Abschnitt 12

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


Während das Land in jenen Fehden verwüstet ward, gelangte nun nach Wismar das Gerücht, der Landesherr sei in der Gefangenschaft gestorben; und wenn auch keine Bestätigung erfolgte, so mußte jenes doch auf den Eifer für das Werk seiner Befreiung lähmend einwirken. Auch scheint trotz des neuen Vertrages die Einigkeit im Regiment nicht groß gewesen zu sein; wir finden nämlich Urkunden aus den Jahren 1279 und 1280 142), in denen der Fürst Johann nicht einmal der Zustimmung seiner Schwägerin gedenkt, auch nicht der ihres ältesten Prinzen, der doch damals bereits zwölfjährig, also vermuthlich schon „zu seinen Jahren“ gekommen war 143). Wie Anastasia und ihre Söhne sich schließlich dieses Vormundes entledigt haben, verbirgt sich uns insofern, als aus den Jahren 1281 und 1282 und aus der ersten Hälfte des Jahres 1283 keine einzige Urkunde vorliegt, welche uns einen Einblick in die Regierung verstattete. Nach Kirchberg versuchte Fürst Johann (wohl 1282), freilich vergeblich, Grevesmühlen durch Ueberrumpelung in seine Hand zu bringen; und erst als die mit ihm verbündeten Thüringer, Meißener, Brandenburger, Lüneburger, Lauenburger und Holsteiner bei Grambow am 7. Mai 1283 von dem jungen Fürsten Heinrich unter dem Beistande der Städter aus Wismar und Rostock in die Flucht getrieben waren, sah sich Johann gezwungen, sich zur Ruhe zu begeben 144). Er saß fortan zu Gadebusch; schon in dem großen Landfrieden, welchen der Herzog von Sachsen-Lauenburg und die Fürsten, Vasallen und Städte der wendischen Ostseeländer am 13. Juni 1283 zu Rostock abschlossen, wird der Fürst Johann für sich, und seine beiden Neffen werden gleichfalls für sich genannt, und fortan 146) sehen wir die Fürstin Anastasia mit ihren beiden Söhnen als „domini Magnopolenses“ gemeinsam regieren, wobei selbstverständlich Heinrich mehr und mehr an die Spitze trat. Seit dem Tode seines Bruders (1289) führte der Fürst Heinrich II. ganz allein das Regiment, und zwar, da keine gewisse Nachricht von dem Tode des Vaters eingetroffen war, unter dessen Siegel fort.


Uebrigens glaubte Heinrich allerdings im Jahre 1286 schon nicht mehr, daß der Vater noch am Leben sei; er bezeichnet ihn in einer Urkunde vom 26. Juli d. J. geradezu als einen Verstorbenen 147). Man hatte also lange keine Kunde mehr von ihm erhalten.

Eben so wenig wird auch dem Gefangenen eine Kunde aus der Heimath zugegangen sein. Denn wenngleich Kairo der Mittelpunkt der muhammedanischen Welt war, so ward doch der Verkehr mit dem Abendlande durch die ägyptischen Seestädte vermittelt; in die Citadelle von Kairo aber gelangte vollends kaum eine Nachricht aus dem Norden Europas.

Die Begleitung des Fürsten starb, wie erwähnt, nach und nach dahin, bis auf den einen treuen Diener Bleyer. Diesem ward, wie es scheint 148), eine freiere Bewegung vergönnt. Er lernte in Kairo die dort blühende Kunst der Seidenweberei, und mit dem Ertrage seiner Thätigkeit unterstützte er seinen fürstlichen Herrn. Uebrigens war wohl auch Heinrichs Haft keine so strenge, daß er auf den Kerker beschränkt war; denn er ward allmählich unter den Muhammedanern eine sehr bekannte Persönlichkeit; „man sagte überall im Lande, daß er heilig wäre“, berichtet uns die Chronik Albrechts. Entlassen ward er freilich ohne Lösegeld doch nicht.




