Abschnitt 15

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Ladjin zählte bei seiner Ermordung im J. 1299 erst etwa 50 Jahre 164), er ist also um 1249 geboren; und er war schon Mamluk in Aegypten in einem Alter von etwa 10 Jahren. Denn als 1259 der Sultan Melik-Mansur (Sohn des Melik-Moezz-Aïbek) abgesetzt und mit seinem Bruder und seiner Mutter von dem neuen Sultan Kotuz in das griechische Kaiserthum verbannt war, ward unter andern seiner zurückgebliebenen Mamluken der „kleine Ladjin“ an den Emir Kalavun verkauft. Der neue Herr gewann „den Kleinen“ (assaghir) oder den „Rothkopf“ (schukaïr, er hatte röthliches Haar und blaue Augen) lieb, machte ihn Anfangs zu seinem Pagen und ließ ihn in seinem Dienste aufsteigen; und als Kalavun hernach (1277) Sultan geworden war, erhob er Ladjin, wie bereits erzählt ist, zum Emir und zum Gouverneur (naïb) von Damaskus. Die weiteren Schicksale Ladjins sind schon oben kurz erwähnt. Daß er ein heimlicher Christ gewesen sei oder den Islam vernachlässigt habe, wirft ihm nicht einmal sein entschiedener Gegner Abulfeda vor. In seiner Jugend war er dem Weine ergeben gewesen; später verabscheute er Wein und Spiel, lebte äußerst mäßig, fastete und betete, wie es der Koran vorschreibt, und fand in reichen Spenden von Almosen seine Freude; Gerechtigkeit und Billigkeit erwarben ihm allgemeine Liebe. Als er nach der oben erwähnten Strangulirung in einer verfallenen Moschee (von Tulun) eine Zuflucht gefunden hatte, gelobte er, sie, wenn er am Leben bliebe, dereinst wieder aufzubauen, und er hat als Sultan das Gelübde erfüllt. Er gründete daneben eine große Akademie, welche fast ausschließlich der Auslegung des Korans und der Traditionen des Propheten, sowie des muhammedanischen Rechts für alle vier orthodoxen Secten dienen sollte, und eine Freischule, wo Waisen den Koran lesen lernten. Von einer geheimen Hinneigung Ladjins zum Christenthum wissen aber die arabischen Schriftsteller leider nichts.


Entsprang denn jene Sage, welche uns Kirchberg aufgezeichnet hat, aus einer dunklen Kunde von der Milde des Sultans Ladjin? Vielleicht dürften wir aus seinem Charakter, aus seiner Milde und seiner Zuneigung zu tugendhaften Menschen, welche ihm besonders nachgerühmt wird 168), ohne Weiteres uns den Gnadenact gegen einen gefangenen Fürsten, den man in Aegypten für einen Heiligen ansah, und von dem auch längst kein Lösegeld mehr zu erwarten war, hinlänglich erklären. Eine Veranlassung dazu war leicht gefunden; wahrscheinlich aber war es folgende.

Der Sultan Mansur-Ladjin verletzte sich im Herbste 1297 schwer die Hand, und mußte daher zwei Monate lang in seinem Palaste verweilen. Als er dann am 21. Tage des Monats Safar (= 7. Decbr.) zum ersten Male aus der Burg auf den Meïdan hinabritt, fand er Kairo und Misr (Fostat) prächtig geschmückt, Häuser und Läden wurden an Schauluftige theuer vermiethet: so groß war die Freude über die Genesung des überaus beliebten Herrschers. „Bei seiner Rückkehr vom Meïdan,“ erzählt Makrizi, „bekleidete dieser Fürst die Emirs mit Ehrengewändern, theilte Almosen an die Armen aus und setzte mehrere Gefangene in Freiheit.“

Dieser Erzählung des ägyptischen Geschichtschreibers glauben wir eine große Wichtigkeit für unser Thema beilegen zu müssen. Denn wenngleich Makrizi leider die Gefangenen, welche der Sultan mit der Freiheit beschenkte, nicht namhaft macht, so wagen wir doch die Vermuthung, daß sich unter ihnen der, wie wir wissen, in Kairo und weiter wohl bekannte und für heilig gehaltene Fürst von Meklenburg befand. Immerhin stimmt die Zeit sehr gut. Die Vorbereitungen zur Reise konnten einige Wochen in Anspruch nehmen, die Abreise von Kairo Weihnachten erfolgen; damit möchte auch die Einmischung dieses Festes in die Sage ihre Erklärung finden.

Allem Ansehen nach hatte der Sultan zu solchem Gnadenacte aber auch noch einen besonderen Beweggrund, den uns eine gelegentliche Aeußerung in der Chronik Albrechts von Bardewik enthüllt.

