Die lange Zeit der Prüfungen

Es ist Zeit, dass wir den jugendlichen Fürsten kennen lernen, dem Maria angetraut war. Der Pfalzgraf Friedrich war am 14. Februar 1515 geboren, also zur Zeit seiner Vermählung erst 22 Jahre alt. 4) Obwohl uns aus seiner Jugend nur wenig Nachrichten vorliegen, so wissen wir doch, dass er durch die Fürsorge des Vaters Johann, welcher nicht allein als ein trefflicher und kenntnisreicher Fürst verehrt, sondern auch als Gönner humanistischer Studien von hervorragenden Gelehrten gefeiert wurde, eine gute Erziehung genossen hatte. Im Lateinischen und noch mehr im Französischen wohl bewandert, hatte Friedrich ganz besonders in der vaterländischen Sprache sich mit seltener Gewandtheit und Korrektheit auszudrücken gelernt. In Wort und Schrift verriet er einen feingebildeten Geist, der sich von dem derben oder gar rohen Wesen der Zeit freigemacht hatte, und selbst in spätern Tagen, als Politik und Religion ihn ganz in Anspruch nahmen, hörte er nicht auf, für die verschiedenen Wissenszweige ein lebhaftes Interesse zu beweisen. Auch an Welterfahrung fehlte es dem jungen Prinzen nicht mehr, denn er hatte mehrere Jahre an fremden Höfen, in Lothringen, zu Lüttich, am Hofe Karls V., zugebracht und schon mit 18 Jahren, auf einem Türkenzuge auch Gelegenheit gefunden, durch Tapferkeit sich Kriegsehre zu erwerben. Aber nicht minder als Geistesbildung und ritterliche Tugenden zeichneten ihn Güte, Sittenreinheit und Frömmigkeit aus. Nicht als ob der jugendliche Pfalzgraf unempfänglich gewesen wäre für die Freuden und Verlockungen eines fürstlichen Daseins; Jagd und Spiel nebst fröhlichen Gelagen verschmähte er nicht, und dabei scheint er auch nicht immer die Mäßigkeit bewahrt zu haben, die er in reifern Jahren streng beobachtete. Aber wie der tiefsittliche Kern seines Wesens ihn vor gefährlichern Ausschreitungen behütete, so legte auch die Knappheit der Mittel und die Enge der Verhältnisse, in denen er lebte, ihm wohltätige Einschränkungen auf. Noch wichtiger jedoch wurde es für seine innere Entwickelung, dass die junge Gattin, die er gefunden, ihn zur Einkehr in sich selbst veranlasste.

Friedrich gehörte zur Zeit seiner Vermählung und während der ersten Jahre der Ehe noch der katholischen Kirche an, während Maria sich zu Luthers Lehre bekannte. Da der Gegensatz zwischen der alten und neuen Kirche damals noch ohne die Feindseligkeit und Schärfe war, womit ein Menschenalter später Katholiken und Protestanten sich gegenüberstanden, so war die Verschiedenheit des Bekenntnisses nicht als Hindernis der Ehe betrachtet worden. Ebenso mag auch das Glück der letztern nicht dadurch beeinträchtigt worden sein. Es konnte aber nicht fehlen, dass Maria, welche freudig und fest in ihrem Glauben stand, den Gatten zu ihrem Bekenntnis herüberzuziehen suchte. Sie machte ihn mit Luthers Lehre näher bekannt und veranlasste ihn, sich mit der religiösen Frage ernster zu beschäftigen.


