Abschnitt 3

Das Schloß der Nachtfee.


Und wieder knickste sie, und wieder stob ihr eine Wolke von Schneeflocken aus den Röcken. Die Nachtfee reichte ihr die Hand und sagte, daß es Schlagsahne auf Eis geben würde. Das aß Frau Holle schrecklich gern, und höchst vergnügt segelte sie zu ihrem Stuhl neben dem Hagelhans.


Da kam auch schon der Eismax heran, der dritte der Eisgeschwister. Mit klirrenden Sporen und tausend klingenden, funkelnden Eiskristallen an seiner Montur schritt er zum Thron. Er schlug die Sporen zusammen, grüßte militärisch vor der Nachtfee und schnarrte:

„Gnädigste Nachtfee, melde jehorsamst zur Stelle!
Jereist mit jletscherhafter Schnelle.
Zwar für mich unjewöhnliche Zeit;
Aber doch eisbärenmäßig jefreut!
Wo alle sich zum Empfang einstellen,
Darf Eismax selbstverständlich nich fehlen.
Bitte erjebenst, eines nur:
Etwas jekühlte Temperatur'
Und die Sonne, das jreuliche Weib,
Mir nich so nahe uff'n Leib.
Kann die Person durchaus nicht vertragen,
Krieje Triefaugen und weichen Kragen,
Janzer Anzug schlägt Jammerfalten,
Kann Monokel nich mehr halten.
Unausstehlich! - Na, überhaupt,
Denke, daß mir das jeder glaubt!“

Nachdem die Nachtfee ihm versichert hatte, daß er kühl und luftig, weit ab von der Sonne sitzen solle, klirrte er salutierend wieder mit den Sporen und legte ein blitzendes Eisblumensträußchen auf die Thronstufen. Dann ging er von Platz zu Platz, machte den Anwesenden seine ritterliche Verbeugung und setzte sich schließlich, nachdem er sich auch den hübschen Sternenmädchen am Thron der Nachtfee vorgestellt hatte, auf die andere Seite der Frau Holle.

Jetzt quakte und patschelte es draußen: der Wassermann kam nämlich angeschlurft. Für den war es gewiß eine weite Fahrt gewesen. Er sah auch sehr angestrengt aus, als er nun auf seinen breiten Entenfüßen hereinwatschelte und mit den großen Glotzaugen herumstreite wie der Karpfen-Ururgroßpapa auf dem Seegrund. Wenn der Wassermann nicht im Wasser hockte, war er nämlich ein wenig kurzsichtig, und so wurde es ihm schwer, sich zurechtzufinden in dem großen Saal. Als er aber entdeckt hatte, wer da war, schlenkerte er zur Begrüßung die langen Froscharme nach allen Seiten, riß sein breites Maul auf und quakte:

„Putsch - patsch - blubber - quax!
Putsch - patsch - blubber - quax!
Guten Tax allerseits guten Tax - guten Tax!
War ‘ne weite, beschwerliche Fahrt - noaaaaaa!
Bin aber - blubber - blubber - trotzdem da.
Bin gefahren - uax - auf dem Muschelschiff,
Vom Grunde des Meeres - uax -, wo ich schlief.
Meine Seejungfern tanzten am Ufer Reigen,
Spielten Schlickverstecken und Blasensteigen;
Haben mir in einer großen Blase
Die Einladung gebracht, Frau Base.
War mir - blubber - blubber - sehr schmeichelhaft,
Hab' mir neue - uax - Wasserhosen angeschafft.
Aber ich bitte, vor allen Dingen,
Mich - uax - uax - wässerig unterzubringen.
In der Luft ist es sehr unangenehm!“

In jeder Hand hatte er einen großen Schwamm; den drückte er sich dabei über den Kopf aus, um es wenigstens etwas feucht zu haben. Die Nachtfee aber hatte für alles gesorgt, und so stand für den Wassermann eine große, silberne Badewanne bereit. In die kroch er nun auf die Einladung der Nachtfee, vergnügt grunzend, hinein. Außerdem kam noch ein liebliches Sternenmädchen mit einer gläsernen Gießkanne auf den Wink der Nachtfee herbei und begoß den dicken Wasserfürsten unermüdlich. Das gefiel ihm! Er quiekte und quakte wie ein grünes Schweinchen vor Vergnügen.

