Abschnitt 14

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Und doch hatte Gott den unglücklichen Pilger nicht nur erhalten; sondern am 20. Januar 1298 war Heinrich auch bereits in Freiheit gesetzt und aus der Heimkehr ins Vaterland begriffen.


Jedoch nicht Aschraf, dem Zerstörer von Akkon, der die Zahl der Gefangenen noch erheblich mehrte, hatte der meklenburgische Fürst seine Freilassung zu verdanken. Wie Heinrich schon bis dahin in der „Bergfeste“ bei Kairo manchen Wechsel im Regimente des Saracenenreiches gesehen hatte, so erfuhr er solche dort auch noch mehrere; er hat in Aegypten noch schreckliche Ereignisse erlebt. Verachtung muhammedanischer Satzungen, unnatürliche Wollust und grausame Behandlung einiger Emirs, welche sich Aschraf zu Schulden kommen ließ, machten es seinem ehrgeizigen höchsten Beamten, dem Emir Baïdara, leicht, eine Verschwörung gegen des Sultans Leben mit mehreren Emirs anzuzetteln; sie ermordeten ihn auf der Jagd im Decbr. 1293. Baïdara und die meisten Mörder traf alsbald die Strafe, sie wurden niedergemacht; Aschrafs Bruder Nâser-Mohamed, noch ein Knabe, ward von den Emirs auf den Thron gesetzt, der Emir Ketboga führte die Regierung. Letzterer aber ließ seine Nebenbuhler ermorden, setzte sich im December 1294 selbst auf den Thron in der „Bergfeste“ und sperrte den abgesetzten jungen Sultan daselbst in ein Gefängniß. Die Regierungszeit Ketbogas (Melik-Adel nannte er sich) war aber eine höchst traurige; Aegypten und Syrien wurden zwei Jahre lang von einer furchtbaren Theurung und Hungersnoth heimgesucht; in Kairo überstieg das Elend und die Sterblichkeit alle Vorstellung. (Damals mögen die Ersparnisse Martin Bleyers seinem fürstlichen Herrn sehr zu Statten gekommen sein.) Uebrigens entzweite sich auch Ketboga mit den Emirs; diese bildeten, während er mit seiner Armee auf dem Wege von Damaskus nach Kairo begriffen war, eine Verschwörung gegen ihn. Nur mit Mühe entkam der Sultan aus seinem Zelte nach Damaskus; sein erster Reichsbeamter, Ladjin, ward, nachdem er den Emirs hatte schwören müssen nicht zu ihrem Nachtheil seine Mamluken zu begünstigen, vom Heer als Sultan (Melik-Mansur) anerkannt (Novbr. 1296). An der Seite des Kalifen zog der neue Herrscher in Kairo ein, und an demselben Tage fielen zur Freude der Bevölkerung die Preise der Nahrungsmittel um die Hälfte; die rückständigen Steuern des ganzen Reiches hatte er schon erlassen. Auch Damaskus erkannte Melik-Mansur an; Ketboga mußte sich ergeben. Da er Treue gelobte, verschonte ihn Lagdin und Schenkte ihm ein Bergschloß; auch manche gefangene Emirs und Mamluken wurden in Freiheit gesetzt.

Ladjin war von Kalavun zum Emir erhoben; unter Aschraf war er Anfangs Statthalter zu Damaskus gewesen, aber während der Belagerung von Akkon in Folge von Angeberei unschuldiger Weise vom Sultan verhaftet, hernach freigelassen, späterhin aber, weil sein Schwiegervater in Ungnade fiel, abermals verhaftet und, nachdem dieser getödtet war, strangulirt. Da aber die Bogensehne, mit der die Erdrosselung vollzogen ward, gerissen war, hatte ihn Aschraf auf Fürbitte anderer Emirs begnadigt, weil er hoffte, Ladjin würde an den Folgen der Erdrosselung sterben. Hernach hatte Ladjin an der Ermordung Aschrafs persönlich Antheil genommen, und dieser Mord peinigte fortan sein Gewissen; er erwartete, daß Mord durch Mord gesühnt werde. Und wiewohl er eine durch Milde und Gerechtigkeit ausgezeichnete Regierung führte, auch den abgesetzten Sultan Nâser-Muhammed aus der Gefangenschaft auf das Schloß Krak sandte und demselben schwur, ihm, wenn er zu seinen Jahren gekommen sein würde, die Regierung zu übergeben und sich bis dahin nur als dessen Reichsverweser zu betrachten: ist jene Befürchtung doch eingetroffen. Der Hochmuth seines übrigens thätigen und uneigennützigen ersten Reichsbeamten Mankutimur, dem der Sultan nur allzu viel Gewalt einräumte, erzeugte eine Verschwörung, welcher beide im Jahre 1299 zum Opfer fielen 159).