Einem Manne von so ernster Geistesrichtung und so tief sittlichem Gehalt, wie Friedrich war, mußte die Notwendigkeit einer gründlichen Verbesserung des kirchlichen Lebens früh einleuchten, und für die Lehre Luthers war er um se leichter zu gewinnen, als er in der schlichten Frömmigkeit der Gemahlin die echte Frucht eines unverfälschten Christentums kennen lernte. Aber Scheu vor dem Vater, unter dessen Augen er lebte, wird ihn abgehalten haben, mit dem Katholizismus schon in den ersten Jahren seiner Ehe zu brechen. Soviel wir nämlich wissen, bekannte sich der Gemahl Marias offen erst zum Protestantismus, als er für seinen Schwager Albrecht die Verwaltung der brandenburg-kulmbachischen Lande als Inhaber der Obermarkgrafschaft des Gebirges führte. 5) Das war im Jahre 1546 unmittelbar vor dem Ausbruche des Schmalkaldischen Kriegs. Dass Markgraf Albrecht sich nicht allein während des Kampfes gegen die evangelischen Verbündeten auf Seiten Karls V. stellte, sondern auch nach Beendigung desselben seine protestantische Gesinnung in noch zweifelhaftern! Lichte erscheinen ließ, während der Pfalzgraf, dem das Bekenntnis Herzenssache geworden, von reformatorischem Eifer erfüllt war, wird die erste Ursache der Entfremdung gewesen sein, die zwischen beiden eintrat. Friedrich zog sich wieder zurück nach Simmern auf dem Hundsrück, dort lebte er, unbeachtet von der Welt, in den engsten Verhältnissen. Von der Zeit des Interims hat er später einmal gesagt, er sei zu jener Zeit gewesen, „wie eine arme, beschmutzte, rußige Küchenmagd, die hinter dem Ofen sitzt, niemand nachfragt, weil sie arm und rußig ist“. Weil er weder Land noch Leute gehabt habe, so sei er von dem Interim unangefochten geblieben. 6)

Für Friedrich und Maria kamen drangvolle Jahre. Herzog Johann, welcher an dem Bekenntniswechsel des Sohnes Anstoß nahm und unehrbaren Leuten, die seine Schwäche ausbeuteten, steigenden Einfluss gestattete, ließ ihn seine Ungnade bitter empfinden. Er ging so weit, dem Sohne die Unterstützung zu entziehen, welche dieser bedurfte, um seine zahlreiche Familie zu ernähren.

Briefe, die Maria in den Jahren 1550—53 aus Simmern an ihren Oheim, den Herzog Albrecht in Preußen, richtete, eröffnen uns einen Einblick in den Kampf mit Armut und Not, den sie und ihr Gemahl bestanden. 7) Wiederholt und dringend bittet sie um Geldvorschüsse, da sie außer dem Oheim und der schon genannten Landgräfin zu Leuchtenberg, ihrer Tante, Niemand hat, zu dem sie ihre Zuflucht nehmen könnte. Ihren herzlichen Vetter Markgraf Hans Albrecht, der ihr sonst auch also zu Hilfe gekommen, hatte sie, wie sie im Jahre 1551 klagt, verloren. „Ich wollt Gott vom Himmel, dass E. L. wissen sollte, wie es meinem herzlieben Gemahl und mir geht“, heißt es schon in einem Schreiben vom Jahre 1550, worin sie in den wärmsten Ausdrücken für das ihr zugeschickte Geld dankt.

Es fällt ihr schwer genug, den wackern „Vater und Vetter“ immer von neuem in Anspruch nehmen zu müssen, und sie bittet wiederholt, es ihr nicht übel halten zu wollen; aber es zwingt sie wahrlich die große Not dazu, das weiß Gott vom Himmel wohl! In einer solchen Not befand sie sich im Sommer 1551, als sie auf eines Vetters Hochzeit (Landgrafs Ludwig Heinrich zu Leuchtenberg) „etwas Unkosten mit Kleidung auf sich gewendet“ hatte, sodass sie ungefähr 200 Gulden schuldig geworden war. „Haben mir auch solche Leute zugesagt mir zu borgen bis in die Herbstmesse und habe ich mich also darauf verlassen; so haben mir solche Leute ungefährlich vor drei Jahren solches Geld aufgeschrieben; weiß ich nun nicht, wo hinaus. Habe meiner Freunde etliche darum angesprochen und geschrieben, ist mir aber überall versagt worden, und ob ich schon meinen herzlieben Herrn und Gemahel anspreche, so hat es sein Lieb in der Wahrheit nicht, denn sein Herr Vater gibt ihm nichts, denn was sein Lieb bedarf, das muss sein Lieb verleihen.“

