Abschnitt 4

Das Schloß der Nachtfee.


„Willkommen mir, Schwester, Königin!“


Da neigte die Sonne ihr Haupt leise vor der Majestät der Nacht; dann hob sie es leuchtend und sprach:

„Der Gruß meiner Liebe sei dir gebracht,
Du schöne Schwester, du stille Nacht!
Sind unsre Reiche auch ewig geschieden;
Mein ist die Arbeit, dein ist der Frieden;
Schlingen wir doch um die Guten und Bösen
Den einen Reigen und segnen die Wesen,
Die auf der wundertiefen Welt
Liebe in prunkendes Leben gestellt.“

Und dann umarmten sich die beiden Königinnen. Als die Nachtfee die Sonne umschlang, ging alle Glut unter in blauen Nebeln, und tiefe Dämmerung sank in den Raum; und als die Sonne ihre Arme um die Schultern der Nachtfee legte, leuchteten alle Dinge umher, in ein Meer von Licht gebadet. Als diese Begrüßung vorüber war, nahmen beide Herrscherinnen auf ihren Sitzen Platz, und auch die anderen Gäste setzten sich wieder. Dabei war es sehr komisch, wie der Eismax hinter den Rock der Wolkenfrau kroch, und wie Frau Holle hinter dem Schirm des Regenfritzen hervorschielte.

Jetzt kam aber plötzlich eine sehr sonderbare Gestalt hereingetölpelt: der Milchstraßenmann. Er war anscheinend in großer Wut und gar nicht festlich angezogen, wie sich das gehört hätte. Die Mütze saß ihm schief auf dem Kopfe, seine dicken Mondlederstiefel waren schmutzig, und einen ungekämmten Schnurrbart hatte er auch. Unter dem Arm trug er die große Zwillingsmilchflasche, und an einem Bändchen hinter ihm zottelte der kleine Bär, den er eigentlich hätte draußen lassen müssen, weil der immer schmutzige Pfoten hatte. Der kleine Bär hütete nämlich die Mondkälber und biß sie in die Beine, wenn sie auf einer falschen Himmelswiese grasen wollten. Jetzt hatte er allerdings einen Maulkorb um. Die Nachtfee machte ein sehr erstauntes Gesicht über den Milchstraßenmann und wollte ihm etwas darüber sagen, daß er nicht in solchem Aufzuge kommen dürfe; aber der ließ sie gar nicht zu Worte kommen, so aufgeregt war er, und polterte sofort los:

„Frau Nachtfee, ich muß mich bitter beklagen!
Die Gesellschaft, die du geladen hast,
Ist mir derart über die Milchstraße gerast,
Daß sie mir das Pflaster beschädigt haben
Und die Meilensteine, die Bäume, den Graben!
Das ist ein Benehmen, unerhört!“

Natürlich taten die Gäste, als wüßten sie von gar nichts, besonders der Sturmriese und der Donnermann schüttelten ungläubig ihre wilden Köpfe und taten so unschuldig wie kleine weiße Lämmchen. Aber der Milchstraßenmann schrie:

„Jawohl, ich hab' mich zu Recht beschwert!
Der Sturmriese kommt da mit Saus und Summ
Und wirft mir drei schöne Milchbäume um!
Und die Wolkenfrau, die ist auch so eine;
Hat mir alle meine Meilensteine
Verwischt mit ihren Plusterröcken!
Wenn nun ein Komet geflogen kommt,
So kann er nicht lesen,
wie weit es gewesen!
Er verirrt sich, rennt gegen Zäune und Hecken
Und bleibt zuletzt noch im Mondberg stecken!
Dann beschwer ich mich über den Regenfritzen;
Er macht meine Straße voller Pfützen
Und hat mir die schöne Milch verwässert
Mit seiner triefigen Drüppelei!
Es ist eine Schande und Schweinerei!“

