Abschnitt 1

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.


                                        „Infelix peregrinato et omni
                                        pro Christo morte grauior.“
t]                                                       Alb. Krantz.


Man würde irre gehen, wenn man daraus, daß, so viel wir wissen, allein Graf Heinrich I. von Schwerin an dem von den Päpsten Innocenz III. und Honorius III. ausgeschriebenen Kreuzzuge Theil nahm, den Schluß ziehen wollte, daß der Eifer für die Bekämpfung der Feinde des Kreuzes Christi, ein Gedanke, welcher Jahrhunderte lang die abendländische Welt begeisterte, nicht auch in Meklenburg Streiter für die Kirche erweckt hätte. Nur gab der Papst Innocenz III. diesen ein anderes Ziel, indem er durch seine Bulle vom 5. Qctober 1199 die Christen in Westfalen, Sachsen, Nordalbingien und im Wendenlande aufforderte, die jüngst von dem Segeberger Canonicus Meinhard durch seine Predigt und die Stiftung des Bisthums Uexküll gegründete (von dessen Nachfolger schon durch den Tod besiegelte) Kirche in Livland gegen die dortigen Heiden zu schützen, und denen, die das Gelübde einer Wallfahrt nach den heiligen Stätten gethan hatten, gestattete, dafür nach Livland zur Vertheidigung der dortigen Kirche zu ziehen, auch diese Streiter in seinen apostolischen Schutz nahm. Es ist sicher eine beachtenswerthe Erscheinung, daß in Meklenburg schon, als hier die christliche Kirche kaum eine feste Gestalt und den nöthigen Ausbau gewonnen hatte, auch sofort der Eifer für die Ausbreitung des Christenthums und den Schutz der in Livland und Preußen entstehenden Bisthümer erwachte. Vornehmlich der Bischof Philipp von Ratzeburg († 1215) erwarb sich in dieser Beziehung um Livland die größten Verdienste, Jahre lang war er dem Rigischen Bischof Albrecht ein treuer Helfer und Stellvertreter. Aber auch Bischof Brunward von Schwerin nahm selbst 1219 an einem Kreuzzuge nach Preußen Theil. Wie Graf Albert (von Orlamünde) von Holstein und Ratzeburg 1217, so machte auch Fürst Burwin I. von Meklenburg, wiewohl schon ein Sechziger, 1218-1219 eine Kreuzfahrt nach Livland. Schon früh unterstützte man die Ritterschaften des Schwertordens und des preußischen Ordens von Dobrin durch Schenkungen meklenburgischer Güter, Söhne des meklenburgischen Adels traten unter die Ordensbrüder; und andere Ritter, welche wir bald zahlreich in Meklenburg antreffen, werden sich eben im Streite gegen die Heiden an der Ostsee ihre Sporen verdient haben. Denn jene Kämpfe wurden auch von der folgenden Generation aufgenommen. Ein Graf von Danneberg ist in Livland gefallen; Graf Gunzel III. von Schwerin hat nicht nur Güter an das Kloster Dünamunde verliehen, sondern erschien selbst in Riga und ward 1267 sogar zum Schirmherrn und Verweser des Erzbisthums ernannt; und sein Schwager, der Fürst Johann I. von Meklenburg, beschenkte nicht nur die Ordensritter und gab den Rigischen zu Wismar und sonst in seinen Landen gleiche Freiheiten mit den Lübekern, sondern, wenn man einer späteren Sage bei Kirchberg Glauben schenken darf, hat er auch selbst eine Kreuzfahrt nach Livland unternommen.

Keiner unserer Fürsten ging aber lebhafter auf diese Richtung ein, als Johanns I. Sohn und Nachfolger, Fürst Heinrich I. von Meklenburg. Schon mit seinem Vater - und vielleicht mit seinem jung verstorbenen Bruder „Poppo dem Kreuzfahrer“ - war er, wie Kirchberg meldet, nach Livland gezogen; und als er hernach zur Regierung gekommen war, unternahm er (vielleicht gleichzeitig mit seinem Oheim, dem Grafen Gunzel III. von Schwerin), begleitet von seiner Gemahlin Anastasia, jene Kreuzfahrt nach Livland, während welcher ihm zu Riga sein ältester Sohn, Heinrich II., geboren ward, und von welcher er ein kleines Mädchen von heidnischen Eltern, das er im Kampfesgewühl sicherem Verderben entrissen hatte, heimbrachte, um es als seine Adoptivtochter dem Kloster Rehna zu übergeben 79).