Rührender noch lautet ein Brief vom 23. November 1552, worin sie dem Herzog, auf dessen Anfrage, zunächst über ihren Familienstand Auskunft gibt. Gott habe ihr zehn Kinder gegeben, sechs Söhne und vier Töchter, wovon nur noch vier Söhne und vier Töchter am Leben seien 8); sie erwarte aber auf Neujahr wieder niederzukommen. Um ihre Schulden teilweise bezahlen zu können (darunter auch 400 Gulden, worum sie den Oheim vergebens angesprochen), haben ihr Gemahl und sie einen Ring verkauft, den ihr der Kaiser geschenkt und wofür sie 2.000 Gulden erhalten. „Denn ich in großen Nöten gesteckt bin, habe auch wahrlich jetzt wieder 200 Thaler müssen leihen, habe ich anders zu meiner herzlieben Schwester, der Markgräfin zu Baden, zu ziehen Zehrung wollen haben. Gott weiß, wo ichs noch überkomme, dass ichs bezahle; man will mir auch nicht länger borgen, denn bis auf St.-Johannis des Täufers Tag des 1553. Jahres, so soll ichs wieder erlegen.“ Den Schwiegervater um Hilfe zu bitten, sei vergeblich. Sie haben ihre Not dem Bruder Albrecht (Alcibiades) geklagt, welcher ihnen den Rat gab, sich zu gedulden, es werde nicht lange mehr währen. „Aber lieber Gott, es geht dieweil seinen Weg dahin, wenn er (Herzog Johann) stirbt, dass wir 2 mal mehr Schulden finden, denn wir in unserm ganzen Fürstentum Einkommen haben, und geht als nur mit unehrbaren Leuten zu; denen kauft er Häuser und baut es ihnen nach Vorteil. Das müssen wir stets vor unsern Augen sehen. Und geht es uns wahrlich sehr übel. Wollt Gott, dass es E. L. wissen sollt; es ist nicht möglich, dass es ein Mensch glauben kann, denn der es sieht oder dabei ist. Ich hätte E. L. viel davon zu schreiben, so ist der Feder nicht zu vertrauen.“ — „Wenn Gott uns nicht hilft, so ist alle Hilfe umsonst; denn es kann nicht böser werden. Der allmächtige Gott wolle uns Geduld verleihen, dass wir das Kreuz, so uns Gott auferlegt hat, geduldig tragen. Wenn wir uns mit Gott nicht trösten, so wäre kein Wunder, dass wir verzagen, dass wir so viel Kinder haben, die uns Gott gegeben hat und noch gibt, und nichts dazu haben. Aber hat es uns der liebe Gott gegeben, so hoffe ich, er soll uns auch mit der Zeit noch dazu geben, dass wir sie mit Ehren versehen könnten.“ In Erinnerung an die Bedrängnis und Not, womit der Pfalzgraf in jenen Jahren zu kämpfen hatte, erschien seine spätere Erhebung zur kurfürstlichen Würde als eine besondere Fügung Gottes, und selbst Männer, die nach seinem Regierungsantritt die Hinneigung zum Calvinismus tadelten, erkannten voll Hochachtung an, dass Friedrich aus Liebe und Eifer für die reine Lehre sich früh in nicht geringe Gefahr gesetzt und allerhand Ungnade und Unfälle zu erwarten gehabt habe, die ihm auch zum Teil begegnet; er habe jedoch als ein Christ das alles nicht geachtet, sondern um der Ehre Gottes willen geduldet, und habe Gott vertraut, indem er sagte: „ich weiß gewiss, mein lieber Gott wird mich nicht verlassen“ — und Gott habe ihm auch aus solcher Trübsal, Noch und Anfechtung wider aller Menschen Gedanken geholfen.

Lange genug aber sollte die Zeit der Prüfungen währen. Dass der alternde Vater nach fast zwanzigjährigem Witwerstande sich noch eine junge Gräfin antrauen ließ, wird wenigstens die ökonomische Lage Friedrichs und seiner Gemahlin nicht gebessert haben. Indes standen ihnen noch schmerzlichere Erlebnisse bevor. Nachdem sie schon früher ein Kind in zartem Alter und 1553 die älteste fast fünfzehnjährige Tochter verloren hatten, entriss ihnen der Tod zwei Jahre später noch einen dreijährigen und 1556 einen reichbegabten vierzehnjährigen Sohn. „Dasselbige tut erst wehe, wenn die Kinder an ihre Statt gewachsen sind, dass sie alsdann sterben“ — bekennt Friedrich nach einigen Jahren, indem er sich jener Trauerfälle erinnerte. Wie groß mag der Schmerz der Mutter gewesen sein!

