Abschnitt 2

II.
Die Kreuzfahrt
des Grafen Heinrich I. von Schwerin.


Diese hätte ihm aber leicht schon zu Theil werden können, bevor er noch Aegypten erreichte; denn schon unterwegs ward er mit den Saracenen handgemein. Während nämlich die Christen zu Damiette in Unthätigkeit verharrten, unterließ der ägyptische Sultan Kamil nichts, um ihnen Abbruch zu thun. Oberhalb der Stadt Damiette, dort, wo von dem Nilarm, der an dieser Stadt vorüberfließt, sich ein Nebenarm, der Canal von Aschmun, ostwärts abzweigt, erbauete er ein festes Lager (Mansurah), um die muhammedanischen Streitkräfte daselbst zu sammeln; gleichzeitig aber richtete er auch seine Aufmerksamkeit auf die See, um die Verbindung Damiettes mit Europa, die Zufuhr und die Zuzüge der Pilger zu hemmen. Wohl hatte der Doge von Venedig im Sommer 1220 14 schnellsegelnde Kriegsschiffe 58) den Christen in Aegypten zu Hülfe gesandt; sie erreichten den Hafen von Damiette im August, also eben zu der Zeit, wo die zweite Hauptüberfahrt der Kreuzfahrer zu geschehen pflegte (während die erste und bedeutendste Ueberfahrt im Frühling [passagium vernale] stattfand). Aber während diese dort ruhig im Hafen lagen, erschienen auf dem Mittelmeere nicht weniger als 33 von Kâmil ausgerüstete Galeeren, welche den Christen unsäglichen Schaden zufügten, indem sie Handelsschiffe, die Proviant nach Damiette schaffen sollten, sammt der Mannschaft nahmen, die Fahrzeuge plünderten und verbrannten, die Pilger aber gefangen abführten. Solche Kaper griffen denn auch ein großes, von Lastschiffen begleitetes Schiff an, welches den Grafen Heinrich von Schwerin mit andern Edlen aus Deutschland an Bord hatte. Es entspann sich ein heftiger Kampf; die Kreuzfahrer aber vertheidigten sich mannhaft, tödteten und verwundeten viele von jenen Aegyptern und entkamen so glücklich der Gefahr. Sie verloren von ihren Begleitschiffen nur ein dem Deutschen Hause gehöriges Lastschiff, das mit Gerste beladen war, durch griechisches Feuer. Die venetianischen und andere Galeeren liefen zu spät von Damiette aus, als daß sie jenen hätten Hülfe bringen können 59).


Als Graf Heinrich nun also im Spätsommer 1220 in Aegypten eintraf, fand er das Kreuzheer noch zu Damiette, welches nun schon seit etwa 10 Monaten in den Händen der Christen war; und noch immer eröffnete sich keine Aussicht, daß man zu einer größeren Unternehmung aufbrechen würde. Viele Streiter waren bereits unmuthig geworden und nach und nach heimgekehrt. Selbst der König Johann von Jerusalem, dem der päpstliche Legat doch Damiette zugestanden hatte, war, mißvergnügt über des Legaten Herrschsucht, abgesegelt; auch viele andere weltliche Herren waren von Pelagius verletzt; und die lange Unthätigkeit entsittlichte, zumal in jenem Klima, einen nicht geringen Theil der Mannschaft. Vergebens hatte der Cardinal die Führer wiederholt zum Aufbruche nach Kairo ermuntert; seine Gegner waren zu stark, er hatte nichts durchgesetzt. Während Kâmil in seinem festen Lager zu Mansurah die muhammedanischen Streitkräfte nach und nach vereinigte, verharrten die Christen auch den ganzen nächsten Winter in ihrer Ruhe. Wiederum hoffte man Friedrich II., nach seinem neuen im November 1220 bei seiner Kaiserkrönung geleisteten Gelöbnisse, im nächsten März zu Damiette zugehen; und darauf setzte man nun alle Hoffnung. Aber er selbst erschien nicht. Als sein Vorbote und Stellvertreter, der Herzog Ludwig von Baiern, im Mai in Aegypten eintraf, regte sich wohl neues Leben in dem Kreuzheere; da aber immer der Kaiser sein Versprechen nicht erfüllte, gelang es dem Legaten endlich durch seine Beredsamkeit, in dem Rathe der Fürsten die großen Bedenken, welche gegen einen Zug nach Kairo erhoben wurden, niederzuschlagen und sie zum Marsche nach dieser Hauptstadt von Aegypten auch ohne den Kaiser zu bestimmen. Ende Juni begann man den Aufbruch aus dem Lager zu Damiette; auch der König Johann von Jerusalem kehrte nun wieder zum Heere zurück. In der That war es jetzt aber zu früh oder zu spät, oder wenigstens die äußerste Zeit, wenn man noch vor der Ueberschwemmung des seit Johannis steigenden Nils das Ziel erreichen wollte. Denn wie schnell man die wenigen Tagemärsche nach Kairo gleich nach der Eroberung von Damiette hätte zurücklegen mögen, jetzt war es nicht mehr abzusehen, wie lange der Sultan die Christen mit seinem Heere in seinem festen Lager aufhalten konnte. Man beeilte sich aber trotzdem keinesweges; erst am 17. Juli verließen die Kreuzfahrer das Lager von Fareskur, das 3 Stunden von Damiette entfernt war.

