Abschnitt 13

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Seiner Befreiung durch Loskauf wären aber, wie schon bemerkt ist, die politischen Verhältnisse im Orient lange Zeit hindurch günstig gewesen. Denn vorübergehende Reibungen abgerechnet, hielten die christlichen Gewalthaber, da ihnen nur schwache Unterstützungen und wenig streitbare Pilger aus dem Abendlande zugingen, und der Sultan, weil ihm die Mongolen zu schaffen machten (und vielleicht auch, weil er den angestrengten Bemühungen des Papstes Gregor X. um einen neuen Kreuzzug keinen Vorschub leisten wollte), den Frieden; über Akkon hätte man wohl des meklenburgischen Fürsten Freilassung erwirken können.


Als Bibars 1277 starb, folgte ihm zunächst sein Sohn Malek as Said Berkeh, ein unbesonnener Jüngling; aber nach zwei Jahren ward er von seinen Emirs in der Citadelle von Kairo belagert und abgesetzt, und wenige Monate später verdrängte den jüngeren Sohn des Bibars, einen Knaben, dessen Atabek, der kühne Emir Saifeddin Kalavun. Noch einmal schien den syrischen Christen die Gelegenheit sich zu erheben günstig. Sie verbanden sich mit den Mongolen. Diese fielen in Syrien ein, und in Damaskus hatte sich ein Gegner Kalavuns zum Sultan aufgeworfen. Aber Kalavun besiegte die Mongolen in einer bedeutenden Schlacht 1281. Da mußten die Christen froh sein, daß er mit ihnen die Verträge erneuerte.

Und doch konnten sie nicht Frieden halten! Die Johanniter reizten den Sultan und verloren dadurch 1285 die starke Feste Markab. Zornig nöthigte er den Fürsten Boemund, der weniger schuldig war, ihm die Seefeste Marakia zerstören zu helfen, und er fand 1287 einen Vorwand diesem sogar die stark befestigte Seestadt Laodicea zu nehmen. Immer deutlicher trat seine Absicht hervor, alle christlichen Plätze in Syrien, wie die Muhammedaner es wünschten, nach und nach in seine Gewalt zu bringen.

Unter solchen Umständen mußte allerdings dem Fürsten von Meklenburg auch die letzte Hoffnung auf Heimkehr schwinden. Und doch war um diese Zeit seine Befreiung wahrscheinlicher als je vorher während der 15 Jahre seiner Gefangenschaft.

Nämlich 1287 erhielt seine Gemahlin, wir wissen nicht, auf welchem Wege, sichere Kunde davon, daß Heinrich am Leben und in Kairo sei. Sie und ihre beiden Söhne unterließen nun nichts um ihn zu befreien, und die Nachbarstadt Lübek und der Deutsche Orden Waren zu Diensten gern bereit. Am 10. Decbr. 1287 erschien die Fürstin Anastasia mit ihren beiden Söhnen Heinrich und Johann selbst zu Lübek; sie verpflichteten sich dort urkundlich, den Brüdern vom Deutschen Hause zu Akkon für allen Schaden zu stehen, den diese an 2000 Mark Silbers bis nach der Befreiung ihres Herrn und Vaters und bis zum Eingange dieser Summe in Mecheln erleiden könnten. Und drei Tage später bescheinigte die Stadt Lübek jene Summe empfangen zu haben, unter der Verpflichtung, solche auf Ostern 1288 an den Deutschordensmeister auszuzahlen.