Auch der beklagenswerte Ausgang ihres einzigen Bruders Albrecht, welcher ein Mann von hoher Begabung und gewaltiger Kraft, aber zügellos und in jungen Jahren des festen sittlichen Halts entbehrend, nach wilden Kämpfen Land und Leute verlor und nach zweijähriger Verbannung, arm und heimatlos, sein sturmbewegtes Leben in der Blüte der Jahre (1556) zu Pforzheim schloss, musste von tiefem Eindruck auf die Schwester sein, auf deren Warnungen er nicht gehört.

Inzwischen bereiteten sich in der äußern Stellung des Pfalzgrafen Änderungen vor, welche auch auf das Leben der Familie von Einfluss waren. Nachdem in Heidelberg dem kinderlos verstorbenen Kurfürsten Friedrich II. (1556) der ebenfalls kinderlose Ottheinrich in der Kurwürde gefolgt war, hatte das simmernsche Haus nahe Aussicht auf ein glänzendes Erbe. Bald machte Ottheinrich seinen präsumtiven Nachfolger zum Statthalter in der Oberpfalz und ließ ihn seinen Wohnsitz in Amberg nehmen. Friedrich und Maria konnten nach langem Druck freier atmen.

Am 18. Mai des folgenden Jahres starb auch Johann II. zu Simmern, und Friedrich trat die Regierung des kleinen Herzogtums an, nachdem er die Freude gehabt, den harten Vater noch auf dem Sterbebette für den evangelischen Glauben zu gewinnen. Die Reformation in Simmern einzuführen war die erste und wichtigste Aufgabe, die der neue Herzog sich stellte.

Nach dem, was wir früher über die Geldnot Friedrichs und die Finanzen des Vaters gehört haben, wissen wir, dass mit der Übernahme der Regierung in Simmern die ökonomischen Verlegenheiten nicht beendet waren. Auch das nahe Verhältnis zu dem Kurfürsten der Pfalz brachte nicht gerade hohen materiellen Gewinn. Denn Ottheinrich war tief verschuldet, ehe er Kurfürst wurde, und fand nicht minder in Heidelberg eine große Schuldenlast vor. In der Tat war die Geldnot Friedrichs auch zu Amberg noch so groß, dass sich Herzog Albrecht von Bayern sogar mit der Hoffnung schmeichelte, ihm das Recht auf die Kurwürde abkaufen zu können. Aber so viel war doch immerhin schon jetzt gewonnen, dass die Ältern an die Versorgung ihrer zahlreichen Kinder beruhigter als früher denken konnten.

Von den vier noch lebenden Töchtern — die jüngste war im Jahre 1556 geboren — zählte die älteste, Elisabeth, eben 18 Jahre, als die Augen des Herzogs Johann Friedrich des Mittlern auf sie gelenkt wurden. Zwar kein mächtiger, aber ein angesehener Fürst, galt er in den Augen Friedrichs und seiner Gemahlin um so mehr, als er nicht allein der Sohn jenes vielgefeierten Johann Friedrich war, welcher im Schmalkaldischen Kriege seinem evangelischen Glauben die sächsische Kurwürde und die Hälfte seines Landes zum Opfer gebracht hatte, sondern sich selbst auch durch lauten Eifer für Luthers Lehre auszeichnete. Dazu scheinen noch andere Eigenschaften gekommen zu sein, die den Herzog den Ältern Elisabeths teuer machten. Friedrich scheute, obgleich er vorläufig nicht im Stande war, die übliche Aussteuer zu zahlen, ein bedeutendes Geldopfer selbst zu Gunsten des Unterhändlers nicht und brachte dem Schwiegersohn, der am 12. Juli 1558 zu Weimar das Hochzeitsfest feierte, eine innige Zuneigung und rückhaltloses Vertrauen entgegen. Nicht minder war Maria dem Gemahl ihrer geliebten Else aufs herzlichste zugetan. Sie ahnte nicht, dass die Verbindung, die sie über alles schätzte, eine Quelle des Schmerzes für sie werden sollte.