Wohl mochten sie, unbekannt mit der Stärke, der Umsicht und dem Muthe des Sultans und mit den schwierigen Terrainverhältnissen, sich den frohesten Hoffnungen hingeben. Denn die Zahl ihres Fußvolks betrug, wenn auch nicht 200,000 Mann, wie ein ägyptischer Schriftsteller 60) meint, so doch eine „unzählige“ Menge, darunter wohl 4000 Bogenschützen; dazu kamen 1200 Ritter mit ihren Knappen und andere Reiter, im Ganzen wohl 4-5000 zu Roß. Eine Flotte von 600 Schiffen, unter denen etwa 300 Koggen und 18 Galeeren, die andern Transportschiffe waren, deckte den rechten Flügel des am östlichen Nilufer hinaufziehenden Heeres, während Infanterie den linken schützte, Cavallerie sich zwischen ihnen ausbreitete, und Pfeilschützen und Lanzenschleuderer den Vortrab bildeten. Wie sollte König Johann von Jerusalem also Gehör finden mit seinem Vorschlag, die Stadt Scharmesah, die der Sultan zerstört hatte, wieder zu befestigen und dort in dem fruchtbaren Lande die Ankunft Kaiser Friedrichs II. abzuwarten! Schon nach einer Woche standen die Kreuzfahrer, da sie unterwegs verhältnißmäßig wenig belästigt waren, den Aegyptern gegenüber aus der Landspitze zwischen dem Nil und dem Kanal von Aschmun, nur durch diesen Kanal vom Feinde getrennt.

Wie wenig aber der Sultan geneigt war, den Christen sein Land ohne den härtesten Kampf zu überlassen, hatten sie schon unterwegs aus den von ihm befohlenen Verwüstungen abnehmen können. Jetzt sahen sie vor sich ein stark befestigtes Lager und zu dessen Seite auf dem Nil eine Flotte von 100 Galeeren; alle Mannschaft Aegyptens war aufgeboten, an die Muhammedaner in Syrien der Ruf um schleunige Verstärkung ergangen. Den Christen blieb nichts weiter übrig, als ihr Lager zu befestigen und zur Vertheidigung einzurichten. Vier Gefechte fielen zu Gunsten der Muselmänner aus.

Und doch zeigte Kâmil die besonnenste Mäßigung. Bei den jetzt eingeleiteten Friedensverhandlungen begehrten die Christen für die Herausgabe von Damiette „die Uebergabe von Jerusalem, Askalon, Tiberias, Gabala, Laodicea und der übrigen Städte des Meeresufers, die Saladin Jusuf erobert hatte“ sowie „300,000 Dinare als Ersatz für den Schaden, welchen ihnen Al-Muazzam, der Fürst von Damaskus [Kâmils Bruder], durch Zerstörung der Mauern von Jerusalem [nach dem Falle von Damiette] zugefügt habe“; und alle jene Lande und Plätze gestand ihnen der Sultan für sich und seine Brüder zu, mit Ausnahme der festen Plätze Karak und Saubak (Mont royal). Vergebens befürwortete König Johann von Jerusalem - und mit ihm die morgenländischen Herren - die Annahme dieser Bedingungen, womit das Ziel des Kreuzzuges, die Herstellung seines Königreiches, erreicht wäre. Der Cardinal Pelagius, der geprahlt hatte, er hoffe in wenig Tagen in Kairo zu sein, berief sich aus entgegenstehende Verbote des Papstes und des Kaisers, mit den Ungläubigen keinen Frieden zu schließen - und er drang durch; die Verhandlungen wurden abgebrochen.




58) galeae, Galeeren; „naves longae, rostratae, geminis remorum instructae ordinibus, bellicis usibus habiliores, quae vulgo galeae dicuntur“, erklärt Wilhelm von Tyrus, Hist. XX, 14
59) Oliver c. 26, p. 1421: „Anno verbi incarnati MCCXX -- .“ Dann c. 30, p. 1425: Mense Augusto applicnerunt Damiatam XIV galeae a duce Venetorum transmissae pariter et armatae, quae modicam utilitatem attulerunt Cnristianis. Nam rex Babilonis XXXIII armavit galeas eodem tempore, ouae nobis inaestimabile dampnum intulerunt. Ceperunt enim naves mercatorum cum ipsis hominibus, quae victualia versus Damiatam afferebant, peregrinos etiam captivos duxerunt, naves spoliantes et comburentes. Invaserunt insuper navem magnam, quae comitem Henricum de Zwerin et alios nobiles Teutonicos deferebat ad nos tendentes; sed ipsi viriliter se defenderunt et multis piratis interfectis et sauciatis evaserunt feliciter, perdito scalandro uno de domo Teutonica cum ordeo, quem consumpsit ignis Graecus. - Galeae Venetorum et aliorum invitatae ad accelerandum tardius egressae sunt de portu Damiatae, tendentes versus Ressitum et Alexandriam, postquam descripto modo damnificati sumus a Sarrazenis
60) Makrizi bei R. Röhricht, Beitrag zur Geschichte der Kreuzzüge I. (Berlin, 1874), S. 96 und 106. - Peter von Albencio schätzte das Fußvolk nur auf 40000, die Chronik von Tours giebt 70000 Bewaffnete (praeter vulgus) an. Wilken, Gesch. der Kreuzzüge VI, S. 321, Anm. 15