Fortsetzung des Baues von Petersburg

Gegen Moskau hatte Peter der Große eine tief eingewurzelte Abneigung. Diese rührte größtenteils von den Jugendeindrücken her. — Die Schrecken der vielen Aufstände, die blutigen Szenen, die dort zum Teil auf seinen Befehl vollzogen waren, hatten auf seine Nerven gewirkt. Nicht ohne einen innern Schauder zu empfinden, konnte er diese alte Zarenstadt betreten. Riefen ihn einmal Geschäfte dorthin, so übernachtete er daselbst niemals, sondern im nahe belegenen Dorfe Preobraschensky — seinem militärischen Lieblingsaufenthalt in seiner Jugendzeit.

Peter verkannte bei alledem nicht die Vorteile der Lage dieser alten Zarenresidenz. Gleichsam um seine Vorliebe für Petersburg zu rechtfertigen, sagte er oft: „Wenn nur ein See oder ein Strom, der mit dem Meere Kommunikation hätte, bei Moskau wäre, so wollte ich die beste Residenz der Welt nicht dafür hingeben, weil Moskau nicht nur im Mittelpunkte des Reichs liegt, sondern auch wegen der schönen Gegend, des fruchtbaren Bodens und der gesunden Luft eine der schönsten Städte Rußlands ist.


Dabei verkannte er aber auch nicht, wie groß die mancherlei Schwierigkeiten waren, mit denen er bei dem Bebauen der Newainseln zu kämpfen hatte. Doch jede dieser Schwierigkeiten regte den Zaren nur zu einer höheren Energie für die Ausführung seiner Pläne auf.

Mochte auch der sumpfige Boden dem Grundbau noch so viel Schwierigkeiten bieten, es gab ja Wälder genug in den Umgebungen der Newastadt, und sie wurden hineingerammt in den oft bodenlosen Grund. Verfaulten auch die hölzernen Blockhäuser, da sich keine Keller anlegen ließen — denn mit sieben Fuß Tiefe fand man schon Wasser — so wurden dafür Anfangs Holzgebäude mit Fachwerk und später ganz massive Häuser erbaut. Granit gab es ja genug an den Küsten des finnischen Meerbusens.

Überall war Mangel an guten Brunnen und Kellern; leicht zerstörbar war das Straßenpflaster, Anfangs aus Holzstämmen gebaut. Überschwemmungen drohten mit Lebensgefahr, und die Bojaren, die sich gezwungen sahen, Moskau, den geliebten Wohnsitz ihrer Väter und ihres frühern Glanzes, zu verlassen und sich in Petersburg anzusiedeln, klagten: „Tränen und Wasser hat Petersburg die Fülle.“

Auch hätte wohl die bei ungünstigen Winden allerdings schwierige Einfahrt in den finnischen Meerbusen und das so leicht in Fäulnis übergehende süße Wasser des Hafens von Kronstadt, das die dort liegenden Schiffe vor der Zeit zerstörte, davon abraten können, diesen Ort für seine jetzige Bestimmung zu wählen; allein die Vorteile der so günstigen Lage an der Ausmündung eines so großen schiffbaren Stromes, welcher das Herz von Rußland durchströmte und gleichsam die Hauptpulsader des ganzen Reichs war, überwog diese Nachteile, und durch den trefflichen Hafen und dessen leichte und sichere Verbindung mit der Ostsee war diese Stadt geeignet, der Stapelplatz für den Welthandel mit allen Produkten Rußlands und des Auslandes zu werden.

Das reine und gesunde Wasser, welches die Arme der Newa so reichlich zuführten, entschädigte hinreichend für den Mangel an Brunnen und Quellwasser. Dadurch schon hatte Petersburg die entschiedensten Vorzüge vor Narva, Reval und Riga, und diese Umstände waren genügend gewesen, den Zaren zu bestimmen, Petersburg zu der ersten Stadt seines Reichs und zu seiner Residenz zu erheben. Dazu bewog ihn auch seine entschiedene Vorliebe für das Seewesen und die Überzeugung, daß er nur durch seine persönliche Gegenwart, und wenn er Petersburg zu seiner Residenz erwähle, diese Stadt heben könne. Diese Gründe haben sich im Laufe der Zeit als wichtiger erwiesen als das Bedenken, welches einst Diderot gegen Katharina II. wegen der Lage des Orts äußerte, indem er schrieb:

„Eine Hauptstadt an der Grenze des Reichs ist eben Das, was das Herz in den Fingern. Der Kreislauf wird schwer und die kleinste Wunde tödlich.“

Den Handel nach Petersburg hinzuziehen, war nun des Zaren ernste Bemühung. Es wurde dieses Ziel nicht ohne Gewaltsamkeit der Maßregeln erreicht. Unter anderem wurde befohlen, daß die Kaufleute und Produzenten vom Frühjahr 1714 an ihre Waren nicht mehr auf dem alten gewohnten Wege nach Archangel führen, sondern in Petersburg lagern sollten. Alles Protestieren aus den triftigsten Gründen half Nichts dagegen. Es blieb bei der Bestimmung, und es zeigte sich endlich, daß der Erfolg der günstigste war, selbst für die Interessen der Beteiligten.

