Abschnitt 16

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Da gab es dann freilich manch betrübendes Ereigniß zu erzählen. Des Fürsten einzige Tochter Liutgard war wenige Jahre nach seiner Abfahrt aus der Heimath mit dem Herzog Przemislav von Gnesen vermählt, aber neun Jahre hernach von ihrem Gemahl einer Buhlerin halber ums Leben gebracht; Heinrichs jüngerer Sohn, Johann III., war 1289 aus einer Fahrt von Wismar nach Pöl ertrunken; Heinrichs Brüder, die beiden Geistlichen Nicolaus und Hermann, sowie seine Schwester, die Gräfin Elisabeth von Holstein, waren gestorben; auch seine Oheime Nicolaus von Werle und Burwin von Rostock, sowie des Letzteren Söhne waren gleich manchen andern Verwandten längst heimgegangen; sein Vetter Heinrich von Werle, dem er einst die Vormundschaft mit zugedacht hatte, war sogar von seinen Söhnen ermordet! Mancher Krieg hatte das Land durchtobt. Aber des Fürsten Gemahlin Anastasia war noch am Leben; ihr Sohn Heinrich II. führte das Regiment mit kräftiger Hand und lebte seit 6 Jahren in einer glücklichen (wenngleich mit keinem Sohne gesegneten) Ehe mit Beatrix von Brandenburg.


Durch Hünes Beihülfe gelang es auch dem Pilger, schon am ersten Pfingsttage (25. Mai) eine Audienz beim Papste Bonifacius VIII. zu erlangen. Der Papst empfing ihn sehr herzlich, hörte seine Botschaft vom Sultan Ladjin mit Aufmerksamkeit an, verkündete dem frommen Dulder die Vergebung seiner Sünden und entließ ihn mit seinem apostolischen Segen.

Von Rom aus schlug der Fürst von Meklenburg den Landweg über die Alpen nach Deutschland ein; ohne Zweifel ging er über den Brenner durch Baiern, Franken und Thüringen. Denn er besuchte hier (nach Kirchberg) seine mütterlichen Verwandten, die Grafen von Henneberg. Sein weiterer Weg führte ihn nach Magdeburg, wo der Rath ihn gastlich aufnahm. Wollte er von hier aus auf der kürzesten Straße in seine Heimath, nach Wismar, zurück kehren, so hatte er sich nach Dömitz oder Grabow zu wenden, welche Städte damals beide zur Grafschaft Danneberg gehörten 171).

Dort aber, zu Dömitz oder zu Grabow, konnte ihm die Nachricht nicht entgehen, daß die den beiden Städten nahe gelegene Burg Glaisin durch seinen Sohn Heinrich II. und seinen Bruder Johann von Gadebusch, die Herzoge von Sachsen-Lauenburg, brandenburgische und lübische Mannschaften belagert ward; es galt, an den Vertheidigern der Burg, Hermann und Eckhard Rieben und deren Genossen, die Strafe für schweren Landfriedensbruch zu vollstrecken.

In das Lager vor Glaisin sandte also der heimkehrende Fürst die Botschaft von seiner bevorstehenden Ankunft voraus.

Aber durfte man solcher Meldung Glauben schenken, da man schon zweimal so schrecklich getäuscht war? Natürlich erregte die Botschaft am meisten den Sohn des Pilgers, Heinrich II. Dieser hatte, als vor 27 Jahren der Vater von ihm zog, erst drei Jahre gezählt; ihm schwebte, wenn überall noch eine einigermaßen klare Erinnerung von dem Vater, nur das Bild eines Mannes in voller Kraft (von kaum 40 Jahren!) vor; er konnte also nicht selbst die Aufgabe übernehmen, die Echtheit des neuen Ankömmlings zu prüfen. Darum eilte er sofort nach Wismar, setzte die Mutter von dem Vorfall in Kenntniß und brachte die alten Räthe, welche früher die beiden Betrüger entlarvt hatten, Detwig von Oertzen und Heino von Stralendorf, mit sich ins Lager vor Glaisin. Auch die erkannten an seiner Gestalt ihren alten Herrn nicht wieder, so „verzehrt“ war sein Körper; aber aus den Antworten, welcher der Pilger aus ihre Fragen gab, überzeugten sie sich, daß es der alte Fürst Heinrich war. Jetzt erst konnte man sich der vollen Freude hingeben. Die Fürstin Anastasia, hievon benachrichtigt, kam ihrem Gemahl, der den kürzesten Weg nach Wismar durch die Grafschaft Schwerin einschlug, bis an die Grenze der Herrschaft Meklenburg, bis Hohen Vicheln, entgegen. So unkenntlich Andern seine Erscheinung gewesen war, das Auge der Gemahlin erkannte an gewissen Wahrzeichen den Eheherrn sogleich wieder.

