Kikin

Kikin war am Hofe der Zarin Eudoria erzogen, und stand bei dieser unglücklichen Fürstin sehr in Gnaden. Nie hatte er seine Entrüstung über die unwürdige Behandlung, die seiner angebeteten Herrin widerfahren war, unterdrücken können. Peters Neuerungen erschienen ihm nun um so gehässiger, und früh schon hatte er es für ein verdienstliches Werk gehalten, den Neuerer zu ermorden.

Nach mündlichen Überlieferungen hatte Kikin, der als Dentschik in den Dienst des Zaren aufgenommen worden war, die Freiheit und Vorrechte dieser begünstigten Diener benutzt, um in einer Nacht in das Schlafzimmer des Zaren zu dringen. Mit einer geladenen Pistole trat er leise an das Bett des arglos schlafenden Monarchen, zielte auf dessen Brust und drückte ab. Die Pistole versagte. Erschreckt darüber zog sich der Mörder für diesmal zurück. Aber sein fanatischer Groll trieb ihn nach wenigen Tagen zu einem zweiten Versuche. Dieser aber hatte, wunderbar genug, wieder denselben Erfolg. Das Mordgewehr gab Funken, aber kein Feuer. Der Zar erwachte und in schneller Geistesgegenwart ergriff er die Pistole des Mörders. Dieser fühlte voll Entsetzen das Walten einer mächtigen Vorsehung. Er fiel vor dem Bette des Zaren auf die Knie und mit empor gehobenen Händen rief er aus: „Ich bin von Gott gesandt, Dir zu verkünden, daß Du unter göttlichem Schutze lebst und daß keine höllische Bosheit Dich verderben kann. Diese Pistole, die nie versagte, hat zweimal mir versagt, als ich nach Deinem Herzen zielte. Hier ist mein Haupt! Ich bin nicht wert, daß mich die Erde trage.“


Ohne ein Wort zu erwidern, stand Peter auf von seinem Lager, und ging einige Male gedankenvoll im Gemache auf und nieder. Nachdem er sich gesammelt hatte, trat er vor den noch immer knienden Mörder, betrachtete ihn mit einem tiefdringenden Blick, und sprach mit unbeschreiblicher Hoheit: „Gesandte sind straflos. Der Gott, dem ich vertraue, verzeiht Dir.“

Die Großmut des Zaren ging so weit, daß er den zerknirschten Verbrecher, dessen Reue aufrichtig zu sein schien, zu einer angesehenen Würde des Reichs erhob. Er stieg nach und nach bis zu dem Range eines Admiralitätsrates.

Aber Kikin machte sich dieser Gnade aufs Neue unwürdig. Er gehörte zu Denen, die ihr Amt zu Veruntreuungen und Erpressungen schändlich gemißbraucht hatten, und entging der erkannten Todesstrafe nur dadurch, daß ihn Peter mit Verweisung nach Sibirien begnadigte. — Doch bald rief ihn die unerschöpfliche Großmut des Zaren zurück, und setzte ihn in Amt und Würden wieder ein.

Doch auch diese Großmut vermochte nicht, den tiefen Haß gegen seinen Wohltäter in der Seele des fanatischen Bösewichts zu tilgen. Sein nur mit Mühe tief in das Innere seiner Seele zurückgedrängter Haß gegen den Zaren erwachte aufs Neue, als ihm der Entschluß Desselben bekannt wurde, Eudorias Sohn von der Thronfolge auszuschließen. Auf das Tiefste dadurch erbittert, schloß er sich enger an den unglücklichen Zarensohn Alexei an, und suchte den Intentionen des Zaren dadurch entgegenzutreten, daß er Alexei dringend riet zu entfliehen, weil dieses das einzige Mittel sei, für sich nach des Zaren Tode die Thronfolge zu retten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.