Mittheilungen, welche der wenig Jahre früher heimgekehrte Fürst und vielleicht sein Diener Martin Bleyer, wahrscheinlich bei dem Besuche in Lübek selbst, gegeben hatten. Aber so wichtig uns diese Nachrichten sind, so sehr haben wir zu bedauern, daß sie sich vornehmlich nur auf die Heimkehr beschränken, über die früheren Ereignisse aber nur wenige, wenngleich sehr werthvolle, Andeutungen enthalten.

An diesen Bericht reihen sich zunächst die Lübeker Jahrbücher, welche mit 1324 schließen, und die Chronik, welche der Franciscaner-Lesemeister Detmar zu Lübek in den Jahren 1385-1395 schrieb. Denn die Berichte, welche beide 86), in verschiedener Ausführlichkeit, von der Heimfahrt im J. 1298 enthalten, sind ersichtlich aus einer Quelle geflossen. Sie gehen ohne Zweifel zurück auf die leider verloren gegangene Lübische Stadtchronik; und namentlich Detmars genaue Angaben über die Begegnung des Fürsten zu Rom mit einem Lübischen Agenten und über den Empfang des Fürsten zu Lübek beweisen, daß die Quelle Detmars alsbald nach diesen Ereignissen, etwa zu Anfang des 14. Jahrhunderts, geschrieben ward.

Aber Detmar beschränkte sich bekanntlich nicht auf Lübische Quellen. Unter den andern, die er benutzt hat, war auch eine (wenn nicht mehrere) wendische Chronik. Aus dieser entnahm er vermuthlich die Nachricht, welche er zum Schlusse seiner Angaben über das Jahr 1271 bringt:

      In deme sulven iare Cristi do untfing dat cruce de erlike
      her Hinric van Mekelenborch to thende over mer. He
      loch over unde wart ghevanghen; he wart gheantwordet
      deme soldan, de hell eme in der vengnisse XXVI iar.

Was man übrigens von Korner’s „wendischer Chronik“ und von seiner Benutzung derselben halten mag, gewiß ist, daß man früh, anscheinend zu Wismar, und zwar in dem Franciscaner-Kloster, welches zum Fürstenhause in nahen Beziehungen stand, Aufzeichnungen über die Pilgerfahrt Heinrichs gemacht hat. Namentlich schreiben wir denselben die drei Hauptdata zu, die, in abgeleiteten Quellen erhalten, durchaus unverdächtig sind. Doch davon hernach mehr.




82) Korner z. J. 1273 (Eccard II, p. 922): Henricus dominus de Mykelenburg terrae Obotritorum secundum chronicam Obotritorum crucem accipiens ab episcopo Razeburgensi mare transivit in subsidium Terrae Sanctae, sed in manus soldani Damascenorum incidens captus est ab eo et tentus XXVI annis. (Ders. p. 923, z. J. 1274: Dominus de Mykelenburg captus erat a soldano Sarracenorum.)
83) C. 134 [Westph. 132] „her Hinrich, der nam an sich zu synne hard zu Jherusalem eyne vard; her wolde suchin daz heilge grab um synre sunden urhab.“
84) Boll in Jahrb. XIV, S. 97, A. 1: „Völlig grundlos ist es, wenn frühere meklenburgische Geschichtschreiber Heinrich eine Art Kreuzzug gegen die Ungläubigen thun lassen; der gleichzeitige Albrecht von Bardewik bezeichnet seine Reise durchaus richtig als eine Pelegrimaze zu Heil. Grabe.“ A. a. O. steht allerdings, der Fürst sei gefangen „over mere an pelegrimaze uppe deme weghe tho deme heylyghen grave“; aber aus dem Worte pelegrimaze - peregrinatio ist keine Entscheidung zu gewinnen. Denn die Kreuzfahrer heißen sehr gewöhnlich peregrim (Pilger), z. B. bei Oliver oben S. 31, Anm. 2; und Fürst Heinrich selbst nennt seine Kreuzfahrt nach Livland eine peregrinatio, Meklenb. Urk.-Buch II, Nr. 1193.
85) Wir behalten der Kürze Wegen diesen von Grautoff, Chronik Detmars I, S. 411, eingeführten Titel bei, obwohl Albrecht selbst das Urkundencopeibuch, in welches Zeitereignisse eingetragen sind, nur hat schreiben lassen (leyt scryven), nicht selbst geschrieben hat. Koppmann hat (Hans. Geschichtsblätter I, S. 74) die ansprechende Vermuthung aufgestellt, jene chronistischen Aufzeichnungen verdankten wir dem Lübischen Rathscaplan Lüder, der 1300 mit Lübischen Rathsherren nach Livland ging (Grautoff I, S. 149), und weiset aus mancherlei Reimspuren in der Erzählung von der Belagerung der Burg Glaisin überzeugend nach, daß dem Verfasser eine gereimte Erzählung (oder ein Volkslied) vorlag. Aus dieser mag immerhin auch die kurze darin eingeschaltete Angabe auf S. 416: „Hyrunder quam van Rome tho lande de edele man her Hinric“ etc. entnommen sein (wenn der einzige Reim in derselben nicht ein zufälliger ist); für den Hauptbericht auf S. 414 dünkt dies mich aber nicht wahrscheinlich
86) Annal. Lubic. bei Pertz, Scriptores XVI. p. 417, Detmar bei Grautoff I, 172, 173