In dieser wird nämlich zunächst nur die Freilassung mit kurzen Worten berichtet: „Der Sultan gab ihn ledig und los der Gefangenschaft von wegen seiner Trefflichkeit (ghode); denn man sagte im ganzen Lande, daß er (Fürst Heinrich) heilig wäre. Und der Sultan gab ihm auch seinen Knappen wieder, der mit ihm über See gefangen genommen ward, der heißt Martin Bleyer. Der Sultan über See ließ dem Herrn von Meklenburg Guts genug geben.“ - Hernach aber erfahren wir, daß der Sultan dem Fürsten eine - leider nicht näher bestimmte - Botschaft an den Papst auftrug; und eben hierin ist vielleicht das vornehmste Motiv Ladjins bei der Freilassung seines Gefangenen zu suchen.

Möglicher Weise entsprang aber auch aus der dunklen Kunde von der Botschaft des Sultans an den Papst und an die Ueberlieferung, daß die Reliquie vom Heil. Kreuz, welche der Fürst mit heimgebracht haben soll, ein Geschenk des Sultans gewesen sei, die ganze Sage von Ladjins heimlichem Christenthum, die dann bis auf Kirchbergs Zeit eine sehr ausgebildete Gestalt gewonnen hatte, hernach aber noch dahin erweitert ist, daß der Sultan „eines Müllers Sohn aus Gadebusch“ gewesen sei, was selbst David Franck „so gar unglaublich nicht“ fand, obwohl er sich im Gegensatz zu Latomus mehr zu Krantzens Meinung von heimliche Flucht hinneigte. -

Begleiten wir jetzt den Fürsten Heinrich auf seiner Heimfahrt nach etwa 26 und einem halben Jahre, von denen er fast volle 26 Jahre in der Gefangenschaft verlebt hatte!

„De soldan van over mere,“ so berichtet uns die Chronik des Kanzlers Albrecht, „de leyt gheven deme heren van Mekelenborch rede ghut. Darmede quam he by dessyt des meres an de prinsinnen van der Moreyen.“

„De leyt eme gheuen somere“ (Saumthiere) „unde andere perde, dartho twe bunter cleidere und rede ghut an groten Tornoysen tho pantquerttinghe (zum Reisebedarf); aldus untfench de prinsinne den edelen man an groter werdicheyt unde myt innygher leve. Darna karde he van dennen und nam orlof van der prinsinnen, unde he quam tho Rome.“

Also nicht gerades Weges fuhr der Fürst aus einem ägyptischen Hafen nach Italien, sondern zunächst nach Morea, wo die an der Südküste belegenen venetianischen Seestädte Modon und Korone den Handel nach Aegypten vermittelten. Die Herrschaft über einen großen Theil von Morea aber führte damals, wie wir schon oben S. 55 f. erwähnten, die Erbtochter des Fürsten Wilhelm von Villehardouin, Fürstin Isabelle von Achaja, damals eben Wittwe des Florenz d’Avesnes von Hennegau, die mit ihrer einzigen Tochter, Mathilde von Hennegau, zu Andravida Hof hielt; diese also war die „Prinsinne van der Moreyen“, die dem Pilger eine so freundliche Aufnahme und Unterstützung gewährte. Andravida lag Zakynthos gegenüber an der Westküste von Morea, die Ueberfahrt nach einem neapolitanischen Hafen am Ionischen Meere war von dort aus leicht auszuführen. Ob man nun aber aus Kirchbergs verwirrtem Berichte (S. 79 f.) dann weiter entnehmen darf, daß Heinrich der Pilger auf dem Wege nach Rom die damals längst verwittwete Königin Margarete von Neapel noch aufsuchte, das lassen wir dahin gestellt sein.

In Rom gelangte er, wie wir von Detmar und Albrecht hernehmen, mit seinem Diener am Freitage vor Pfingsten (am 23. Mai 1298) an. Dort traf er den Lübeker Stadtschreiber Alexander Hüne, der sich eben in Geschäften seiner Vaterstadt daselbst aufhielt; und von diesem konnte er nun endlich gewisse und ausführliche Kunde über die Schicksale seines fürstlichen Hauses und den Zustand seines Landes erfahren. Wie gespannt mag er auf dessen Mittheilungen gelauscht haben!




164) Makrizi II, 2, p. 97: Au moment de sa morte tragique, le prince etait àge d’environ cinquante ans. Il était roux, avait des yeux bleus, le visage marqué de veines. Il était d’une grande taille, avait un aspect imposant
168) Makrizi II, 2, p. 97: il aimait la iustice, montrait de l’inclination pour tout ce qui était bien, chérissait les hommes vertueux, et était d’un commerce aimable