Staunen und Jubel ging durch das Land; Wismar bereitete dem alten Landesherrn einen feierlichen Empfang. Am Tage Pantaleons 174), am 28. Juli, traf er dort ein; das Holz des heiligen Kreuzes, welches er mitgebracht hatte, in den Händen tragend, soll er in großer Procession von den Bürgern und der Geistlichkeit in die Marienkirche zu einem Te Deum geleitet sein und die eine Hälfte der Reliquie an das Franciscaner-Kloster zu Wismar, die andere an das Kloster Doberan geschenkt haben.

Nachdem der Fürst von Allen begrüßt, Alles, was ihm in den 27 Jahren seiner Abwesenheit aus Meklenburg widerfahren war, und Alles, was sich unterdessen daheim ereignet hatte, ausgetauscht, auch die Anstrengungen der Reise einigermaßen überwunden waren: da machte er - am 24. August vermuthlich (dem Datum Detmars) - der Nachbarstadt Lübek, welche sich einst so eifrig, wenngleich erfolglos, um seine Befreiung bemühet hatte, einen Besuch. Sobald sie seine Annäherung vernahmen, ritten ihm Rathsherren und Bürger „mit Schalle“ entgegen; sie empfingen ihn mit dem Gesange: „Justum deduxit Dominus“ und mit andern Ehren und sandten ihm zum Willkommen reiche Geschenke.

„Während der Herr von Meklenburg zu Lübek verweilte“, so schließt die Chronik Albrechts ihren Bericht, „da starb sein treuer Dienstknecht, der mit ihm über Meer gefangen war, Martin Bleyer; und er ist zu Wismar begraben. Also nimmt die Märe ein Ende.“




171) Nach Detmars Bericht kam Heinrich der Pilger am Bartholomäustage (24. August) 1298 wieder ins Land, und zwar, mit Unterstützung eines Fürsten, zunächst nach Lübek; er Ward hier feierlich empfangen zog nun in sein Land und weiter in das Lager vor Glaisin. Dieser Bericht ist aber unglaubwürdig in sich; Detmar verwechselt die Reihenfolge der Begebenheiten. Den Besuch zu Lübek machte der Fürst nach Albrechts sehr zuverlässiger Chronik erst später (von Wismar aus); davon aber, daß er 1298 zweimal in Lübek gewesen sei, weiß keine Quelle etwas. Kirchbergs Angaben sind mit denen Detmars unvereinbar; denn von Magdeburg aus wird der Fürst doch nicht an Glaisin und an Meklenburg vorüber nach Lübek gezogen sein? Daß er aber Magdeburg berührt hat, kann nicht bezweifelt werden, da Kirchberg von hier an den Angaben eines Augenzeugen folgt, jenes Magdeburgischen Chorschülers Berthold von Weimar, der sich dort eben dem Fürsten anschloß. S. oben S. 45
174) Latomus bei Westphalen, Monum. ined. IV, p. 262: „Desselbigen Jahrs ist auch der 26 Jahr gefangen gehaltene Herr von Meckelnburg Henricus am Tag des Martyrers Pantaleonis, welcher ist der 28. tag Julii, wiederumb zur Wismar ankommen, und hat mit grosser stattlicher Procession der Statt und Clerisey, das holtz des heiligen Creutzes, so ihm der Soldan verehret hatte, in den händen getragen. Da haben die Clerici in St. Marien-Kirche, dahin Er geführet, mit großen Freuden gesungen Te Deum laudamus etc. Die helffte des heiligen Creutzholtzes hat Er den Brüdern des Franciscaner-Closters daselbst, die ihn mit den heiligen Creutz für seinem Wegzug gezeichnet, und gesegnet hatten, die andere helffte aber denen zu Dobbran verehret. Wism. Urk.“ - Latomus bezeichnet mit dem Ausdruck „Wism. Urk.“ überhaupt eine alte Aufzeichnung in weiterem Sinne (vgl. p. 244 mit Meklenb. Urk.-Buch II, Nr. 1382), und hier ohne Zweifel, wie schon vorher (s. oben S. 63), die abschriftlich im Kirchenbuche des grauen Klosters erhaltene Inschrift auf einer Tafel im Chor; was man schon daraus ersieht, daß er wie diese (Meklenb. Jahrb. VI, S. 100) das unrichtige Jahr 1299 giebt. Man könnte aus Latomus die Abschrift ergänzen. Aus der Tradition, daß der Fürst die Reliquie „vom Sultan“, d. h. aus Aegypten „mitgebracht habe“, entwickelte sich leicht die Sage, daß er sie vom Sultan selbst zum Geschenk erhalten habe