Abschnitt 2

Die Ankunft der Kinder im Schloß der Nachtfee.


Jetzt aber sollte die Reise schnell fortgesetzt werden, denn bis zum Mondberg war es noch sehr weit, und vor Tag mußten Peterchen und Anneliese wieder in ihrem Bettchen auf der Erde sein, sonst hätten sie nie mehr zurückgefunden. Da gab's nur einen Rat: Sie mußten auf dem großen Bären zum Mond hinüberreiten; der konnte nämlich furchtbar schnell laufen. Also befahl die Nachtfee dem Milchstraßenmann, schleunigst den großen Bären herbeizuholen. Der Milchstraßenmann bekam einen Schreck und meinte, das ginge heute nicht, weil der Bär sehr böse sei, grüne Augen habe und selbst ihn, den Milchstraßenmann, beim Füttern beinahe gebissen hätte. Er solle den Bären nur aus dem Stall holen, befahl die Nachtfee, man würde ihn schon zähmen können. So trottete der Milchstraßenmann zum Bärenstall, um das Ungetüm loszubinden und herbeizuführen; er mußte gehorchen. Die Nachtfee aber gab nun dem Sandmännchen den Auftrag, den Kindern weiter als Führer zu dienen. Er solle den Bären zunächst nach der Weihnachtswiese auf dem Monde lenken. Dann solle die Reise über die Mondhügel, Täler und Wiesen, am Osternest vorbei bis zu der silbernen Riesenkanone gehen, die am Fuße des höchsten Mondberges steht. In diese Kanone müßten die Kinder und der Maikäfer hineingeladen und auf den Berg hinaufgeschossen werden, denn anders könnten sie nicht hinaufkommen. Oben auf dem Berge aber sei das Abenteuer mit dem Mondmann zu bestehen. Bis dahin solle Sandmännchen helfen, und gern sagte es zu, alles dies nach der Ordnung zu besorgen, denn es hatte die beiden Hemdenmätze schon schrecklich lieb, weil sie so brav und mutig waren.


Nun kam der große Bär, vom Milchstraßenmann an der Kette geführt, durch die Wolken herbei. Ein riesengroßes Ungetüm war dieser Bär. Schneeweiß war sein Fell und dick und zottelig. Er war größer als der größte Elefant, und wenn er brummte, klang es beinahe wie das Bullern vom Donnermann. So stand er mitten im Saal, brummte und glotzte böse mit leuchtend grünen Augen umher. Der Milchstraßenmann machte ein sehr besorgtes Gesicht zu der Geschichte. Er wußte ganz genau, wie stark der Bär war und was er für grimmige Zähne hatte. Er mußte erst besänftigt werden, denn so hätte man ihn gewiß nicht besteigen können. Da hatte der Sandmann wieder einen guten Gedanken: Die Kinder sollten ihm Äpfelchen zu fressen geben! Der Bär war nämlich ein großer Schleckerfritze; das wußte Sandmännchen von den Sternen, die ihm manchmal ein wenig Milchstraßenhonig zu lecken gaben, wenn sie ihm im Fell wühlen wollten. Peterchen ging denn auch gleich mit einem Apfel in der Hand auf den Bären los. Alle guckten. Es war wirklich ein sehr spannender Augenblick, als das großmächtige Ungetüm dem kleinen Peterchen gegenüber den Rachen aufriß und wild mit den bösen Augen glotzte. Schwupp! flog ihm der Apfel, gut gezielt, in den weiten, roten Schlund. Schwapp! klappte der Rachen zu, und, das war sehr komisch, abwechselnd grün und rot wurden die Augen, als wüßte der Bär nicht, ob er noch böse oder schon gut sein sollte. „Seht ihr, halb ist er schon bezähmt und gut!“ rief das Sandmännchen sehr vergnügt. „Nun schnell noch einen zweiten Apfel, dann ist er zahm wie ein Kätzchen!“

Anneliese stellte sich auf die Zehenspitzen mit einem Apfel im Händchen. Sie war wirklich noch sehr klein, denn sie reichte lange, lange nicht hinauf bis an den großen Rachen, der über ihr aufklappte, als der Duft von dem Äpfelchen kam. Also hob das Sandmännchen die kleine, tapfere Anneliese hoch, daß sie ordentlich zielen konnte, und - happs! hatte der Bär das Äpfelchen verschluckt. In demselben Augenblick bekam er rote, gutmütige Augen und leckte sich, zufrieden wie ein kleiner Hund, die Schnauze. Das war eine Freude!

„Er kann auch Kunststückchen machen“, sagte der Milchstraßenmann. Natürlich mußte er Peterchen nun die Pfote geben und vor Anneliese gar ein Männchen machen. Oooooh, wie das aussah!

Bis oben in die Kuppel des Saales reichte er hinauf, als er sich gutmütig aufrichtete vor Anneliese, die wie ein winzig, winzig kleiner, weißer Floh vor ihm stand in ihrem Hemdchen. Der Eismax war ganz begeistert von der Kühnheit dieses kleinen Mädchens. Er kam und küßte ihr die Hand, wie einer großen Dame. Nun war Anneliese natürlich wieder ein bissel verlegen. Es gab aber jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Der Milchstraßenmann kam schon mit einer Leiter zum Aufsteigen herbei, während die Kinder der Nachtfee und ihren Gästen ade sagten. Eine Menge Küßchen bekamen sie dabei von allen. Peterchen dachte: ‘Der vom Taumariechen hat am besten geschmeckt - wunderschön! und der von der Blitzhexe am schlechtesten: so ein bißchen brenzlig!'

Anneliese fand den Kuß vom Morgenstern am schönsten und den vom Regenfritzen gar nicht sehr schön - so ölig! Heimlich wischte sie sich das Mäulchen ab, aber ganz heimlich nur, denn es war doch sehr nett, daß alle diese wilden Wesen so freundlich zu ihnen waren. Man durfte sie gewiß nicht beleidigen. Inzwischen hatte der Milchstraßenmann die Leiter an den großen Bären gelegt, und nun kletterten die vier auf den Rücken des gewaltigen Tieres. Sandmännchen saß vorn und lenkte ihn bei den Ohren, dann kam Peterchen, dann Anneliese und ganz zuletzt der Maikäfer, der wieder eine bedeutende Angst hatte und so dicht an Anneliese heranrutschte, als es nur irgend möglich war. Als sie sicher oben im weichen Fell saßen, winkte ihnen die Nachtfee mit allen ihren Gästen noch einmal lieb und freundlich zum Abschied; und dann ging's los!

„Hopp, Petz!“ rief das Sandmännchen. Der gewaltige Bär schnaufte einmal und noch einmal wie eine Lokomotive und stürmte aus dem Saal, über die Wolkenberge, die das Schloß trugen, hinaus ins Weite, so rasend schnell, daß den Reitern fast Hören und Sehen verging.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peterchens Mondfahrt