Abschnitt 3

II.
Die Kreuzfahrt
des Grafen Heinrich I. von Schwerin.


Aber man verharrete in der Unthätigkeit. Während nun im August mehr als 10000 Pilger unmuthig aus dem Lager nach Damiette zurückkehrten, um nach Hause zu fahren, entwickelte der Sultan die größte Tätigkeit. Seine Brüder, der furchtbare Christenfeind Al-Muazzam und Aschraf, sowie andere syrische Fürsten waren herbeigeeilt, so daß seine Reiterei wohl auf 40000 Rosse stieg; und im Rücken der Christen erschienen seine Kriegsschiffe, die er von Rosette her durch einen vom steigenden Nilwasser schiffbar gewordenen Canal im Delta (Mahalle) gehen ließ, um seinen Gegnern die Zufuhr abzuschneiden. Bald spürten auch die Kreuzfahrer die Schwierigkeiten der Verpflegung, und am 18. August wurde eine Anzahl ihrer Schiffe von den ägyptischen theils genommen, theils versenkt. Aegyptische Reiter gingen über den Canal von Aschmun und sperrten auch den schmalen Landweg nach Damiette, den der steigende Nil noch gelassen hatte.


Die Kreuzfahrer, welche „wie die Vögel ins Garn und die Fische ins Netz“ gegangen waren, entschlossen sich jetzt zu dem unvermeidlich gewordenen Rückzug; am Abend des 26. August ward in aller Stille das Lager abgebrochen und verlassen. Aber da die Menge, zum Theil berauscht von dem preisgegebenen Wein, einen Theil der Zelte anzündete oder in Brand gerathen ließ, merkten die Feinde die Flucht und traten die Verfolgung an. In der Dunkelheit der Nacht irrten die Christen in Verwirrung umher, zum Theil in dem Schlamm des ausgetretenen Nils; viele ertranken. Wohl warfen König Johann und die Ordensritter am nächsten Tage die andringenden Reiter tapfer zurück. Aber die Aegypter durchstachen in der nächsten Nacht Nildämme, viele Schläfer ertranken. Die Unmöglichkeit zu entkommen, heftige Angriffe der Aegypter, und auch der treulose Uebergang mancher Christen zum Feinde, veranlaßten die Führer des Kreuzzuges, mit dem Sultan Unterhandlungen anzuknüpfen: „sie baten um Schonung gegen Abtretung von Damiette an die Muslimen“. Vergeblich zogen sich indessen zwei Tage die Verhandlungen hin, eine Partei unter den Muhammedanern wollte von Schonung nichts hören. Da jedoch die Christen der bedingungslosen Kriegsgefangenschaft einen ehrenvollen Untergang vorzuziehen erklärten, auch schon ihre Vorbereitungen zu einem verzweifelten Kampfe machten, mit ihrer Vernichtung aber das wohlbesetzte Damiette nicht gewonnen wäre, und da die Aegypter „die Franken auf den Inseln und anderswo fürchteten, welche denen bei Damiette zu Hülfe kommen konnten“: so kam am 30. August ein Vertrag zu Stande, worin die Christen sich verpflichteten, dem Sultan Damiette und die Burg Tanis herauszugeben, sie dagegen mit allen beweglichen Gütern freien Abzug aus Aegypten haben, alle beiderseitigen Gefangenen frei sein und die Muhammedaner das bei Tiberias erbeutete heilige Kreuz herausgeben sollten. Geisel bürgten von beiden Seiten für die Ausführung dieser Bedingungen.

Sofort ward nun den eingeschlossenen Christen von Seiten des Sultans Zufuhr und ein freundlicher Verkehr gewährt. Er gab seine christlichen Gefangenen noch vor der Ausführung des Vertrages los, ließ eine Brücke über den Nil schlagen, damit die Kreuzfahrer auf trockneren Wegen heimkehren könnten, verbot, sie irgendwie zu beschimpfen u. s. w.

Aber die nach Damiette abgesandten Ordensmeister stießen dort mit dem Begehr, die Stadt zu übergeben, auf heftigen Widerspruch. Die Führer der eben angelangten Flotte Kaiser Friedrichs und die deutschen und italienischen Kreuzfahrer daselbst sträubten sich ebenso heftig gegen die Annahme jenes Friedens, als die Franzosen und Orientalen sie befürworteten. Da man indessen keine Möglichkeit sah, die Stadt lange zu verteidigen, ward Damiette am 7. September (122l) von den Christen geräumt, die Muhammedaner zogen am nächsten Tage ein, und die Kreuzfahrer verließen schnell Aegypten.

