Abschnitt 1

II.
Die Kreuzfahrt
des Grafen Heinrich I. von Schwerin.


Erst fünfzehn Jahre waren seit der gemeinsamen Wallfahrt des Fürsten Pribislav und des Grafen Gunzel I. mit Herzog Heinrich verflossen, als die heilige Stadt Jerusalem, wo jene ein christliches Königreich in allem Glanze gesehen hatten, an den großen Sultan Saladin verloren ging. Das Abendland rüstete sich alsbald zur Wiedereroberung der heiligen Stätten, und kein geringerer Mann als der alte Kaiser Friedrich I. stellte sich an die Spitze der zahllosen christlichen Kämpfer.


Pribislav erlebte diese Ereignisse nicht mehr († 1178), und eben so wenig Graf Gunzel I. († um 1185). und man möchte vermuthen, daß das Beispiel ihrer Väter und deren Erzählungen in ihnen wohl eine Vorliebe für das Heilige Land und Begeisterung für dessen Wiedereroberung erweckt hätten. Die Lage Niedersachsens und Meklenburgs war aber allerdings der Art, daß die meklenburgischen Landesherren dem Gedanken an eine Betheiligung bei dem Kreuzzuge nicht wohl Raum geben konnten. Herzog Heinrich, längst seiner Herzogthümer verlustig und voll tiefen Grolls, räumte lieber, als daß er sich dem Kreuzzuge angeschlossen hätte, auf des Kaisers Begehr einstweilen seine Erblande; da aber sein Nachfolger im Herzogthum Sachsen die meklenburgischen Herren und andere innerhalb seines Gebietes nicht hatte zu gewinnen verstanden und des nötigen Ansehens entbehrte, ließ sich kaum vermuthen, daß Herzog Heinrich die Gelegenheit versäumen würde, in des Kaisers Abwesenheit zurückzukehren und seine Macht auszubreiten. Ueberdies war erst vor wenig Jahren ein heidnischer Ausstand in den meklenburgischen Landen unterdrückt; dann waren die meklenburgischen Fürsten Burwin I. und Nicolaus mit einander in Fehde gerathen und endlich darüber gar Mannen des Königs von Dänemark geworden!

Mehr Anklang fand in Niedersachsen allerdings der Kreuzzug, den Kaiser Heinrich VI. ins Werk setzte. Unter den Herren, welche 1197 fortzogen, finden wir u. a. den Erzbischof von Bremen, den Bischof von Verden, den Grafen Adolf von Holstein, der schon früher für das Heilige Land gekämpft hatte, genannt, und auch etwa 400 Lübeker nahmen das Kreuz. Aber daß Meklenburger sich angeschlossen hätten, finden wir nicht überliefert.

Einen neuen Impuls empfingen die Deutschen, als der große Papst Innocenz III., und nach dessen Tode sein Nachfolger Honorius III., und der junge König Friedrich II. mit großem Eifer zu einem Kreuzzuge aufriefen. Die ersten Erfolge waren freilich wenig aufmunternd; der König Andreas von Ungarn, süddeutsche Herren u. s. w. richteten 1217 in Palästina wenig aus. Im Mai 1218 aber setzten die Kreuzfahrer von Akkon nach Aegypten über, um hier die Macht der Saracenen an der Wurzel zu vernichten. Unter der Führung des Königs Johann von Jerusalem, des Herzogs Leopold von Oestreich und vieler anderer weltlicher Herren, sowie des Patriarchen von Jerusalem und zahlreicher Bischöfe, hernach (seit dem Herbste 1218 44) vornehmlich unter der Oberleitung des päpstlichen Legaten, Cardinal-Bischofs Pelagius von Albano, belagerten sie die sehr feste Stadt Damiette; und wiewohl der Herrscher von Aegypten, Al-Kâmil, derselben mit großer muhammedanischer Macht zu Hülfe kam, bezwangen sie diesen festen Platz nach unsäglichen Mühen und Kämpfen endlich am 5. Novbr. 45) 1219. Die Feste Tanis fiel ihnen ohne Kampf zu.

Wir wissen, daß an der Belagerung von Damiette neben zahlreichen Friesen auch manche Niederdeutsche aus der Bremischen Kirchenprovinz mitgewirkt haben 46), aber nicht, ob Pilger von der Ostseeküste unter diesen gewesen sind. Jedenfalls war bis dahin keiner der Regenten aus Meklenburg nach Aegypten gezogen.

so wichtig nun ein solcher Erfolg der Kreuzfahrer war, sie benutzten nicht den Schrecken, welcher sich der Aegypter bemächtigt hatte, um sofort tiefer ins Land einzudringen. Vielmehr erwarteten sie in Damiette erst weitere Verstärkungen, und namentlich den König Friedrich II, der immer zögerte, selbst sein Gelübde zu lösen, wohl aber viele Herren zum Ablegen des Gelübdes und zu baldigem Aufbruche antrieb.

