Peters Warnung an Alexei

Schon längst war es dem Zaren durch den Kopf gegangen, daß er sein schönes Werk der Zivilisation des russischen Volkes und einer Erweiterung der Machtstellung dieses Reichs einem Sohne hinterlassen sollte, der nach seiner tief eingewurzelten Gesinnung mehr geeignet war, dieses Werk zu zerstören, als daran fortzubauen.

Doch ehe er zu der entscheidenden, unwiderruflichen Maßregel einer Entziehung der Thronfolge gegen Denselben griff, wollte er noch den letzten Versuch machen, ihn durch eine nachdrückliche Warnung zu bessern.


Da er seine eigene Heftigkeit fürchtete, und sich bewußt war, im Zorne bei einer mündlichen Unterredung nicht das rechte Maß halten zu können, um auf seinen Sohn einen heilsamen Eindruck zu machen, so setzte er seine Gedanken darüber schriftlich auf.

Noch, ehe der junge Peter geboren wurde, als der Zar von dem Begräbnis seiner unglücklichen Schwiegertochter zurückkehrte, begab er sich zu Alexei. Nachdem er ihm über den Tod seiner Gemahlin, nicht ohne einige Anspielungen, sein Beileid ausgesprochen hatte, händigte er ihm bei seinem Abschiede ein beschriebenes, zusammengelegtes Papier ein, und fügte mit tiefem Ernst hinzu: „Es enthält meine Entschließungen über die Thronfolge. Ich gebe es Dir zur Beherzigung.“

Diese Schrift enthielt nun folgende strenge Ermahnung an seinen Sohn Alexei:

Nachdem er im Eingange derselben geschildert hatte, welche Aussichten auf Größe und Glück für das ihm von Gott anvertraute russische Reich eröffnet seien, fuhr er im strafenden Tone fort: „Aber wenn Ich Meine Blicke in die Zukunft werfe, dann verdrängt der Kummer, der Mir am Herzen nagt, die Freude über die bisherigen Erfolge. Und diesen Kummer erregt Ihr, Mein Sohn, Ihr, der alle Mittel verschmäht, Euch fähig zu machen, löblich nach Mir zu regieren. Ja, Eure Unfähigkeit ist eigenwillig. Nicht fehlt es Euch an Verstandeskräften, und auch Eure körperlichen Kräfte sind nicht so schwach, daß sie nicht genügen sollten. Durch Waffen und Kunst sind Wir aus Unserer vorigen Dunkelheit herausgebrochen, und haben Uns bei anderen Nationen Namen und Achtung erworben. Euch aber sind alle Waffenübungen verhaßt. Fern sei es, daß Ich Euch ermahnen sollte, ohne gerechte Ursache Kriege zu unternehmen; aber das fordere ich, daß Ihr Euch der Kriegskunst befleißiget. Ohne diese Kunde, ohne Einsicht in die Gesetze und das Wesen der Waffenkunst ist es unmöglich, gut zu regieren. Das Vaterland zu verteidigen ist die erste Pflicht des Regenten. Gute Generale zu haben, reicht nicht hin; Jeder sieht auf das Haupt. Wie wollt Ihr, wenn Ihr nicht selbst die Kunst ergreift, wie wollt Ihr Anderen befehlen? — wie angemessen lohnen und strafen? Nur durch fremde Augen werdet Ihr sehen, nur durch fremde Arme handeln. Dem Vöglein im Nest werdet Ihr gleichen, das nur den Schnabel öffnet, um sich ätzen zu lassen. Ich bin ein Mensch, bin sterblich. Wem soll Ich die Erhaltung des Gewonnenen, die Vollführung Dessen, was Ich begann, vertrauen? Soll Ich es einem Menschen hinterlassen, der gleich dem faulen Knecht im Evangelium sein Pfund unter die Erde vergräbt?“

„Wie oft habe Ich Euch dieses vorgehalten! Wie oft Euch gestraft! Auch geschwiegen habe Ich seit mehreren Jahren. Aber das Reden hat so wenig gefruchtet als das Schweigen; Ich habe die Zeit verloren. Statt tätig zu sein, ergebt Ihr Euch dem Müßiggange, und weilet im Hause und ruhet auf Polstern.

Nun habe Ich dieses Unwesen mit Ernst betrachtet, und Mein Entschluß ist gefaßt.

Bessert Ihr Euch nicht bald, so werde Ich Euch, wie man ein faules Glied abschneidet, von der Thronfolge ausschließen. Wähnet nicht, daß, weil Ich keinen Sohn als Euch habe, Ich dieses nur schreibe, um Euch zu schrecken. Es soll, so Gott will, wahr werden, was Ich drohe.

Habe Ich doch für mein Vaterland und für das Wohl meiner Untertanen Mein eigenes Leben nicht geschont; wie sollte Ich Eurer schonen, der Ihr Euch dessen nicht würdig macht! Lieber überlasse Ich Mein Reich einem würdigen fremden, als Meinem eigenen unwürdigen Sohne.“

Dieses Schreiben war in demselben großen Geiste abgefasst, in welchem Peter in seiner gefahrvollen Lage am Pruth ausgesprochen hatte, daß, wenn er in Gefangenschaft geraten würde, man seinen Befehlen nicht mehr gehorchen, sondern dem Würdigsten die Krone übergeben solle.

Wenige Tage darauf gab die Geburt eines zweiten Sohnes des Zaren, des Prinzen Peter, dieser Mahnung eine noch viel ernstere, drohendere Bedeutung.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.