Dieser Sultan Mansur-Ladjin ist es also, unter dessen Regierung der Fürst Heinrich von Meklenburg seine Freiheit wieder gewann; und alle ältesten Berichte stimmen darin überein, daß er sie dem Sultan selbst verdankte 160).

Ueber die Veranlassung aber giebt nur Kirchberg einen Bericht, und zwar (Cap. 134) ausdrücklich unter Berufung auf die umlaufende Sage.

Nach dieser meklenburgischen Sage war Ladjin ein Renegat und offenbarte sich als solcher dem Fürsten Heinrich, als er am Abend vor Weihnachten (1297) zu demselben in den Kerker trat und ihn fragte, ob er ihn zu Ehren seines Schöpfers an dessen Geburtstag in Freiheit setzen solle. Heinrich lehnte Anfangs solches Geschenk ab, weil er daheim die Seinen doch wohl nicht mehr am Leben und sein Land in fremden Händen finden würde. Der Sultan aber flößte seinem Gefangenen Muth ein, indem er ihm mittheilte, er habe gehört, daß seine Gemahlin noch lebe und sein Sohn regiere. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit gab sich darauf Ladjin zu erkennen als ein vormaliger Diener des Fürsten Johann von Meklenburg; noch jung sei er zu Riga dessen Geschützmeister gewesen und habe dort auch seinen jetzigen Gefangenen selbst gesehen. Später - so erzählte er weiter - sei er „zu dem keisyr von Tartarye“ gezogen, habe sich in dessen Dienst „lange czid“ aufgehalten und allmählich emporgeschwungen, und sei nun zuletzt Sultan von Aegypten geworden. Jetzt bat ihn der Gefangene, ihn mit seinem Diener nach Akkon zu entlassen, wo er Kaufleute zu finden hoffe, die sie in ihre Heimath mitnehmen möchten. Am Weihnachtstage ward Heinrich mit reichen Gaben in Gesellschaft Martin Bleyers nach Akkon entsandt.

So die Sage. Der Schluß ist aber ersichtlich unhistorisch; denn Akkon lag ja in Trümmern. Wohl hielten dort 60 bis 80 Söldner Wache, welche gegen deutsche Pilger, die dahin kamen und an ihrem Gange erkannt wurden, sich freundlich betrugen, ihnen sicheres Geleite gaben und mit denselben trotz des Verbotes im Koran Wein tranken; aber Heinrich konnte dort doch keinen Schuldner mehr finden, bei dem er vor 27 Jahren Geld niedergelegt hatte, und der, wie Kirchberg weiter meldet, sich dessen nicht mehr entsann, aber den Fürsten nun doch gastlich ausnahm und ihm ein Schiff ausrüstete. Wir können auch sofort in das Gebiet der Erfindung verweisen, was die Sage weiter meldet, daß nämlich Heinrich auf dem Meere abermals von Saracenen gefangen genommen und dem Sultan wieder zugeführt, von diesem aber zum zweiten Male reichlich beschenkt entlassen sei und dann unterwegs seine Tanten, die Königinnen von Cypern und Marsilien, besucht habe.

Indessen, so unglaublich die ganze Sage klingt, dürfen wir uns, da sagen meistens einen historischen Kern bergen, einer Prüfung ihres Inhaltes und der Frage nach ihrer Entstehung nicht entziehen.

Glücklicher Weise hat uns Kirchbergs jüngerer Zeitgenosse, der von uns oft angezogene ägyptische Geschichtschreiber Makrizi (geb. 1364 zu Kairo) aus dem Schatze seiner sehr umfänglichen biographischen Forschungen auch genügende Personalien über den Sultan Ladjin mitgetheilt, welche uns in den Stand setzen, jene ganze Sage zu widerlegen.




159) Abulfeda, T. V. Makrizi p. 97: „On ne pouvait lui reprocher d’autre défaut que son excessive soumission à son mamlouk et son naib l’emir Mankoutimour, dont il suivait tous les avis et adoptait toutes les volontés -. Cette conduite causa la mort tragique de l’un et de l’autre; elle amena aussi la dévastation des provinces de l’empire, en suscitant l’invasion de Gazan
160) Nur Alb. Krantz deutet (Wandal. VII, 45) auch die Vermuthung einer heimlichen Flucht an: „Jam enim veteres captivi minus coeperarnt custodiri. Vnde factum est, ut varia fortuna saepe et multum per itinera delitescens Romam perveniret.“ Und Kirchbergs Erzählung erachtet er „non tam verisimilem.“
160) „Ich waz dyn wergmeystir, da du da weris zu Riga; armburst hantwerk wol ich kunde recht berichten“ -.