Ueber die persönlichen Erlebnisse des Grafen Heinrich von Schwerin während seines Aufenthaltes in Aegypten finden wir nichts ausdrücklich erwähnt. Aber das darf uns nicht Wunder nehmen; denn selbst in der ausführlichen Erzählung dieses unglücklichen Kreuzzuges, welche wir dem Kölner Scholasticus (und späteren Paderbornschen Bischof) Oliver verdanken, werden uns auch nur die obersten Führer des Zuges genannt, zu denen ja Heinrich nicht gehörte. Wir finden den Grafen jedoch erst am 31. März 1222 wieder in seiner Heimath; und daß er, ohne sich an dem Kampfe zu betheiligen und ohne das übliche volle Jahr dem Kreuze gedient zu haben, aus Aegypten heimgekehrt wäre, widerspricht seinem ganzen Charakter. Endlich erblicken wir eine Hindeutung auf seine Theilnahme an dem unglücklichen Zuge nach Mansurah in den Worten eines Zeitgenossen.

Am 31. März, - am Grünen Donnerstage - des Jahres 1222 beurkundet nämlich zu Schwerin der dortige Bischof Brunward in Anwesenheit nicht nur seiner Domherren und einer Reihe von Schwerinschen Vasallen, sondern auch des Propstes Hermann von Hamburg und des Domherrn Friedrich von Hildesheim, welche beide Brüder des Grafen Heinrich I. von Schwerin waren, sowie des Abtes von Doberan und der Pröpste von Lübek und Neukloster - also in einer großen, feierlichen Versammlung -: „Graf Heinrich von Schwerin habe, als er, um dem Heiligen Lande zu Hülfe zu kommen, gegen die Heiden jenseit des Meeres eine Kreuzfahrt unternommen, mit großen Mühen und Kosten und mit gar vielen gefälligen Dienstleistungen es erlangt (magnis laboribus et expensis et quam pluribus obsequiis obtinuit), daß der Cardinal der heiligen Römischen Kirche, Bischof Pelagius von Albano, da dieser daselbst das Amt eines apostolischen Legaten verwaltete, ihm Blut des Herrn schenkte, das in einem Jaspis verschlossen war“, mit der gestrengen Weisung, diesen unvergleichlichen Schatz einer Conventualkirche zu übergeben 69), und der Graf habe dies H. Blut an diesem Tage, dem Grünen Donnerstage, in dem Schweriner Dom, wo die Gebeine der Seinigen - sowohl seines Vaters als seiner Bruder 70) - ruheten, dargebracht, Clerus und Laien hatten dasselbe mit Procession und Gesang empfangen.

Aus der Schenkung dieser kostbaren Reliquie und aus der ausdrücklichen Erwähnung gar vieler gefälliger Dienstleistungen dürfen wir sicher den Schluß ziehen, daß der Graf sich nicht den Wünschen des Cardinals entgegengestellt und sich nicht von dem Zuge ferngehalten, sondern sich ihm durch Folgsamkeit werth gemacht hat, wie denn auch der Kühnheit des Grafen die thatkräftige und unternehmende, aber leider auch unbesonnene Weise des Cardinals mehr zugesagt haben wird als die bedächtige, aber den rechten Zeitpunct verpassende Art seiner Gegner unter den Kreuzfahrern.

Uebrigens fand der Graf Heinrich sein Land bei seiner Heimkehr in einer recht traurigen Lage wieder. Sein Bruder Gunzel II. war schon zu Ende des Jahres 1220 gestorben, dessen Landestheil vom Grafen Albrecht von Orlamünde, dem Gewalthaber des Königs Waldemar H. von Dänemark in dessen deutschen Gebieten, für dieses Königs und Gunzels oben erwähnten Enkel, den jungen Grafen Nicolaus von Halland, in Besitz genommen. Es liegt nicht mehr in unserer Aufgabe, zu erzählen, durch welch verzweifeltes Mittel Graf Heinrich sich hernach des Königs bemächtigte, und wie die dänische Herrschaft in Norddeutschland gebrochen ward.