Nun wollte sich der Regenfritz auch beschweren: „Der kleine Bär hat mich aber gebissen, Tüp, tüp - und mir meine Hosen zerrissen!“ meinte er weinerlich und zeigte ein großmächtiges Loch in seiner neuen Regenhose, die er sich extra zu dem heutigen Besuch beim Wolkenschneider hatte machen lassen. Ausgelacht wurde er obendrein vom Milchstraßenmann. Als der Donnermann aber auch lachen wollte, weil das Loch in der Hose des Regenfritzen sehr komisch aussah, fuhr der Milchstraßenmann herum, wie von einer Wespe gestochen; und nun ging's los:

„Der Donnermann braucht hier gar nicht zu lachen
Und sich über die anderen lustig zu machen!
Er hat sich furchtbar schlecht betragen,
Hat blödsinnig gebumst und gedonnerkracht
Und die Himmelsziegen mir scheu gemacht!
Das ist ihm nicht aus Versehen passiert;
Er hat sich so vorlaut aufgeführt,
Daß man wirkliche Angst vor dem Bullern bekam!
Und nun erst sein Weib: wie die sich benahm?!
Kam immer so zickzack dahergeschlenkert
Und hat mir die ganze Allee verstänkert!
Ist das ein anständiges Ehepaar?“

Er war ganz außer Atem vor Zorn geraten und sah puterrot im Gesicht aus. Natürlich wollten ihm alle Gäste widersprechen, aber er ließ niemanden zu Worte kommen und tobte weiter:

„Frau Nachtfee, ich schwöre, alles ist wahr!
Sie haben noch viel mehr angerichtet:
Der Hagelhans hat mir die Schoten vernichtet,
Und der Wassermann kam da angeplanscht,
Hat mir alle Gräben übergepanscht,
Hat vier Wiesen am Tausee überschwemmt,
Und ich hatte sie so schön eingedämmt.
Auch der Eismax muß sich bescheidener führen,
Er darf nicht so viel mit den Sporen klirren;
Drei Mondkälbern hat er den Kopf verdreht!
Und Frau Holle hat ein Stück Straße verweht!
Sie tun mir Unrecht zu ihrem Vergnügen,
Frau Nachtfee! Man kann das Lütütü kriegen
Vor Ärger, wenn man es richtig bedenkt!
Und keiner hat mir ein Trinkgeld geschenkt!“

Weiter konnte er nicht mehr schimpfen; die Stimme schnappte ihm über, und er mußte husten, so aufgeregt war er. Die Nachtfee aber machte ein sehr böses Gesicht, weil der Milchstraßenmann im Recht war; denn es ist gewiß nicht sehr höflich, wenn man eingeladen wird, solchen Unfug auf der Straße zum Schloß des Gastgebers zu machen. Als die wilden Gäste sahen, wie ernst die Nachtfee wurde, beeilten sie sich sehr, den Milchstraßenmann um Entschuldigung zu bitten, und versicherten ihm alle durcheinander, daß sie den Schaden gern ersetzen würden, wie die Nachtfee es wünschte. Damit war denn der gute Milchstraßenmann auch beruhigt; besonders ein großes Trinkgeld vom Eismax besänftigte ihn sehr, und er trottete mit dem kleinen Bären zufrieden ab. Der Ärger des Milchstraßenmannes war wirklich sehr begründet gewesen. Draußen auf der Milchstraße hatte der Brave jetzt nämlich viel zu tun. Die Unordnung, die alle diese herantobenden Naturgewalten mit ihrem Ungestüm an dem schönen Nachthimmel angerichtet hatten, war sehr groß, und der Nachtfee verantwortlich für die Ordnung dort war der Milchstraßenmann. Es war seine Schuld, wenn auf der Milchstraße nicht alles blitzeblank und gut gefegt war mit dem Himmelsbesen, wenn die Meilensteine nicht richtig funkelten, und wenn die Himmelsziegen und Mondkälber den falschen Nachtklee grasten oder gar ein kleines Lämmerwölkchen in die Silberwolle zwickten, daß es an der Stelle trübe Fleckchen bekam. Jaja, groß sind die Sorgen des Milchstraßenmannes!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peterchens Mondfahrt