Gipfelte der ritterliche Sinn jener Zeit in der Liebe zum Herrn und in dem Schutze und der Pflege seiner Kirche, so sehen wir diesen Fürsten Heinrich I. von solcher Gesinnung ganz durchdrungen. Er bewies sie durch reiche Schenkungen an die Kirchen und durch Förderung kirchlicher Wohlthätigkeitsanstalten, wobei er sich des Rathes und der Unterstützung der beiden Bischöfe zu Schwerin und Ratzeburg, des Grafen Hermann von Schladen und Ulrich von Blüchers, erfreuete 81).




79) Diese Uebergabe erfolgte vor dem 8. Juli 1270, da an diesem Tage der Fürst dem Kloster Rehna dafür, zum Unterhalte für diese Adoptivtochter, 4 Hufen in Parber verlieh (Meklenb. Urk.-Buch II. Nr. 1193). Mithin ist der Fürst spätestens 1270 aus Livland heimgekehrt. Steht nun andererseits der Angabe, daß Heinrichs I. ältester Sohn Heinrich II. zu Riga geboren ward (Kirchberg, Cap. 131), kein anderes Zeugniß entgegen, so gewinnen wir hiermit eine genauere Zeitbestimmung für den Zug nach Livland. Denn am 14. April 1266 hatte Heinrich I. nach seiner eigenen Angabe (Mekl. Urk.-Buch II, Nr. 1078: heredum nostrorum, scilicet puerorum, siquos de[us] sua benignitate nobis elargiri dignabitur) noch keine Söhne. Ferner muß Heinrichs I. zweiter Sohn, Johann III., der nach Kirchberg (Cap. 131, p. 782) drei Jahre jünger war als der erste, spätestens 1271 geboren sein, da der Vater in diesem Jahre die Heimath auf lange Zeit verließ; mithin fällt Heinrichs II. Geburt spätestens ins Jahr 1268. Wahrscheinlich ist Johann III. aber, da er sich bereits 1288 vermählte, schon 1270 geboren, mithin Heinrich II. 1267 oder zu Anfang des Jahres 1268. Heinrich I. finden wir am 1. Januar und am 14. Juni 1267 (Meklenb. Urk.-Buch II, Nr. 1107, 1123) noch in Meklenburg thätig, dann aber erst wieder am 1. Mai 1269 (Meklenb. Urk.-Buch II, Nr. 1164). Graf Gunzel verweilte in seiner Grafschaft noch im August 1267 (daselbst Nr. 1128, 1129), zu Riga ohne Zweifel am 21. December 1267 (das. Nr. 1130) und noch am 5. April 1268 (das. Nr. 1145, Amn.). - Nachdem diese Note geschrieben war, kam mir die Anmerkung des Herrn Consistorialraths Böhlau zu seinem Excurs über „die Abwesenheit des Fürsten Heinrich I., des Pilgers, 1271-1298“ im Meklenb. Landrecht II, S. 330 zu Gesichte. Daraus, daß „mit d. J. 1280 der geborne Vormund aus den von der Anastasia und deren Söhnen ausgestellten Urkunden verschwinde“, und „seit d. J. 1286 Heinrich der Löwe als dominus Magnopolensis allein Urkunden ausstelle“, zieht der Herr Verfasser den Schluß, „daß Heinrich II. 1280 zwölf und 1286 achtzehn Jahre alt“ gewesen, mithin 1268 geboren sei. So erfreulich mir natürlich dies nahe Zusammentreffen mit meiner Ansicht ist, scheinen mir wenigstens jene beiden Prämissen doch noch nicht über alle Bedenken erhaben zu sein. Davon weiter unten
81) S. z. B. Nr. 1059 (venerabilium patrum ac dominorum nostrorum Vlrici Raceburgensis et Hermanni Zwerinensis ecclesiarum episcoporum, quorum patrocinio hec eadem instituimus), Nr. 1158