69) Meklenb. Urk.-Buch I, Nr. 280. - Unvereinbar sowohl mit dieser Urkunde, wonach der Graf also erst am 31. März 1222 der Domkirche zu Schwerin die auf dem Kreuzzuge in Aegypten erworbene Reliquie des Heil. Bluts darbrachte (representauit), als auch mit der bestimmten Angabe Olivers, wonach Heinrich von Venedig aus, frühestens im August (wahrscheinlich erst im September) 1220 Aegypten erreichte und nun erst mit dem bereits seit dem Herbste 1218 (s. oben S. 28, 2) dort Verweilenden Legaten zusammentraf, ist der Ablaßbrief des Papstes Honorius III. zu Gunsten des Schweriner Doms, datirt: „Rome apud sanctam Mriam maiorem, III. kal. Julii pontificatus nostri anno quarto“, also vom 29 Juni 1220 (Meklenb. Urk-Buch I, Nr. 267). Hier heißt es nämlich schon von der Schweriner Kirche: „in qua a Christi fidelibus sacramentum sanguinis domini nostri Jesu Christi pie creditur esse reconditum“, und der Papst giebt den Ablaßbrief „ad deuotam ac bumilem petitionem nobilis et incliti viri Hinrici comitis Swerinensis, dilecti filii nostri ac sacrosancte Romane ecclesie strenui defensoris.“ Will man den ersten Passus nicht wörtlich vom Sacrament des heil. Abendmahls verstehen, das ja dieser Kirche nicht allein oder vor andern eigenthümlich war, sondern trotz des dann sehr auffälligen Ausdruckes auf eine Reliquie des heil. Blutes deuten, so haben wir schon oben (S. 26, Anm.) hervorgehoben, daß sich in den Schwerinschen Geschichtsquellen keine Spur von einer andern derartigen Reliquie findet, als von der, welche Graf Heinrich mitbrachte, auch dort nicht, wo man solche er warten mußte. Will man jene Worte aber auf die Reliquie Heinrichs beziehen mit der Aushülfe, daß „vielleicht der Papst dem Grafen den Ablaßbrief schon im Voraus zugleich mit der Anweisung auf das im gelobten Lande zu erwartende Geschenk des Heiligen Blutes gab“ (Lisch, Jahrb. XIII, S. 151, 152), so steht dem der Ausdruck „esse reconditum“ entgegen, von allen andern Bedenken wider solche Eventualverleihung abgesehen. Da nun bei unbefangener Betrachtung sowohl in jenen Worten als auch in dem Epitheton des Grafen „sacrosancte Romane ecclesie strenui defensoris“ eine Hindeutung auf des Grafen Kreuzfahrt nach Aegypten zu liegen scheit, so glaubte ich früher, es mochte in den Copien des Ablaßbriefes (ein Original ist nicht bekannt) vielleicht die Jahreszahl - etwa „pontif nostri a IV.“ statt a „VI.“ oder „VII.“- verschrieben sein. Jetzt aber ersehe ich aus Potthast, Reg pontif Rom. I p 548 seq. 1) daß Papst Honorius III. vom 3. Juni 1220 bis zum 1. October (und namentlich auch am 27. Juni und am 1. Juli) nicht zu Rom, sondern zu Orvieto verweilte, und 2) daß er von fernen zahlreichen späteren Urkunden, die er zu Rom gegeben hat, keine einzige „apud sanctam Mariam maiorem“ (sondern nur vom Lateran) datirt hat. Ich halte daher jenen Ablaßbrief vom J.1220, obwohl Papst Sixtus IV. in einem andern Ablaßbriefe vom 16 Juni 1479 (gedruckt im Ordm. eccl. Suerm. fol. † 4) unter andern eines Ablasses des Papstes Honorius gedenkt, für unecht, stimme also Potthast bei, der, vermuthlich durch die falsche Datirung allein bestimmt, zu dem Ablaßbriefe des Honorius anmerkt: „bulla spuria, nec in Honorio III. , nec in Honorio IV. quadrat.“
70) Ueber die H. Bluts-Capelle zu Schwerin und die Verehrung des H. Blutes daselbst vgl. die ausführliche Abhandlung von Lisch, Jahrb. XIII, S. 143 – 187