Weitere Verhandlungen zwischen Vater und Sohn

Die Geburt dieses Sohnes trug noch mehr dazu bei, den unglücklichen Alexei durch und durch zu erschüttern. Der Ernst des Drohbriefes seines Vaters war durch diese Geburt eines neuen Thronfolgers zu einer solchen Gefahr des Verlustes der Thronfolge gestiegen, daß Alexei den Mut und die Kraft verlor, noch irgendwie Vorstellungen dagegen zu machen, oder durch Besserung seinen strengen Vater zu versöhnen. Völlig niedergeschlagen antwortete er seinem strengen Vater in wenigen Zeilen: „Wenn Eure Majestät mich wegen meiner Unfähigkeit der russischen Krone berauben wollen, so geschehe Ihr Wille. Ja, ich bitte inständig darum. Meine Kräfte des Verstandes und des Leibes sind durch Krankheit sehr geschwächt. Ich fühle mich untüchtig, so viele Völker zu regieren. Hätte ich auch keinen Bruder, ich würde die Thronfolge nicht verlangen. Noch viel weniger verlange ich sie jetzt. Ich wünsche dem Neugeborenen Gedeihen, und nehme Gott zum Zeugen und schwöre es bei meiner Seele, daß ich künftig keinen Anspruch auf die Thronfolge machen werde. Meine Kinder befehle ich Ew. Majestät; für mich aber bitte ich um einen geringen Unterhalt für meine übrige Lebenszeit.“

Dieses rührende Zeugnis einer völligen Zerknirschung und gänzlichen Unterwerfung unter den gestrengen Willen seines Vaters vermochte keineswegs Diesen zu versöhnen.


Mit einer Härte, die, neben so manchen Zügen von Milde, dem so tatkräftigen Charakter Peters des Großen eigen war, wenn es ihm galt, eine große Maßregel zum Wohle seines Reiches durchzuführen, antwortete er dem verlorenen Sohne nach einigen Wochen, am 10/20. Juni 1710:

„Ihr redet blos von der Thronfolge, und entsagt ihr, als ob Ich Eurer Bestimmung zu einer Verfügung bedürfte, die ganz von Meiner Willkür abhängt. Aber warum redet Ihr nicht von der Unfähigkeit, die Ihr Euch selbst zuzieht? Ich habe Euch mein Missvergnügen über Eure so vieljährige Aufführung zu erkennen gegeben, und Ihr schweiget. Die väterlichen Ermahnungen müssen Euch wenig ans Herz gegangen sein. Achtet Ihr deren so wenig bei Meinem Leben, wie wenig werdet Ihr darauf achten, wenn Ich tot bin. Bei der Verstocktheit Eures Herzens, wie kann Ich mich auf Eure Schwüre verlasse? — Und hättet Ihr auch die Absicht, Eure Zusage zu halten, würden nicht die Großbärte Euch eigenen Gefallens umlenken und Euch zwingen, den Eid zu brechen? Diese Leute, durch Müßiggang und liederliche Lebensart jetzt von Ehrenämtern entfernt, hoffen dereinst durch Euch ihr Glück zu machen. Sie dürfen dieses hoffen, denn Ihr seid ihnen zugetan. Statt Eurem Vater, der Euch das Leben gab, in seinen Sorgen und Bemühungen beizustehen, verleumdet und verflucht Ihr Alles, was Ich mit Gefahr Meiner Gesundheit, aus Liebe zu Meinen Untertanen, zu ihrem Besten gestiftet habe. Muß Ich nicht fürchten, daß Ihr, wenn Ihr mich überlebt, Alles wieder umstoßen werdet, was Ich Gutes tat? Und ist es verantwortlich, Euch, wie ein Amphibium, so nach Gefallen hinleben zu lassen? Unmöglich kann Ich mich Euretwegen beruhigen.“

„Zum letzten Male schreibe ich Euch. Ändert Euer Betragen und strebt der Thronfolge würdig zu werden, oder — geht ins Kloster!