Also bis Ostern 1288 hoffte man das Befreiungswerk vollführt zu sehen. Aber dies Jahr verstrich vergebens; auch 1289 erschien der Fürst nicht. Und im Spätherbste, während Anastasia noch den Tod ihres am 27. Mai 1289 auf einer Fahrt von Wismar nach Pöl ertrunkenen jüngeren Sohnes betrauerte, lief ein Brief aus Akkon zu Lübek ein, worin unter dem 14. August der Präceptor des Deutschordens, Wirich von Homberg, und das ganze Capitel des Hospitals zu Akkon den Rath der Stadt Lübek anwiesen, der Fürstin Anastasia und ihren Söhnen jene 2000 Mark Silbers zurückzahlen, „weil einstweilen leider keine Hoffnung vorhanden sei, daß der edle Herr Heinrich von Meklenburg aus den Fesseln der Saracenen freigekauft werde, bis es Gott in seiner Barmherzigkeit gefalle, andere Mittel und Wege zu seiner Befreiung zu eröffnen.“
Bald hernach, als Mitte Decembers 1289 der junge Fürst Heinrich II. zu Erfurt den König Rudolf von Habsburg begrüßte, traf er hier, wohl auf Verabredung, den Hochmeister des Deutschordens, Burchard von Schwanden, und empfing von diesem (außer einer neuen Anweisung für die Stadt Lübek, jene 2000 Mark Silbers zurückzuzahlen) als theure Reliquien die Kostbarkeiten, welche der Vater bei dem Antritte der verhängnißvollen Pilgerfahrt zu Akkon im Ordenshause zurückgelassen hatte: eine goldene Spange, 2 Gürtel, 2 silberne Kannen und einen in 4 Theile zerlegten (silbernen) Becher. Damals gab der junge Fürst noch der Hoffnung Ausdruck, daß, wenn Gott Gnade gäbe, sein Vater noch einmal wieder aus den Fesseln der Saracenen befreiet werden möchte. späterhin aber begegnen wir ähnlichen Spuren von Hoffnung nicht mehr. In der That nahmen auch die Angelegenheiten der syrischen Christen bald einen Verlauf, der dem Fürsten jede Aussicht auf die Rückkehr seines Vaters raubte.
Wirich von Homberg hatte den oben erwähnten Brief zu Akkon unter dem schmerzlichen Eindruck geschrieben, den Kalavuns letzter Zug nach Syrien hinterlassen mußte. Längst war nämlich dessen Auge auf die schöne und feste Stadt Tripolis gerichtet gewesen, im Frühling 1289 aber lockte ihn ein ungetreuer Diener der Fürstin Lucia selbst herbei. Wiewohl die Christen dieses Mal in richtiger Würdigung der Gefahr einig waren und alle treuen Beistand leisteten, fiel doch nach tapferster Vertheidigung Tripolis am 27. April 1289; es ward von dem Sultan geplündert und dem Erdboden gleich gemacht. - In diesem Ereigniß ahnten nun Viele nur ein Vorspiel dessen, was Akkon zu erwarten hatte. Schon wanderten fortan manche Christen von hier nach Europa aus; aber nur sehr wenig neue Verteidiger fanden sich in der bedroheten Stadt ein. Dazu kam, daß die Machthaber dort bald wieder uneins wurden und auch nicht die durch die Verhältnisse gebotene Klugheit bewiesen. Als der Sultan für vielleicht von Saracenen provocirte Friedensverletzungen Einzelner Genugthuung forderte, schlug man ihm dieselbe ab. Da brach er im October 1290 zur Zerstörung der unglücklichen Stadt aus Kairo aus. Ihn selbst ereilte nun freilich der Tod, noch bevor er die Grenze Aegyptens überschritt; aber sein bereits zu seinem Nachfolger bestimmter Sohn Aschraf, ein Mann von wilder Gemüthsart, brannte vor Begier, des Vaters Plan auszuführen, er wies alle Friedensunterhandlungen zurück. Wohl vertheidigten die Christen in der letzten, höchsten Gefahr Akkon aufs Mannhafteste; aber den gewaltigen Anstrengungen der Muhammedaner konnten sie auf die Dauer nicht widerstehen: nach etwa 6 Wochen ward am 18. Mai 1291 die Stadt des Sultans Beute, und nach 3 Tagen mußten auch die letzten Helden, die sich in eine Burg geworfen hatten, capituliren. Sie wurden, wie die meisten Männer, welche gefangen waren, niedergehauen (70000, nach Andern sogar 105000 Christen fanden in Akkon ihren Tod), die Weiber, die nicht entkommen waren, wurden zu Sklavinnen gemacht, die herrliche Stadt in einen Aschenhaufen verwandelt. Die Christen verließen gleichzeitig Tyrus, bald auch Sidon; ein Emir zerstörte Beirut; aus der Burg Atslits, dem Pilgerschloß und Tortosa entflohen die Christen. Ihre Ansiedelungen in Syrien hatten damit ein Ende.

Nun hörte man, seitdem der Verkehr des Abendlandes mit Syrien abgebrochen war, in Meklenburg nichts mehr von dem gefangenen Landesherrn. Zweimal erfuhr man schreckliche Täuschungen. Es erschienen nämlich nach einander zwei Betrüger, die sich für den Fürsten Heinrich den Pilger ausgaben. Des Fürsten alte Räthe Detwig von Oertzen und Heinrich von Stralendorf prüften und entlarvten sie jedoch; der eine ward in der Stepenitz bei der Börzower Mühle ersäuft, der andere zu Sternberg verbrannt. Auf die Heimkehr des echten Pilgers rechnete man, seitdem bereits mehr als 20 Jahre verflossen waren, nicht mehr; Heinrich II. führte noch immer des Vaters Siegel und bewies sich dadurch immer noch als dessen Stellvertreter in der Regierung, aber er bezeichnet ihn in einer Urkunde vom 20. Januar 1298 als verstorben 154).




154) Meklenb. Urk.-Buch IV, Nr. 2480: felicis memorie dominos Hinricum proauum, Johannem auum et Hinricum patrem nostrum Magnopolenses