Man denke sich indes das damalige Petersburg nicht als eine schon vollendete große und schöne Stadt. Ein deutscher Zeitgenosse, welcher Petersburg im Jahre 1714 gesehen, schrieb darüber: „Ich dachte mir den Ort als eine außerordentliche Stadt, was ich aber fand, war eine Menge zusammengeschobener Dörfer, die den Wohnplätzen in den amerikanischen Kolonien nicht unähnlich waren.“

Aber der Zar scheute keine Kosten und Mühen, um diese Dörfer schnell zu einer kolossalen Stadt zu vereinen. Dies ging ohne gewaltsame Maßregeln nicht hin. Die Befehle zur Verwandlung der meistens einstöckigen Blockhäuser in zweistöckige Häuser von Fachwerk, nach preußischem Muster mit ordentlichen Öfen, haben wir schon erwähnt. Bald darauf erging ein Befehl an den Adel, die reichsten Kaufleute, so wie an bedeutendere Fabrikanten und Handwerker im ganzen Reiche, für sich in Petersburg Häuser zu erbauen, und da es bei diesen vielen gleichzeitigen Bauten noch an Maurern fehlte, so wurde in Moskau und anderen großen Städten des Reichs jeder Neubau eines gemauerten Hauses verboten, bis Petersburg vollendet sein würde.

An der Festung und anderen öffentlichen Gebäuden waren mehr als 4000 Menschen, die aus allen Teilen des Reichs zusammengetrieben waren, gezwungen zu arbeiten. Da diese Arbeiterscharen nicht hinreichten, mußten auch die finnischen Bauern und die schwedischen Gefangenen mithelfen. Viele dieser unglücklichen Schweden hatten jenseits Kasan am Ufer der Samara in den Schwefelgruben gearbeitet. Eine große Menge ihrer Gefährten war dort umgekommen. Der Rest derselben, etwa 600 an der Zahl, wurde an die Newa geführt, wo sie größtenteils zum Pflastern der Straßen gebraucht wurden. Diese bejammernswerten Gestalten, mehr Gespenstern als Menschen gleichend, zogen das Mitleid der Zarin Katharina auf sich, und Diese ließ sie mit Geld und Kleidung versehen. — Energie und Despotismus gingen hier Hand in Hand, um Großes für die Nachwelt zu schaffen. Diese aber hatte den Gewinn davon. Ohne solche Gewaltmaßregeln hatte Petersburg nie seine heutige Größe und Bedeutung gewonnen.

Wenn die Bauherren, besonders Ausländer, die auf eigene Kosten sich ein Haus bauten, den Zaren einluden, der Zeremonie der Grundsteinlegung beizuwohnen, so kam er jedesmal, um durch diese Ehre auch Andere zum Bauen aufzumuntern. Er verfehlte dann nicht, auf die glückliche Vollendung des Baues einen Pokal zu leeren.

Auch eine Vorstadt entstand damals schon unweit der Seemündungen zwischen einigen südlichen Ausflüssen der Newa.

Die für die Zarin und ihre Töchter an der Fontanka und an dem Kronstädter Meerbusen erbauten Sommerhäuser waren nun vollendet. Die angenehme Überraschung, welche die Zarin ihrem Gemahl durch Erbauung eines Landhauses bereitet hatte, haben wir schon erzählt.

Die Festung Petersburg hatte schon seit 1706 eine Befestigung durch steinerne Bastionen erhalten. Jetzt wurde auch der Grund zum Bau einer Kathedral–Kirche gelegt, die den Aposteln Petrus und Paulus gewidmet wurde.

Die Stadt breitete sich damals meistens nur auf zwei durch die Newa getrennten Inseln aus. Auf der höhern und trockneren Admiralitäts-Insel am linken Newa-Ufer wohnten die Seeoffiziere, Matrosen und Schiffszimmerleute, und hier wurde jetzt auch ein geräumiges Posthaus gebaut. Auf der Festungs- oder Petersburger Insel am linken Newa-Ufer waren die Kollegien-Gebäude, die Wohnungen der Minister, der Kirchhof, die öffentlichen Kaufläden, das Rathaus, die Gewehrfabrik und mehrere Bürgerhäuser erbaut.