142) Meklenb. Urk.-Buch II, Nr. 1497 und 1546, und namentlich Nr. 1542. Diese eigenmächtige Bestimmung seines Oheims Johann über die Hebung des Lübischen Domcapitels aus Fahrdorf erkannte hernach Fürst Heinrich II. auch nicht an; die Sache ward erst durch einen Vergleich beigelegt. S. Bd. III, Nr. 2082. Böhlau, Landr. II, S. 330 (Anm.) scheint Nr. 1542 und 1546 nicht beachtet zu haben
143) Nicolaus II. von Werle sagt in seiner Erbverbrüderung mit Heinrich II. von Meklenburg vom 27. Jan. 1302 (Meklenb. Urk.-Buch V, Nr. 2780): „Quamdiu dominus Hinricus Magn. - uixerit, nobis nullum in ipsa ciuitate Wismarie dominium vendicabimus nec iuridicionem; sed si prefatus patruus noster legitimos heredes genuerit -, heredum suorum tutor erimus quousque ad annos discrecionis perueniant, et a natiuitate ipsorum in (!) anno duodecimo ipsos ad dominium suum restituemus.“ Wenn man auch zugeben will, daß „in anno duodecimo“ nicht „im Laufe des 12. Jahres“, sondern „nach Zurücklegung des 12. Jahres“ bedeuten soll, so lasse ich doch den Schluß Böhlaus (Landr. II, S. 76, Anm. 24) aus dieser einmaligen Bestimmung: „Im 13. und 14. Jahrhundert galt als hausgesetzlicher Mündigkeits-Termin das zurückgelegte 12. Lebensjahr“ - dahingestellt. Der Ausdruck „ad dominium suum restituemus“ (hernach heißt es: „si dominius Nicolaus de Rozstok“, der dänischer Lehnmann geworden war, „dominio suo restitutus fuerit“, d. h. wenn er wieder zu voller Regierungsgewalt kommen sollte) läßt es ungewiß, was nach zurückgelegtem 12. Jahre geschehen sollte. Wenigstens Albrecht II. zählte schon etwa 18 Jahre, als er 1336 von der Vormundschaft der Mannen und Seestädte frei ward und selbstständig die Regierung übernahm (was auch Böhlau nach Lisch hervorhebt); und uns ist kein Fall bekannt, wo ein meklenburgischer Fürst nach vollendetem 12. Jahre ohne Vormundschaft regiert hätte. Uebrigens ist jener Vertrag nicht befolgt; als Heinrich II. am 21. Jan. 1329 (lange nach Nicolaus) verstarb, kamen seine Söhne, deren älterer, Albrecht, anscheinend erst im 12. Jahre stand, nicht unter die Vormundschaft werlescher Vettern, sondern der Vater hatte eine Vormundschaft aus der Ritterschaft und den Seestädten eingesetzt
144) So nach Kirchberg, Cap. 137 (Westph. p. 780). Kirchberg setzt den Angriff Johanns auf Grevesmühlen ins Jahr 1292, läßt aber im Zusammenhang mit diesem die Schlacht bei Grambow (oder Gadebusch) folgen. Wir vermuthen, daß seine Quelle 1282 gab. Denn sicher fällt die Schlacht bei Grambow vor den 22. Febr. 1284 (Meklenb. Urk.-Buch III, 1719), und, da Korner (p. 934) und Detmar als den Tag der Schlacht den 7. Mai angeben, höchst wahrscheinlich auf den 7. Mai 1283. Wenigstens nennt keine Quelle das Jahr 1282, Korner aber 1283. Eben nach diesem Kampfe wird der Rostocker Landfriede (13. Juni 1283) geschlossen sein
146) Zuerst 24 Juni 1283 (Meklenb. Urk.-Buch III, Nr. 1680), dann weiter Nr. 1734, 1744, 1769, 1848, 1849. Auch am 26. Juli 1286 (Nr. 1858) sagt Heinrich: „vna cum matre nostra Anastasia et fratre nostro Johanne prefate donacioni gratam voluntatem apponimus et consensum“, was Böhlau, Landr. II, S. 331, übersehen hat, wenn er aus dieser Urkunde den Schluß zieht: „Der nunmehr (1286) 18jährige Heinrich II. regiert allein.“ Auch in Nr. 1870 vom 18. Oct. 1280 und Nr. 2023, welche nach dem 27. Mai 1289 fällt, wo es sich in beiden Fällen weder um ihr Leibgedinge (Pöl) noch um ihre Privatverbindlichkeiten handelt, wird die Zustimmung der Fürstin Anastasia erwähnt. Abgesehen von Nr. 2042 (und 2043) und 2057 (wozu Anastasiens Urkunde Nr. 2059 ergänzend tritt) ist die erste uns erhaltene Urkunde, in welcher Heinrich nicht mehr des Consenses seiner Mutter gedenkt, Nr. 2082, vom 11. Sept. 1290 datirt. Die Regierung für einen Fürsten, der durch Gefangenschaft im Auslande dauernd an der Landesverwaltung behindert ward, war ein außerordentlicher Fall, auf den sich die sonst bei einer Vormundschaft üblichen Normen nicht stricte anwenden ließen. Daraus erklären sich auch die Besorgnisse wegen der Gültigkeit der Regierungshandlungen, welche das Kloster Rehna 1286 (Nr. 1870) und das Domcapitel zu Lübek 1289 (Nr. 2023) bestimmten, Consense der ganzen fürstlichen Familie einzuholen
147) Meklenb. Urk.-Buch II, Nr. 1858: „Hinrici, patris nostri felicis recordacionis.“ - In der Urkunde vom 6. Aug. 1279 (Nr. 1506) wird Heinrich unter den verstorbenen Mitgliedern des Fürstenhauses nicht mit aufgeführt
148) Die Chronik Albrechts meldet: „Desoldan de gafeme“ (Heinrich 1298) och weder sinen knapen - Martin Bleyer“