Da hörte man leise Harfentöne, und herein kam das Taumariechen; ein blasses, dunkelhaariges Mädchen, von Silberschleiern und Perlen umfunkelt. Sie trug eine Trinkschale in ihren kleinen Händen, die aus einem einzigen Diamanten geschnitten war. Die Harfentöne klangen bei jedem ihrer Schritte in der Luft, wie fallende Tropfen. Vor dem Thron kniete sie mit unbeschreiblicher Anmut nieder, neigte ihr Köpfchen leise und sagte mit silberner Stimme:

„Liebe Mutter, ich habe für diese Nacht,
Deinem Willen gehorsam, mein Werk vollbracht
Alle dürstenden Gräser und Blüten erquickt,
Alle schlafenden Wälder mit Perlen geschmückt;
Hing in Gärten viel Kettlein an Zweig und Baum,
Gab den grünen Büschen den Tropfensaum,
Füllte mit segnender Frische die Luft,
Strich auf Blätter und Früchte den silbernen Duft;
Hab' alle bunten Wiesen leise gekühlt,
Mit den Nebeln über dem See gespielt;
Hab' der Morgenröte das Land geschmückt,
Und alle Wesen im Traum erquickt.
Küß mich nun, Mutter, mein Werk ward schön,
Und laß mich in deine Augen sehn.“

Damit eilte sie in die Arme der Nachtfee, die ihr mit einem leisen, zärtlichen Kuß den Scheitel berührte. Dann setzte sich das Taumariechen auf die Stufen des Thrones, das liebliche Köpfchen ans Knie der Mutter geschmiegt.

Bis zu diesem Augenblick war in dem großen Saal ein Dämmerlicht gewesen, in dem die silbernen Säulen gleich Mondstrahlen zwischen den blauen Wolken schimmerten; nur bei der Ankunft der Blitzhexe, des Regenfritzen und der Frau Holle hatte sich dies milde Traumlicht, das vom Haupt der Nachtfee auszugehen schien, für Augenblicke ein wenig geändert. Jetzt plötzlich flog goldener Schein in diese Dämmerung, und durch die weite Nacht her kam eine rauschende, ferne, wundermächtige Musik. Die Nachtfee erhob sich auf ihrem Thron; die Sonne nahte, die Königin des Tages, die ihr gleich war an Rang und Ansehen. Alle Gäste erhoben sich mit ihr von den Sitzen, denn, obschon sie die Sonne zum Teil nicht leiden konnten, mußten sie ihr doch, als einer Königin, die schuldige Ehrfurcht bezeigen. Da schwoll die Musik heran, wie ein wachsender Sturm. Die Wolken teilten sich, und - in einem Strom von goldenem Licht schwebte die Sonne herein mit ihren Töchtern und Söhnen, der Morgenröte und Abendröte, dem Morgenstern und dem Abendstern. Wunderschön war die Sonne! Ihre Augen strahlten machtvoll und lieb zugleich. Als ein Mantel von Flammen lag ihr Lockenhaar um sie, und in funkelnden Garben brachen die Lichtstrahlen aus der Krone auf ihrem Haupt. An jeder Hand führte sie einen ihrer Söhne, die Schleppe ihres goldenen Kleides aber trugen ihre lieblichen Töchter. So stand die Sonne der Nachtfee gegenüber, und der Saal war voll von ihrem Licht. Langsam kam die Nachtfee von ihrem Thron herab der Sonne entgegen. Auf ihrem schwarzen Haar schimmerte die blasse Mondkrone. Sie breitete ihre Arme weit aus und grüßte die Sonne mit ihrer glockenschönen Stimme:

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peterchens Mondfahrt