Weniger angebaut war das karelische feste Land an der rechten Seite der Newa, welches jetzt gewöhnlich die Wiburg'sche Seite genannt wird. Dort ließ Peter jetzt, wie lange schon sein Plan gewesen war, ein General- See- und Landhospital für kranke unvermögende Seeleute und Soldaten anlegen. Eine Kirche trennte die beiden Hospitäler, welche jedes ein anatomisches Theater enthielt; geschickte Ärzte und Wundärzte waren dabei angestellt. Die Einweihung dieser großartigen Anstalt geschah im Beisein des Zaren und der höchsten Geistlichkeit. Alle Kanonen der Festung und der auf der Newa liegenden Schiffe wurden zur Feier dieser Einweihung gelöst. Nach dem Schlusse dieser Feierlichkeit sprach Peter mit erhobener Stimme: „Nun ist mein lange gehegter Wunsch erfüllt. Manchen Braven fehlte es bisher an Hilfe. Hier soll sie ihnen werden. Gott gebe nur, daß niemals Vielen diese Hilfe in der Not fehlen möge!“

Ganz unbebaut war damals noch die Wasili-Ostrow-Insel, diese größte der Newa-Inseln, welche zwischen der Petersburger und der Admiralitäts-Insel vortritt. Der Boden derselben ist morastig und häufigen Überschwemmungen ausgesetzt; dennoch wurde sie vom Zaren zum regelmäßigen Anbau bestimmt. Zwei große Kanäle sollten die Insel in der Länge und zwölf kleinere in der Breite durchschneiden. An beiden Seiten dieser Kanäle sollten sich schnurgerade breite Straßen hinziehen, welche mit großen steinernen Häusern von gleichartigen Fassaden bebaut werden sollten. Jedes Haus sollte seinen Hof und seinen Gartenplatz haben. Der eine größere Kanal sollte nach der Absicht des Zaren so tief sein, daß beladene Seeschiffe von Kronstadt herauf gerade vor die Privathäuser und die Börse fahren konnten. Auch wollte er mehrere Marktplätze und ungefähr in der Mitte der Insel einen Lustgarten, gegen die See zu aber Triften zu Gemeinde-Viehweiden anlegen lassen.

Diesen großartigen Plan, dem heute Petersburg es verdankt, daß es eine der grandiosesten und schönsten Städte in der Welt geworden ist, konnte Peter der Große allerdings nur durch die rücksichtslosesten Gewaltmaß regeln ausführen. Da er als Selbstherrscher aller Reußen niemals wegen der Mittel zu seinen großen Zwecken bedenklich war, so erließ er in seinem ganzen weiten Reiche des eigentlichen Rußlands den Befehl, daß sowohl geistliche als weltliche Gutsbesitzer nach einer ihren Besitzungen angemessenen Größe auf Wassili-Ostrow, auf dem Platze, der ihnen angewiesen, und nach dem Plane, der ihnen vorgeschrieben wurde, Häuser bauen und den Bau in drei Jahren, bei Strafe der Konfiskation ihrer Güter, insoweit vollenden sollten, daß die Häuser sich in wohnbarem Stande befänden.

So erbaut man heutzutage keine Stadt mehr. Man würde fürchten, Privatrechte zu verletzen; aber damals stand der Wille eines absoluten Monarchen so hoch, daß dieser wie ein unabänderlicher Schicksalsspruch betrachtet und befolgt wurde.

Damit Niemand sich entschuldigen könnte, daß es an Materialien und Bauleuten fehlte, lagen im Baucomptoir Baurisse, mit den Nummern des Hauses und der Straße versehen, nach Anleitung des italienischen Baumeisters Tressino angefertigt, bereit.

Ein Menge Ziegelhütten waren einige Werste von Petersburg oberhalb der Newa an der Landstraße, die nach Schlüsselburg führte, angelegt, und diese konnten viele Millionen Ziegelsteine liefern. Bauholz, Kalk und Steine, so wie Pfähle zum Einrammen des Grundes waren in großer Menge vorhanden, und diese Materialien konnten den Bauherren für billige Preise überlassen werden. Bretter, Dielen und Latten lieferten die bei Petersburg angelegten, vom Winde oder Wasser getriebenen Schneidemühlen. Tausende von Barken brachten Holzwerk zu Zäunen, Ställen und andern Hofgebäuden aus dem Innern des Reichs über den Ladogasee und auf der Newa heran. Kein Fahrzeug wurde in Petersburg hereingelassen, welches nicht nach Verhältnis seiner Größe eine Quantität Feldsteine zur Pflasterung der Gassen mitbrachte. Diese mußten an die dazu bestellten Kommissionen abgeliefert werden.

So wuchs nach und nach Petersburg zu der Größe und dem Glanze heran, wodurch diese nordische Weltstadt die Bewunderung aller Reisenden erweckt. — Daß aber namentlich die Anlage von Wassili-Ostrow nicht zu Peters Befriedigung ausgefallen war, werden wir im zwölften Abschnitt mittheilen.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.