Da trat denn im Jahre 1220 48) auch Graf Heinrich I. von Schwerin, ein Sohn Gunzels I., seine Kreuzfahrt nach Aegypten an. Ob ihn jedoch des Königs Friedrich II. erwähnte allgemeine Aufmunterung dazu bewogen hat, darf man bezweifeln. Denn die Grafen von Schwerin waren den Welfen, denen sie ihre Grafschaft verdankten, zugethan; Heinrich hatte den Kaiser Otto IV. auf seinem Zuge nach Italien begleitet, und von ihm ein Privilegium 50) erlangt, das nicht nur dem Domcapitel zu Schwerin neue Rechte einräumte, sondern auch der Stadt Schwerin zu Gute kam. Friedrich II. dagegen hatte dem Könige Waldemar II. von Dänemark, der die Grafen Gunzel I. und Heinrich I. von Schwerin gezwungen, ihn als ihren Lehnherrn anzuerkennen, alle Lande nördlich von der Elbe und Elde förmlich abgetreten, und die Päpste Innocenz III. und Honorius hatten dem Dänenkönige diesen Besitz bestätigt. Wie früher Waldemars Hand schwer auf den Grafen gelastet hatte, so zeigte er hernach, indem er seinen natürlichen Sohn Nicolaus von Halland mit Ida, der Erbtochter des Grafen Gunzelin II. (und Nichte des Grafen Heinrich), vermählte, deutlich genug, daß er wenigstens die eine Hälfte der Grafschaft Heinrich I. und seinen Nachkommen zu entziehen suchte. Immerhin war also die Lage des Grafen Heinrich daheim eine unerquickliche; aber nicht solche Verstimmung kann den klugen und erfahrungsreichen Mann bewogen haben, bei schon herannahendem Alter - er mochte etwa 60 Jahre Zählen - auf längere Zeit sein Land zu verlassen, wo, wenn sein älterer Bruder Gunzel II. sterben sollte, sofort jene Besitzergreifung von dänischer Seite zu befürchten stand, da Nicolaus von Halland mit Hinterlassung eines kleinen Sohnes bereits verstorben war. Vielmehr wird es der ritterlicher Sinn und die damit damals noch verbundene Liebe zur Kirche gewesen sein, die trotz aller politischen Bedenken den kühnen, unternehmenden Grafen anspornte, mit einem großen Theile der geistlichen und weltlichen Herren der Christenheit und mit andern zahllosen Gläubigen für das Kreuz Christi in den Kampf zu ziehen. In Gemeinschaft mit seinem Bruder Gunzel II. hatte er nicht nur deutsche Klöster gefördert, sondern vornehmlich den Hospitalbrüdern zu St. Johann in Jerusalem hatten sie ihre Vorliebe zugewandt, der Orden verdankte ihnen erhebliche Schenkungen 57). Hatte Heinrich damit sein hohes Interesse für das heilige Land und für die Kreuzfahrer genugsam bewiesen, so lag es ihm nicht fern, jetzt, wo das Haupt der Kirche den Aufruf zum Streit für das Heilige Land so laut ergehen ließ, und die erwartete Führung des Kreuzheeres durch das weltliche Haupt der Christenheit entscheidende Erfolge verhieße auch sein Leben einzusetzen und die den Pilgern verheißene Krone zu erstreben.




44) Oliveri scholastici Historia Daminatma (Eccardi, Corp. histor. medii aevi II), p. 1405. - Wir folgen dieser Schrift vornehmlich, da Oliver ein Augenzeuge war und sich durch Treue und Ausführlichkeit auszeichnet
45) Auch bei Oliver ist p. 1415 statt „Nono Novembris“ natürlich „Nonis Nov.“ zu lesen, da, wie er bemerkt, Damiette „feria tertia“ fiel und 1219 der 5. nicht der 9. November, ein Dienstag war. Dies ist Recueil des hist. (occid.) des croisades II, p. 340, n. übersehen
46) Oliver p. 1401: „VII coggones de provincia Coloniensi cum aliis paucis navibus de provinciis Bremensi et Treverensi.“
48) Nicht früher; denn in diesem Jahre finden wir ihn noch beim Pfalzgrafen Heinrich zu Braunschweig (Meklenb. Urk.-Buch I. Nr. 262). In den Jahren 1217-1219 war er daheim. S. Meklenb Urk.-Buch Nr. 230, 231, 235, 241, 242, 245, 240, 252. Am 25. Mai 1220, zu Schwerin, nennt sein Bruder Gunzel ihn in einer Urkunde nicht mehr als Zeugen
50) Das. Nr. 189, 202. Es beruht auf der von den Schweriner Domherren gefälschten Urkunde Nr. 100 B
57) Goddin mit dem Pfarrgute zu Eixen und das Dorf Sülstorf, s. Meklenb. Urk.-Buch I, Nr. 165, 230. - Im J. 1227 fügte Heinrich noch das Dorf Moraas hinzu. Das. Nr. 340