„Antwortet Mir gleich nach dem Empfange dieses Schreibens, mündlich oder schriftlich. Tut Ihr das nicht, so werde Ich mit Euch als mit einem Verbrecher verfahren.“

Immer erbitterter und vergrillter wurde Alexei durch diese Härte seines Vaters — das liegt einmal in der menschlichen Natur, daß eine Härte und Strenge, die uns ungerecht erscheint, nicht versöhnt und bessert, sondern nur noch störrischer und verstockter im Unrecht macht. — So erging es auch diesem unglückseligen Zarensohne. Schon am folgenden Tage antwortete er seinem Vater die wenigen Zeilen:

„Meine Unpässlichkeit hindert mich an einer ausführlichen Antwort. Es sei! Ich will den geistlichen Stand erwählen, und bitte um Ihre Einwilligung dazu.“

Wir wissen, daß Alexei schon nach seiner ganzen träumerischen, pietistischen Richtung eine Vorliebe für Theologie und Mönchstum hatte. Es lag also gerade noch kein großes Opfer in dieser Erklärung. Peter aber wollte ihn immer noch nicht zum Äußersten drängen. Das natürliche Gefühl eines Vaters hängt sich immer noch, wie der Schiffbrüchige nach dem Strohhalm greift, an die letzte Hoffnung der Besserung eines verlorenen Sohnes.

Und so kam es denn, daß Peter nach einigen Tagen, kurz vorher, ehe er seine Reise nach Dänemark, Deutschland. Holland und Frankreich antrat, zu ihm ging, um Abschied von ihm zu nehmen.

Er fand seinen Sohn Alexei krank im Bette liegen. Alexei klagte über sein Befinden, und als Peter ihn fragte, ob er bei seinem Beschluss verharre, bekräftigte er seine Erklärung, und rief Gott zum Zeugen, daß er Nichts so sehr wünsche, als in den Mönchsstand zu treten. Peter riet ihm nochmals, Alles reiflich zu überlegen und sich nicht zu übereilen, sondern wohl zu bedenken, wozu er sich entschließe. Er fügte noch hinzu: „Ihr werdet besser tun, den Weg, den Ich Euch gebahnt habe, einzuschlagen, und dazu gestatte Ich Euch noch eine Bedenkfrist von sechs Monaten.“

Aber die sechs Monate verliefen, während Peter sich auf seiner Reise befand, ohne die verlangte Antwort zu erhalten. Alexeis Briefe an seinen Vater enthielten nur Nachrichten über sein Befinden.

Gleichzeitig aber erhielt der Zar Briefe von einem Vertrauten in Petersburg. Dieser meldete ihm, sein Sohn scheine sehr tiefsinnig zu sein; er gehe aber viel mit Leuten von verdächtiger Gesinnung um. Es werde daher zweckmäßig sein, daß der Zar ihn zu sich kommen ließe, um ihn unter Augen zu haben.

Als der Zar diesen Rat empfing, befand er sich gerade in Kopenhagen. Sogleich erließ er durch einen Courier ein Schreiben an seinen Sohn, das so lautete: „Ihr habt Zeit genug gehabt, Euch zu bedenken. Entschließt Euch beim Empfange Dieses. Ist es Euer Entschluß, Euch zur Thronfolge tauglich zu machen, so kommt in acht Tagen zu Mir und wohnt den Kriegsunternehmungen des Feldzuges bei. Wählt Ihr das Kloster, so schreibt Mir, wenn und an welchem Tage Ihr Euren Entschluß zur Ausführung bringen wollt, damit Ich Mein Herz beruhige und wisse, wessen Ich Mich zu Euch versehen kann. Ich will durchaus, daß Ihr Euch zu etwas Gewissem entschließt, und diesen Entschluß fordere Ich hiermit durch den Courier, der Euch meinen Brief überliefert.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.